Helmut A. Gansterer Französischstunde
Die Franzosen, man weiß das, habens mit den Weibern,
trinken Champagner und sind leichtfertige Windhunde
Kurt Tucholsky: Das falsche Plakat von Paris
In späteren Epochen wird man mit Entsetzen auf unsere Zeit zurückblicken. Man wird sagen, im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends nach Christus seien die Menschen in eine Dunkelheit eingetreten.
Alles habe sich plötzlich zum Schlechteren gewendet, ganz unerwartet.
Dem Schrecken sei eine lange, durchaus erfolgreiche Entwicklung vorangegangen. Trotz der freiwilligen Zerrüttung des Geistes durchs Fernsehen federte der Millenniumsmensch 2000 wuchtige Zäsuren ab. Mit Geschick und Glück bewältigte man beispielsweise den ökonomischen Wechsel von der Handarbeit zur Kopfarbeit, vom Analogen zum Digitalen, vom Provinzlerischen zum Globalen.
Dass letztlich doch alles schiefging, lag, so werden die Historiker sagen, einfach darin, dass die Gesellschaft im Innersten schon zu schwach war, auf Dauer an vielen Fronten das viele Neue zu verarbeiten. Selbst das Erfreuliche wie ein neues Energiedenken und die Demokratie-Revolutionen rund ums Mittelmeer wurde als Last empfunden. Es widersprach der Sehnsucht nach Ruhe und einem Stillhalten der Zeit.
Die Kräfte reichten nicht mehr. Zu weit war die Dekadenz nach 65 Jahren Frieden und Wohlstandszuwachs fortgeschritten. Man hätte dies, so wird später gesagt werden, rechtzeitig an der Befindlichkeit zweier Bevölkerungsgruppen erkennen müssen, der Männer und der so genannten Alten.
Die Männer hätten Besorgnis wecken müssen, weil sie den Frauen zwar langsam, aber stetig größere Wirkflächen abtraten, darunter Terroir in besten Lagen. Wobei nicht die Sache selbst verblüffte, für die sich eine Berechtigung finden ließ, sondern die Umstände. Genauer gesagt: dass die Männer freiwillig Macht abtraten, obwohl die Frauen beklagenswerte Manieren zeigten. Sie sagten weder bitte noch danke, sondern bedachten jene, auf deren Wohlwollen sie angewiesen waren, mit Tiernamen. Sich unter diesen Umständen von Machtpositionen zu trennen ist widernatürlich und schwach.
Im Prinzip wir sprechen von der Gesellschaft 2011 aus der Warte der Zukunft galt dies auch für die Gruppe der Alten. Sie hatten ebenfalls eine Machtposition inne und ließen sich schlecht behandeln, nur waren sie logisch aus Männern und Frauen zusammengesetzt. Sie lieferten den Nachweis, dass auch Frauen so dumm sein können, ohne Gegenwehr stillzuhalten, statt den Missetätern, diesfalls den Jungen, das Wasser abzugraben. Dass dies geht und wie es geht, soll hier in einigen leicht fasslichen Schritten dargestellt werden. Denn noch ist es nicht wirklich zu spät. Das geschilderte Unheil ist ein virtuelles Szenario zum Zwecke der Aufrüttelung.
Was die geschlechtliche Emanzipation der Frauen betrifft, wird sie hier nicht weiter behandelt. Allenfalls möge man den Ratschlag eines Mannes hören, der sie immer geliebt und bewundert hat: Legt die Frauenbewegung höflich in unsere gütigen Männerhände, damit endlich was weitergeht.
Die so genannten Alten umfassen die ungeheure Spannweite von 50 plus bis Uhu (unter 100). Hier ist gleich mal anzusetzen. Sprache schafft Wirklichkeiten. Die scheinwitzigen, scheinliebevollen Kategorien, eingeschlossen auch die frechen Kreationen der Kinder (Gruftis, Kompostis, Untote), sind unter strengste Strafe zu stellen. Politiker, die diese Forderung nicht wirkmächtig unterstützen, werden einfach nicht wiedergewählt. Das kann sich kein Politiker leisten. Die reifen (= klugen) Generationen sind schon jetzt wahlentscheidend und werden täglich zu einem mächtigeren Mehrheitsblock.
Dementsprechend ist ein Forderungskatalog in Marmor zu schlagen, der auszugsweise etwa folgende Punkte umfasst:
Öffentliche Führungspositionen haben sich an bewährten chinesischen Modellen zu orientieren, wo 90-jährige Chefs von 80-jährigen Executives umzingelt sind, denen 70-jährige Sekretäre die Zigaretten holen.
Ältere Mitbürger, die aus der Hoch-Zeit des Hedonismus in die Gegenwart ragen, sind kostenlos mit Grundnahrungsmitteln wie Tabak, Champagner, Ginseng-Derivaten, Stimmungsaufhellern, Gehirnputzzaubertränken und mediterraner Vier-Hauben-Mischkost zu versorgen.
Erbschaft wird abgeschafft. Alle BürgerInnen, auch die betagtesten, werden angehalten, ihr sauer verdientes Geld selbst zu verjubeln, um jüngere Generationen nicht durch geschenktes Erbe charakterlich auszuhöhlen.
Die Stadtlandschaften und Architekturen unterliegen strengen Wettbewerbsausschreibungen, die sich an Uhu-Freuden und Ühu-Notwendigkeiten orientieren.
Schon im Kindergarten wird der versunkene Spruch Lehrjahre sind keine Herrenjahre als Grundlinie der Pädagogik wiedererweckt und insofern modernisiert, als das Ende der Lehrjahre nun mit 50 festgelegt wird.
Dass der Kolumnist einst als blutjunger Chefredakteur für eine Diktatur der Jugend eintrat und nun dem Terror der Reife das Wort leiht, hat nichts mit Egoismus zu tun. Es ist der geistigen Beweglichkeit geschuldet, und der Einsicht, dass jede Zeit ihr Eigenes verlangt.