Otto der Letzte

Die Habsburger. Mit Otto Habsburg versinkt eine ganze Dynastie in der Kapuzinergruft

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Am Ende wurde der Lauf der Weltgeschichte von 60 Reitern entschieden, die sich hinter einem Hügel im Marchfeld, einige Kilometer nördlich von Wien, verborgen hatten. Seit Stunden hatte sich das Schlachtenglück einmal der einen Seite, dann wieder der anderen Seite zugewandt. Jetzt gab Rudolf von Habsburg das Signal, und die ausgeruhten Ritter stürzten sich auf die Krieger des Böhmenkönigs Přemysl Ottokar, des mächtigsten Mannes Mitteleuropas, mit einem Reich vom Erzgebirge bis zur Adria.

Ottokar geriet in Gefangenschaft und wurde erdolcht. Rudolf, dessen Burg in der heutigen Schweiz stand, ließ seine Leiche 30 Tage lang in Wien ausstellen - zur Warnung für die Stadt, die auf der Seite des Böhmen gestanden war. Man schrieb das Jahr 1278, und erst jetzt, fünf Jahre nach seiner Wahl zum römisch-deutschen König durch die Kurfürsten, saß Rudolf fest im Sattel.

640 Jahre lang sollte Habsburgs Herrschaft über diesen Teil Europas währen. Sie endete mit dem Trauma des Ersten Weltkriegs im November 1918. Ganz am Horizont glomm noch bis vergangenen Montag ein letzter Schein. Mit Otto Habsburgs Tod erlischt auch er.

Otto war schließlich ein echter Kronprinz gewesen, als sein Vater Karl 1916 Kaiser geworden war - vorgesehen als Erbe eines Reichs, dem damals schon tödliche Erschöpfung eingeschrieben stand. An einem trüben Novembertag des Jahres 1916 war er hinter dem Sarg seines Urgroßonkels Franz Joseph einhergestapft, hin zur Kapuzinergruft, in die nun auch er Einzug halten wird.

1921, als Neunjähriger, hatte er seiner Mutter Zita am Totenbett seines Vaters schwören müssen, seinen Völkern ein ebenso guter Fürst zu sein, wie der an einer Grippe dahingegangene Ex-Kaiser Karl. Von Gott komme seine Legitimation, hatte Zita ihrem Sohn immer wieder eingeimpft, die könne ihm kein Mensch nehmen.

Es sollte der Leitgedanke von Otto Habsburgs Leben bleiben. Er sei ein Legitimist, korrigierte er Gesprächspartner, wenn diese ihn einen Monarchisten nannten. Es war Otto im Laufe der Jahrzehnte klar geworden, dass monarchische Würden für ihn unerreichbar bleiben würden, nach dem von seinem Haus entfesselten Weltkrieg, in dem zehn Millionen Menschen den Tod fanden und der schon den Keim des nächsten, noch vernichtenderen Weltenbrands in sich trug. Nicht einmal die ebenfalls legitimistisch denkenden Spitzen des austrofaschistischen Ständestaats wollten Otto wieder in Österreich haben. Gleichwohl ließ Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den von der Weltwirtschaftskrise ausgebluteten Staat die gewaltige Summe von 31,5 Millionen Schilling in den habsburgischen "Familienversorgungsfonds“ einzahlen. Die Nazis beschlagnahmten das Geld 1938, die Republik erstattete es nach 1945 nicht mehr zurück.

Es spricht für Otto Habsburgs Mut, wenn auch nicht für seine Urteilsfähigkeit, dass er Schuschnigg noch im Februar 1938 brieflich aufforderte, ihm die Kanzlerschaft zu übertragen. Dass Hitler seine vier Wochen später anrollende Annexion Österreichs "Operation Otto“ nannte und den Namensgeber steckbrieflich suchen ließ, verlieh dem Kaisersohn weltgeschichtliche Dimension.

Dabei war der damals 26-Jährige wenig mehr als ein Emigrant unter vielen. 1939, im Jahr des Kriegsausbruchs, lebte er in Paris und versuchte dem Schriftsteller Joseph Roth, dessen Roman "Kapuzinergruft“ in einer Pariser Exilzeitung erschien, auf Wunsch von dessen Verleger das Trinken auszureden. Erfolglos auch das. Roth salutierte ("Jawohl, Majestät!“) und soff sich im Mai ’39 zu Tode. Otto schickte einen Kranz mit schwarz-gelber Schleife auf den Friedhof. Die beim Begräbnis anwesenden Kommunisten unter Führung des Journalisten Egon Erwin Kisch protestierten lautstark.

In Washington versuchte Otto, er war nun eine auch jenseits des Ozeans bekannte Größe, Präsident Franklin D. Roosevelt davon zu überzeugen, nach der Niederringung Hitlers eine "Donauföderation“ in Mitteleuropa zu bilden - eine abgeschlankte Variante des alten Habsburgerreichs. In die "Moskauer Deklaration“ wurde 1943 zur Enttäuschung des Kaisersohns dann doch nur ein Österreich in den Grenzen von 1937 niedergeschrieben. Otto wollte auch eine österreichische Exilarmee in den Kampf gegen Nazideutschland schicken; das verhinderten die immer noch vom Hass gegen Habsburg beseelten Exiltschechen um Edvard Beneš.

Dabei war es wohl gar nicht der ehrgeizige Kaisersohn selbst, an dem dies alles scheiterte.

Desavouiert hatten das "Haus Österreich“ Dutzende von dessen Vorfahren, zum guten Teil skrupellose Machtmenschen, die im Sinne des Wortes über Leichen gingen, aber Meister der Propaganda waren. Bis heute wird jedem Gymnasiasten der Spruch aus dem 15. Jahrhundert vom "glücklichen Österreich“ eingebläut, das lieber heiratet als Kriege führt ("Bella gerant alii, tu felix Austria nube“). Tatsächlich bedienten sich die Habsburger von Beginn an einer teilweise obszönen Heiratspolitik - und waren dennoch ebenso kriegsgeile Machtmenschen wie die Vertreter aller anderen Dynastien.

Heiraten und Kriegführen - das waren im Hause Habsburg keine Gegensatzpaare. Schon der erste Habsburgerkönig Rudolf, der den Leichnam seines ermordeten Rivalen Přemysl Ottokar in Wien öffentlich vor sich hin faulen ließ, verheiratete unmittelbar danach einen Sohn und eine Tochter mit Ottokars Erben, um sich in Böhmen festzusetzen.

Ähnlich agierte zweihundert Jahre später Kaiser Maximilian I. (1486-1519). Er selbst hatte Maria von Burgund geheiratet, was die Niederlande an Habsburg fallen ließ. Seine Tochter Margarete vermählte er 1496 mit dem spanischen Thronfolger und seinen Sohn Philipp ("der Schöne“) mit dessen Schwester. Die spanische Linie Habsburgs war damit begründet. 1515 fädelte der Kaiser eine noch bizarrere Doppelhochzeit ein: Seine zehnjährige Enkelin Maria wurde im Stephansdom dem ungarischen Thronfolger Ludwig angetraut. Maximilian selbst, inzwischen 56 und verwitwet, vermählte sich mit Ludwigs zwölfjähriger Schwester Anna - allerdings nur als Platzhalter für seinen Enkel Ferdinand. So zog Habsburg auch in Ungarn ein.

Aber seine groteske Heiratspolitik hinderte Maximilian nicht daran, unablässig Kriege vom Zaun zu brechen: In den drei Jahrzehnten seiner Herrschaft führte er nicht weniger als 25 Feldzüge an. Gefürchtet war seine sieben Meter lange Lanze, die ihm den Beinamen "der letzte Ritter“ einbrachte. Sogar gegen Rom wollte er ziehen, um sich dort zum Papst auszurufen. Der Plan scheiterte an seiner Augsburger Hausbank, die dem klammen Habsburger kein Geld mehr vorstrecken wollte.

Hauen & Heiraten waren Disziplinen, in denen sich 250 Jahre später auch Maria Theresia (1740-1780) wohl verstand. Zuerst kämpfte sie mit dem verbündeten England gegen Preußen und Frankreich. Dann tat sie sich mit Frankreich zusammen, um gegen England und Preußen ins Feld zu ziehen. Der neue Bund wurde durch zahlreiche Cross-Border-Hochzeiten besiegelt. Maria Theresia selbst schickte dem Dauphin, dem späteren König Ludwig XVI., ihre jüngste Tochter als Frau nach Versailles, die gerade 15-jährige Maria Antonia.

Die Aktion stand unter keinem guten Stern: Jahrelang konnte die Ehe wegen einer Vorhautverengung des französischen Prinzen nicht vollzogen werden. Dann kam die Revolution, und alsbald waren auch die Köpfe ab.

Kaiser Franz I.
(1792-1835), Maria Theresias Enkel und Großvater von Kaiser Franz Joseph, demonstrierte besonders augenfällig, wie das "tu felix Austria nube“ in Wahrheit funktionierte. Im Frühsommer 1809 warf er Napoleon bei Aspern und Deutsch-Wagram im Norden Wiens 200.000 Soldaten entgegen, 65.000 von ihnen starben in den erbarmungslosen Gemetzeln. Kaum hatte sich der Pulverdampf gelegt, schloss der Kaiser Frieden mit dem siegreichen Korsen und gab ihm listig seine 18-jährige Tochter Marie Louise als Gemahlin mit nach Paris. Diese gebar Napoleon zwei Jahre später tatsächlich den erhofften Sohn (Napoleons erste Frau Josephine war unfruchtbar). Das hinderte Opa Franz aus der Wiener Hofburg freilich nicht daran, schon 1813 bei Leipzig gegen seinen Schwiegersohn ins Feld zu ziehen.

Als Napoleon 1815 endgültig besiegt war, gab Marie Louise den gemeinsamen vierjährigen Sohn, genannt "Herzog von Reichstadt“, in der Hofburg ab, ohne sich je wieder um ihn zu kümmern. Er starb mit 21 an der Schwindsucht.

Marie Louise selbst war da längst mit einem Grafen Neipperg zusammen, dessen Nachfahren sich daraufhin in sehr freier Übersetzung "Montenuovo“ nannten.

Der Enkel der beiden brachte es bis zum Oberhofmeister von Kaiser Franz Joseph. In dieser Funktion intrigierte er nach Kräften gegen die Ehepläne des Thronfolgers Franz Ferdinand, als dieser im Jahr 1900 ankündigte, die böhmische Gräfin Sophie Chotek heiraten zu wollen. Gräfin Chotek hatte zwar die vorgeschriebenen 16 hochadeligen Vorfahren vorzuweisen - nach dem Geschmack des verzopften Wiener Hofs war dies für die Ehe mit einem habsburgischen Thronfolger allerdings zu wenig. Das versuchte Oberhofmeister Neipperg/Montenuovo - selbst das Ergebnis einer Mesalliance - zu hintertreiben, indem er eine Fotografie der Gräfin Chotek zirkulieren ließ, in die man Gesichtsfalten retuschiert hatte: Die um vier Jahre jüngere Braut Franz Ferdinands sollte als liederliche Alte dargestellt werden.

Marie Louise
, die Oma des intriganten Kämmerers, liegt seit 1847 in der Kapuzinergruft, wo auch ihr Ururgroßneffe Otto am Samstag dieser Woche ewiges Quartier nehmen wird. Ihre Ehe mit Napoleon hatte - sosehr sie den ungehobelten Aufsteiger hasste - einen großen Vorteil: Die beiden waren nicht miteinander verwandt. Denn die Heiratspolitik der Habsburger, die stets nur sehr enge Kreise zog, hatte oft fatale Folgen. "Bei uns sind immer Mann und Frau zwanzigmal miteinander verwandt. Das Resultat ist, dass von den Kindern die Hälfte Trottel oder Epileptiker sind“, entfuhr es Thronfolger Franz Ferdinand, als bei Hofe wieder einmal gegen seine Verehelichung mit der Gräfin Chotek intrigiert wurde.

Die durch innerfamiliäre Fortpflanzung hervorgerufenen Genschäden hatten in einem Fall sogar weltgeschichtliche Konsequenzen furchtbaren Ausmaßes. Als die spanische Linie Habsburgs im Jahr 1700 mit Karl II. ausstarb, der wegen fortwährender Inzucht kränklich und zeugungsunfähig war, brach der 13 Jahre währende Spanische Erbfolgekrieg zwischen Österreich und Frankreich aus. Er kostete Hunderttausende junge Männer das Leben. Am Ende siegten die französischen Bourbonen, deren Nachfahre Juan Carlos noch heute in Spanien herrscht. Eine Bourbonin war auch Zita Maria delle Grazie von Bourbon-Parma, die Mutter Otto Habsburgs und letzte Kaiserin Österreichs.

Zu alldem kam, dass die Habsburger die von ihnen sehr hoch gelegte Latte katholischer Lebensführung meist selbst nicht überwinden konnten. Paradebeispiele dafür sind Kaiserin Maria Theresia (1740-1780) und ihr Sohn Joseph II. (1765-1790). Die Kaiserin mit den 16 Kindern, deren Gatte Franz Stephan von Lothringen auch außerhäusig Lendenkraft bewies, wurde in späteren Jahren zu einer strengen Sittenwächterin. Sie rief eine "Keuschheitskommission“ ins Leben, die unverheirateten Liebespaaren nachspürte und Homosexuelle dem Scharfrichter übergab. Prostituierte wurden kahl geschoren, geteert und am Sonntag am Kirchentor ausgestellt.

Ihrem Sohn und späteren Nachfolger Joseph legte sie die blutjunge Isabella von Parma als Gattin ins Bett. Die Sache klappte anfangs recht gut, Isabella wurde rasch mit einem Mädchen schwanger, war dann aber - ganz en famille - in eine Liebesaffäre verstrickt: Sie begann ein lesbisches Verhältnis mit Josephs Schwester Marie Christine. Als sie mit 21 an den Pocken starb, hielt Isabella dies für die Strafe Gottes. "Mein ganzer Körper brennt, denn ich habe mit meinem ganzen Körper gesündigt!“, rief sie am Totenbett.

Maria Theresia ließ nach dem Tod ihrer Schwiegertochter die Wittelsbacherin Maria Josepha nach Wien bringen, der Überlieferung nach eine kleine dicke Frau mit Pusteln und schlechten Zähnen. Joseph quartierte sie in einem entlegenen Zimmer der Hofburg ein und vollzog die Ehe wahrscheinlich nie. Die ungeliebte Frau aus Bayern starb nach zwei unglücklichen Jahren in Wien ebenfalls an den Blattern.

Mit 28 war Joseph nun zweifacher Witwer, fortan entspannte sich der Kaiser incognito ausschließlich bei Hübschlerinnen, die der habsburgischen Keuschheitskommission entgangen waren.

Auch Erzherzog Otto, Vater von Kaiser Karl und Großvater Otto Habsburgs, folgte nicht unbedingt katholischen Sittlichkeitsgeboten. Otto hatte zahlreiche Affären, mehrere außereheliche Kinder und einen Hang zu leichten Mädchen. Im Hotel Sacher wurde er einmal fast splitternackt am Gang angetroffen: Er hatte immerhin einen Säbel umgeschnallt. Das Ende von Otto Habsburgs Opa war schlimm. Dieser hatte sich in Monte Carlo die damals noch unheilbare Syphilis geholt, worauf ihm nach einigen Jahren zuerst die Nase zerfiel - sie wurde durch ein Gummi-Imitat ersetzt - und dann der Kehlkopf. Erzherzog Otto starb 1906 in einer Wohnung in Wien-Währing, betreut von seiner letzten Geliebten, einer Operettensängerin.

Was das Volk von alldem dachte, war Nebensache: Vier von fünf Bewohnern des heutigen Staatsgebiets lebten im 18. Jahrhundert unter ärmlichsten Bedingungen am Land, die überwiegende Mehrzahl von ihnen waren Analphabeten. Die Steuerlast machte 40 bis 50 Prozent des Bodenertrags aus, vor Kriegen wurden Extrasteuern eingetrieben. Adelige waren bis 1750 steuerbefreit. Die Staatsschuldenrate war damals mit 70 Prozent des Sozialprodukts etwa ebenso hoch wie heute, ohne dass der Staat auch nur annähernd vergleichbare Leistungen für seine Bürger erbracht hätte: Ein Drittel der Staatsausgaben entfiel noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf das Heer, ein weiteres Drittel auf die Verwaltung. Der Hof allein beanspruchte etwa zehn Prozent des Budgets. Für das Volk und die Infrastruktur blieb da nicht viel. Auch Habsburger, die in der milden Nachbetrachtung durch den Heimatfilm wie Asketen aussehen, waren in eigener Sache alles andere als knausrig. Kaiser Franz Joseph etwa zahlte seiner besten Freundin Katharina Schratt 1911 eine "Abfindung“ in der Höhe von 2,5 Millionen Kronen, nach heutiger Kaufkraft 15 Millionen Euro, dazu eine Villa in der Hietzinger Gloriettegasse und ein Stadtpalais am Kärntner Ring.

Von der himmelschreienden Ungleichheit der Verteilung des Reichtums im Habsburgerstaat profitierten erst spätere Generationen: Wären die erwirtschafteten Erträge nach heutigem Gerechtigkeitsverständnis verteilt worden, gäbe es nicht die herrlichen Schlösser, die opulenten Kunstsammlungen oder die repräsentative Wiener Ringstraße. Denn es gibt auch eine Habenseite in der Familienbilanz: Das schon damals modernste Spital Europas, das Allgemeine Krankenhaus, stand in Wien, das Burgtheater wurde zur besten Bühne im deutschsprachigen Raum, und die Jahrhundertwende-Moderne nahm ebenfalls in der Habsburgerstadt ihren Ausgang - wenngleich vom Erzhaus geschmäht. Thronfolger Franz Ferdinand knurrte einmal, er würde diesem Kokoschka am liebsten alle Knochen brechen.

Der finale Sündenfall des Hauses war allerdings der Weltkrieg. Nicht, dass die Kriegslüsternheit auf Habsburg beschränkt gewesen wäre: Fast alle europäischen Staaten wollten dem jeweiligen Nachbarn ein Stück Land entreißen. Russland ging es um das österreichische Galizien, Italien wollte das Trentino und Görz, Deutschland und Frankreich stritten um Elsass-Lothringen.

Österreich hatte 1908 Bosnien annektiert und wollte das unbotmäßige Serbien zerschlagen, das frech einen großen slawischen Staat am Balkan anstrebte. Nach dem Attentat auf den stockkonservativen, aber eher der Friedensfraktion zuzurechnenden Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo 1914 hatte die Kriegspartei in Wien Oberwasser. Sie wurde von Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf angeführt, der schon seit Jahren drängte, präventiv gegen Italien und Serbien loszuschlagen. Nach Sarajevo versuchte der 84-jährige Kaiser trotz heftiger Warnungen seiner Umgebung nicht einmal mehr, die Armeeführung im Zaum zu halten. Er starb zwei Jahre später.

Sein Nachfolger Karl, Ottos Vater, hatte keine Chance. Es ist ihm anzurechnen, dass er wenigstens versuchte, Frieden zu machen, wenn auch mit unzulänglichen Mitteln: 1917 nahm er über seinen Schwager Sixtus hinter dem Rücken seiner deutschen Waffenbrüder Kontakt mit Frankreich auf und bot ihm keck Elsass-Lothringen an, das ihm ja gar nicht gehörte. Bei der nächsten passenden Gelegenheit zogen die Franzosen Karls Brief aus der Schublade. Damit war der letzte österreichische Kaiser politisch tot.

Die junge Republik war mit der abgetretenen Kaiserfamilie recht pfleglich umgegangen und hatte ihr das Schloss Eckartsau zugewiesen. Wenige Monate später reisten die Habsburger in die Schweiz ab, nicht zuletzt aus Angst vor marodierenden Rotgardisten. Am letzten österreichischen Bahnhof, in Feldkirch, stieg Karl aus und wiederrief seine Verzichtserklärung vom 11. November 1918. Erbittert beschloss das Parlament in Wien die rigiden Habsburgergesetze.

Dennoch versuchte Otto Habsburg sofort nach dem Ende der NS-Herrschaft, wieder in Österreich Fuß zu fassen, freilich mit einem eher fragwürdigen Mittel: In einem Brief an US-Präsident Harry Truman im Juli 1945 bestürmte er die Westmächte, die Regierung Renner ja nicht anzuerkennen, da diese kommunistisch sei. Das gefiel auch der ÖVP nicht, die ja in dieser Regierung saß. 1955 wurde Habsburgs Einreiseverbot in den Staatsvertrag übernommen.

Erst 1961 gab Otto die für eine Einreise erforderliche Verzichtserklärung ab. Im Ministerrat versagten ihr die Sozialisten die notwendige Anerkennung: Habsburg habe sie mit "Mentalreservation“ abgegeben, argumentierten sie. Immerhin hatte sich Otto gerade erst bei der Taufe seines Sohnes Karl die Anrede "Seine Majestät Otto von Österreich-Ungarn“ auserbeten. Dass die SPÖ mit ihrer Skepsis nicht ganz falsch lag, zeigt ein Interview Ottos mit der "Presse“ im Herbst 2007. Angesprochen auf die Verzichtserklärung von 1961, wurde der alte Herr grantig: "Ich habe das für eine solche Infamie gehalten! Ich hätte es am liebsten überhaupt nie unterschrieben.“

Seine politisch wirksamsten Auftritte hatte er in seinen späten Jahren. Otto war immerhin schon 66, als er 1978 für die CSU ins Europaparlament einzog. Dort war der hochgebildete und zunehmend altersmilde Herr ein von allen Fraktionen anerkannter glühender Europäer, der sich natürlich am meisten der ehemaligen Kronländer annahm. Dass der Eiserne Vorhang im Sommer 1989 ausgerechnet durch ein "Picknick“ der habsburgnahen Paneuropa-Union seinen ersten Riss bekam, war Lohn für seine unermüdlichen Aktivitäten im östlichen Mitteleuropa. Wie sich das Europa-Verständnis der Familie Habsburg von jenem der Restbevölkerung unterscheidet, geht aus einem Zitat von Ottos Sohn Karl hervor, der drei Jahre lang für die ÖVP im Europaparlament gesessen war, bevor er wegen einer Spendenaffäre in seiner engeren Umgebung zurücktreten musste: "Die zwölf Sterne auf blauem Grund sind für mich das Symbol der Muttergottes. Und das ist für mich Europa.“ Noch 1998 brandmarkte die von ihm geführte Paneuropa-Union die bürgerliche Revolution von 1848 als "Hexenkessel falscher Ideen“.

Ab Samstag dieser Woche wird Otto Habsburg-Lothringen, Sohn des letzten österreichischen Kaisers, also nun in der Wiener Kapuzinergruft im Kreise seiner Ahnen ruhen, deren Rang er zwar nie erreichen durfte, die er aber in vielem übertraf. Trefflich passt Grillparzers berühmtes Zitat aus dem "Bruderzwist“ auf ihn: "Das ist der Fluch von unserem edlen Haus: Auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.“

Mehr über den Tod von Otto Habsburg, sowie ein Interview mit Bundespräsident Heinz Fischer finden Sie im aktuellen profil 11/28.

Herbert Lackner

war von 1998 bis zum Februar 2015 Chefredakteur von profil. Heute schreibt der Autor mehrer Bücher als freier Autor für verschiedene Medien, darunter profil.