Hans Dichands Kunstsammlung

Hans Dichand war als Kunstsammler sehr ambitioniert – und noch verschwiegener

Kunst. Legenden und wahre Werte

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Sein künstlerisches Erweckungserlebnis erreichte den Sammler früh und als Bloßfüßigen. Hans Dichand, Kind eines verarmten Schusters, wohnhaft in der Grazer Schönau-Siedlung, drückte noch die Schulbank, als ihn die Muse küsste: „Ich wurde durch Plakate in Graz, die eine Kunstausstellung der bedeutenden steirischen Künstlerin Norbertine Bresslern-Roth ankündigten, auf ein Bild aufmerksam, das mich besonders anzog: Ein Bauer pflügt seinen Acker, gebannt blickt er auf seine Scholle. Neben ihm läuft ein Bub in meinem damaligen Alter. Sein Blick ist auf Störche gerichtet, die hoch über den Acker fliegen. Ich spürte, was sich der Bub gerade denken musste, nämlich ‚Fernweh‘. Natürlich konnte ich mir das Bild damals nicht kaufen. Aber ich ging in die Ausstellung, und zwar barfuß, wie ich auch in die Schule gehen musste.“

In dieser kleinen Reminiszenz, die Hans Dichand, der langjährige Herausgeber der „Kronen Zeitung“, im Jahr vor seinem Tod der Austria Presse Agentur offenbarte, steckt so manches, was ihn, sein Werk und sein Leben ausmachte: die bodenständige Verbundenheit mit Heimat und Herkunft, die geradezu klischeehafte Verklärung einer harten Kindheit und Jugend, die Scholle, das Fernweh, Vater und Sohn. Mit diesen Versatzstücken lassen sich ganze Kriegsveteranenbiografien füllen, hier erzählen sie Dichands Hinwendung zur Kunst. Und sie beinhalten tatsächlich ein Happy End: „Das Bild von Norbertine Bresslern-Roth ist mir stark in Erinnerung geblieben, und viele Jahre später habe ich es in Wien in einer Galerie entdeckt. Ich kaufte es, inzwischen hatte sich ja mein Leben so verändert, dass ich es mir leisten konnte.“

Tatsächlich hatte sich Dichands Leben ganz grundlegend verändert, aus dem Arme-Leute-Kind war ein mächtiger Mann geworden, ein Zeitungs- und Meinungsmacher, ein Stammtischkanzler – sowie, ganz im Privaten, ein ambitionierter Kunstsammler. Norbertine Bresslern-Roth war inzwischen zugunsten prominenterer Kollegen in den Hintergrund gerückt: Vor allem die klassische Moderne hatte es Dichand angetan, er sammelte Klimt, Schiele, Kokoschka, Moll, Egger-Lienz, Gerstl, Boeckl, Kubin, darunter Hauptwerke wie Klimts „Danae“ von 1907, deren Wert heute auf 40 Millionen Euro geschätzt wird. „Von dem Reichtum der Kunst, der damals entstand, zehren wir noch heute“, schwärmte Dichand in dem von ihm verfassten – und mit mehr als 40 Beispielen aus der eigenen Sammlung illustrierten – Bildband über „Die Künstler der klassischen Moderne in Österreich“. Über Jahrzehnte hinweg erwarb Dichand eine Kollektion, die wohl zu den stattlichsten des Landes zählt. Im Detail ist das heute schwer zu beurteilen, weil der tatsächliche Umfang und Wert der Sammlung allenfalls der Familie, einigen Mitarbeitern und guten Freunden bekannt ist. Vertraute bezeichnen sie jedenfalls als „eine sehr bedeutende Sammlung“, wie Belvedere-Direktorin Agnes Husslein erklärte, die schon mehrfach Dichand-Leihgaben ausgestellt hat – konkreter will sie auf profil-Anfrage lieber nicht werden.

Aber auch der Sammler selbst verlor bisweilen den Überblick über seine Schätze, die auf seine Häuser in Wien, seine beiden Anwesen am Attersee, seine Wohnung in Paris und Depots in der Schweiz verteilt sind. Wolfgang Lorenz, heute ORF-Programmdirektor, damals Intendant der Kulturhauptstadt Graz, erinnert sich an ein Gespräch mit Dichand im Jahr 2000. In Graz sollten wesentliche Teile der Sammlung Dichand gezeigt werden: „Er war auch mehr als aufgeschlossen, das zu machen. Offenbar wollte er endlich einmal selbst dokumentiert haben, was er denn wirklich besitzt. Er hatte wohl selbst nur einen sehr kursorischen Überblick darüber, was ihm gehörte.“ Im Gespräch habe ihm Dichand dann auch das Leid des Großsammlers geklagt: „Stellen Sie sich vor: Ich mach irgendein Laderl auf, und da liegen 200 Kubins drinnen.“

„In Zürich und so“.
Das Grazer Ausstellungsprojekt scheiterte letztlich am Denkmalschutzgesetz, nach dem maßgebliche Werke der österreichischen Kunstgeschichte mit einem Ausfuhrverbot belegt werden können. Dichand verzichtete auf seine Teilnahme und erklärte dem „WirtschaftsBlatt“: „Ich habe einige wichtige Bilder im Aus­land gekauft, aber vorsichtshalber draußen im Zollfreilager gelassen, in Zürich und so. Wichtige Bilder mit Storys dahinter: Alma Mahler und Kokoschka und diese ­Geschichten.“

Inwieweit hinter diesen „Storys“ auch ungeklärte Herkunftsgeschichten stecken, lässt sich mangels kompletter Werkliste nicht konkret beurteilen. Der Provenienzforscher Robert Holzbauer erklärt dazu: „Die Tatsache, dass Dichand zur Sicherheit einige seiner Gemälde im Ausland gelagert hat, muss nicht unbedingt mit der Provenienz zu tun haben. Es ist für einen Sammler hochpreisiger österreichischer Kunst, etwa von Schiele oder Klimt, auch ein Problem, wenn ein allfälliges Ausfuhrverbot den Marktwert einer Arbeit dramatisch senkt.“ Eva Blimlinger, Kunsthistorikerin und Restitutionsspezialistin, sieht die Lage etwas problematischer: „Natürlich waren die Depots im Ausland eine Umgehung des Gesetzes, eine Maßnahme Dichands, über bestimmte Bilder eben frei verfügen zu können. Jene Arbeiten, die er etwa von Klimt, Schiele und Egger-Lienz besaß, hätte er natürlich nie aus Österreich bringen können. Dadurch wären sie nicht mehr international und damit teuer verkaufbar geworden. Da spielt das Ausfuhrverbot eine Rolle, aber möglicherweise auch die Provenienz. Wobei Dichand in dieser Hinsicht nichts zu befürchten gehabt hätte, da seine Sammlung ja privat war.“

Und sie blieb privat, dem Sammler und seinem engsten Kreis vorbehalten. Auch befreundete Sammlerkollegen wie Karlheinz Essl kamen nur selten in den Genuss einer Tour durch die Dichand-Villa in der Grinzinger Kaasgrabengasse: „Ich habe Dichand ein-, zweimal privat besucht und konnte Einblick nehmen in das, was er hat. Aber er ist mit seinen Einladungen sehr sparsam umgegangen.“ Manchmal gefiel es Dichand allerdings, seine Schätze zu präsentieren, wie sich sein langjähriger Begleiter und ehemalige „Krone“-Chefredakteur Friedrich Dragon erinnert: „Er hatte seine Villa ja geradezu gepflastert mit Bildern. Wo in einer anderen Wohnung zehn Paul-Flora-Drucke hängen würden, hängen bei Dichand zehn Schieles – gewissermaßen im erweiterten Vorhaus. Hin und wieder hat er bedeutende Persönlichkeiten zu sich eingeladen, um ihnen diese Bilder zu zeigen, etwa den Kardinal König oder auch den damaligen Kunstminister Sinowatz.“

Das Ambiente war den Würdenträgern durchaus angemessen. Auf einem 7000-Quadratmeter-Grundstück in der Döblinger Nobellage errichtete der Architekt Wilhelm Holzbauer für Dichand in den Jahren 1978–1981 sein „Haus eines Kunstsammlers“. „Ich würde nicht sagen, dass das Haus als Schauraum geplant wurde, aber es ist sehr wohl ein Haus, das auf Dichands Sammlung zugeschnitten ist“, erklärt der Architekt. „Das beginnt schon mit dem Eingangspavillon, der eigentlich ein Pavillon für eine sehr schöne Plastik von Fritz Wotruba ist (‚Große liegende Figur‘, 1973, Anm.). Auch im Haus selbst ist alles auf gewisse Bilder zugeschnitten, etwa der Wohnraum auf zwei Ebenen, in dem hauptsächlich Arbeiten von Carl Moll hängen, oder der Speiseraum, der sehr hoch sein musste, weil er dort ein monumentales Gemälde von Max Oppenheimer (‚Das Orchester‘, 1935, Anm.) aufhängen wollte. Zum Teil wurden Künstler in die Gestaltung des Hauses einbezogen, etwa Peter Pongratz, der ein wandfüllendes Dschungel-Fresco für die Schwimmhalle schuf. Aber es gab auch eine ganze Reihe von Bildern, die ich nie gesehen habe, weil sie gleich in den Tresorraum gewandert sind.“ Nicht verborgen blieb das Prunkstück der Sammlung, Klimts „Danae“: Das millionenschwere Bild hing im Original über dem Kamin.

Vermittelt wurde Dichand der Vorzeige-Klimt übrigens ausgerechnet von seinem Nachbarn Rudolf Leopold, bekanntlich selbst nicht ganz uninteressiert am Werk des österreichischen Jugendstilmalers. Leopolds Frau Elisabeth erinnert sich an etliche Besuche chez Dichand und an die „enge, aber nicht übertrieben herzliche Freundschaft dieser beiden Männer. Es war eine auf die Kunst konzentrierte Freundschaft.“ Die beiden durchaus nützte: Dichand hatte 1976 die renommierte Wiener Galerie Würthle übernommen, in der die berühmte Kunsthändlerin Luise Kremlacek tätig war. Leopold: „Gerade in Hinsicht auf die klassische Moderne hatte sie viele Fäden in der Hand.“ Für Leopold war die Dichand-Connection ein Glücksfall: Zuvor hatte Kremlacek ihre Schieles und Klimts bevorzugt dem Sammler Viktor Fogarassy angeboten, danach erwies sich die Galerie Würthle auch für Leopold als wesentlich ergiebigere Quelle.

„Charakter eines Sammlers“.
Aber die Sammlerfreunde bedienten einander auch gegenseitig, wie Elisabeth Leopold erklärt: „Dichand verdankt Rudolf Leopold viele Schiele-Blätter, viele Klimt-Blätter, seine große Kubin-Sammlung oder den ‚Sämann und Teufel‘ von Egger-Lienz, den er so geschätzt hat. Dieses Bild hat mein Mann ihm direkt verkauft. Wir haben wiederum einige Molls von Dichand erworben und auch den einen oder anderen Schiele, der seinem Geschmack nicht zusagte, zum Beispiel das ‚Selbstbildnis mit verzerrtem Gesichtsausdruck‘.“ Eben dieses Werk sollte übrigens Jahre später in der Raubkunstdebatte rund um die Sammlung Leopold eine tragende Rolle spielen: Es stammt aus der 1939 zwangsverkauften Sammlung des Kabarettisten Fritz Grünbaum.

„In einer Sammlung erkennt man immer den Charakter eines Sammlers“, sagt Elisabeth Leopold, die Dichand Geschmack für „eine eher bürgerlich aufgefasste Moderne“ attestiert. Der Sammler selbst empfand seine Tätigkeit wesentlich pragmatischer: „Mehr als die Technik interessiert mich an einem Bild der Künstler und sein Leben“, erklärte er im Jahr 2006 dem „trend“. Vor allem Oskar Kokoschka bot Dichands anekdotischem Kunstzugang mit seiner Amour fou zu Alma Mahler ausreichend Stoff.

Neben wertvollen Arbeiten wie der „Mutter mit Kind“ von 1934 umfasst die Sammlung Dichand denn auch eine besondere Preziose: Kokoschkas monumentales und lange für verschollen gehaltenes Wandgemälde in Mahlers Haus am Semmering, das schon kurz nach seiner aufsehenerregenden Wiederentdeckung 1991 einen potenten Käufer fand und in dessen Schweizer Depot verschwand – übrigens ohne dass Dichand es, wie er gegenüber Wolfgang Lorenz andeutete, selbst je gesehen hatte.
„Ich habe den Eindruck, dass Dichand ohne große Beratung ganz nach seinem persönlichen Geschmack gekauft hat“, meint John Sailer, Gründer und Betreiber der Wiener Galerie Ulysses: „Dichands Genialität lag ja darin, dass er seiner Intuition vertraut hat. Und so einfach und unkompliziert wie in seinem journalistischen Zugang war er auch in der Malerei: Ein Carl Moll, ein Klimt erschließen sich sehr rasch. Dabei konnte er sich auf seinen eigenen Geschmack verlassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dichand mit einem Cy Twombly etwas anfangen hätte können.“

Tatsächlich umfasst die Sammlung Dichand kaum zeitgenössische Arbeiten, unter den wenigen Stücken aber auch Spektakuläres wie ein drei mal drei Meter großes Porträt des Schweizer Fotorealisten Franz Gertsch: Es zeigt Dichands Tochter Johanna. Dem Kulturmagazin „du“ erzählte Gertsch von einer bezeichnenden Begegnung mit dem Sammler aus Wien: „Johannas Vater sah die Ausstellung (in Zürich, Anm.) und wollte ein Bild kaufen. Aber er wollte auch, dass ich seine schöne Tochter porträtiere. Und so etwas mache ich nicht, ich mache keine Porträtaufträge.“ Aber Dichand ließ sich nicht abwimmeln: „Er bat mich, es doch einfach zu versuchen. Ich sollte seine Tochter fotografieren und wenn ich sie dann auch malen wollte, dürfte das Bild so groß sein, wie ich wollte. Er würde es auf jeden Fall kaufen und als Leihgabe in ein Museum geben.“ Gertsch konnte dem großzügigen Angebot nicht widerstehen, Dichand bekam seinen Willen – und Gertschs Hauptwerk „Johanna I“ (1983).

Johanna Dichand hat denn auch – neben Dichands Frau Helga – den intensivsten Bezug zur Sammlung des Vaters. Während ihre Brüder ins Zeitungsgeschäft (Christoph) beziehungsweise ins Agrarunternehmertum (Michael) einstiegen, leitete Johanna bis zu deren Auflösung 1995 die Galerie Würthle, begleitete den Vater zu Auktionen und wurde nicht nur von Gertsch, sondern auch von Andy Warhol porträtiert. Über die Sammlung, deren Wert sich im dreistelligen Millionenbereich bewegen dürfte, will sie sich öffentlich nicht äußern. Das verwundert keineswegs: Die Kollektion steht vor einer Zerreißprobe. In einem Interview hatte Dichand noch 2009 erklärt: „Meine Leidenschaft zum Sammeln von Kunst hat sich auf meine gesamte Familie übertragen. Wir hängen mit großer Liebe an den Bildern und Skulpturen. Wir leben mit der Kunst, und sie bildet auch einen Teil unserer Lebensqualität. Meine Sammlung entwickelt sich im Familienkreis weiter.“ Ob das auch unter den verschärften Bedingungen einer Erbaufteilung gilt, bleibt abzuwarten.

Mitarbeit: Stefan Grissemann

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.