„Da müssen wir durch“

Heide Schmidt: „Da müssen wir durch“

Integration. Das FPÖ-Volksbegehren wurde zum politischen Erweckungserlebnis von Heide Schmidt

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Als Jörg Haider in den 1980er-Jahren seine Gesinnung in die rhetorische Frage kleidete, ob es denn notwendig sei, „dass wir bei 140.000 Arbeitslosen 180.000 Ausländer im Land haben“, war das ein Versuch, den Populismus in Österreich „salonfähig zu machen“, wie er einmal stolz anmerkte.

"Konrolle entgleiten"
Ein paar Jahre später war die Berliner Mauer gefallen, polnische und rumänische Wirtschaftsflüchtlinge hatten sich in den Westen aufgemacht, und auf dem Balkan herrschte Krieg. In der SPÖ befand man, das Boot sei „voll“. Die ÖVP wollte alle illegal in Österreich lebenden Ausländer binnen eines Jahres außer Landes schaffen. Der damalige Chef des Freiheitlichen Bildungswerks, Andreas Mölzer, heute EU-Mandatar, warnte vor der drohenden „Umvolkung“, und am rechten Rand wurde ein Volksbegehren „gegen die Ausländerflut“ lanciert. In diesem Milieu galt die Ausländerfrage als ideologische Kampfzone. Man war gegen die „Vermischung“ der Völker, wie es der junge Haider einst propagiert hatte.
Aber auch Wiener Magistratsbeamte stellten ablehnende Bescheide an langjährige Gastarbeiter aus, in denen stand, dass der „Grad der Überfremdung“ bereits überschritten sei.

In Ostdeutschland wurden derweil Asylwerber von Skinheads durch die Straßen getrieben und Ausländerunterkünfte in Brand gesetzt. Der Spießbürger sah mit kaum verhohlener Schadenfreude zu. Die Polizei war machtlos. Eine autoritäre politische Kultur hatte sich dort mit dem Mob verbündet. Auch Haider war in diesem Jahr in deutschen Städten aufgetreten und erklärte, die deutsche Elite sei an den Ausschreitungen selbst schuld; man habe eben zu viele Ausländer ins Land gelassen.
Der Boden war längst aufbereitet, als Haider ein Volksbegehren gegen Ausländer startete. Mahnende Weggenossen wie Norbert Gugerbauer, der schon Jahre zuvor davor gewarnt hatte, die Bierzelte mit Anti-Ausländer-Parolen aufzuheizen, weil dies „der Kontrolle entgleiten“ könnte, waren bereits aus der Politik vertrieben worden. Mit jungen, willfährigen Bewunderern wie Gernot Rumpold, Susanne Riess, Peter Westenthaler und den Generalsekretären Herbert Scheibner und Walter Meischberger hatte Haider die Schaltstellen in der Partei besetzt.

Nun ging er daran, seine Stellvertreterin und Dritte Nationalratspräsidentin ­Heide Schmidt zu demontieren. Vor laufenden Kameras schob er ihr ein Tortenstück in den Mund und nannte sie eine „Primadonna“, die endlich wieder arbeiten solle. Schmidt hatte sich mehrmals öffentlich gegen Haiders nationalsozialistischen Unterschleif und gegen den sich abzeichnenden Anti-Europa-Kurs der Freiheitlichen ausgesprochen.
In einem Interview mit der „Presse“ im Oktober 1992 warnte sie vor dem Volksbegehren: „Da werden Emotionen angesprochen. In der Ausländerpolitik darf man ein solches Druckmittel nicht verwenden.“ Sie halte ein solches Instrument in einer solchen Frage für „denkbar ungeeignet“.

"Meister der Doppelmühle"
In der darauffolgenden Parteileitungssitzung argumentierte Schmidt mit der Gefahr von Ausschreitungen wie in Ro­stock oder Hoyerswerda. Haider reagierte zynisch. Er rechne sogar damit, „dass was passiert, aber da müssen wir durch“, erinnert sich Schmidt und verweist auf einen Zettel, auf dem sie sich die Worte Haiders damals notiert hatte.
Haider war es nicht um eine Lösung des Problems, sondern um einen Probelauf für die Nationalratswahl im Jahr darauf gegangen. „Sein Kalkül war: Wenn die Menschen sich nicht zu unterschreiben trauen, weil die Zivilgesellschaft und große Teile der Kirche dagegen aufstanden, dann werden sie sich ärgern und am Stimmzettel heimlich die FPÖ ankreuzen. Gewinnen werde er in jedem Fall. Er war ein Meister der Doppelmühle“, sagt Schmidt.

Die Regierung begegnete damals dem Volksbegehren auf beschämende Art und Weise. In Vorbereitung einer Novelle des Fremdenrechts wurde bei Haider antichambriert, welche Verschärfungen er denn wünsche. Haider ließ die koalitionären Emissäre abblitzen. Intern sagte er, er lasse sich das Volksbegehren doch nicht abstechen.
Die Regierung kam ihm trotzdem entgegen. Wäre nicht der damalige SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky eingeschritten, wäre Haiders Forderungskatalog in einem Sonderausschuss des Parlaments breit diskutiert worden. SPÖ-Innenminister Franz Löschnak beteuerte, Haiders Volksbegehren sei „nur ein Nachhinken“ dessen, was die Regierung ohnehin vorhabe. Haiders Idee, Österreich sei „kein Einwanderungsland“, in der Verfassung festzuschreiben, beantworteten die Sozialpartner mit einem Inserat in allen Tageszeitungen, das die Freiheitlichen kaum anders formuliert hätten: Immer mehr Osteuropäer wollten in den „Goldenen Westen“. Österreich müsse reagieren, weil es „kein Einwanderungsland“ sei.
Das Volksbegehren wurde ein Einfallstor für eine ganze Generation von neuen Rechten. Skinheads und Neonazis fanden als Volksbegehrensaktivisten vorübergehend eine politische Heimat in der FPÖ. Es waren, wie sich später herausstellte, Mitglieder der FPÖ-Jugend gewesen, die 1992 den jüdischen Friedhof in Eisenstadt verwüstet hatten. Einer der Täter steht heute wegen der neonazistischen Alpen-Donau-Homepage vor Gericht. In zuvor nicht gekannter Brutalität wurden in jenem Jahr Obdachlose und Ausländer auf der Straße niedergeschlagen. In Oberösterreich wurden eine Flüchtlingsunterkunft angezündet und Steine gegen ein von Türken bewohntes Haus geworfen.

Heide Schmidt blieb im November 1992 mit ihrer Gegenstimme im Parteivorstand allein. Um sich selbst einen Halt zu geben, hatte sie schon vor der Sitzung im Hotel Plaza eine entsprechende Stellungnahme der Austria Presse Agentur übermittelt. „Hier ging es nicht darum, einmal mehr dagegen zu sein. Hier wurde Politik gegen eine Gruppe von Menschen gemacht“, sagt Schmidt. Das Volksbegehren sei für sie ein Gewissenstest gewesen, und sie war enttäuscht, dass ihr niemand aus dem Parteivorstand folgte.
Man warf ihr „parteischädigendes Verhalten“ vor. Haider überlegte laut, wie die Partei mit der politischen „Abstauberin“, die „nichts ohne uns ist“, weiter verfahren werde. Generalsekretär Meischberger sagte Schmidt in den Couloirs des Parlaments: „Schau, erst einmal müssen wir stark sein, dann machen wir wieder Demokratie.“

Schmidt traf sich am 30. Dezember 1992 mit den Liberalen der FPÖ, Gerhard Kratky und Karl Sevelda, in Baden und besprach, was zu tun sei.
In der Woche nach dem Volksbegehren gab sie mit vier weiteren Mandataren – Friedhelm Frischenschlager, Klara Motter, Thomas Barmüller und Helmut Moser – die Gründung des Liberalen Forums bekannt.

Heide Schmidt, 64
Am 4. Februar 1993 war die ehemalige Generalsekretärin der FPÖ, Heide Schmidt, mit vier weiteren FPÖ-Mandataren aus der FPÖ ausgetreten und hatte die Gründung des Liberalen Forums bekannt gegeben. Die Liberalen bekamen Klubstatus zuerkannt. Ihren ­Posten als Dritte Nationalratspräsidentin behielt Schmidt bis zur Wahl 1994. Nach anfänglichen Erfolgen mit fünf bis sechs Prozent der Wählerstimmen waren die Liberalen 1999 wieder aus dem ­Parlament geflogen, worauf Schmidt als Parteichefin zurücktrat. Beim vorläufig letzten bundesweiten Antreten der Liberalen 2008 scheiterte die damalige Spitzenkandidatin Schmidt mit 2,1 Prozent deutlich an der für den Einzug in den Nationalrat vorgesehenen 4-Prozent-Hürde.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik