Die Volksempfänger: Heinz-Christian Strache und sein Mentor Jörg Haider
Anmerkung: Dieser Artikel erschien ursprünglich in der profil-Ausgabe Nr. 41/2013 vom 07.10.2013.
Es war ein denkwürdiges Treffen und emotional höchst belastend. Am 8. Oktober 2008 saßen sich Jörg Haider und Heinz-Christian Strache auf einer Couch im Besprechungszimmer des FPÖ-Parlamentsklubs gegenüber. Haider hatte um das Treffen gebeten, und der Jüngere bestand gegen die Gesetze der Höflichkeit darauf, dass der Ältere zu ihm pilgern müsse.
Das Thema Alter spielte damals keine geringe Rolle in Haiders Leben. Man sah es ihm an. In den Fernsehdebatten des Nationalratswahlkampfs 2008, in denen er auf seinen Gegenspieler Strache traf, hatte Haider wie ein alternder Punk ausgesehen. Die kurzen Haare standen zu Berge und waren verdächtig blond. Mit seinem Vertrauten Stefan Petzner hatte er in diesen Wochen oft über das Altwerden geredet. Haider haderte mit dem Lauf der Natur. Im Gegensatz zu ihm habe er, der 27-Jährige, das ganze Leben noch vor sich.
Haider war auch verbittert. Strache wurde offenbar verziehen, was man ihm nie hätte durchgehen lassen. Man stelle sich nur einmal vor, von ihm wären Fotos von Wehrsportübungen mit Neonazis aufgetaucht, beschwerte er sich unter seinesgleichen. Strache nehme man das nur deshalb nicht übel, weil er ein Leichtgewicht sei, sagte Haider boshaft in aller Öffentlichkeit.
Populismus und Jugendwahn
Einer wie Haider konnte schwer alt werden. Er hatte den Populismus in Österreich salonfähig gemacht, und den Jugendwahn in der Politik etabliert. Er war 36 Jahre alt gewesen, als er 1986 in einem Handstreich die Partei übernahm. Er tourte von Wahlsieg zu Wahlsieg, erschloss neue Wählerschichten. Zuerst liefen ihm die bürgerlichen, dann die sozialdemokratischen Sympathisanten zu. Er brachte seine Partei in die Regierung und er akzeptierte sogar, dass er nicht dabei sein durfte. Doch das war zu viel: Haider verlor die Nerven. Als ein jüngerer, viriler Gegenspieler namens Strache auftauchte, zerriss der Alte seine Partei und gründete eine neue.
Strache war ebenfalls 36 Jahre alt, als er die FPÖ übernahm. Auf die Frage, was ihn von Haider unterscheide, meinte er dummdreist, er sei "größer und jünger“.
Bei dem Treffen im Parlament vor fünf Jahren sollte eine Art Waffenstillstand vereinbart werden. Gegen alle Erwartungen hatte Haiders BZÖ bei den Nationalratswahlen fast elf Prozent der Stimmen gewonnen. Gemeinsam wären Haider und Strache stärker gewesen als zu Haiders Hochzeiten. Eine Versöhnung schien ein Gebot der Vernunft. Das Gespräch sei "atmosphärisch korrekt und ordentlich abgelaufen“, hieß es danach. Doch schon zwei Tage später verhöhnte Strache sein einst bewundertes Idol. Er wurde im "Standard“ mit den Worten zitiert: Haider versuche krampfhaft, sich allen Parteien an den Hals zu werfen. Haider biedere sich an. Das grenze schon an Stalking. Wenn jemand für alles offen sei, dann sage man nicht umsonst, der könne nicht ganz dicht sein.
Beleidigender geht es nicht.
24 Stunden nach Erscheinen der Ausgabe der Zeitung war Haider tot. In seinem VW Phaeton war er mitten in der Nacht zum 11. Oktober 2008 stockbesoffen mit 180 km/h in eine Kurve gefahren.
Strache hatte in jungen Jahren selbst einmal leidenschaftlich um die Zuneigung des Älteren gebuhlt. Zahlreiche Briefe schrieb er an Jörg und Claudia Haider, adressiert ans Bärental. Da war er 22 Jahre alt, freiheitlicher Bezirksrat in Wien-Landstraße und ein glühender Verehrer. Er hatte Haider im Wiener Wahlkampf 1991 am Viktor-Adler-Platz bei einem Infostand der FPÖ persönlich kennengelernt. Von da an schrieb Strache an sein Idol. Munterte ihn auf, durchzuhalten. Was immer da komme. Haider war wegen seines Lobes für die "ordentliche Beschäftigungspolitik des Dritten Reichs“ seines Amtes als Kärntner Landeshauptmann enthoben worden und vermutlich froh über jeden Zuspruch. Kurz vor seinem Tod sagte Haider den Journalistinnen Nina Horaczek und Claudia Reiterer ("HC Strache“. Ueberreuter-Verlag, 2009), er glaube, er sei für Strache ein "bisschen Vaterersatz“ gewesen, "ein Vorbild, zu dem man aufschauen kann, von dem man sagt, so möchte ich auch einmal werden“.
Junger Rechter
Strache war schon in jungen Jahren im rechtsextremen Umfeld politisiert worden. Sein Vater, ein Lebemann, der die Familie bald verließ, hatte am Wiener Lycée maturiert und war dann als Reiseleiter durch die Welt gezogen. Der Junior wuchs bei der alleinerziehenden Mutter auf, wurde in ein Internat gesteckt, und lernte dann doch nur bei einem Zahntechniker das Handwerk. Die Matura holte er später in einer Abendschule nach. Schon während seiner Lehrjahre war Strache Stammgast auf der Bude der Pennälerverbindung "Vandalia“. In diesen Kreisen lernte er den notorischen Neonazi Gottfried Küssel kennen, Nobert Burger, den Chef der später verbotenen NDP, und andere Jung-Nazi-Größen, die damals in Burgers Haus in Kirchberg am Wechsel verkehrten. Auch Strache gehörte bald zur Familie. Burger war wohl so etwas wie ein erster Vaterersatz. Strache war mit Burgers Tochter Grudrun verlobt.
In diesen Jahren nahm Strache an einer der berüchtigten Wehrsportübungen von Küssel teil. Nach Videoaufnahmen wurden die Teilnehmer solcher Lager unterwiesen, wie man einen Gegner durch Genickstich lautlos erledigen kann. Strache erklärte, er sei damals gleich wieder heimgefahren. Nachgewiesermaßen trainierte er jedoch in Kärntner Wäldern mit Gummiknüppeln und Paintball-Pistolen - mit später amtsbekannten Neonazis und entsprechend adjustiert. In dieser Zeit war Strache mit der neonazistischen Wiking-Jugend in Deutschland unterwegs. 1989 stand er vor dem Schlosshotel Schönbrunn unter den Bewunderern des britischen Holocaust-Leugners David Irving und protestierte gegen das Verbot der Veranstaltung durch die Polizei.
Für Straches Aufstieg in der Wiener FPÖ waren diese Jahre kein Nachteil. Nur der FPÖ-Jugend galt er noch als zu rechts. Es kursierten allerdings nur Gerüchte über seine Vergangenheit. Genaues wusste man nicht. Fotos von Wehrsportübungen kamen erst 2007 in die Öffentlichkeit und Strache gestand peu á peu.
Strache ist wie viele andere der Haiderschen Ansteckung erlegen. Er hat am eigenen Leib erfahren, wie die Magie von Führer und Masse, die suggestive Wirkung auf den Einzelnen funktioniert. Er war ein gelehriger Schüler. Anfangs verhielt er sich wie jener Soldat, der sich in Friedrich Schillers Drama "Wallensteins Lager“ mit seinem Feldherrn identifiziert: "Wie er räuspert und wie er spuckt. Das habt ihr ihm glücklich abgeguckt.“
Haider und Strache verbindet auch eine familiäre Verstrickung. Straches Großvater war Mitglied der Waffen-SS gewesen und 1945 bei seinem Rückzug in die Heimat erschossen worden. "Ein Kriegsverbrechen“, sei das gewesen, meint der Enkel.
Lob für SS-Veteranen
Haiders Eltern waren glühende Nationalsozialisten gewesen. Haider hatte von Kindesbeinen an jene Ehemaligen verachtet, die 1945 in einer der beiden Großparteien Unterschlupf gefunden hatten und fortan als lupenreine Demokraten galten. Er sprach den Veteranen der Waffen-SS ein Lob dafür aus, dass sie ihrer Überzeugung "treu geblieben“ waren. Als Haider nach der Gründung des BZÖ von seinen Burschenschaftsfreunden ein Verräter genannt wurde, machte ihn am allermeisten wütend, dass die "mit ihrem Schmiss herumsitzen und sich nicht genieren, ein schwarzes oder sogar rotes Parteibuch zu besitzen“.
Die brutalen FPÖ-Wahlkämpfe Anfang der 1990er-Jahre hatte Strache schon an vorderster Front miterlebt: die Verhöhnung des politischen Gegners, die Lügen und Halbwahrheiten, mit denen angebliche Nutznießer des Systems, das Haider "sturmreif schießen“ wollte, an den Pranger gestellt wurden. Straches Generalsekretär Herbert Kickl textete in diesen Jahren noch für Haider. Der Spruch "Willst du eine Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen“ war damals schon ein Hit. Auch sonst ist vieles gleich geblieben.
Haider ließ die Massen aufmarschieren. Ein durchsichtiges Rednerpult aus Plexiglas wurde angeschafft, die Kegel der Scheinwerfer waren allein auf ihn gerichtet, der Saal in Dunkel getaucht. Das Publikum sollte eine Ahnung von der zukünftigen Volksgemeinschaft bekommen, der Einzelne sollte sich klein fühlen.
Auf größeren Bühnen lässt heute auch Strache sein Erscheinen messianisch inszenieren. Er tritt aus künstlich erzeugten Rauchschwaden vor seine Anhängerschaft. Ein wichtiges Element, damals wie heute, ist das Schwenken von rot-weiß-roten Fahnen. Nach solchen Auftritten strecken sich Strache - wie anno dazumal Haider - stets dutzende Hände entgegen, hilfesuchend, bittend, außer Rand und Band. Man will ihn anfassen oder zumindest ein gemeinsames Foto kriegen, das man auf Facebook stellen kann. Strache ist der Facebook-König unter den Politkern. Und glaubt man den Eintragungen, finden ihn Teenis "einfach geil“.
Elemente der Jugendkultur, wie ein eigens komponierter Rap, haben sich ebenfalls bewährt. Bei Haider tanzte die Jugend nach dem Refrain "Lieber ein Wolf im Schafspelz als ein Schaf im Wolfspelz“. Strache ist diese Art von Selbstironie fremd. "Steht auf, wenn ihr für HC seid“ heißt sein neuestes Rap-Video. Ordentlich lächerlich machen sich dabei nur seine mitshakenden angejahrten Parteifreunde, die glauben, sie müssten sich geben wie Rapper Sido.
Im persönlichen Stil hat sich Haider ebenfalls empfohlen. Haider war der bestangezogene Politiker gewesen mit einem Faible für italienischen Schick. Je älter er wurde, desto öfter trat er nach dem letzten Schrei gekleidet auf. Strache agiert hier vorsichtiger und konservativer. Niemals würde er es wagen, wie Haider in gigerlgelben Schuhen mit Kreppsohle in der feinen Gesellschaft aufzutauchen.
Strache als Nachzügler
Ein Jahrzehnt nach Haider sprang auch Strache beim Bungee-Jumping von der Kärntner Jauntalbrücke. Zwei Jahrzehnte nachdem Haider selbstverliebt mit nacktem Oberkörper am Wörthersee posierte, stellt Strache ein Badehosenfoto auf Facebook. Er ist in vielem ein Nachzügler. Selbst mit seinem scharfen Anti-EU-Kurs und der Anti-Islam-Kampagne erscheint er nicht als Trendsetter. Haider war der erste in einer Reihe von europäischen Rechtspopulisten gewesen.
Der größte Unterschied zwischen Haider und Strache zeigt sich im Umgang mit Parteifreunden. Haider behandelte die Partei und seine engsten Mitarbeiter zynisch. Er konnte andere trefflich demütigen, machte sich gelegentlich einen Spaß daraus, seinen eigenen Leuten vor Publikum den Herrn zu zeigen. Strache gilt als kameradschaftlich im Umgang mit seinen Mitarbeitern. Das Betriebsklima sei so ein anderes und viel besser als unter Haider, sagen langjährige FPÖ-Mitarbeiter. "Mit dem Messias haben wir es schon ein Mal probiert. Jetzt haben wir einen guten Kameraden“, sagt der freiheitliche Europa-Abgeordnete Andreas Mölzer.
Die Spitzenfunktionäre der FPÖ rekrutieren sich seit Straches Obmannschaft meist aus einschlägigen Kreisen. Die unpolitischen, begeisterungsfähigen Afficionados, die Jörg Haider einst in Bars am Wörthersee oder in Autobahnraststätten aufgelesen und in Stabstellen der FPÖ platziert hatte, stecken heute zum größten Teil im Korruptionssumpf. In der Strache-FPÖ haben jetzt rechtsnationale Burschenschafter, unter anderem Mitglieder der berüchtigten "Olympia“, die Macht übernommen. Der größte Teil des Parlamentsklubs stammt aus diesem Milieu.
Als Strache an die Macht kam, trat das rechtsradikale Gedankengut in allerlei Facetten hervor. Vieles schien wieder erlaubt. Im RFJ unter Johann Gudenus wurden Grundsatzpapiere über die Gefahren der "Umvolkung“, der "Wiege der Weißen“ und der "Immunschwäche“ europäischer Gesellschaften erstellt. Bei Straches erstem Parteitag grüßte ein alter Delegierter provokant mit "Heil“. Ein Abgeordneter plauderte über die "guten Seiten am Nationalsozialismus“, eine Parlamentarierin fiel mit rassistischen Aussagen auf und wurde schließlich wegen "Verhetzung und Herabwürdigung religiöser Lehren“ verurteilt. Strache plädierte 2008 selbst für die Abschaffung des NS-Verbotsgesetzes, war aber gegen die Rehabilitierung von Deserteuren aus der Wehrmacht. Parlamentsmitarbeiter der FPÖ hatten Kontakte in rechtsradikale Kreise, und alle paar Monate musste ein Bezirksfunktionär oder Gemeinderat aus diesen Gründen seine Funktion zurücklegen.
"Ausländer" als alleiniges Thema
In freiheitlichen Wahlkämpfen wurden "die Ausländer“ immer mehr zum alleinigen Thema: "Die Zuwanderer, die uns auf der Nase herumtanzen.“ - "Das Haus Österreich, das uns gehört.“ Das war immer schon Straches wichtigstes Anliegen gewesen. Strache war innerhalb der Wiener FPÖ mit Kampagnen gegen das Schächten, das Moslems und Juden betrifft, groß geworden. Unter seiner Mithilfe waren in Wiener Gemeindebauten Listen mit angeblichen Ausländern, die dort wohnten, ausgehängt worden.
Haider war ein Verführer. Jede beliebige Meinung konnte bei ihm eine politische Heimat finden. Das ist Strache nicht. Er agiert im Vergleich dazu eindimensional. Er gilt unter seinen politischen Gegnern als verlässlich. Selbst unter Sozialdemokraten gibt es Stimmen, die sagen, mit Strache könnte man zu einer Vereinbarung kommen.
Haider besaß ein außerordentliches Gespür dafür, welche Kräfte mobilisierbar sind. Und er wusste, wo die Grenze liegt. Auch Strache gelingt es, Protestgefühle und Ressentiments exemplarisch zu vereinigen und seine Anhänger, als wären sie seine Rächer, hinter sich herzuziehen. Aber kann er sie auch stoppen? Nie zuvor war die Stimmung im Publikum so aggressiv gewesen wie bei den Strache-Auftritten im vergangenen Wahlkampf. Der Tag der Abrechnung sei gekommen, hatte Straches Vorredner Johann Gudenus angekündigt: "Jetzt heißt es ‚Knüppel aus dem Sack!‘ für alle Asylbetrüger, Verbrecher, illegalen Ausländer, kriminellen Islamisten und linken Schreier“, jetzt werde "aufgeräumt in unserem schönen Österreich!“ - Am Wiener Viktor-Adler-Markt wurden am Rande der Veranstaltung Frauen mit Kopftuch und Kinderwagen angepöbelt. Am Wahltag bekam die FPÖ 20,5 Prozent der Stimmen.
Haider ist heute Vergangenheit und Strache die Zukunft. Haider berauschte sich daran, wenn ihm das Publikum nach anfänglichem Widerstand folgte. Ihm lachte dabei das schlechte Gewissen aus den Augen, weil er wusste, dass er mit dem Feuer spielt. Auch Strache weiß, dass er zündelt. Seine Wahlkampfmanager haben in teuflischer List das Wort von der "Nächstenliebe“ auf Straches Plakaten vorsorglich in Anführungszeichen gesetzt. Doch ein politisches Ziel, bei dem diese Bewegung, wer immer sie anführt, an ihr Ziel kommt, gibt es nicht. Denn diesem Publikum wird es nie genug sein.