good news: Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer Dynamit Nobelpreis

Dynamit Nobelpreis

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„Im Oktober schlafen weltweit Tausende von alten Medizinprofessoren unruhig – es könnte ja endlich der lang erhoffte Telefonanruf von Stockholm kommen, betreffend Nobelpreis“ Gerhard Kocher, Gesundheitsökonom

In puncto Verdrängung macht mir keiner was vor. Da bin ich Weltspitze. Alles Negative lähmt. Das Helle und Fortschrittliche hingegen durchflutet mich derart elektrisch, dass die Ganglien fluoreszieren und die Synapsen aufleuchten wie der Times Square. Wenn mir Gutes widerfährt, schlagen in den Kommandozentralen von EVN und Wien Energie die Zeiger aus.

Es war daher eine famose Idee von profil-Herausgeber Christian Rainer, mir eine eigene Ecke einzurichten. Mit ­beträchtlicher Einfallskraft fand er die Kolumne „good news“. Meines Wissens wurde er dabei von zwei Gedanken geleitet. Erstens: „Stärke die Stärken deiner Mitstreiter, pfeif auf ihre Schwächen.“ Zweitens: „Wenn dieser Freund die flackernden Schatten an der Wand nicht erträgt, soll er wenigstens die ­Fackeln beschreiben.“ Platons Höhlengleichnis als Basis einer Kolumne – das soll dem profil mal ein Medium nachmachen.

Ex logo hatte ich nie eine Antwort, wenn die abgenudelten Fragen gestellt wurden: „Wo warst du, als John F. ­Kennedy ermordet wurde?“, oder „Was tatest du, als die Nachricht von Nine-Eleven kam?“ Keine Ahnung. Paralyse, wie gesagt.

Im Gegensatz dazu weiß ich präzise, wie es war, wenn ich von positiven Sensationen erfuhr. Beispielsweise von Auszeichnungen österreichischer Filmer wie unter vielen anderen Haneke, Albert, Seidl, Glawogger, Sauper und Novotny. Da saß ich immer mit Tschick und Schankwein in der Nähe des Apollo-Kinos. Dort hörte ich auch von den Oscars für Stefan Ruzowitzky und Schauspieler Christoph Waltz.

Ah, das Apollo. Das einzige Wiener King-Kong-Kino in dicht besiedeltem Gebiet, Ort meiner ersten profil-Story. Auf Befehl Sven Gächters hatte ich dort die Premiere des ersten 3D-Asterix-Films zu rezensieren, mit Gérard Depardieu als Obelix und Laetitia Casta als Falbala, an der mir die Augen gefielen.

Nochmals präziser die Assoziationen mit Österreichs ­Nobelpreisträgern. Diese waren in der ambitionierten Arbeiterfamilie, in der ich aufwuchs, bewunderte Größen. ­Lesen und Wissen galten als einzige Aufstiegshilfe. Umgekehrt galt Krieg als garantierter Abstieg in frühere, elende Verhältnisse. Die pazifistischen Großväter vergötterten Bertha von Suttner und Alfred Fried, Österreichs Friedensnobelpreisträger der Jahre 1905 und 1911. Mein Vater, schon ­kecker, hielt viel vom Chemiker Fritz Pregl, weil dieser nobilisiert wurde, als er, mein Vater, auf die Welt kam, 1923.

Ich habe diese subjektivistische Deutung der Nobelpreisträger volley übernommen. Hayeks Nobelpreis 1974 war eine Art Geleitschutz des eigenen Aufstiegs in die Chefredaktion des „trend“. Und Konrad Lorenz’ höchste Auszeichnung im Jahr 1973 (Nobelpreis für Physiologie/Medizin, gemeinsam mit dem Österreicher Karl Frisch) gab ihm zusätzliches Gewicht für meine journalistischen Fragen nach der Natur der Frauen. Lorenz sagte: „Alles, was negativ als Stutenbissigkeit und Engherzigkeit in Geldfragen genannt wird, ist positiv als Brutschutz auszulegen.“ Unvergesslich. Schade nur, dass sein Nachfolger Rupert Riedl, der zu einem wichtigen Gefährten wurde, nie die Nobelpreis-Krone erhielt.

Mein eigentlicher Nobelpreis-Held (1945) ist der Physiker Wolfgang Pauli. Er war der Murphy in „Murphy’s Law“. In Gegenwart des genialen österreichischen Theoretikers ging jedes Experiment schief. Höhepunkt: Als Kollegen zu Paulis Geburtstag ein Experiment schenkten, das schiefgehen musste, ging es gut.

Wir befinden uns im Jahr 2004. Ich pilotiere meine Harley-Davidson im Grenzland NÖ-W. Die Stereolautsprecher biegen die Buchen zur Seite und geben den Lieblingssender Ö1 frei. Ich erwarte Nachrichten über den neuen Literaturnobelpreisträger. Ich denke an die Verschwörungstheorien, der Nobelpreis sei längst in den Händen globaler Mächtiger. Er sei von der ­Freude zum Ärgernis verkommen. Dann höre ich: Elfriede Jelinek, die nicht einmal in Österreich eine Lobby hat. Mein Wolfsgeheul wird von den Tieren des Waldes aufgegriffen. Die Buchen biegen sich schützend zurück. Wir feiern einen pan-organischen Wienerwaldsieg, ein Jubelgemenge aus Mensch, Wald, V-2-Metall und Eichkatzln.

Bald darauf, im Restaurant „Tulbingerkogel“ meines Freundes Frank Bläuel, höre ich die verzweifelten Gratulationen der Jelinek-Feinde, darunter Marcel Reich-Ranicki. Ein hoher Tag.

Vielen wird es mit Jelinek so gegangen sein wie mir mit ­ihrem Vorgänger J. M. Coetzee, Nobelpreisträger 2003, und manchen ihrer Nachfolger wie Orhan Pamuk und Gustave Le Clézio. Man kannte sie nicht und lernte sie nachher ­kennen.

Der Grund für diese Kolumne liegt im Literatur-Nobelpreisträger 2010, Mario Vargas Llosa. Ich glaubte ihn aus dem Rennen, weil zu fesch und zu erdgebunden und zu sehr im Widerstreit mit Gabriel García Márquez. Er liebt Europa und Europas Literatur. So wie Somerset Maugham schrieb er keine langweilige Zeile. Und mehr noch als für Márquez galt für ihn dessen Motto: „Ich schreibe, um den Frauen zu gefallen.“ Nun hat man auch ihn gehoben, als ersten Südamerikaner nach Márquez, der 28 Jahre vor ihm dran war.

Man darf dem Nobelpreis ein ewiges Leben wünschen, ­zumal der Erfinder des Dynamits, Alfred Nobel, durch seine Stiftung mehr Gutes schuf, als er einst als Erfinder in die Luft jagte.

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