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Helmut A. Gansterer Erzählte Musik

Erzählte Musik

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„Das Beste an der Musik steht nicht in den Noten.“
Gustav Mahler

Mahler meinte, das Beste der Musik liege darin, dass sie uns vom Dunklen ins Helle hebe, vor allem seine. Dem wollen wir nicht widersprechen, zumal es perfekt zum Thema passt. In der letzten „Good News“-Kolumne war die Rede davon, dass man lernen sollte, dem Krisengeheul zu entfliehen, um bei Kräften zu bleiben.

Im Speziellen wurde der Fluchtweg „klassische Musik“ ausgeschildert. Dieser Rat sei nicht so überflüssig, wie er klinge. Im Gegensatz zur günstigen Meinung des Restes der Welt sei keineswegs jeder Österreicher ein Mozart-Mahler-Maniac. Selbst in der so genannten großbürgerlichen Gesellschaft lebe die Mehrheit klassikfern. Dies ließe sich aber korrigieren. Ich versprach, dass selbst BürgerInnen, die glauben, eher mit den Ohren des Schweins als jenen des Luchses zu hören, eine faire Chance hätten, ins Elysium der Kammermusik, der Symfonien und Opern aufzusteigen. Dies gelte auch für jene, die vorher nichts Einschlägiges genossen hätten: keine Schule mit Musikunterricht, kein musisches Elternhaus, keine eigene Blockflöte.

Die Auflösung heißt „erzählte Musik“. In Fortsetzung des genannten Gustav-Mahler-Zitats heißt dies: Das Beste an der Musik sind zunächst die Medien, die über Musik erzählen. Dann erst kommt die Musik selbst. Dahinter steckt die Lebensweisheit, dass der indirekte Weg oft der bessere ist, verbunden mit persönlicher Erfahrung. Ich habe jahrelang als staatlich geprüftes Schweinsohr in die höhere Musikwelt hineingehört. Ich war finster entschlossen, dabei glücklich zu sein. Die Glückssuche misslang. Manchmal flackerte eine Ahnung von Seligkeit auf, aber immer nur bei Mozart. Und auch dort nur im Falle süßester Tonsetzung, bei der selbst Jagdhunde verhofften. Köchelverzeichnis KV-822, ein Klarinettenstück Mozarts, war so ein Beispiel. Auch ein Figaro-Video entzückte, weil Mirella Freni so sündig aussah, als sie „Deh vieni, non tardar“ als Susanna vortrug. Ansonst aber: totes Trommelfell.

Erste Hilfe kam mit Marcel Prawy, den ich zur Weißglut trieb. Beim Friseur hinter der Volksoper erklärte ich ihm, mir allenfalls die leichtest fasslichen Arien anzutun, niemals aber eine ganze Oper. Prawy heulte wie ein angeschossener Wolf: „Sie müssen doch auch Brot, nicht nur Schmalz fressen.“ Ich sah mir dann seine glänzenden ORF-„Opernführer“ an. So begriff ich bald, dass Geschichten, Anekdoten und intime Schnurren über Komponisten & Sänger einen schnellen Weg zum Verständnis der hohen Musik wiesen. Neurologisch: Sekundär-Assoziationen helfen uns als Räuberleitern, die hohen Mauern des primär Wichtigen zu erklimmen.
Nach Prawy halfen ähnliche TV-Höchstleistungen von Otto Schenk (Opern-Hoppalas), Sir Peter Ustinov (Porträts, unter anderen Mendelssohn-Bartholdy) und die ruhigen Vorträge des Weltklasse-Literaten Herbert Rosendorfer (Pay-TV-Premiere-Sparte „Classica“). Sie ziegelten das Wissen auf, mit dem Wissen die Lust, mit der Lust das Verständnis. Sehr im Gegensatz zu den allermeisten Musikkritiken der Tageszeitungen. Diese, aufgrund eines geheimen Abkommens der Unverständlichkeit verpflichtet, haben noch keinen einzigen neuen Hörer in den Goldenen Saal des Wiener Musikvereins verführt.

Gleichwertig im positiven Effekt der TV-Führer, der Klassiksendungen im Radiosender Ö1 und anregender profil-Background-Storys sind gute Bücher. Dieser Tage traf ich Peter Wehle. Wir hatten eine gemeinsame Signierstunde bei Morawa in der Wiener City. Wehles Buch „Haydn, Haydn über alles“ wird dem Haydn-Jubiläumsjahr als Info-Stütze helfen. So wie die unprätentiöse Aufzeichnung der Biografie unseres Star-Pianisten Rudolf Buchbinder Vorfreude auf die Schloss-Grafenegg-Festivals macht. Ein spezieller Musikautor („Ich bin nicht eitel, ich bin arrogant“) hat Millionen von Schweinsohren zu Luchsohren gespitzt: Joachim Kaiser, der legendäre Kulturkritiker der „Süddeutschen“. Seine einstige Serie in der „Bunten Illus­trierten“ ist gebunden als „Kaisers Klassik“ in zwei Bänden zu lesen (Schneekluth/Bunte), dazu das jüngste autobiografische Werk: „Ich bin der letzte Mohikaner“ (Ullstein), mit optionaler CD der Einspielungen seiner Klassikfavoriten. Wer Kaiser nicht liest, ist Selbstverstümmler. Er schneidet sich ein Ohr ab.

Mein idealer Krisenflucht-Verlag ist gleichwohl wienerisch. Er heißt „Bibliophile Edition“. Er wird von zwei Gentlemen namens Peter Allmayer-Beck und Josef Frühwirth geführt. Namensgerechte Qualität in Layout, Typografie, Papier, Bindung. Wunderliches Programm. Entlegene Fluchten. Zum Beispiel „Die Reklamemarke“, für Manager spannender als alle Briefmarken. Oder Totalkompetenz in „Globen“-Bildbänden (siehe www.bibliophile-edition.at).

Zum Thema dieser Kolumne hob der Verlag den Schatz Rupert Schöttle, Jahrgang 1957, Cellist, ständiger freier Mitarbeiter der Wiener Philharmoniker, des Orchesters der Wiener Staatsoper und inoffizieller Nobelpreisträger für Musikeranekdoten. Nach „Götter im Frack“, „Spötter im Frack“ und „Täter im Frack“ erschien 2008 die Tatsachensammlung „Das Schwarze sind die Noten“. Eine Welt des Winselns und der Wunder. Wer Schöttle nicht liest, schneidet sich zwei Ohren ab. Friedrich Nietzsche schrieb: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“ Ohne die klassische Musik und ihren ­Humor als „Höflichkeit der Hoffnungslosigkeit“ klänge die Gegenwart nach Krise.

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