Der Bart des Propheten

Der tiefe Fall von Herbert Stepic

Raiffeisen International. Der tiefe Fall des Herbert Stepic

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Am Ende hatte Herbert Stepic der Welt nicht mehr viel zu sagen – ganz entgegen seinen Gepflogenheiten. Ein paar unverbindliche Sätze zum Abschied, der bescheidene Hinweis auf sein „Lebenswerk“, kein Vorhang, erst recht kein Applaus.

Freitagvormittag vergangener Woche musste Stepic den wahrscheinlich schwersten Gang seiner Karriere antreten. In einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz verkündete der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisen Bank International AG (RBI) seine Demission. „Aus Verantwortung und Verbindung zu meiner Organisation“ habe er dem Aufsichtsrat den Rückzug aus allen Funktionen angeboten.

Zehn Minuten später war Stepic auch schon wieder entschwunden. Fragen der anwesenden Journalisten (und die hätte es zuhauf gegeben) waren ausdrücklich nicht erwünscht.

Herbert Stepic – das war jener Mann, der den internationalen Arm der Raiffeisengruppe zu dem machte, was er heute ist: einer der bedeutenderen Finanzkonzerne in Zentral- und Osteuropa mit Operationen in 15 Ländern, mehr als 14 Millionen Kunden, 60.000 Mitarbeitern und über 3000 Geschäftsstellen.

Herbert Stepic
– das ist jener Mann, dem heute zweifelhafte Prädikate wie „Offshore“ und „Millionenboni“ anhaften, und das so hartnäckig, dass die Organisation, die er groß gemacht hat (und umgekehrt), ihn nur mehr um den Preis eines nachhaltigen Imageschadens hätte halten können. Das Aufsichtsratspräsidium der börsennotierten RBI unter dem Vorsitz von Walter Rothensteiner wertete Stepic’ Entscheidung noch am Freitag als „Zeichen der großen Verbundenheit“ und kündigte an, „umgehend zusammenzutreten und die weiteren Schritte zu beraten“. Doch das ist nur noch Formsache, bereits Anfang dieser Woche soll die Nachfolge geregelt sein. Rothensteiner war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Herbert Stepic – dem Sektor seit fast 40 Jahren verbunden, davon zwölf Jahre an der Spitze von Raiffeisen International – wird gegangen, weil er untragbar geworden ist. Und das hat er ausschließlich sich selbst zuzuschreiben. Oder genauer: seiner Gier.

Der 66-jährige Banker muss sich vorwerfen lassen, ab 2006 private Immobiliengeschäfte in Singapur und Serbien getätigt zu haben, wobei er sich eines weit verzweigten Netzes aus Briefkastengesellschaften und Stiftungen in Liechtenstein, Zypern, Hongkong und der Karibik bediente. Ohne Wissen und Billigung der Bankorgane. Dass diese Deals öffentlich wurden, ist Recherchen mehrerer Medien, darunter auch profil, geschuldet.

Wie die Zeitschrift „News“ und die „Süddeutsche Zeitung“ Mitte vergangener Woche zeitgleich berichteten, taucht der Name Herbert Stepic in den so genannten Offshore-Leaks-Datensätzen auf, die dem internationalen Journalistennetzwerk ICIJ zugespielt worden waren (profil berichtete ausführlich). Stepic wird darin als „wirtschaftlich Berechtigter“ zweier Domizilgesellschaften mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln (Yatsenko International Limited) und Hongkong (Takego Holdings Limited) geführt. In einer ersten Reaktion rechtfertigte Stepic das so: Die Gesellschaften seien gegründet worden, um Investitionen in drei Wohnungen mit je 150 Quadratmeter Größe in Singapur abzuwickeln, wovon eine bereits wieder verkauft sei.

Wozu der Vorstandsvorsitzende einer börsennotierten Großbank mit Lebensmittelpunkt in Österreich überhaupt Briefkästen (Stepic spricht von „Projektgesellschaften“) braucht, um Wohnungen zu kaufen, vermochte er nicht schlüssig zu erklären. Da half auch der Hinweis nicht, dass die Investitionen mit „in Österreich versteuertem Geld“ getätigt worden seien.
Ob das wirklich stimmt, wird die Finanz zu prüfen haben. Das gilt auch für die Frage, ob und wie und wo allfällige Erlöse aus dem Projekt versteuert wurden.

Es gibt vorerst keinen Hinweis darauf, dass Stepic Steuern hinterzogen hat. Sehr wohl aber dürfte die Konstruktion darauf ausgelegt gewesen sein, Steuern auf Gewinne aus dem Singapur-Geschäft zu vermeiden – Fachleute präferieren demgegenüber den euphemistischen Terminus „optimieren“. Und das sieht nun einmal nicht gut aus; nicht in Zeiten einer internationalen Debatte um Steuerflucht; nicht für den Repräsentanten einer Organisation, die sich hohen ethischen Standards verpflichtet fühlt; erst recht nicht, wenn dieser Repräsentant bereits in der Vergangenheit unangenehm aufgefallen ist.

profil war bereits im Oktober 2011 die Information zugegangen, dass Stepic in ein aufklärungswürdiges Kreditgeschäft auf dem Balkan involviert sein soll (Nr. 43/11). Ein Informant hatte diesem Magazin Zugang zu einem vertraulichen Kreditbericht („Creditor Report“) der Hypo Alpe-Adria verschafft. Demzufolge hatte die Klagenfurter Bank im Jahr 2006 einer serbisch-österreichischen Investorengruppe insgesamt 23 Millionen geliehen, welche damit ein Shoppingcenter in Belgrad errichten wollte.

Doch das Projekt wurde nie realisiert, der Kredit alsbald nicht mehr bedient und intern als notleidend eingestuft. Im Zuge der Aufräumarbeiten nach der Hypo-Notverstaatlichung 2009 ließ das neue Management den Fall rekonstruieren – und stieß auf Erstaunliches: Die Finanzierungen waren dem zypriotischen Briefkasten Enthusa Limited gewährt worden, hinter dem eine Kaskade weiterer Briefkästen auf Zypern stand. Ganz oben in der Hierarchie aber: eine Liechtensteiner Stiftung namens „Restern Foundation“, die wiederum niemand anderem als Herbert Stepic zugeordnet wurde. Laut dem Hypo-Dossier soll diese Stiftung im Fürstentum „under the control of Mr. Herbert Stepic, CEO of Raiffeisen Bank International“ gestanden haben und zu 25 Prozent an dem Serbien-Projekt beteiligt gewesen sein.

Zusammengefasst: Der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisen Bank International beteiligte sich 2006 über eine Liechtensteiner Stiftung an einer Briefkastenstruktur, die bei der Hypo Alpe-Adria einen Kredit aufnahm und diesen nicht zurückzahlte.

Für profil hatte die Enthüllung ein bemerkenswertes Nachspiel. Am 9. Dezember 2011, also wenige Wochen nach Erscheinen der Ausgabe, erstattete das Hypo-Management um Gottwald Kranebitter bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt eine Anzeige gegen unbekannte Täter in Zusammenhang mit der Veröffentlichung der internen Kreditakte, angeblich auf massives Drängen von Stepic. In dem Schriftsatz wurden vermutete Verstöße gegen das Datenschutzgesetz („Datenverwendung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht“) und des Bankwesengesetzes („Verletzung des Bankgeheimnisses“) formuliert. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt fackelte nicht lange und konstruierte daraus einen „Anfangsverdacht“ gegen die plötzlich als „Beschuldigte“ geführten profil-Autoren. Die Causa landete später in Wien – wo sie am 19. Jänner 2012 eingestellt wurde.

Stepic? Wollte mit dem Hypo-Kredit öffentlich nicht einmal ansatzweise in Verbindung gebracht werden.

Gegenüber profil beteuerte der Banker damals, er kenne weder die Liechtensteiner Stiftung noch den eigentlichen Geschäftsfall. Stepic wörtlich: „Das trifft mich mit Erstaunen. Ich kenne diese Stiftung nicht.“ Und: „Hier muss es sich um ein Missverständnis handeln, ich habe damit nichts zu tun.“ Erst nach einigem Insistieren erinnerte er sich dann zumindest an eine Begegnung, wenn auch nur vage: „Vor etlichen Jahren wurde von einer serbisch-österreichischen Konstruktion der Wunsch nach der Finanzierung eines Projekts in Serbien an mich herangetragen. Da Raiffeisen International diese Art von Geschäft nicht anbot, habe ich einen Kontakt zur Hypo Alpe-Adria hergestellt. Es kann sein, dass man dort irrtümlich angenommen hat, ich sei einer der Begünstigten. Was ich nicht bin.“

Wie hatte er, Stepic, dann Eingang in die Dokumentation der Hypo Alpe-Adria gefunden? „Das müssen Sie die Hypo fragen.“ Ein Versehen also. Das war damals schon unglaubwürdig, ist es doch eher nicht Usance, dass Bankvorstände Kundentermine bei der Konkurrenz anbahnen. Und selbst wenn, würde das nicht erklären, warum er in den Kreditakten der Hypo namentlich erfasst wurde.

Die Zweifel wurden durch spätere Ereignisse nur noch untermauert. Unmittelbar nach Erscheinen der profil-Ausgabe hatte die Finanzmarktaufsicht Untersuchungen gegen Stepic eingeleitet. Die Behörde interessierte sich dabei für die Frage, ob er als Geschäftsleiter einer Bank noch qualifiziert sei, wenn er bei einer anderen Bank einen Kredit gezogen hat (und sei es nur mittelbar), der nicht mehr bedient wird.
Die Untersuchungen zogen sich fast zwei Jahre hin. Auch deshalb, weil Stepic nicht eben bedingungslos kooperativ war. Nach profil-Recherchen stellte er seine Beteiligung an dem Belgrader Projekt zunächst auch gegenüber der FMA hartnäckig in Abrede. Zu Beginn dieses Jahres bekannte er dann doch ein, dort mit von der Partie gewesen zu sein – wenn auch nicht über die von der Hypo Alpe-Adria ermittelte Liechtensteiner Stiftung (deren Existenz Stepic allerdings auch nicht länger bestritt). Seiner finalen Version bei der FMA zufolge will Stepic über einen profil namentlich bekannten Treuhänder in das Geschäft eingestiegen gewesen sein, sich daraus aber 2012 mit Verlust wieder zurückgezogen haben. Die Behörde legte den Fall vor wenigen Wochen zu den Akten.

Auch hier stellen sich Fragen: Wann und wozu hat Stepic die Liechtensteiner Stiftung eingerichtet? Welchen Zweck erfüllte der Treuhänder wirklich? Vor allem aber: Gab es noch andere Geschäfte? Tatsache ist, dass Stepic auch diese Konstruktionen nicht gegenüber den Gremien offengelegt hatte. Der RBI-Aufsichtsratspräsident und nunmehrige Raiffeisen-Generalanwalt Walter Rothensteiner soll davon ebenso überrumpelt worden sein wie von den jüngsten Offshore-Leaks-Enthüllungen. Es bedarf keiner intimen Kenntnisse der Raiffeisen-Organisation, um zu verstehen, dass Rothensteiner und der bis heute einflussreiche frühere Generalanwalt Christian Konrad darob nicht erquickt waren.

Umso weniger, als Stepic sich spätestens mit der Debatte um seinen Vorstandsbezug ins Abseits manövriert hatte. Wie erst vor wenigen Wochen öffentlich bekannt wurde, hätte Stepic für das Wirtschaftsjahr 2012 Anspruch auf eine Gage von insgesamt 4,9 Millionen Euro gehabt – wovon 1,6 Millionen Euro auf das laufende Fixgehalt entfielen, der größere Rest auf diverse Bonifikationen, die üblicherweise erst nach dem Bilanzstichtag zur Auszahlung gelangen. Wie „Der Standard“ Anfang April berichtete, soll Rothensteiner auch davon erst erfahren haben, als der RBI-Geschäftsbericht bereits gedruckt war.

Stepic wäre damit unvermittelt zum bestbezahlten Bankangestellten Österreichs 2012 avanciert, und das nicht nur vor dem Hintergrund der sensiblen Boni-Debatte. Der RBI-Hauptaktionär Raiffeisen Zentralbank hat bis heute Staatsgeld in den Büchern, das zwar im Gegensatz zu Hypo Alpe-Adria und der Österreichischen Volksbanken AG ordnungsgemäß verzinst wird. Dennoch wäre die Ausschüttung der – rechtlich gedeckten – Bonifikationen in der Öffentlichkeit nicht gut angekommen, erst recht nicht im Raiffeisen-Sektor. Deshalb soll Rothensteiner Stepic mit alles andere als sanftem Druck zu einem zumindest teilweisen Verzicht überredet haben. Die offizielle Version: Herbert Stepic hat aus freien Stücken auf zwei Millionen Euro verzichtet – aus „Solidarität“ gegenüber Raiffeisen.

Wäre es ihm mit der Solidarität wirklich so ernst gewesen, er hätte die per se noch nicht illegalen privaten Geschäfte in Singapur und Serbien wohl anders aufgesetzt, transparenter zum Beispiel. Den Makel, er habe etwas zu verstecken, wird er nun so schnell nicht mehr los.

Existenzängste werden Stepic wohl auch im vorgezogenen Ruhestand nicht plagen. Sein Vorstandsvertrag wäre noch bis 31. Dezember 2015 gelaufen, woraus ihm jedenfalls das volle Fixgehalt in der Höhe von hochgerechnet vier Millionen Euro zustünde, allfällige Nebengeräusche nicht eingerechnet.

In profil wurde er 2007 mit einem Satz zitiert, der im Lichte der jüngsten Ereignisse wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung klingt: „Ich wollte nie Banker werden, sondern in den internationalen Handel gehen.“

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.