„Ich war der Antichrist“

Interview. Groer-Opfer Josef Hartmann über die Folgen seiner Enthüllung

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Interview: Emil Bobi

profil: Herr Hartmann, sind Sie eigentlich religiös?
Hartmann: Es gibt kaum Begriffe, die mehr missgedeutet werden können als dieser. Wie viel Schindluder schon damit getrieben wurde. Er kommt in meinem Wortschatz gar nicht vor.

profil: Anders: Sind Sie Kirchenmitglied?
Hartmann: Nein, aber mich haben schon Leute gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, wieder einzutreten, wenn ich eine richtige Entschädigung bekommen würde. Nachdem Geld eine so große Bedeutung hat im Leben …

profil: Gegen Geld würden Sie wieder eintreten?
Hartmann: Ja, warum nicht?

profil: Wie viel?
Hartmann: Nicht unter zehn Millionen Euro, wie ich bei einem Wiener Rechtsanwalt deponiert habe.

profil: Obwohl profil niemals für Informanten bezahlt, legen Sie Wert auf die Feststellung, dass dieses Interview unentgeltlich ist. Warum?
Hartmann: Es gab nicht nur ein Mal Unterstellungen, ich würde mit meinen Stellungnahmen Geld machen, ja sogar dass ich meine Gelder in der Schweiz horte.

profil: 1995 haben Sie Kirchengeschichte geschrieben, als Sie via profil die Causa Groer ins Rollen brachten. Seither sind Hunderttausende aus der Kirche ausgetreten. Was war damals Ihre Intention?
Hartmann: Ich wollte Gerechtigkeit. Erst viel später ist mir bewusst geworden, dass diesbezüglich weltweit bereits eine gewisse Stimmung geherrscht hat. Ich war da in einem Strom von Aufdeckungen. Diese Fälle haben sich ja schon durch die Jahrhunderte gezogen. Selbst die so genannten Hexenverfolgungen trafen genau ¬diesen Kern, wo ein Umkehrspiel getrieben wurde. Denn diese Frauen wussten sehr genau, was bestimmte Geistliche mit Kindern trieben. Geistliche Machthaber haben das auf die Frauen zurückgewälzt.

profil: Wie sind Sie nach Ihrer Enthüllung mit dem Medienrummel zurechtgekommen?
Hartmann: Ich war damals wie in einer Arena des öffentlichen Interesses. Die haben sich europaweit auf mich gestürzt. Ich konnte nicht mit einem Aufzug fahren, ohne beim Aussteigen in eine Kamera zu blicken. Ich hatte gewagt, diese Kardinalsautorität mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren. Ich war gar nicht in der Lage, diesen vielen Medieneinladungen nachzukommen. Ich konnte nicht nach New York fliegen und in die Schweiz ins Studio, zum Interview nach Schweden und so weiter.

profil: War die Reaktion der Öffentlichkeit unangenehm?
Hartmann: Eine gemischte Sache. Ich hätte das nicht machen können, wäre mein Vater nicht schon tot gewesen. Der hätte das nicht verkraftet, weil er zu stark in das dörfliche katholische Leben integriert war. Auch durch den Tod meines Bruders ist da viel aufgebrochen. 2003 ist das Ganze noch einmal durch die Angriffe von Bischof Kurt Krenn hochgeschwappt, der es verstanden hat, mich als paranoid hinzustellen. Er handelte mit Rückendeckung des Vatikans, weil man Angst vor den finanziellen Folgen durch drohende Kirchenaustritte und mögliche Schadenersatzzahlungen hatte, wie sie in Amerika Praxis geworden waren. Bezeichnend war auch, dass der Staatsanwalt nie eingegriffen hat, weil angeblich alles nur kirchenrechtlich zu behandeln gewesen sei. Obwohl Groer als Direktor eines Aufbaugymnasiums in einer weltlichen Position war.

profil: Strafrechtlich war das verjährt.
Hartmann: Das sind meine Lieblingsausdrücke: verstorben, verjährt, vergraben. Man will die Wahrheit vergraben.

profil: Anfangs wurden Sie von Bischöfen als „sehr kranke Seele“ bezeichnet und profil als Nazi-Blatt, dass im Stil der NS-Prozesse gegen Geistliche agiert …
Hartmann: Ja, Hans Dichand meinte sogar, ich war der Antichrist in Person.

profil: Hat sich irgendjemand von der Kirche je bei Ihnen entschuldigt?
Hartmann: Nein. Man muss Kardinal Schönborn schon anerkennen, dass er mir zumindest zur Hälfte eine Therapie in der Schweiz ermöglichte. Ursprünglich wollte ich einen öffentlichen Zivilprozess gegen Groer. Es gibt Dokumente, dass Groer auch reden wollte, es ihm aber von irgendeiner Seite nicht erlaubt wurde.

profil: Es gibt nicht viele Seiten, die ihm das verbieten konnten. Wer war es?
Hartmann: Ich weiß nicht. Mir ist das nur gesteckt worden.

profil: Haben Sie diesen Schritt an die Öffentlichkeit jemals bereut?
Hartmann: Ja und nein.

profil: Warum ja?
Hartmann: Weil es mich in einen Kardinalseffekt, wie ich das nenne, hineingetrieben hat. Ich habe mich in eine moralische ¬Rolle hineingespielt, die ich nicht einfach ablegen kann. Ich habe auch schmerzhaft miterlebt, wie meine Familie, auch meine Tochter, leiden musste. Sie lebt ja noch ¬immer in Hollabrunn, wo die Ereignisse bis heute nicht aufgearbeitet wurden. Noch im Vorjahr hat Bischof Andreas Laun -öffentlich gesagt, die Groer-Sache sei unbelegt.

profil: Ist das der Grund, dass Sie sich überlegen, Ihre Identität zu ändern?
Hartmann: Ja. Als Josef Hartmann ist es heute noch sehr schwierig, Arbeit zu finden. Weil die Sache nie wirklich aufgearbeitet und geklärt wurde.

profil: Welche Auswirkungen hatte die Affäre insgesamt auf die Kirche? Was hat sich seither geändert?
Hartmann: Unglaubliches. Es kam zum Kirchenvolksbegehren mit 500.000 Unterschriften. Es wurden Gruppen gegründet, die Aufklärungsarbeit leisten.

profil: Hat sich während der vergangenen zwei Jahre kirchenintern nicht zumindest die öffentliche Performance geändert? Kardinal Schönborn hat sich entschuldigt, Opfer sollen entschädigt werden, Vorwürfen wird nachgegangen, Personen, die Vorwürfe erheben, werden nicht mehr ¬herabgewürdigt …
Hartmann: Ob das nicht der Erfolg von ¬Public-Relations-Beratung ist? Man hängt sich hier ein neues Mäntelchen um, ohne in der Substanz etwas zu ändern.

profil: Es wird also nach wie vor gemauert und gelogen?
Hartmann: Absolut.

profil: 2003 hat Ihnen die Kirche an die 40.000 Euro überwiesen. Dafür mussten Sie schriftlich garantieren, nicht mehr an die Öffentlichkeit zu gehen?
Hartmann: Ja, das war ein Teufelspakt. Es war Schweigegeld. Ein sittenwidriger Vertrag. Der Betrag war ein Hohn verglichen mit international üblichen Entschädigungssummen.

profil: Mittlerweile gibt es die so genannte Klasnic-Kommission.
Hartmann: Ich war dort mittlerweile dreimal vorstellig, erstmals im Oktober des Vorjahres. Ich hab mich gefreut, dass so was überhaupt ins Leben gerufen wird. Dass versucht wird, die Vorfälle zu sichten. Doch im Vergleich zu Irland etwa gibt es in Österreich keine nennenswert ehrliche Aufarbeitung durch den Staat. Und man bietet Beträge im Cent-Bereich.

profil: Die Klasnic-Kommission behauptet, unabhängig und nicht kirchlich zu sein.
Hartmann: Sie agiert im Interesse der Kirche und des Staates. Einfach, um die Sache möglichst schnell und möglichst billig vom Tisch zu bekommen.

profil: Wie waren Ihre Gespräche mit Frau Klasnic?
Hartmann: Sie ist ja eine charmante Dame und verfügt über politische Erfahrung. Sie zeigt durchaus Mitgefühl. Aber der Fonds und die Leute, die ihn verwalten, sind eine höchst undurchsichtige Sache. In der Kommission sitzen lauter weltliche Leute. Aber immer wieder sieht man Fotos mit einem Klaus Küng, der dabeisitzt. Da frage ich mich schon, warum.

profil: Wie geht die Klasnic-Kommission nun mit Ihrer Causa um?
Hartmann: Ich habe das Gefühl, sie hat ¬Interesse, dass ich wieder in das Arbeitsleben eingegliedert werde.

profil: Sie will Ihnen Arbeit beschaffen?
Hartmann: Das hat sie anklingen lassen.

profil: Zum Umgang der Kirche mit Macht und Sexualität: Glauben Sie, dass Groer selbst ein Opfer des Pflichtzölibats war?
Hartmann: Ich kenne seine Kindheit zu wenig. Er war ja selbst im Knabenseminar Hollabrunn. Ich habe da gewisse Vermutungen, aufgrund der Literatur, die ich studiert habe. Aber ich kann das nicht beantworten. Ich weiß nur, dass Hitler katholisch erzogen wurde, nie aus der Kirche ausgetreten ist und dass Pius XII. ihn nie exkommuniziert hat für seine Sauereien. Und das reicht mir.