Die profil-Story: Im-mer wieder montags

Immer wieder montags: Seit 35 Jahren begleitet profil die österreichische Politik

Seit 35 Jahren begleitet profil Österreichs Politik

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Die Justiz in Hochform: Eben sind einige Homosexuelle weggesperrt worden, Ärzte der Wiener Privatklinik müssen sich rechtfertigen, weil sie einen medizinisch unumgänglichen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt haben, und der Oberste Gerichtshof bestätigt die Verurteilung einer Illustrierten, weil darin „betont zur Schau gestellte nackte Gesäße“ zu sehen waren. So etwas sei schließlich geeignet, „geschlechtlichen Reiz auszuüben“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Österreich 1970. Ein Land brauchte Luft. Im März jenes Jahres gab eine relative Mehrheit der Österreicher den Sozialdemokraten die Stimme, nachdem deren neuer Obmann Bruno Kreisky eine Durchlüftung des Hauses versprochen hatte. Etwa zur selben Zeit machte sich ein 27-jähriger Jungjournalist namens Oscar Bronner auf die Suche nach abenteuerlustigen Kollegen. Ein Jahr zuvor hatte der Sohn des Kabarettisten Gerhard Bronner ohne Geld, aber mit viel Fantasie ein Wirtschaftsmagazin namens „trend“ gegründet. Nun stand ihm der Sinn nach etwas Politischem. Bronner war ein politischer Mensch: Gleich nach der Matura hatte er als Redaktionslehrling bei der „Arbeiter-Zeitung“ begonnen, 1965 hatte er in einem noch heute oft zitierten Artikel in Friedrich Torbergs Zeitschrift „Forum“ die NS-Vergangenheit namhafter österreichischer Richter aufgedeckt.

Jetzt sei auch in Österreich die Zeit reif für ein politisches Magazin, befand Bronner. In Deutschland gab es schon seit 1949 den „Spiegel“. In den USA war das „Time“-Magazin noch viel länger auf dem Markt. So etwas wollte Bronner auch machen: einen ganz anderen Journalismus als den, der in Österreich üblich war.

Politik wurde damals hinter verschlossenen Türen betrieben, Pressekonferenzen waren etwa so häufig wie eine totale Sonnenfinsternis. Journalisten bekamen eher den Papst ans Telefon als einen Politiker. Minister empfingen nur handverlesene Journalisten zu Interviews. Diese hatten schon lange vor dem Termin ihre Fragen beim Pressereferenten einzureichen und dessen Streichungen demütig hinzunehmen.

Das alles werde es nun nicht mehr geben, hatte Bruno Kreisky versprochen, als er im März 1970 sein Amt als Bundeskanzler antrat. Auch Kreisky hatte – noch als Oppositionsführer – von einem liberalen Blatt geträumt. Wie die „Zeit“ solle es aussehen, hatte er 1969 Gefolgsleuten bei einem Treffen in seiner Wohnung anvertraut: großformatig und elegant.

Wovon Kreisky nur träumte, verwirklichte Bronner, wenn auch in etwas anderer Form. Zur Hand gingen ihm junge Journalisten, deren Erfahrungen überschaubar waren. Der 22-jährige Erhard Stackl etwa war ein Berufseinsteiger, der 31-jährige Peter Michael Lingens war zwar zuvor bei der „Arbeiter-Zeitung“ und beim „Kurier“ als Reporter tätig gewesen – eine Leitungsfunktion hatte jedoch auch er nie innegehabt. Der wenig später hinzustoßende Helmut Voska, damals 28, hatte als Pressesprecher des ehemaligen ÖVP-Finanzministers Stefan Koren wenigstens schon einmal hinter die Kulissen der Politik geblickt und danach ein wenig Erfahrung beim Radio gesammelt.

Von der ersten Nummer des profil (Titelgeschichte: „FPÖ zwischen Macht und Pleite“) wurden erstaunliche 8000 Stück verkauft, ein Jahr später waren es schon 18.000. Das Land brauchte neuen Journalismus – profil praktizierte ihn.

Das Blatt solle nicht Politik machen, die Leser sollten sich anhand der Fakten selbst ein Urteil bilden, mahnte Bronner seine Redakteure. Die strenge Beobachtung dieses Grundsatzes traute er am ehesten dem 39-jährigen Jens Tschebull zu, einem Wirtschaftsjournalisten, der schon Bronners Erstling „trend“ leitete.

Dennoch wurde profil rasch zu einem politischen Faktor. Man rieb sich nicht an der neuen roten Regierung – diese war zu kurz im Amt, um schon Reibungsflächen zu bieten. Ein reiches Betätigungsfeld fand man hingegen in Wien, wo sich nach Jahrzehnten einer SPÖ-Alleinregierung viel Filz angesammelt hatte. Peter Michael Lingens besaß heißes Material über Grundstücksgeschäfte des Schwagers von Bürgermeister Felix Slavik, das nun prominent ins Blatt gerückt wurde.

Das Heft mit der Slavik-Story wurde beschlagnahmt – und das gleich zweimal: zuerst vom Präsidenten des Kriegsopferverbands wegen einer anderen Geschichte und dann, nach dem Neudruck, auf Antrag Slaviks.

Die Kosten explodierten. 1971 betrugen Bronners Druckerei-Schulden acht Millionen Schilling – nach heutiger Kaufkraft etwa zwei Millionen Euro. Nur der Langmut der Drucker-Familie Schmutzer bewahrte das Projekt vor einem jähen Ende. Dennoch erschien profil – ursprünglich ein Monatsblatt – ab 1974 wöchentlich.

Journalistisch lief die Sache gut. Immer mehr Informanten wandten sich nun an profil, um ihr Material zu deponieren. Einer von ihnen war ein Bauingenieur namens Alfred Worm, der Reinhard Tramontana mit Akten versorgte und bald selbst die Seiten wechseln sollte. Die von ihm damals aufgedeckte „Bauring“-Affäre ging in die Skandal-Annalen der Zweiten Republik ein.

Das System schlug zurück: Ein Fälscher fabrizierte ein Papier, wonach Bronner für die kritische Wien-Berichterstattung Bestechungsgelder aus ÖVP-Kreisen bekommen habe. Die „Arbeiter-Zeitung“ veröffentlichte die Fälschung. Ausgerechnet die Sozialisten trugen nun dazu bei, dass sich ein Diktum des sozialistischen Altvaters Friedrich Engels über die Moral zu bewahrheiten schien: Diese, so Engels, rechtfertige eine Zeit lang die Herrschaft, bis an einem bestimmten Punkt die Empörung über die Herrschaft geltende Moral werde. Anders gesagt: Das Aufdecken entsprach nun dem Zeitgeist.

Das ging allerdings auch bei profil nicht immer ohne Pannen ab. Einmal wurde eine aufwändig gestaltete Karte über angebliche Radarfallen auf Autobahnen abgedruckt. In Wahrheit handelte es sich um Glatteis-Melder. Hans Pusch, der Pressesprecher des damaligen Unterrichtsministers Fred Sinowatz, steckte profil, sein Chef lerne soeben den Skisprung und halte bereits bei einer Weite von 37 Metern. Die Redakteure gingen dem Spaßvogel auf den Leim. Den Aufstieg stoppten solche Hoppalas indes nicht.

Die wachsende Größe des Projekts spiegelte sich auch auf der Eigentümerseite wider: 1974 verkaufte Oscar Bronner seine Anteile in zwei Tranchen an den „Kurier“, der damals einer Gruppe von Wirtschaftstreibenden verschiedener Größenordnung gehörte. Die politische Bewegungsfreiheit von profil blieb jedoch gewahrt.

Mit der Aufdeckung des AKH-Skandals durch Alfred Worm im Jahr 1980 trat ein Quantensprung ein: profil war in dieser Mega-Affäre zu einem „political player“ geworden. Im Kern des Skandals ging es um Schmiergelder, die mit dem Bau des neuen Allgemeinen Krankenhauses in Wien beschäftigte Manager eingestreift hatten. Der Hauptangeklagte Adolf W. hatte etwa 40 Millionen Schilling kassiert. Zum Unglück der SPÖ hatte er in Udo Prokschs „Club 45“ verkehrt, wo auch hohe SPÖ-Politiker zugange waren. Obwohl es sonst keine Verbindungen zwischen W. und der SPÖ gab, geriet die rote Regierungspartei nun in Turbulenzen, deren Ausläufer bis in die jüngere Vergangenheit spürbar waren. Die Causa AKH war einer der schmerzvollsten Streitpunkte im Konflikt Kreisky versus Androsch (der Finanzminister war an einer AKH-Beratungsfirma beteiligt), das folgende Steuerstrafverfahren gegen Androsch reichte bis in die Ära Vranitzky und führte zum Bruch zwischen den einstigen Freunden.

Auch die FPÖ kam mit dem AKH-Skandal erstmals ins Spiel: Deren Obmann Norbert Steger behauptete als Chef des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, ÖVP und SPÖ hätten gleichermaßen kassiert, obwohl es dafür nicht die geringsten Belege gab. Die forsch durchgreifende U-Richterin Helene Partik-Pablé wurde vom „trend“ zum „Mann des Jahres“ gewählt und von der FPÖ mit einem Nationalratsmandat belohnt, das sie bis heute innehat.

Das Publikum verstand natürlich nicht die Details der oft höchst verästelten Affären, aber es wusste reflexhaft, wer schuld daran war: „die da oben“ – die Politiker. Noch zwei Jahrzehnte zuvor als Baumeister der Republik gefeiert, waren sie plötzlich ein Feindbild. Der Erste, der das zu nutzen verstand, war Jörg Haider.

Haider selbst wurde nun das politische Thema, dem sich profil manchmal vielleicht etwas zu hingebungsvoll widmete (siehe auch Christa Zöchlings Analyse ab Seite 30). Aber vieles, was vom profil-Politik-Ressort zutage gefördert wurde, war dem neuen Star der Rechten höchst unangenehm: etwa als profil zu Beginn von Haiders Parteichef-Karriere ein Geheimtreffen mit Neonazi-Chef Norbert Burger aufdeckte; oder als profil enthüllte, wie Haider unbequeme Parteifreunde aus Mandaten auskaufte („Affäre Candussi“); oder zuletzt im Frühsommer dieses Jahres, als profil über Haiders großzügiges Spesenkonto berichtete.

Im sich ab Mitte der achtziger Jahre polarisierenden innenpolitischen Klima wurde profil bisweilen auch Plattform kritischer, aber überparteilicher Aktionen. Legendär sind die (bezahlten) Sammelinserate von Intellektuellen und Künstlern – etwa 1983 gegen den Versuch, den damaligen FPÖ-Chef und früheren SS-Mann Friedrich Peter als Dritten Nationalratspräsidenten zu installieren. Am intensivsten wurde das „Kampfmittel“ des profil-Inserats ab 1986 im Konflikt um den Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim eingesetzt. Die Recherchen von profil-Redakteur Hubertus Czernin hatten maßgeblich dazu beigetragen, dass die verschwiegene Kriegsvergangenheit Waldheims bekannt geworden war.

Das Thema der Aufdecker-Arbeit von profil war nun das Zudecken, Vergessen und Verdrängen durch jenes Nachkriegssystem, dessen Verkrustung 1970 das Entstehen des Blattes gefördert hatte. Auch die Leserschaft rekrutierte sich zunehmend aus den Post-68ern, welche die Wahl Waldheims ebenso bestürzte wie im Februar 2000 die Bildung der schwarz-blauen Koalition.

Nicht alle großen Aufdecker-Geschichten der siebziger und achtziger Jahre standen zuerst in profil. Das Verdienst, Udo Proksch in der Lucona-Affäre überführt zu haben, gebührte dem „Wochenpresse“-Redakteur Gerald Freihofner. Der „Wochenpresse“, dem damals einzigen Konkurrenzmagazin, engagierte profil viele Redakteure ab, etwa Christoph Kotanko, Hubertus Czernin und Andreas Weber – allesamt später Chefredakteure verschiedener Blätter. Ab 1992 war auch „News“ ein ernsthafter Mitkonkurrent im Wettlauf um die wenigen großen Geschichten, welche die Politik dieses kleinen Landes zu bieten hatte.

Die wirklich ganz große Story stand nach der vielleicht spektakulärsten Recherche der Blattgeschichte 1995 in profil. Es ging immerhin um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen – erhoben gegen den Kardinal und Erzbischof von Wien. Wie zuvor beim AKH-Skandal sollten die Nachbeben der „Causa Groer“ noch lange zu spüren sein. Dem Autor der Geschichte, dem damaligen Chefredakteur Josef Votzi (er ist in dieser Funktion heute bei „News“ tätig), war klar, dass der kleinste Fehler die sofortige Absetzung der gesamten Blattführung zur Folge gehabt hätte. Dies wäre auch bei einem anderen Blatteigentümer so gewesen wie bei der Raiffeisen-Gruppe, die inzwischen anstelle der Wirtschaft in die profil-Eigentümergesellschaft „Kurier“ eingestiegen war.

Aber die Geschichte war absolut wasserdicht. Schon ein Jahr vor dem späteren Kronzeugen hatte sich ein hoher Angestellter der Erzdiözese in der profil-Chefredaktion gemeldet und zu Protokoll gegeben, was als Gerücht schon lange kursiert war: Hans Hermann Groer habe sich in seiner Zeit als Erzieher an einem Knabenseminar Schülern sexuell genähert. Er sei selbst ein Opfer, sagte der Informant, werde vor Gericht jedoch nicht aussagen, falls Groer klagen sollte. Der ein Jahr später bei profil vorsprechende Zeuge Josef Hartmann stand auch mit seinem Namen für die Anschuldigungen ein.

Die Kirchenführung versuchte bis zuletzt, mitunter mittels heftiger Angriffe auf profil, den unhaltbar gewordenen Kardinal zu decken. Der bedrohlich wachsende Unmut des Kirchenvolks, der sogar in ein „Kirchenvolks-Begehren“ mündete, ließ auch die Bischofskonferenz einlenken. Im Sommer 2004, als nach profil-Enthüllungen über merkwürdige Vorgänge im St. Pöltener Priesterseminar Bischof Kurt Krenn unter Druck kam, reagierte die Kirche deutlich rascher und offener.

So konsequent und effizient die profil-Redaktion ihre journalistische Arbeit erledigte, so selbstquälerisch und lähmend trug sie viele Jahre lang ihre inneren Konflikte aus, die sich allerdings nie an politischen, sondern immer an persönlichen Meinungsverschiedenheiten entzündeten. Schon 1971, ein Jahr nach Blattgründung, war es zum ersten Krach gekommen. Chefredakteur Jens Tschebull hatte die Führung an zwei Nachfolger, Peter Michael Lingens und Georg Nowotny, abgegeben, die einander Woche für Woche im Blattmachen abwechselten. Dem Zug der Zeit zur Basisdemokratie entsprechend, ließ man über die Gehälter der beiden neuen Chefs abstimmen, was sofort zu tiefen Zerwürfnissen führte: Dem einen wollte die Redaktion mehr Geld zuweisen als dem anderen, was diesen logischerweise schwer verletzte.

Wenig später trat eine entschlossene Gruppe von Redakteurinnen – Ursula Pasterk, Trautl Brandstaller, Elizabeth T. Spira – auf den Plan, die sich gegen ihrer Meinung nach zu exzessives Umschreiben ihrer Texte durch die Chefredaktion wehrte. Der „Hexenaufstand“, wie die „Revolte“ profil-intern genannt wurde, führte übrigens dazu, dass Artikel seither namentlich gezeichnet werden. Schmerzvoller waren ab Mitte der achtziger Jahre die Auseinandersetzungen zwischen zwei fast gleich großen Teilen der Redaktion, die schließlich im Abgang von Herausgeber Peter Michael Lingens gipfelten. Und ebenso traumatisch war der profil-Streik des Jahres 1991, in dem sich Teile der Redaktion gegen den damaligen Herausgeber Peter Rabl wandten, der nach dem Willen der Eigentümer auch eine ökonomische Geschäftsführer-Funktion übernehmen sollte.

An einem weiteren internen Konflikt war schon wieder die Politik beteiligt: Ein profil-Cover („Der nackte Kanzler“), auf dem Franz Vranitzkys Kopf auf einen nackten Torso montiert worden war, womit nach den Koalitionsverhandlungen ein „Kaiser ohne Kleider“ dargestellt werden sollte, führte 1996 zur Abberufung von profil-Herausgeber Hubertus Czernin. Vranitzky hatte sich bei den Eigentümern bitter über diese ihm ungehörig erscheinende Darstellung beschwert. Dem Konflikt waren allerdings gravierende Meinungsunterschiede zwischen Eigentümervertreter Christian Konrad und Herausgeber Hubertus Czernin in wirtschaftlichen Fragen vorausgegangen. Im Jubiläumsheft „30 Jahre profil“ nahm Franz Vranitzky noch einmal zur „Nackter Kanzler“-Affäre Stellung: „profil regt an, fordert heraus, provoziert. Den als solchen bezeichneten Machthabern wurden dabei immer ihre Grenzen aufgezeigt – dem profil die seinen auch.“

Und doch nahm sich das Blatt immer die Freiheit, das zu sagen, was es meinte sagen zu müssen: etwa im Februar 2000, als profil bei Amtsantritt der schwarz-blauen Regierung „Die Schande Europas“ titelte, was der Bundeskanzler profil-Herausgeber Christian Rainer bis heute nicht wirklich verziehen hat. Vor allem als Rainer ein Jahr später bei einer TV-Diskussion darauf beharrte, diese Formulierung sei zum damaligen Zeitpunkt präzise gewählt gewesen, rang Wolfgang Schüssel sichtlich nach Luft.

Auch künftige Kanzler und Minister, Oppositionsführer und selbst ernannte Volkstribunen werden wohl an manchen Montagen angesichts des neuen profil nicht wirklich froh sein.

Das ist seit 35 Jahren so und soll auch so bleiben.

Herbert Lackner ist seit 1988 profil-Redakteur, seit 1992 Chefredakteur.