Georgi Satarow:

Interview: „Putin will Schiedsrichter sein“

„Putin will Schiedsrichter sein“

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profil: Ist Wladimir Putin über seinen großen Wahlsieg glücklich, oder muss er Angst haben, über sein Ziel hinausgeschossen zu sein, weil er plötzlich gar keine Opposition mehr hat?
Satarow: Der Präsident ist sicher unzufrieden, dass nicht mehr das ganze politische Spektrum in der neuen Duma vertreten sein wird. Nicht, weil Putin die
liberalen Parteien so liebt. Doch er braucht sie, um selbst im Zentrum zu bleiben. Rechts von ihm ist jetzt kein ernst zu nehmender Politiker mehr. Putin würde lieber als oberster Schiedsrichter auftreten, der über allen steht, als selbst in die politische Arena zu steigen.
profil: Könnten Putins Kreationen, die „Heimat“-Parteichefs Dimitri Rogosin und Sergej Glasjew, zu ernsthaften Konkurrenten heranwachsen?
Satarow: Nicht sofort, und später wird er sie dann nicht mehr lassen. Für Putin zählt, dass es schwieriger wird, den ausgleichenden Landesvater zu spielen. Wenn die neuen Politstars nationalistische Parolen rufen, dann gibt es im Parlament niemanden mehr, der widerspricht. Das muss er ab jetzt selber machen. Man sollte jedenfalls die Bedeutung der Wahlergebnisse nicht übertreiben. „Heimat“ wurde von den frustrierten Rentnern gewählt, genauer: von Kommunisten und Militärveteranen. Das sind keine dynamischen Wähler. Es liegt an unserem idiotischen Wahlsystem, dass eher kleine Schwankungen so große Resultate erzielen.
profil: Muss der Präsident nicht trotzdem seine Politik den neuen Partnern anpassen?
Satarow: Um Inhalte geht es hier kaum. Bei diesen Wahlen hat einfach das politische Angebot der Nachfrage nicht entsprochen. Die Leute haben Wladimir Schirinowski gewählt, weil er eine markante Persönlichkeit ist. Seine Partei hat ja kein richtiges Programm. Und was war der Vorteil von „Heimat“? Die Partei ist neu. Genau deswegen wurden die Liberalen nicht gewählt: Sie sehen alt aus.
profil: Welche Regierung wird Putin nun bestimmen? Könnte der xenophobe Rogosin Außenminister werden?
Satarow: Putin ist an einem Gleichgewicht der politischen Kräfte interessiert. Er wird eine Regierung einsetzen, die als Gegengewicht zur neuen Duma wirkt. Er wird eher den gescheiterten Reformer Grigori Jawlinski in die Regierung holen als den populären Reformverhinderer Rogosin.
profil: Nach Parlamentswahlen sollten die Sieger eine Regierung bilden. Derzeit heißt es aber, Putin könnte bis nach den Präsidentenwahlen am 14. März mit der Benennung einer Regierung warten.
Satarow: Für Putin wäre das logisch. Der Kreml wird jetzt versuchen, einen liberalen Gegenkandidaten für die Präsidentschaftswahlen zu finden. Putin könnte Wladimir Ryschkow zur Kandidatur ermutigen, der als unabhängiger Kandidat 15 Prozent bekommen könnte. Ryschkow hat gerade bei den Duma-Wahlen in einem roten Gebiet 35 Prozent gewonnen, obwohl er klar gegen die Verhaftung des Öltycoons Michail Chodorkowski aufgetreten ist. Putin braucht einen ehrbaren Gegenkandidaten. Danach kann er den jetzigen Premierminister Michail Kasjanow absetzen und eine neue, ausgewogene Regierung bilden.
profil: Könnte um Ryschkow eine neue liberale Bewegung entstehen?
Satarow: Die liberalen Kräfte sind so geschockt, dass sie viel tun würden, um ihre Schlappe wettzumachen. Das nächste Mal werden die liberalen Wähler sicher zu den Urnen gehen. Auch wenn man seinen Repräsentanten in der Duma nicht besonders geschätzt hat, ist es blöd, wenn man ihn verliert.
profil: Neben Jawlinski gehört auch Anatoli Tschubais, der Ko-Chef der „Union der Rechtskräfte“, zu den Wahlverlierern. Hat diese Generation von Liberalen noch eine Chance auf politische Wiederkehr?
Satarow: Tschubais oder Jawlinski können nur noch der nächsten Generation zum Aufbruch verhelfen. Tschubais wird weiter einen Management-Posten in Kreml-Nähe bekleiden. Falls Putin ihn als Strommonopol-Chef feuert, wird er ihm einen anderen Job geben. Der Präsident braucht Reform-Denker als Gegengewicht zu den Bremsklötzen in der Duma. Deshalb wird er auch einem Teil des „Geeinten Russland“ in der Duma befehlen, sich abzuspalten und gemeinsam mit den Splittermandataren der Liberalen eine Fraktion zu gründen.