Der internationale islamische Terror soll sich im Jemen eingenistet haben

Islamischer Terrorismus im Jemen: Ist der neue Terrorstaat wirklich so gefährlich?

Ist der neue Terrorstaat wirklich so gefährlich?

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Der globale Dschihad ist ein kurz­lebiges Geschäft: Erinnert sich noch jemand an Abu Musab al-Zarqawi und seine „Al Kaida im Irak“? Der Jordanier hatte mit der brutalen Enthauptung von Geiseln vor laufender Kamera für Entsetzen gesorgt und war als legitimer Nachfolger von Osama Bin Laden gehandelt worden. 2006 starb Zarqawi bei einem US-Luftangriff, seine Organisation geriet umgehend in Vergessenheit.

Oder die „AQIM“, die „Al Kaida im islamischen Maghreb“? Die Gruppe drohte im Jahr 2007, vom nördlichen Afrika aus amerikanische und französische Ziele anzugreifen. Sie hatte dazu angeblich auch den Segen des Al-Kaida-Führers Ayman Al-Zawahiri bekommen. Ein internationales Netzwerk schien sich kontinenteübergreifend fortzuspinnen. Doch die Furcht erwies sich trotz einiger Anschläge und Entführungen als weitgehend unbegründet.

Jetzt heißt es wieder einmal, sich neue Namen, Organisationen und Akronyme zu merken und als größte Gefahr des internationalen islamischen Terrorismus abzuspeichern: in erster Linie das Kürzel „AQAP“ – „Al Kaida auf der arabischen Halbinsel“; außerdem die Republik Jemen, den südlichen Nachbarstaat von Saudi-Arabien; den dort beheimateten Fahd Mohammed Ahmed Al-Quso, der vergangenen November vom FBI auf die Liste der meistgesuchten Terroristen gesetzt wurde – gleich neben Osama Bin Laden und Ayman Al-Zawahiri. Weiters Anwar Al-Awlaki, einen jemenitischen radikalen Prediger; und natürlich den nigerianischen Unterhosenbomber Umar Farouk Abdulmuttalab, der zu Weihnachten erfolglos versuchte, einen Passagierjet im Landeanflug auf Detroit zu sprengen und der Al-Awlaki gekannt haben soll.

Der Möchtegern-Attentäter hatte im ­Jemen studiert und soll in E-Mail-Kontakt mit Al-Awlaki gestanden sein – genau wie jener Psychologe der US-Armee, der im November auf einem Stützpunkt in Texas 13 Menschen massakrierte. Zwischen Abdulmuttalab und Al-Awlaki habe es auch ein Treffen gegeben, berichtete vergangene Woche der jemenitische Vizepremier Rashad Al-Alimi.

Panik.
Seit dem fehlgeschlagenen Detroit-Anschlag herrscht wieder einmal weltweit Terrorpanik. Und in ihrem Mittelpunkt steht der Jemen. „Der Jemen ist jetzt Frontlinie und Zentrum im Kampf gegen Al Kaida“, meldet CNN. Die „neue Fluchtburg von Al Kaida“ hat die „New York Times“ dort ausgemacht und diagnostiziert, das Land be­ginne „Pakistan als Drehscheibe für Terrortraining und -operationen Konkurrenz zu machen“. Sogar der üblicherweise zurück­haltende britische „Guardian“ schreibt, der Jemen habe „Afghanistan als bevorzugte Anlaufstelle für internationale Gotteskrieger ­ersetzt, um zukünftige Terrorattacken zu planen, vorzubereiten und zu starten“. Und der demokratische US-Senator Joseph Lieberman redet bereits einem Präventivangriff auf das Land das Wort – andernfalls könnte Jemen „der Krieg von morgen“ sein.

Das Ausmaß der Angstbekundungen überrascht.
Sicher, ein über der Millionenstadt Detroit gesprengtes Passagierflugzeug hätte eine Katastrophe bedeutet, doch kühl betrachtet handelt es sich um einen Anschlagsversuch, der noch dazu nur dank der Schlamperei der Geheimdienste überhaupt passieren konnte. Vergleicht man die Zahl der Terroranschläge, die im Jemen verübt oder geplant werden, mit der Zahl der Attentate in Pakistan, wird rasch klar, dass der Staat am Golf von Aden weiterhin ein Nebenschauplatz des islamistischen Terrors bleibt.

USS Cole.
Neu ist die Gefahr, die vom Jemen ausgeht, jedenfalls nicht. Als Terroristen der Al Kaida am 12. Oktober 2000 den US-Zerstörer USS Cole im Hafen der südjemenitischen Stadt Aden sprengten und dabei 17 Besatzungsmitglieder töteten, warfen die US-Behörden einen eingehenderen Blick auf die arabische Republik. Mit Erfolg. Ali H. Soufan war als Agent des Federal Bureau of Investigations (FBI) von 2000 bis 2005 im Jemen, um die dortige Al-Kaida-Gruppe zu bekämpfen. Er habe dort „viele extrem fähige Beamte im Bereich der Strafverfolgung und der Geheimdienste“ kennen gelernt, schrieb Soufan in einem Kommentar für die „New York Times“, und dank der guten Zusammenarbeit habe das FBI-Team die Verantwortlichen des Anschlags auf die USS Cole „verhaften und vor ein jemenitisches Gericht stellen“ können, so Soufan weiter. Fahd Mohammed Ahmed Al-Quso etwa, der heute wieder zu den vom FBI meistgesuchten Terroristen zählt, kam damals hinter Gitter.

Der Fall der Al Kaida im Jemen schien gelöst.
Doch dann beging die jemenitische Führung mehrere Fehler, die nur aus der eigentümlichen Geschichte des Landes erklärbar sind: Im Jahr 2006 gelang 23 Al-Kaida-Mitgliedern die Flucht aus dem Gefängnis, wobei sich der Verdacht aufdrängte, man habe ihnen den Ausbruch nicht besonders schwer gemacht. Zum Teil stellten sich die Entflohenen wieder der Justiz, wurden aber schließlich freigelassen, weil sie versprachen, sich wohlzuverhalten. Der seltsame Umgang mit gefährlichen Islamisten hat seinen Ursprung in der Zeit, als jemenitische Kämpfer vom Krieg gegen die Sowjetunion aus Afghanistan heimkehrten und als Helden empfangen wurden. Man bot ihnen Stellen in der Armee und in der höheren Verwaltung an, und der Jemen schaffte es auf diese Weise, selbst von Angriffen verschont zu bleiben.

Die Afghanistan-Veteranen unterstützten im jemenitischen Bürgerkrieg den
Norden unter der Führung des heutigen Staatspräsidenten Ali Abdullah Saleh und profitierten im Gegenzug von einer – unausgesprochenen – Regelung: Die Regierung garantierte ihre Sicherheit innerhalb des Jemen, solange sich die Gewalt der Islamisten nicht gegen den eigenen Staat richtete.

Die USA waren nach dem „Ausbruch“ der Al-Kaida-Kämpfer empört, und FBI-Direktor Robert S. Mueller III. flog persönlich nach Sanaa, um zu protestieren – erfolglos. Inzwischen hat sich die Si­tuation allerdings drastisch geändert. US-Präsident Barack Obama machte zwar die eigenen Geheimdienste für den Beinahe-Anschlag verantwortlich, doch auch der Jemen muss spuren. Präsident Saleh wird 2010 mehr als doppelt so viel Geld für den Anti-Terror-Kampf bekommen – aber er muss diesen auch führen, was ihn bei der antiamerikanisch eingestellten Bevölkerung nicht beliebt macht. Andererseits kann er sich den Aufträgen aus Washington auch nicht verweigern, denn der Jemen ist „schwach“, wie Hakim Almasmari, Chefredakteur der „Yemen Post“, im Interview mit profil erläutert.

Al-Kaida-Kämpfer wie Fahd Mohammed Ahmed Al-Quso werden sich auf ungemütlichere Lebensbedingungen einstellen müssen. Al-Quso lebt seit seiner Freilassung 2007 unbehelligt im Jemen und gab noch im vergangenen Dezember dem arabisch-sprachigen TV-Sender Al Jazeera ein Interview. Darin sagte er, er sei „überrascht“, seinen Namen plötzlich auf der Liste der meistgesuchten Terroristen zu finden, denn seine Haftentlassung sei rechtmäßig erfolgt. Al-Quso stellt den Druck Washingtons auf den Jemen als Aggression gegen „arabische und moslemische Völker“ dar und behauptet, die USA wollten durch Attacken im Jemen lediglich von ihrer Niederlage in Afghanistan ablenken.

Heikel.
Die Aufgabenstellung der USA im Jemen gestaltet sich noch weitaus heikler als ein bloßer Anti-Terror-Einsatz. Vor allem die Rebellion der schiitischen Houthi im Norden ist eine geopolitisch diffizile Angelegenheit. Im vergangenen November bemächtigten sich die Aufständischen einiger Positionen, die auf saudi-arabischem Gebiet liegen, und taten dies nach Meinung von Experten mit iranischer Unterstützung. Antoine Basbous, Direktor des Pariser Observatoriums für arabische Länder, interpretiert den Konflikt deshalb als „Stellvertreterkrieg“ zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien, ausgetragen im Jemen. Dazu kommt das Problem der zehntausenden Flüchtlinge, die jährlich über den Seeweg von Afrika in den Jemen kommen.

Die internationale Öffentlichkeit hätte ohne den „Unterhosenbomber“ von all diesen Verwicklungen nie erfahren, und es kann gut sein, dass diese entlegene Weltgegend, in der Islamisten, Rebellen und Piraten ihr Unwesen treiben, bald wieder in den kleineren Spalten der Zeitungen Unterschlupf findet.

Präsident Saleh mag ein zuweilen unzuverlässiger Partner der Amerikaner sein – hinter vorgehaltener Hand munkeln US-Militärs gegenüber dem „Wall Street Journal“, er sei „nicht rational“ – doch er dürfte die Botschaft verstanden haben. Bereits vergangene Woche verhafteten jemenitische Truppen drei Al-Kaida-Mitglieder, und Saleh erneuerte sein Bekenntnis für den Kampf gegen die Terroristen. Das wird deren Bewegungsradius einschränken, und selbst wenn sie sich in den entlegenen Gegenden des Jemen einnisten, wo die staatlichen Ins­titutionen kaum existieren, ist ihre Schlagkraft auf internationaler Ebene dadurch wohl stark reduziert. Schließlich entsprang die Fusion der saudischen und jemenitischen Islamisten zur AQAP auch nur dem Umstand, dass Saudi-Arabien die Al Kaida aus dem Land drängte.

Entscheidend könnte sein, ob es gelingt, das Ansehen der jemenitischen Regierung beim Volk zu bewahren. Dazu benötigt das Land Geld, um die Armut zu bekämpfen. Die USA haben für die kommenden drei Jahre 85 Millionen Euro an Hilfsgeldern versprochen. Großbritannien will bis 2011 117 Millionen Euro zahlen. Für zusätzliche Finanzhilfe könnte eine Jemen-Hilfskonferenz sorgen, zu welcher der britische Premierminister Gordon Brown aufgerufen hat. Im Jemen selbst wird der Terrorismus längst nicht als das dringlichste Problem gesehen. Schlimmer sind der Wassermangel, die Arbeitslosigkeit und das hohe Bevölkerungswachstum bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Stagnation.

Die jemenitische Regierung selbst bemüht sich auf ihre Weise, die junge Generation vom Islamismus fernzuhalten. Dschihadisten und bewaffnete Mitglieder der Stämme werden mittels Gedichtrezitationen positiv beeinflusst, und die Regierung beauftragte auch schon einen einheimischen Regisseur, einen Spielfilm zum Thema Terror zu drehen, Titel: „Die verlorene Wette“. Darin werden zwei junge Jemeniten, die im Ausland radikalisiert wurden, von einem Al-Kaida-Führer angeworben, um einen Selbstmordanschlag zu verüben. Eine fraglos abschreckende Geschichte. Dummerweise gibt es im Jemen nicht besonders viele Kinos.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur