Kärnten-Pleite zieht weite Kreise

Kärnten-Pleite: Haiders Vorzeigeland steht vor dem Finanzkollaps

Haiders Vorzeigeland steht vor dem Finanzkollaps

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Begeisterter Applaus“ brandete laut BZÖ-Pressedienst auf, als Harald Dobernig, Finanzlandesrat von Kärnten, im vergangenen Juni im Landtag seine erste Budgetrede hielt. „Ein hervorragender Finanzpolitiker mit Weitblick!“, jubelte BZÖ-Klubobmann Kurt Scheuch. Dobernig habe „sämtliche Zweifler“ in die Schranken gewiesen.

Der „hervorragende Finanzpolitiker“ Dobernig ist 29. Er war ein paar Monate Praktikant bei der Hypo Alpe-Adria. Dann saß er drei Jahre lang in Jörg Haiders Vorzimmer. Inzwischen ist Harald Dobernig Finanzlandesrat. Vor zwei Wochen erzählte er in einem Interview mit der „Krone“, er habe auch erst am selben Tag wie alle anderen Zeitungsleser vom Debakel der Hypo erfahren. „Aber ich schließe aus, dass da etwas falsch gelaufen ist – genauso, wie ich nicht glaube, dass Kärnten von dem Minus direkt betroffen ist.“

Nun soll der „hervorragende Finanzpolitiker“ Harald Dobernig das Land vor einem Finanzdebakel bewahren, das in der österreichischen Rechtsordnung in diesem Ausmaß nicht einmal vorgesehen ist: Dass ein Bundesland pleitegeht, überstieg die Vorstellungskraft der Verfassungsväter. „In letzter Konsequenz wird wohl die Allgemeinheit die Rechnung bezahlen“, glaubt der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk realistischerweise.
Den stabileren Kräften bleiben da nur noch verzweifelte Appelle, man dürfe nicht das ganze Land für das Versagen der Politik haftbar machen. Otmar Petschnig, Präsident der Kärntner Industriellenvereinigung: „Die Betriebe sind nicht schuld an dieser Situation. Der Wirtschaftsstandort ist nicht schlecht. Aber die Verantwortlichen für die Landesfinanzen haben wirklich Handlungsbedarf.“

Noch nie war ein Bundesland in Friedenszeiten finanziell in einem so erschütternden Zustand wie Kärnten: Das Land und seine ausgegliederten Unternehmen haben Schulden von 2,2 Milliarden Euro – mehr als ein Jahresbudget des Landes.

Nach dem geheimen, vergangenen Dienstag von der „Kleinen Zeitung“ aufgedeckten Budgetplan Dobernigs werden die Schulden bis 2014 auf 3,7 Milliarden anwachsen. Auf jeden Kärntner entfallen dann 6600 Euro.

Zurückgezahlt wird bald nicht mehr: Wurden heuer wenigstens 45 Millionen getilgt, ist 2010 für die Schuldentilgung nur noch eine lächerliche Million vorgesehen. Für 2011 und 2012 sind keine Rückzahlungen mehr geplant. In den beiden folgenden Jahren werden Kredite von 220 Millionen fällig. Wie dieses Geld aufgebracht werden soll, weiß niemand.

Vergangene Woche war Finanzlandesrat Dobernig dem politischen Offenbarungseid schon nahe: Kärntens Anteil an den Hypo-Schulden liege bei 168 Millionen, „das wird doch jeder einsehen, dass das für ein kleines Land zu viel ist“, erregte er sich im „Mittagsjournal“. Zwei Wochen zuvor hatte der „hervorragende Finanzpolitiker“ noch gemeint, das Land werde „vom Minus der Hypo nicht betroffen“ sein.

Natürlich ist es ungerecht, dem jungen Mann aus dem Haider-Büro allein das Debakel in Österreichs tiefem Süden anzulasten. Die Misere hat viele Väter, und der Übervater trägt die größte Schuld: Das Experiment Jörg Haiders, mit dem Instrumentarium des Rechtspopulismus ein Land zu führen, ist krachend schiefgegangen; das BZÖ-Rekordergebnis von 45 Prozent bei den Landtagswahlen im vergangenen Frühjahr kann darüber nicht hinwegtäuschen.

Haider hatte Mitte der neunziger Jahre beschlossen, seiner Partei ein zweites Standbein zu geben. Der nationale Kurs sollte durch eine soziale Komponente ergänzt werden. Die FPÖ sei die eigentliche Sozialdemokratie, meinte Haider 1997 in einem profil-Interview. Das werde man schon bald erkennen.

Pyramidenspiele. Anders als die Sozialdemokraten oder andere sozialstaatlich orientierte Parteien wollte Haider seine Sozialpolitik nicht in Strukturen quetschen. Sozialversicherungen und Krankenkassen waren etwas für linke Apparatschiks. Landesfürst Haider griff auf das Almosensystem der Feudalherren zurück: Brot und Spiele, Sozialpolitik als Event.

1999 begann er damit, in einem Pilotprojekt in zwei Kärntner Gemeinden „Kinderschecks“ in Höhe von 5700 Schilling für das erste und 2800 Schilling für jedes weitere Kind zu verteilen. Vor den Landtagswahlen 2004 setzte sich der Landeshauptmann dann persönlich mit der Handkassa ins Amt, um Kleinpensionisten einen Teuerungsausgleich „bar aufs Handerl“ auszuzahlen. Noch im selben Jahr ließ Haider bei der Tankstelle des Straßenbauamts Diesel um 67 Cent pro Liter abgeben. „Pendlergeld“ (Kosten: drei Millionen Euro) „Energietausender“ (13 Millionen Euro), Teuerungsausgleich (drei Millionen) – die Ausgaben läpperten sich zusammen. Im Dezember 2005 holte Haider wieder die Handkassa aus der Lade und verteilte 150 Euro an bedürftige Mütter über 60 (Kosten: 1,7 Millionen Euro). Die Geldausgabe fand im Spiegelsaal der Landesregierung statt. Der ORF filmte mit.

Im Jahr darauf beschlossen BZÖ und ÖVP ein „Geburtengeld“: 800 Euro für jedes Erstgeborene, 900 für das zweite und 1000 Euro für jedes weitere Kind. Als Draufgabe wurde ein Schulstartgeld von 73 Euro eingeführt. Gesamtkosten der generösen Familienleistungen: elf Millionen Euro.
Während sich klassische Sozialpolitik tunlichst um Gegenfinanzierung in Form von Beiträgen bemüht, mag sich der Rechtspopulismus um die Bedeckung der Ausgaben logischerweise nicht kümmern. Macht er sich durch unpopuläre Steuern oder Abgaben unbeliebt, geht seine „Raison d’être“ flöten, sein Daseinsgrund. Populismus ist ein Pyramidenspiel. Irgendwann ist Schluss. Wie jetzt in Kärnten.

Pensionsparadies. Die Ausgaben des Landes stiegen kontinuierlich, während die Einnahmen stagnierten. Der Schuldenstand wuchs Jahr für Jahr um etwa 200 Millionen – rund zehn Prozent des Landesbudgets. Pures Gift für das Budget waren auch die großzügigen Pensionsregelungen für Landesbeamte. Diese gehen in Kärnten im Durchschnitt mit 61,5 Jahren in Pension und dürfen sich – sofern sie Akademiker sind – über einen „Ruhegenuss“ von 3800 Euro freuen. Der Rechnungshof ermittelte im vergangenen Sommer, ein Kärntner Landesbeamter beziehe dadurch bis zu seinem Ableben um 400.000 Euro mehr Pension als ein Bundesbeamter (siehe auch Artikel Seite 26). Erst im heurigen September konnte sich die Kärntner Politik unter dem Druck des explodierenden Budgetdefizits zu einer Anpassung des Landesdienstrechts an jenes des Bundes durchringen – budgetwirksam wird diese wegen der langen Übergangsregelungen aber erst in vielen Jahren.

Da solche Politik äußerst kapitalintensiv ist, begann Haider schon 1999, am Beginn seiner zweiten Amtszeit, Familiensilber auf den Markt zu werfen.
Die erste Maßnahme war der Verkauf von Wohnbauforderungen – also jener Ansprüche, die das Land Kärnten gegenüber geförderten Hausbesitzern hatte. 800 Millionen Euro wurden aus dem Deal lukriert und flossen zur Schuldentilgung ins Landesbudget.

Wenig später, 2001, verkaufte Kärnten 49 Prozent seiner Energieholding Kelag an die deutsche RWE, was wieder 305 Millionen Euro einbrachte. Auch diese wurden im Landesbudget als Einnahmen verbucht, um die Neuverschuldung zu senken. Ab 2005 wurde Haider richtig kreativ: So verkaufte er etwa die landeseigenen Spitäler an die ebenfalls landeseigene, aber ausgegliederte Krankenanstaltengesellschaft Kabeg. Diese musste dafür in Summe 340 Millionen Euro Kredit aufnehmen und das Geld in mehreren Tranchen an das Land überweisen. Dort purzelten die Millionen in ein tiefes Budgetloch. Für Rückzahlung und Zinsen der Kabeg-Kredite haftet das Land, das aber kurzzeitig durch „Einnahmen aus dem Verkauf von Liegenschaften“ sein Budget schönen konnte. Selbst Haider musste zugeben, dass es sich bei diesem Taschenspielertrick um eine „rein finanztechnische Transaktion“ und keine echte Budgetsanierung handelte.

Budget ohne Abschluss. Tatsächlich sind die „finanztechnischen Transaktionen“ sogar schon mittelfristig ein schlechtes Geschäft, wie der Landesrechnungshof in seinem jüngsten, profil vorliegenden Bericht festhält. So wurden 2005 Liegenschaften des Landes an die ebenfalls ausgegliederte Landesimmobiliengesellschaft LIG verkauft, die dafür, wie die Kabeg, Schulden machen musste. Haiders Regierung erlöste daraus zwar 113 Millionen Euro, aber, so der Rechnungshof: „Demgegenüber wurden bis einschließlich 2008 insgesamt rd. 75,05 Mio. an Mieten an die LIG geleistet, was rund 66 Prozent der Erlöse entspricht.“ Das Geld ist also bald wieder futsch.

Die Wahrheit über die Lage des Budgets konnte deshalb lange unter der Decke bleiben, weil sich Haider und seine Erben keinen Deut um die in der Verfassung festgelegten Spielregeln kümmerten. Vorgeschrieben ist, dass der Rechnungsabschluss eines Budgetjahrs vom Landesrechnungshof geprüft und dem Landtag zugewiesen werden muss, und zwar bevor das Budget des ­Folgejahrs erstellt wird. Tatsächlich wurden erst im Mai dieses Jahres die Rechnungsabschlüsse der Jahre 2006, 2007 und 2008 im Landtag debattiert, die entsprechenden Kontrollberichte des Rechnungshofs lagen vor zwei Wochen vor.

Herwig Seiser, Klubobmann der SPÖ im Landtag: „Das BZÖ hat Landesvermögen zum Stopfen von Budgetlöchern und zur Stimmenoptimierung in eigener Sache verscherbelt – und dann hat es auch noch die Kontrolle des Budgets durch Landtag und Landesrechnungshof verhindert.“

Intransparent.
Massive Kritik aus dem Rechnungshof gibt es auch an der Intransparenz des so genannten „Zukunftsfonds“, in dem Jörg Haider („Kärnten ist jetzt reich“) auch den Erlös aus dem Verkauf der Hypo-Anteile des Landes geparkt hat. Angeblich liegen 750 Millionen Euro im Fonds, die aber – wiederum nur angeblich – zum Großteil nicht angetastet werden dürfen, weil mit den Zinsen nachhaltige Zukunftsprojekte finanziert werden sollen. Angeblich, denn: „Die Landesregierung hat es bisher verabsäumt, die Berichte über das Geschäftsjahr 2005 und 2006 dem Kärntner Landtag vorzulegen“, so der Rechnungshof. Nach den bisher durchgesickerten Informationen flossen denn auch bereits gewaltige Summen – und das keineswegs nur in Zukunftsprojekte: 250 Millionen gingen an die ausgelagerte Spitalsgesellschaft Kabeg, die zuvor zwecks Schönung der Budgetzahlen zur Ader gelassen worden war. 62 Millionen verwendete man ganz unverblümt zum Stopfen von Budgetlöchern. 25 Millionen wurden der Landesregierung für ihre Öffentlichkeitsarbeit spendiert. 50 Millionen kostete die Umfahrung von Bad St. Leonhard – schön für die Bürger, aber wohl eher ein Fall für das „normale“ Budget. Sechs Millionen flossen in die Wörthersee-Bühne – eine Geldvernichtungsmaschine in bester Lage. Der Fußballklub Austria Kärnten – Schlusslicht in der Bundesliga – bekam eine Million. Unglaubliche 13 Millionen Euro gab der Zukunftsfonds für „Brauchtums- und Heimatpflege“ aus. Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka (ÖVP) soll denn auch den in Wien um Geld für die Hypo-Schulden nachfragenden Kärntner ÖVP-Chef Josef Martinz mit den Worten nach Hause geschickt haben: „Ein Land, das den Ankauf von Kärntner Anzügen subventioniert, wird doch Geld für seine Bank haben.“

Zu allem Überdruss greifen viele der durchaus gut gemeinten Maßnahmen einfach nicht. So sinkt die Geburtenrate in Kärnten trotz großzügiger Familienförderung und beeindruckend flächendeckender Kinderbetreuung stetig und liegt klar unter dem österreichischen Durchschnitt. 2050 wird Kärnten um 52.000 Einwohner weniger haben als heute, schätzt die Landesstatistik. Entsprechend werden auch die Ertragsanteile aus dem Finanzausgleich sinken: Kärnten bekommt dann weniger Geld aus den Steuereinnahmen – und die Politiker werden wieder einmal alle Schuld auf „die draußen in Wien“ schieben.

Nettoempfänger.
Was schon bisher Unsinn war: Kärnten ist noch vor Niederösterreich der größte Nutznießer des Finanzausgleichs, „Nettozahler“ sind vor allem die Wiener und mit einigem Abstand Salzburger und Tiroler. Und sollte, wie vergangenen Freitag angeklungen, der Kärntner 12-Prozent-Anteil der schwerstkranken Hypo samt Schulden dem Bund umgehängt werden, kostet das die Steuerzahler bis zu einer halben Milliarde Euro.
Den Landeshauptmann ficht das offenbar wenig an. Am kommenden Samstag wird er sich gemeinsam mit Finanzlandesrat Dobernig im Verwaltungszentrum Mießtalerstraße in Klagenfurt hinter einer Handkassa aufpflanzen und den „Jugendtausender“ auszahlen. Diesen können sich alle 18- bis 19-jährigen Kärntner zur Finanzierung des Führerscheins oder anderer jugendspezifischer Ausgaben abholen. Kostenpunkt: elf Millionen Euro. Die Hälfte bezahlt – erraten! – der Zukunftsfonds.

Herbert Lackner

war von 1998 bis zum Februar 2015 Chefredakteur von profil. Heute schreibt der Autor mehrer Bücher als freier Autor für verschiedene Medien, darunter profil.