Michael Mann ist kein Kino-Blender

Kein Blender: Michael Mann als Ausnahmegestalt im gegenwärtigen Kino

Ausnahmegestalt im gegenwärtigen Hollywood

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In den künstlerischen Tiefebenen Hollywoods muss der Regisseur, Produzent und Autor Michael Mann, geboren 1943 in Chicago, als Ausnahmegestalt gelten. Seine Filme beteiligen sich an den jeweils aktuellen industriellen Spielen seit Jahrzehnten demons­trativ nicht: Mann inszeniert keine romantic comedies und keine buddy movies, keine Special-Effects-Spektakel und keine Bestseller-Kinoserien, keine Starvehikel, sondern Ensemblefilme. Seine Arbeit richtet sich keineswegs an jene frühen Teenager, an die sich im gegenwärtigen Kinoangebot nahezu alles zu richten scheint; sie ist vielmehr, gegen alle ökonomischen Einwände, für ein Publikum gemacht, das sich vom Kino leider weitgehend zurückgezogen hat: eine kritische, erwachsene Zuschauerschaft. Der Preis, den Mann – auch als sein eigener Produzent – dafür zu zahlen hat, ist hoch: Seine nicht billigen Filme werfen in der Regel kaum Profit ab, sind bestenfalls Achtungserfolge. Auch „Public Enemies“, Manns jüngstes Werk, wird an Nordamerikas Kinokassen gerade einmal seine auf 100 Millionen Dollar geschätzten Produktionskosten zurückspielen können.

Was seine eigenen Inszenierungen betrifft, ist Michael Mann daher leider ein nur sporadischer Lieferant: Als Regisseur kommt er, dessen Karriere bereits an die 40 Jahre währt, auf bislang bloß zehn Kinoarbeiten. Und doch nimmt dabei, fast unbemerkt, eine singuläre Werkliste Gestalt an: Manns sehr persönlich gefärbtes Genre-Filmuniversum ist von professionals bevölkert, von Dieben, Boxern, Cops und Gangstern, die sich und einander dringende Fragen zu Moral und Existenz stellen. Mann ist kein prahlerischer Filmemacher, kein Blender; man kann seine präzise gestalteten Kompositionen, die modernistisch kühlen Texturen seiner Bilder leicht mit Routine verwechseln, dabei sind sie alles andere als das. Es ist kein Zufall, dass so viele seiner Filme – von „Thief“ (1981) über „The Insider“ (1999) bis zu „Public Enemies“ (2009) – vom Widerstand gegen die bestehenden sozialen und ökonomischen Ordnungen handeln.

Die oft inflationäre Rede vom Hollywood-Auteur ist bei Michael Mann somit ausnahmsweise am Platz: Er hat, im Gegensatz zum Gros seiner Regiekollegen, die meisten Drehbücher, die er anschließend verfilmte, tatsächlich (mit-)verfasst. Beim Fernsehen hat er das Filmeschreiben gelernt: Als Autor bereicherte er Crime-Serien wie „Starsky & Hutch“, und auch seine erste abendfüllende Arbeit, das Gefängnisdrama „The Jericho Mile“, drehte er für ein TV-Network. Der wirtschaftliche Durchbruch aber gelang Mann erst lange nach seinem Kinodebüt, dem High-Tech-Thriller „Thief“, und einem seltsamen Faschismus-Fantasy-Drama namens „The Keep“ (1983) – wieder beim Fernsehen: Als Produzent der (wegen ihrer modischen Verirrungen heute berüchtigten) Bonvivant-Krimiserie „Miami Vice“ sorgte er ab 1984 für Rekordquoten und brachte den abgewirtschafteten Akteur Don Johnson zurück auf die Karrierebahn.

Demonteur. Aber das Kino ließ ihn nicht los: Mit der Thomas-Harris-Adaption „Man­hunter“ inszenierte Mann 1986 einen Vorläufer des fünf Jahre später populären Horrorthrillers „Das Schweigen der Lämmer“ – eine erste stilisierte Fabel um den sadistisch-hochkultivierten Killer Hannibal Lecter, bei Mann gespielt von Brian Cox. Der Film geriet zum Flop, seiner Qualität zum Trotz. So blieb Mann weiter auf das Fernsehen angewiesen. Er produzierte und schrieb zwischen 1986 und 1988 die Serie „Crime Story“, inszenierte danach eine Reihe von TV-Krimis. Erst 1992 gelang ihm die Rückkehr ins Kino: In „Der letzte Mohikaner“, konzipiert um „Hawkeye“ Daniel Day-Lewis, fand Mann erstmals zu der für ihn so charakteristischen Mischung aus historischer Präzision und romantischer Stilisierung.

Auf den ersten, flüchtigen Blick könnte man Michael Manns Filme für altmodisch halten: Er bezieht sich vor allem auf Hollywoods klassische Periode, er inszeniert Charakterdramen und moralische Erzählungen, benutzt zudem häufig epische Formate. Aber schon ein zweiter Blick auf seine Arbeit enthüllt den sehr modernen Zugriff Manns: Seit geraumer Zeit dreht er seine Filme schon mit hochauflösenden Digitalkameras, bereicherte damit seine Gangsterfilme „Collateral“ (2004) und „Miami Vice“ (2006) um ultrascharfe Nachtaufnahmen und äußerst befremdliche Bildoberflächen. Noch gewagter wirkt der Einsatz von High-Definition-Videobildern nun bei „Public Enemies“, einem period piece, das durch seine digitale Bildqualität seltsam unwirklich, fast grafisch anmutet.

Unverändert immerhin ist Manns alte Liebe zu den Verbrechern. Mit Johnny Depp als John Dillinger verzeichnet er nun einen interessanten Neuzugang in seiner Galerie verletzlicher Krimineller: Man muss Mann als Regisseur strauchelnder Männer sehen, als einen Demonteur tradierter Machismo-Mythen. Fast zärtlich gesteht er seinen Helden das Recht auf Scheitern zu – das nicht kampflos kommen darf, natürlich. Und sosehr Manns Filme immer auch von Krieg und Kapitalismus, also der Welt, in der wir leben, handeln, so sehr sind sie doch im Kino selbst zu Hause. Wie sehr sich Mann im movieland geborgen fühlt, zeigt „Public Enemies“ mit seinen unzähligen Verweisen auf die Jean Harlows und Jimmy Cagneys jener Tage jedenfalls deutlicher noch als alle Filme dieses Regisseurs davor. Die Kommunikation zwischen dem Kino und der kriminellen Wirklichkeit muss in den frühen Dreißigern tatsächlich intensiv gewesen sein: Der junge US-Tonfilm entdeckte, mit Filmen wie „The Public Enemy“ (1931) und „Scarface“ (1932), einen kühnen neuen Realismus – und mit Darstellern wie George Raft den Glamour der Amoral, an dem sich wiederum die echten Gangster in den Großstädten des Mittleren Westens selbst gern bedienten, um ihre eigene Mythologisierung voranzutreiben.

Die Gangster-Tragödie „Manhattan Melodrama“ mit Clark Gable, William Powell und Myrna Loy ist am 22. Juli 1934 im Chicagoer Biograph Theater jedenfalls der letzte Film, den Dillinger, ein Liebhaber des crime thriller, in seinem Leben sieht. Im Kino wartet der elektrische Stuhl auf Gable, vor dem Kino schon das polizeiliche Todeskommando auf Dillinger. Fiktion und Wirklichkeit sind austauschbar geworden. Das Finale ist blutig, so oder so.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.