Kein Geld für die Arbeit eines Handwerkers: Der verzweifelte Protest eines Tischlers
Die ersten Busse zwängen sich durch die engen Grinzinger Gassen. Vereinzelt flanieren Spaziergänger über das Kopfsteinpflaster. Sie spähen in die begrünten Innenhöfe der Gastwirtschaften, die um diese Zeit noch halb leer sind. In ein paar Stunden wird man hier nur mehr schwer einen Platz finden.
Freitagnachmittag vor zwei Wochen: In dem winzigen Beserlpark, der die Wiener Cobenzlgasse mit der Himmelstraße verbindet, schlägt Salih Ajkunic, 53, sein Nachtlager unter Kastanienbäumen auf: Es ist ein kleines Zelt. Davor steht eine Holztafel, auf die er mit Filzstift geschrieben hat: Tischler steht vor Ruin! Ich habe eineinhalb Jahre gute Arbeit geleistet - wo ist mein Geld?
Lieber hätte sich der gebürtige Bosnier vierzig Meter weiter postiert: direkt vor das graublau lackierte Eingangstor eines denkmalgeschützten Winzerhofs. Dann hätte er Passanten erzählen können, dass er das originalgetreue Tor und die Fenster getischlert hat und dafür 67.583,74 Euro offen sind - und jeder hätte sich gleich an Ort und Stelle davon überzeugen können, wie schön er gearbeitet hat.
Mordswut. Geschichten wie die des Tischlers aus dem Burgenland gibt es viele. Jedes Jahr gehen Handwerksbetriebe schuldlos zugrunde, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Gefinkelten Bauherren fallen immer neue, unfaire Mittel und Wege ein, um Betriebe, die ehrliche Absichten haben, in den Ruin zu treiben, klagt Josef Muchitsch, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Bau Holz. Fast immer werden Arbeitsplätze dabei vernichtet.
Salih Ajkunic hatte eine Mordswut, als er begriff, dass er umsonst gearbeitet hatte. Am liebsten hätte er sich an das graublaue Tor gekettet, hinter dem jener Mann wohnt, der immer nur das Beste wollte und ständig Druck gemacht hat, schneller zu arbeiten. Auf dem Papier war nicht der Bauherr, für den Staffan Jönsson auftrat, Ajkunics Auftraggeber, sondern die kleine Wiener Baufirma Abovo GmbH, die als Generalunternehmer betraut wurde. Doch die ist inzwischen in Konkurs. Der Parkettverleger, der Installateur, der Elektriker, der Zimmermann, der Maler blieben auf offenen Rechnungen sitzen (siehe Kasten).
Als Ajkunic das seiner Frau eröffnete, brach sie zusammen. Ein Teil des Geldes war für ihr Enkelkind vorgesehen, das in einer Spezialklinik in Basel am Rücken operiert werden muss. Mit dem Rest wollte der Tischler seine Werkstatt ausbauen und zwei Arbeiter einstellen. Er hatte sich für den Grinzinger Bauherrn aufgerieben, war bei strömendem Regen auf der Leiter gestanden, hatte sich auf der Baustelle den Fuß gebrochen, und mehr als einmal war seine Frau, die in Hirm in einer Kuvertfabrik arbeitet, mit ihm bis spät in der Nacht in der Werkstatt gestanden, damit er rechtzeitig mit seiner Arbeit fertig wurde.
Die Leute sollen erfahren, was von so einem Herrn zu halten sei, sagt Salih Ajkunic und deutet wütend Richtung graublaues Tor. Rechtlich kann er dem Millionär nicht an. Er hätte auch gar kein Geld für einen Rechtsanwalt. Seinen Untergang ruhig hinnehmen will er aber auch nicht. Anfang Juni schrieb er an den Wiener Bürgermeister: Ich kann diese Ungerechtigkeit nicht verstehen. Ajkunic bat, in der pittoresken Heurigengasse ein Zelt aufstellen zu dürfen, um auf diese ungeheuren Machenschaften aufmerksam zu machen. Das Magistrat berief eine Verhandlung ein, lud ein halbes Dutzend Stellen, darunter das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, und genehmigte den ungewöhnlichen Protest.
Am Freitag vor zwei Wochen saß der schlaksige Herr mit den graumelierten Haaren auf der Bank des Beserlparks und breitete Fotos von seinen Arbeiten aus. Restaurants, Rezeptionen, Büros hat Ajkunic eingerichtet, und er habe noch Ideen für hundert Jahre.
Sein handwerkliches Talent war früh aufgefallen. In der Schule im bosnischen Jajce wurden seine Bastelarbeiten in Vitrinen ausgestellt, später lernte er Tischler und arbeitete sich im jugoslawischen Holzimperium Sipad zum Chefdesigner hoch. Die von ihm entworfenen Messestände gewannen Preise. Das Tito-Regime erkor ihn dazu aus, Geburtstagsgeschenke für den Präsidenten zu entwerfen. Ich bin ein großes Talent, sagt Salih Ajkunic, um sich sofort auszubessern: Ein kaputtes Talent.
Als am Balkan der Krieg ausbrach, floh er wie viele seiner Landsleute nach Österreich. Seine Söhne, heute 24 und 30, lernten schnell Deutsch. Er hingegen tat sich schwer. Doch weil er Pläne lesen konnte, fand er Arbeit in einer Tischlerei. Vor sechs Jahren eröffnete er in der burgenländischen Gemeinde Hirm einen kleinen Betrieb. Dass er ein Meister seines Fachs ist, sprach sich auch hier bald herum. So kam er über ein paar Ecken zu jener Baustelle in Grinzing, die ihn an den Rand des Abgrunds brachte - und einige andere auch.
Rechtsweg. Der Elektriker Amer Curic sagt, er habe ein ungutes Gefühl gehabt, als Jönsson erstmals Leistungen reklamierte, die der Auftraggeber - die Spider Hotelmanagement GmbH - nicht ausgeschrieben hatte. Er hätte darauf vertrauen sollen. Denn am Ende blieb Curic auf 72.000 Euro sitzen und musste Schulden machen, um zu überleben. Jetzt versucht er, den ausständigen Betrag einzuklagen. Für einen Betrieb mit sechs Mitarbeitern ein riskantes Unterfangen: 3500 Euro kostet allein die Klage, dazu kommen 4000 Euro für die erste Verhandlung. Die HLSG Installationen GmbH will ebenfalls auf rechtlichem Weg noch zu ihrem Geld zu kommen. Der Installateur fiel um rund 140.000 Euro um. Wir konnten das mit anderen Baustellen abfedern, sonst wären wir insolvent geworden, sagt Firmenchef Harald Hafenscher.
profil erreichte Jönsson in seinem Urlaub in Kroatien. Die Handwerker müssten sich bei Abovo schadlos halten, sagt er: Mit dem Tischler habe ich gar keinen Vertrag, sondern nur mit dem Generalunternehmer. Dieser habe das ganze Geld genommen und seine Professionisten nicht bezahlt. Dass die Abovo GmbH zahlungsunfähig wurde, hätten sich die Firmenchefs selbst zuzuschreiben. Jönsson weist jede Schuld von sich, aus seiner Sicht ist vielmehr er das Opfer: Der Bau sollte im September des vorigen Jahres fertig sein. Ich stehe jetzt mit fünf Appartements da, die ich nicht brauchen kann.
Jönssons Rechtsanwalt Wolfram Themmer stößt ins gleiche Horn: Wir haben bereits ein Beweissicherungsverfahren eingeleitet. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger hat ein Gutachten über die Mängel erstellt, das zwei CD-ROMs füllt. Abovo hat schon viel zu viel gekriegt. Jönsson stellte für den Bauherrn inzwischen Gegenforderungen von über 600.000 Euro.
Verzweifeltes Mail. Abovo-Chef Midhat Delibasic schwört, er würde eine Wohnung verkaufen, wenn er eine hätte, um Jönsson die Maske herunterzureißen. So manchem Handwerker geht es ähnlich. 63.000 Euro büßte die PAG-Handels & Bau GmbH ein. Um zu beweisen, dass die Gegenforderungen überhöht sind, müsste der Maler und Trockenbauer, der drei Mitarbeiter beschäftigt, ein Gutachten über sämtliche Mängel machen lassen. Das kostet mehr, als offen ist, seufzt Firmenchef Reinhard Poiss. Fazit: Wir wissen, dass wir völlig unschuldig zum Handkuss gekommen sind, aber wir können uns nicht dagegen wehren.
In der Gartenvilla, die Jönsson im Sommer 2008 bezog, liegt ein prachtvoller Nussparkettboden. Geliefert hat ihn die Wiener Firma Renofit. Ihr fehlen bis heute 72.000 Euro. Firmenchef Klaus Vielnascher sagt, Jönsson habe ihm beschieden, wundervoll gearbeitet zu haben, doch könne der Bauherr die Schlussrechnung nicht freigeben. Insgesamt rund 250.000 Euro sind noch ausständig.
Vielnascher hat ähnliche Fälle in der Baubranche mehrfach aus der Ferne beobachtet: Erst geht es jahrelang mit Gutachten und Gegenforderungen hin und her. Kommt es dann endlich zu einem Prozess, gibt es kaum eine Chance, etwas zu widerlegen. Mit dieser nackten Wahrheit fand sich Vielnascher schwer ab.
Im März dieses Jahres schrieb er Jönsson ein verzweifeltes E-Mail: Ich habe genauso Familie wie Sie, 3 Kinder im Alter von 9, 5 und 1 ½ Jahren. [ ] Sie privat leben auf einem wunderschönen Parkett, auch Ihre Mieter und Käufer werden unser Gewerk noch schätzen - wollen Sie dafür wirklich nichts bezahlen?? Vielnascher bat ihn, seinem Herzen einen Stoß zu geben. Jönsson habe darauf nicht einmal geantwortet.
Offenbar schmälern die Mängel den Wert der Liegenschaft in Grinzing nicht wesentlich. Sie stand vergangene Woche im Internet als Life Style Objekt in sensationell zentraler Lage mit Grünruhewiese, Pool etc. um neun Millionen Euro zum Verkauf. Der Tischler im Beserlpark schäumt: Der Millionär wollte einen Traum für wenig Geld. Salih Ajkunic hat seine Protestaktion am Samstag um zehn Uhr abgebrochen, zwei Stunden früher als geplant. In der Nacht hat der Sturm sein Zelt ramponiert. Was soll man machen? Es geht nicht nur um mich, sondern auch um all die anderen guten Leute, die kaputt gemacht werden."
Foto: Monika Saulich