Eine Frage der Transparenz
Nicht weniger als vier Welt- und zwei Österreich-Premieren werden zwischen Mittwoch und Samstag dieser Woche im Österreichischen Filmmuseum zu sehen sein: Der Institution ist damit kein geringer Coup gelungen, denn der Künstler, der diese Arbeiten gestaltet hat, ist international so bekannt, dass sich Festivals weltweit um die Uraufführung seiner Produktionen bemühen. Der US-Filmemacher James Benning, geboren 1942 in Milwaukee, setzt in seinen streng konzeptuellen Werken auf Verlangsamung und genaues Sehen, er fordert Geduld und gewährt im Gegenzug eine filmische Transparenz, die man im Zeitalter des Überwältigungskinos längst nicht mehr gewöhnt ist.
Die jüngsten Arbeiten Bennings, der seit 2009 nicht mehr mit 16mm-Film, sondern auch aus Gründen des künstlerischen Pragmatismus mit digitalen Bildern operiert, sind nicht ohne Überraschungswert: Mit der 43minütigen YouTube Trilogy beispielsweise versucht der Regisseur erstmals mit betont schlechten Bildern zu hantieren. Aus gefundenen Internet-Miniaturfilmen fügt er eine (für Bennings Verhältnisse in erstaunlicher Geschwindigkeit ablaufende) Assoziationskette zusammen, in die neben vielen anderen singende Dilettanten, prügelnde Teenager, ratlose Katzenbabys, eine Schlamm-Performancekünstlerin und ein Handfeuerwaffenliebhaber eingepasst werden. Die öffentlichen Bilder stehen in markantem Kontrast zu Bennings eigener visueller Raffinesse, und während man in den Amateurvideos zwar Grundlinien wie Alltagsgewalt, Harmoniesucht und Web-Distinktionszwang ausmachen kann, bleiben die Sequenzen ohne größeren Zusammenhang: ein notwendig scheiternder Belastungstest der digitalen Weltwahrnehmung und ihrer ästhetischen Abgründe.
Auch Faces, Bennings Variation über John Cassavetes gleichnamigen Klassiker von 1968, ist eine Found-Footage-Arbeit, in der das Original Szene für Szene rekonstruiert wird, allerdings auf denkbar spröde Weise: Inspiriert von Sharon Lockharts Zeitstudien (Lunch Break) und Douglas Gordons Kino-Dehnungsübungen (24 Hour Psycho), listet Benning nichts als eine Serie von Großaufnahmen einzelner Gesichtern in etwa 100facher Zeitlupe auf. Jeder Augenaufschlag dauert Minuten, jede minimale Bewegung sorgt für kurzfristige Unschärfen. Bennings Faces hat eine Laufzeit von 130 Minuten, ist somit exaktgleich lang wie seine Vorlage, weil er die Schauspieler jeder Szene bei Cassavetes genau so lange im Bild hält, wie sie auch dort auftreten. Gena Rowlands, John Marley und all die anderen Faces-Performer tauchen hier vor kahlen Hintergründen, bis an den Rand des Standbilds verlangsamt, wie Phantome auf, die anderen Zeitgesetzen zu gehorchen scheinen: Bennings installativer Minimalismus entzieht dem Cassavetes-Drama systematisch die Dynamik, betont dabei, ähnlich wie Chris Markers La jetée, den Einzelbildcharakter des Kinos.
Vertrauter wirkt der Film small roads, mit dem James Benning zu seinem Personalstil zurückkehrt: 47 kaum befahrene, durchs amerikanische Hinterland schneidende Nebenstraßen werden da in komplex konstruierten, durchschnittlich gute zwei Minuten gehaltenen Einstellungen aneinander gereiht anmutiges outdoor cinema, in dem sich der Blick verlieren und auf einzelne Details wieder konzentrieren kann, wenn etwa ein Fußgänger am Rande des Bildes auftaucht, die Wolken am Himmel unaufhörlich ihre Konstellationen ändern oder das hohe Gras im Vordergrund vom Wind leicht bewegt wird.
James Benning wird seine Filme übrigens persönlich begleiten und kommentieren, eine Lecture zu seinem ebenfalls erstmals gezeigten Halbstünder Two Cabins abhalten und eine neue DVD präsentieren, die zwei Benning-Klassiker endlich auch für den Hausgebrauch verfügbar macht : American Dreams (lost and found) von 1984 sowie Landscape Suicide (1986).
James Benning: New Work, 16.-19.11. im Österreichischen Filmmuseum, www.filmmuseum.at