Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Missa latina

Missa latina

Drucken

Schriftgröße

Das Restaurant „Le Ciel“ im siebenten Stock des Grand Hotels an der Wiener Ringstraße ist die letzte Kathedrale, in der das Diner noch lateinisch zelebriert wird. Da läuft nix mit Jazz-Messe, da herrscht noch die alte Liturgie in einem Ambiente, das mich an die Möbelhäuser entlang der Hauptstraße zwischen Udine und Tricesimo erinnert, die sich dem zeitgemäßen Design verweigern. Die Möbel. Die Säulen. Die Gobelins … Da läuft auch nix mit so Zeug wie Handy im Restaurant, worum auf der Speisekarte explizit gebeten wird; offiziell zumindest, denn die deutsch-
österreichische Unternehmerrunde am nächsten Tisch, die einander einen Abend lang die dicken Fische an den Kopf wirft, die neulich an Land gezogen wurden, tippt und quatscht munter drauflos. Und wer würde ihnen das auch untersagen, da sie doch zwischendurch auch damit beschäftigt sind, eine standesgemäße Rechnung zusammen zu bestellen.

Was die dort drüben reden, verstehe ich nicht; die Tische sind im Himmel weit genug voneinander entfernt, um Weltverschwörungen (oder geheime Budgetlöcher) in Zimmerlautstärke zu besprechen. Kein sehr NSA-freundliches Speisehaus, zumal auch der stoische Herr am strahlend Udo-Jürgens-weißen Bösendorfer-Flügel mit Broadway-Hadern, ABBA-Balladen und natürlich dem Donauwalzer akustischen Begleitschutz bietet.

Warum also hierher, warum diese gastronomische Zeitreise? Rumor geht, dass die langjährige Küchenchefin Jacqueline Pfeiffer derzeit in Hochform sei. Und unterstützt wurde die Rede darüber zuletzt durch einen rasanten Aufstieg von 86 auf 91 Punkte im Guide A La Carte 2014. Das sieht man sich doch immer gerne an.

Es ist 19.30 Uhr, der Deckel der Flügeltastatur ist noch zu, die meisten Gäste sitzen noch in der Oper. Den Rest des Restaurant-Soundtracks schluckt der Teppich. Nur manchmal ist ein leichtes Winseln zu hören, wie von einem Hund, der nicht in die Küche darf und so gerne würde. Es ist aber, sagt der Sommelier, die automatische Tür zur Küche, die ein paar Tropfen „Extra Vergine“ gut vertrüge.

Die Messe beginnt mit roh marinierten Scampi, Sepianudeln, Fenchel und Avocado. Die Krustentiere, das ist leider meistens so im Binnenland, haben die Grußbotschaft von der herrlichen Meeresfrische leider unterwegs schon vergessen. Sie sind noch in Ordnung, zweifellos, aber die Vorspeise, die mit den schwarzen Teigwaren und den kugelförmig ausgestochenen Avocadostücken ziemlich gut aussieht, schmeckt nur wenig aufregend, indifferent irgendwie.

Der Schweinebauchwürfel mit hauchdünnem Apfel-Maroni-Brioche und einem fein säuerlichen Maroni-Rotkraut-Salat, kommt, lauwarm geplant, definitiv zu kalt auf den Tisch. Wenn dieses Bauchfett einmal stockt, ist die Cremigkeit des angesagten Nose-to-tail-Stückes leider perdu.
Ein erstes Mal dann Stimmigkeit auf dem Teller: ein in Kräuter-Gemüse-Panier gebackener Saibling, herzhaft, würzig, knusprig. Daneben spielen sich drei weiße Böhnchen und fünf Fisölchen als „Salat“ auf, aber die Nummer mit den Fischen und Broten funktioniert in dieser Kirche nicht.
Als Hauptgang wird Wildhasenrücken aufgetragen, ganz sauber rosa gegart, typisch metallisch-wildelnd und mit dem geschmorten Chicoree sicher guter Lockstoff für belgische Touristen. Die kleine Buchweizen-Crêpe dazu ertrinkt aber in der Wildhasensauce zu totaler Matschigkeit.
Die große Oper gibt’s aber doch noch – in Gestalt eines Rotwein-Feigen-Gratins mit einer glänzenden Nocke Ziegenkäseeis, so cremig, so würzig, so perfekt in Kombination mit den deftigen Feigen. Das ultimative Winter-Dessert.

Im Übrigen ist auch die Komposition der Weinbegleitung für ein Hotelrestaurant erfrischend alternativ, darunter istrische Orange-Weine und moderne Wachauer. Aufsteiger sehen aber, finde ich, trotzdem anders aus.

Le Ciel im Grand Hotel, Kärntner Ring 9, 1010 Wien
Tel.: 01/515 80-9100
www.leciel.at
So geschlossen
Hauptgerichte: 29 bis 48 Euro;
Menüs 48 bis 68 Euro

[email protected]