Koalition. Die FPÖ hat sich gespalten. Schüssel versus Haider - jetzt aber wirklich!
Seit die Führungscrew der FPÖ Montag vergangener Woche en bloc zu einem Bündnis Zukunft Österreich mit dem etwas ulkigen Parteikürzel BZÖ übergetreten ist, herrscht im dritten Lager das blanke Chaos: Da wird Jörg Haider vom unvermittelt zum interimistischen Parteichef aufgestiegenen Hilmar Kabas aus der FPÖ ausgeschlossen; da spalten sich ohnehin brustschwache Landesgruppen in zwei noch kleinere Teile; da werden eilig Schlösser in Parteisekretariaten ausgetauscht.
Die Kärnter Freiheitlichen sagten sich Freitagabend von der Bundes-FPÖ los,
um sich fortan Die Freiheitlichen in Kärnten zu nennen und der Dachorganisation BZÖ beizutreten. Hilmar Kabas setzte derweil in Kärnten einen neuen Landesparteichef ein. Und Heinz Christian Strache dachte in Wien seinerseits plötzlich über eine Neugründung der FPÖ nach.
Nichts ist mehr geblieben von der 27-Prozent-Partei, die Jörg Haider im Februar 2000 in die Regierung geführt hat, nichts ist geworden aus der Reputierlichkeit, die sich die Partei und deren Funktionäre von der Teilhabe an der Macht erhofft haben: Diese Partei ist am Ende. Und ob die Regierung die derartige Selbstentleibung des kleinen Koalitionspartners übersteht, ist fraglich.
Dem Chaos waren dramatische Tage vorangegangen. Freitag vergangener Woche, kurz nach Mittag, erschien der Klubobmann der FPÖ im Wiener Landtag, Hilmar Kabas, im Büro von Sozialministerin Ursula Haubner. Die zurückgetretene FPÖ-Chefin und der interimistische Parteiobmann besprachen die Modalitäten der Machtübergabe. Es war, so wird berichtet, ein durchaus sachliches Gespräch. Schon am Montag hatte Kabas bei Haubner angerufen und ihr mitgeteilt, in den kommenden Tagen Dinge tun zu müssen, die ihm eigentlich widerstrebten. Was er genau meinte, wurde am Donnerstag um 10 Uhr Vormittag deutlich, als die Austria Presse Agentur eine kurze, aber geschichtsträchtige Vorausmeldung absetzte: Kabas schließt Haider aus der FPÖ aus.
Die orangen Kader waren Anfang vergangener Woche vor Begeisterung kaum zu halten. Bei einer Präsentation des Landes Kärnten im Wiener Ronacher Dienstagabend drängten sich euphorische Politiker, Parteimitarbeiter und Sympathisanten in den Foyers. Die FPÖ die war gestern; die Zukunft ist orange. Nur vereinzelt ist die Gemütsverfassung melancholisch bei Staatssekretär Karl Schweitzer etwa: Jahrzehntelang ist er Freiheitlicher gewesen, das könne er nicht von einem Tag auf den anderen vergessen, sagt Schweitzer.
Auch Ursula Haubner hatte bis zuletzt zu den Zweiflern gezählt. Für die Parteichefin war der Austritt aus ihrer blauen Gesinnungsgemeinschaft ein Schritt, der ihr noch vor Kurzem unvorstellbar gewesen wäre. Auch ihrem Bruder Jörg gelang es zunächst nicht, seine zaudernde Schwester zu überzeugen. Er bat den früheren FPÖ-Chef Mathias Reichhold, seine Schwester anzurufen. Reichhold griff zum Hörer, und unter Tränen gab Haubner nach. Es war der Schlusspunkt wochenlanger Verschwörungen und Geheimabsprachen.
Geheime Regie. Die Operation Orange hatte Ende März nach dem beinahe gescheiterten Parteiausschluss Andreas Mölzers begonnen. Schon monatelang war der frühere Bundesgeschäftsführer Gernot Rumpold seinem Ex-Chef Haider in den Ohren gelegen, doch endlich etwas Neues zu wagen. Konzepte ruhten bereits in den Schubladen. Anfang April präsentierte Rumpold taufrische Umfragen, die einer neuen Gruppierung ein Wählerpotenzial zwischen zwölf und 15 Prozent bescheinigten. Die FPÖ-Regierungsmitglieder wurden vorbereitet, bei den Abgeordneten vorgefühlt, ob sie unter einer neuen Flagge im Team weitersegeln würden.
Jetzt galt es, dem Projekt den Feinschliff zu geben. Huberta Gheneff-Fürst, die langjährige ehemalige Kanzleipartnerin von Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer und Vertrauensanwältin der Freiheitlichen, ging mit den Orangen in spe alle heiklen Punkte durch von finanziellen Problemen bis hin zum vorsorglichen Austritt der künftigen BZÖ-Angehörigen aus der FPÖ. Das Plakat, das als kameragerechter Hintergrund für den ersten TV-Auftritt dienen sollte, wurde in Auftrag gegeben und die Internet-Adresse www.bzoe.at angemeldet. Besiegelt wurde das neue Bündnis schließlich, nach der Rückkehr Haiders von einem Skiurlaub in Colorado Sonntag vorvergangener Woche, bei einigen Flaschen Wein in der Südsteiermark. Das Dachgeschoß in der Wiener Urania zur tags darauf geplanten Präsentation des BZÖ war zu diesem Zeitpunkt bereits reserviert. Am Montag hinterlegte ein Bote aus der Kanzlei Gheneff die Statuten des BZÖ im Innenministerium.
Kanzler Wolfgang Schüssel war von Haubner und Hubert Gorbach bereits vor vier Wochen gewarnt worden. Schüssels Reaktion: Solange die Mehrheit im Parlament gesichert ist, habe er nichts einzwenden.
Die Gegenseite ahnte vom bevorstehenden Coup nichts. Zwar rechneten Strache, Stadler und Mölzer durchaus mit der Abspaltung des Haider-Lagers, aber nicht zu diesem frühen Zeitpunkt. Dass Haider nicht unbedingt an einer Beilegung des Machtkampfes, ja nicht einmal an einem Waffenstillstand interessiert war, realisierte Strache am 29. März. Zuvor hatte er mit Haider in zwei Gesprächen am 15. und am 21. März einen Kompromiss vereinbart. In einem vierseitigen Papier hatten die beiden die künftige Posten- und Aufgabenverteilung in der Partei geregelt: Haider sollte FPÖ-Chef, Strache geschäftsführender Obmann werden. Eine Totgeburt wie sich Haider von freiheitlichen Regierungsmitgliedern sagen lassen musste: Wenn wir vier Seiten Unterlagen brauchen, um einen Schulterschluss zu vereinbaren wie soll denn das gut gehen?
Überdies hat der Kanzler sowohl Haider als auch Haubner signalisiert, Strache nicht als geschäftsführenden Parteiobmann zu akzeptieren. Schüssel hatte dies auch Strache deutlich gezeigt: Mehrmals hatte der Wiener FP-Obmann telefonisch und brieflich versucht, mit Schüssel ins Gespräch zu kommen. Der Kanzler hatte nicht einmal geantwortet.
Das Papier also für den Reißwolf. Am 29. März, dem Tag jener Vorstandssitzung, bei der Mölzer aus der Partei ausgeschlossen werden sollte, trat Haider schließlich per SMS aus Colorado den geordneten Rückzug an. Um 10.02 Uhr am Vormittag piepste bei Strache das Handy eine Nachricht von Haider: Dein Vorschlag (gemeint war das Papier, Anm.) stößt auf Widerstand. Gespräch notwendig. Liebe Grüße Jörg.
Strache tippte zurück: Welchen Vorschlag meinst du? Bin erreichbar. Liebe Grüße HC.
Antwort Haider: Bin im Flieger. Es geht um geschäftsführenden Obmann.
Antwort Strache: Gilt unsere Vereinbarung noch? Ja oder nein? Liebe Grüße HC.
Antwort Haider: Bin immer an einer gemeinsamen Lösung interessiert. Liebe Grüße Jörg.
Beunruhigt versuchte Strache, Haider telefonisch zu erreichen. Doch er gelangte immer nur auf dessen Mailbox. Am Abend im FPÖ-Vorstand dämmerte Strache, dass die Vereinbarungen mit Haider hinfällig sein dürften. Das letzte SMS, das er noch während der Sitzung an Haider absetzte, lautete: Lieber Jörg. Deine Schwester steht laut ihrer Aussagen nicht zu unserer Vereinbarung. Martin Strutz redet von neuer Partei und Trennung. I kenn mi nimmer aus. Diese SMS blieb unbeantwortet.
Zum finalen Showdown kam es schließlich am Montag vergangener Woche, kurz vor Bekanntgabe der Abspaltung. Am Vormittag meldete sich das Büro von Jörg Haider bei Strache: Der Landeshauptmann sei in Wien, er ersuche um ein Treffen gegen 14 Uhr.
Gorbach, Haubner und Klubobmann Herbert Scheibner saßen zu dieser Zeit bereits im Kanzleramt, um Schüssel von der am Vortag besiegelten Übereinkunft zu informieren und Garantien abzugeben, dass der Fortbestand der Koalition gesichert sei. Strache fand sich vereinbarungsgemäß beim Nobelitaliener Danieli in der Wiener Innenstadt ein. Mit dabei: Kabas und Haiders langjähriger Freund Gerhard Bauer.
Der Termin der Gründungspressekonferenz des BZÖ war zu diesem Zeitpunkt bereits veröffentlicht. Haider informierte Strache in knappen Worten über seine Pläne und schloss: Das wollte ich dir persönlich mitteilen. Bauer und Kabas, ehrlich entsetzt, versuchten, Haider noch umzustimmen. Vergeblich.
Eingreiftruppe. Strache informierte daraufhin fassungslos seine Kameraden. Diese handelten sofort. Noch während Haider, Haubner, Gorbach, Scheibner und Scheuch vor der Presse saßen, okkupierten Mitarbeiter der Wiener Freiheitlichen die FPÖ-Bundeszentrale in der Theobaldgasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Jedem Mitarbeiter wurde ein Aufpasser zur Seite gestellt, kein Aktenordner, kein Papier durfte mehr angefasst werden, während Handwerker die Türschlösser austauschten. Die erwartbare Schlammschlacht zwischen Blau und Orange blieb in den Tagen nach der Abspaltung noch aus nur Strache ließ Dampf ab. Er erklärte, Haider habe von ihm verlangt, weder die maroden Parteifinanzen noch die Eurofighter und auch nicht die Rolle Frank Stronachs weiter zu thematisieren: Er steht uns viel näher, als du glaubst. Er unterstützt uns in Kärnten massiv, soll Haider laut Strache gesagt haben. Haider ungewohnt nobel schwieg dazu.
Eine Woche nach ihrer Gründung können die Orangen trotz ihrer Jubelmeldungen mit dem Erreichten nicht gänzlich zufrieden sein. Mit Ausnahme Kärntens bekennt sich keine freiheitliche Landesgruppe vorbehaltlos zum Bündnis Zukunft Österreich. Die Steiermark, das Burgenland, Niederösterreich, Wien und Salzburg stehen zur FPÖ. Besonders bitter: Die starke oberösterreichische Landespartei verweigert den Übertritt in das BZÖ.
Doch auch auf Bundesebene drohen Wickel. Scheibner sicherte Schüssel und ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer zwar die Geschlossenheit des offiziell noch immer freiheitlichen Klubs zu, doch einige Abgeordnete stehen keineswegs so konsequent wie behauptet hinter dem BZÖ. In einem Mail an ihre steirischen Parteifreunde schreibt die Abgeordnete und frühere FPÖ-Generalsekretärin Magda Bleckmann, es wäre für sie am schlimmsten, wenn es zu zwei Gruppierungen kommt und alles auseinander bricht. Ein Bekenntnis zum BZÖ legt sie nicht ab: Zu meiner persönlichen Situation möchte ich gern anmerken, dass ich bisher weder aus der FPÖ Steiermark ausgetreten bin, noch dem Bündnis Zukunft Österreich beigetreten bin. Ihre Kollegin Mares Rossmann setzte eine ähnliche Botschaft ab.
Auf Dauer wird diese politische Persönlichkeitsspaltung wohl nicht durchzuhalten sein. Genau darauf setzen die Altfreiheitlichen. Nach und nach, so ihr Kalkül, würden immer mehr Abgeordnete aus der orangen Gemeinschaft ausscheren: Sei es aufgrund des Drucks aus ihren weiterhin blauen Landesparteien, sei es aus anhaltender Verbundenheit zur FPÖ. Neben der offenen BZÖ-Gegnerin Barbara Rosenkranz gelten der frühere Justizminister Dieter Böhmdorfer, der Dritte Nationalratspräsident Thomas Prinzhorn, die Wienerin Helene Partik-Pablé und der Vorarlberger Eugen Bösch als Wackelkandidaten.
Der designierte Obmann Strache fordert jetzt den Offenbarungseid: Wer sich nicht öffentlich zur FPÖ bekennt, wird ausgeschlossen.
Schüssel war bemüht, sich in gewohnter Weise unbeeindruckt zu geben. Ihm gehe es nicht um Parteien, er habe im Jahr 2003 einen Pakt mit Personen geschlossen und diese wären heute größtenteils dieselben wie damals. Schüssels unfreiwillige Ironie: Gerade Jörg Haider hat vor zwei Jahren den neuen Koalitionspakt mit der Begründung, die FPÖ dürfe nicht der billige Jakob der ÖVP sein, abgelehnt. Und Martin Strutz, der den schwarz-blauen Pakt mitverhandelte, hatte im Auftrag Jörg Haiders seine Unterschrift verweigert.
Pulverfass. In den Reihen der ÖVP herrscht größte Skepsis, ob dem neuen schwarz-orangen Bündnis eine lange Lebenszeit vergönnt sein wird. Das Problem ist, dass man nie weiß, wann Haider wieder der Hafer sticht, sagt ein Abgeordneter. Wir sitzen auf einem Pulverfass, meint ein hochrangiger Funktionär. Ein Schreckensszenario machte vergangene Woche in schwarzen Kreisen die Runde: Haider könnte sich kurz vor dem Beginn der österreichischen EU-Präsidentschaft in die Regierung hineinreklamieren und unter Umständen als Vizekanzler auch auf europäischer Bühne mitspielen wollen.
In der ÖVP-Parteizentrale und auch im Kanzleramt herrschte hektische Nervosität. Schüssel soll seinen Generalsekretär Reinhold Lopatka angewiesen haben zu prüfen, ob die ÖVP dem BZÖ organisatorische Unterstützung leisten könne. Ein abstruser und absurder Holler, dementiert Lopatka das Ondit. Doch zumindest in der Steiermark gibt es diskrete schwarze Schützenhilfe für das BZÖ. Mehrere Beteiligte berichten, Waltraud Klasnic persönlich habe den steirischen FPÖ-Landtagsabgeordneten Georg Ferstl ersucht, das BZÖ zu unterstützen.
Sofortige Neuwahlen soll Schüssel vergangene Woche nicht ernsthaft in Erwägung gezogen haben. Ein Urnengang wäre zum jetzigen Zeitpunkt ein zu großes Risiko. Denn in den jüngsten ÖVP-internen Umfragen, die noch vor der blauen Spaltung durchgeführt wurden, liegen die Schwarzen zwischen drei und fünf Prozent hinter der SPÖ. Selbst wenn Schüssel bei Neuwahlen den ersten Platz halten könnte, hätte er im Parlament höchstwahrscheinlich eine rot-grüne Mehrheit gegen sich.
Der Kanzler, der Jörg Haider in der Vorwoche als konstruktive Persönlichkeit lobte, muss nun auf den Selbsterhaltungstrieb der BZÖ-Führungsgarnitur setzen. Bricht die Koalition schon in den kommenden Wochen oder Monaten, ist das BZÖ Geschichte, die gut dotierten Jobs für Gorbach & Co perdu und Jörg Haider zwar noch Kärntner Landeshauptmann, aber politisch endgültig ruiniert.
Finanzierungsfrage. Mittwochabend vergangener Woche stand das erste Strategietreffen der Orangen an. Karl-Heinz Petritz, langjähriger Sprecher Haiders, wird Kommunikationschef des BZÖ, Gernot Rumpold wurde zum interimistischen Bündniskoordinator bestimmt. Geschäftsführender Parteiobmann unter Jörg Haider soll beim Gründungskonvent am 17. April in Salzburg Klubobmann Herbert Scheibner werden. Gemeinsam sollen sie eine Organisationsstruktur aufbauen.
Ungeklärt ist bislang die Finanzierung der neuen Partei. Kolportierte Gönner aus der Industrie wie Magna-Gründer Frank Stronach oder Bau-Tycoon Hans Peter Haselsteiner dementieren jegliches Engagement.
Nach Angaben von Interimskoordinator Rumpold soll das Bündnis noch nicht auf die finanzielle Unterstützung irgendwelcher Sponsoren zählen können. Fürs Erste haben die orangen Proponenten das Projekt zum Teil aus ihrem Privatvermögen vorfinanziert. Dem Parlamentsklub bleiben vorerst die öffentlichen Förderungen in Höhe von rund zwei Millionen Euro.
Zwei frühere FPÖ-Spitzenfunktionäre haben der Partei mittlerweile den Rücken gekehrt. Die ehemalige Parteichefin und Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer verabschiedete sich schon vor der Abspaltung. In einem mit 25. März datierten Schreiben gab sie Haubner ihren Austritt bekannt. Sie wisse, schreibt die ehemalige FPÖ-Chefin, dass Haubner keine Verantwortung für die Entwicklung der FPÖ trage, aber sie sehe keine Gemeinsamkeiten mehr mit der Partei. Vor allem der Umgang mit Ex-Parteichef Herbert Haupt habe sie zu diesem Schritt veranlasst. Schließlich habe sich Haupt für die FPÖ aufgeopfert. Und auch der frühere Klubobmann Peter Westenthaler sagte vergangenen Freitag der FPÖ Adieu.
Beim Patriotentreffen in Grieskirchen gingen da gerade die Emotionen hoch. Gegenüber der APA erklärte ein FPÖler: Als das Liberale Forum aus dem Parlament geflogen ist, habe ich eine Flasche Sekt aufgemacht. Wenn Haider rausfliegt, mache ich zwei Flaschen auf.