Georg Hoffmann-Ostenhof

Krugman, Faymann & die Krise

Krugman, Faymann & die Krise

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Man kann es jetzt schon sagen: Wenn, was anzunehmen ist, eine große Koalition zustande kommt, wird im Regierungsübereinkommen ein starkes und enthusiastisches Bekenntnis zu Europa stehen. Wenn die SPÖ nur halbwegs bei Sinnen ist, wird sie ihre euroskeptische Wahlkampfwende (Stichwort „Krone“-Leserbrief) nun wieder revidieren. Denn Europa zeigt sich in diesen Tagen at its best. Die EU ist in dieser Zeit der so bedrohlichen Wirtschaftswirren zu ihrer Höchstform aufgelaufen.

Wer nur ein wenig die Nachrichten verfolgt, der kann ermessen, wie segensreich die hierzulande so scheel angesehene Europäische Union ist. Allein schon die Vorstellung, was in dieser Weltfinanzkrise passiert wäre, gäbe es nicht den Euro und hätte jedes Land seine eigene Währung, lässt einen erschaudern. Nicht auszudenken, wie eine wilde Devisenspekulation die ohnehin schon abgrundtiefe Finanzkrise weiter verschärft und gänzlich unkontrollierbar gemacht hätte. Zerstritten, bürokratisch gelähmt und von den Realitäten abgehoben ­– so sieht das Bild aus, das sich in der letzten Zeit die immer antieuropäischer werdende Öffentlichkeit von der EU machte. Und dann kam der Sonntag, der 12. Ok­tober.

An diesem Tag einigten sich die Regierungschefs der Eurozone plus England in Paris auf ein Rettungspaket von 2000 Milliarden – sprich zwei Billionen – Euro, das die Sparer vor dem Verlust ihrer Einlagen schützt, den Geldfluss zwischen den Finanzinstitutionen wieder in Gang setzt und die Weichen für Verstaatlichungen von großen Banken stellt, die vor dem Bankrott stehen. Die EU erwies sich als Weltmeister in der Disziplin des Über-den-eigenen-Schatten-Springens. Und sie zeigte auch den USA, wo es langgeht. Washington nahm sich die Europäer zum Vorbild, zog wenige Tage später nach und schnürte, nach dem Versagen seines eigenen Maßnahmenbündels, ein ganz ähnliches staatsinterventionistisches Paket wie die EU.

Und plötzlich beginnen europäische Staatsmänner, die in den vergangenen Jahren zunehmend blass und impotent gewirkt haben, zu glänzen. Allen voran Gordon Brown. „From Zero to Hero“, formuliert „Time“. Von einer Null zum Helden. So im Eck wie der grantig-ungeschickt wirkende britische Premier war wohl kein anderer europäischer Politiker. Der als Euroskeptiker bekannte Labour-Mann mit stark liberaler Ausrichtung überzeugte nun den Franzosen Nicolas Sarkozy davon, dass zur Rettung der europäischen Wirtschaft etwas großes Gemeinsames getan werden müsse und dass die Staaten nicht zurückschrecken sollten, massiv in die Märkte einzugreifen. Und jäh erwies sich der oft als eitel belächelte hektische Aktivismus des französischen Präsidenten als Kommunikationsgenialität. Er brachte in langen und intensiven Gesprächen die zögerliche Angela Merkel und dann in einer Kaskade von ihm einberufener und moderierter Gipfel die anderen EU-Regierungen mit ins Boot.

Dass gerade die Franzosen die EU-Präsidentschaft innehaben, ist ein historischer Glücksfall. So handlungsfähig wie jetzt in der Krise hat man Europa kaum je gesehen. Wenn die führenden Politiker der SPÖ nicht vollends verstockt sind, werden sie jetzt wieder zu Europa-Enthusiasten mutieren. Wo wütet in der EU der von den Sozialdemokraten so beklagte Neoliberalismus, wenn die politische Führung Europas kraftvoll in den Markt eingreift und das wild gewordene Finanzkapital gemeinschaftlich an die Kandare nehmen will? Ist das nicht ursozialdemokratisch? Gewiss: Die Börsen spielen weiterhin verrückt. Trotz Rettungspaket. Aber das zeigt nur, dass die erfolgreiche Verhinderung des finanziellen Totalkollapses noch nicht heißt, dass der Realökonomie die Rezession erspart bleibt. Die Angst vor dieser lässt die Aktienkurse taumeln. Und gerade da wird in den kommenden Tagen in Europa noch so einiges in Bewegung kommen. Schon kündigen die Regierungen große Konjunkturpakete an, welche den Absturz der Wirtschaft abfedern sollen. Der Ruf nach einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik wird immer lauter.

John Maynard Keynes, der Säulenheilige sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, jener Ökonom, der einst aus der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre die Lehre zog, das Vertrauen in die Selbstregulierung des Marktes führe nur in den Abgrund und es gelte, politisch zu intervenieren, erlebt eine grandiose Wiederauferstehung. Es ist auch signifikant, dass Paul Krugman, einem sich selbst als Keynesianer deklarierenden US-Ökonomen, vergangene Woche der Nobelpreis verliehen wurde. „Deficit Spending“, also über Schuldenmachen des Staates die Konjunktur anzukurbeln, war bis vor noch wenigen Wochen ein Unwort. Über Nacht ist es in aller Munde. Die Forcierung öffentlicher Investitionen wird selbst von Ultraliberalen gefordert, sogar staatliche Arbeitsbeschaffung angedacht.

Das ist der so dramatische internationale und europäische Hintergrund, vor dem in Österreich in den kommenden Wochen und Monaten die Verhandlungen zur Bildung der Regierung geführt werden. Die weltweiten Turbulenzen machen jedenfalls die so geschmähte Perspektive einer großen Koalition attraktiver. Denn wer will in solch gefährlichen Zeiten von Leuten wie Strache oder Petzner regiert werden? Und wenn Werner Faymann und seine Leute das Ausmaß des weltweiten Umbruchs erkennen, dann werden sie auch begreifen, dass sich ihre Karten im Politpoker mit der ÖVP seit der Wahl drastisch verbessert haben.