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Martin Puntigam Wasserball

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Jetzt ist schon wieder eine Supererde entdeckt worden. Es kommt einem vor, als geschähe das im Wochenrhythmus. In der Oststeiermark würde man sagen: Die Astronomen schütten aus wie die Meerfadeln. Wenn Sie mir das Bild erlauben. Und schon wieder hat es geheißen: zweite Erde, habitable Zone, Leben möglich. Tatsächlich werden die Supererden nicht hintereinander entdeckt, sondern en bloc, und dann werden die Daten ausgewertet und zum besten Zeitpunkt publiziert. Weil, wenn grad ein Papst stirbt und gleichzeitig Fußball-WM ist, hält sich das Interesse an Zweiterden in Grenzen.

Noch dazu, wenn so wie diesmal die Verhältnisse doch komplizierter sind. Die neue Supererde ist genaugenommen auch nicht jetzt entdeckt worden, sondern schon 2009. Sie ist 2,7-mal größer als die Erde und 6,5-mal massereicher. Also nicht wirklich erdähnlich im engeren Sinn, wo solche wie wir als Leben entstehen könnten. Trotzdem handelt es sich um eine ganz besondere Supererde, weil der neu entdeckte Planet ein Wasserplanet ist, der erste seiner Art, den wir Menschen aufgespürt haben.

GJ 1214b heißt er. Kein sehr eingängiger Name. Kinder würde man bei uns nicht so nennen. Oder Tiefdruckgebiete. Bei Kindern sind momentan Anna und Lena und Lukas und Tobias üblich und nicht wie früher Günther und Dagmar. Oder Wernher oder Adolf. So heißt 2012 praktisch kein Kind mehr.

Die Tiefdruckgebiete Europas 2012 hießen bisher etwa Andrea, Bibiana, Celine und Dota. Die Patenschaft dafür kann man kaufen. Wenn Sie möchten, dass ein Tiefdruckgebiet Ihren Namen trägt, schlägt das mit 199 Euro zu Buche. Hochdruckgebiete sind teurer, sie kosten 299 Euro.

Exoplaneten sind uns offenbar nicht so ans Herz gewachsen wie Kinder und Tiefdruckgebiete, sie bekommen keine Taufnamen, und man kann nicht Pate werden. Bei ihrer Benennung gibt es aber ein ganz klares System. Am Beginn des Namens steht GJ. Englisch Tschitschei, wie früher im "Ö3-Wecker“. Wer sich daran erinnern kann, weiß, er ist nicht mehr jung.

Bei Exoplaneten heißt GJ Gliese-Jahreiß. Beide deutsche Astronomen, einer schon tot, der andere noch nicht. Sie haben einen Katalog verfasst, in dem Sterne aufgelistet werden, die nicht so weit weg sind von uns. Für Astronomen natürlich. Maximal 25 Parsec. Weil für einen Menschen, noch dazu, wenn er vielleicht was hat mit der Hüfte oder 200 Kilo wiegt, wo es schwierig wird mit dem Anzug von der Stange, da kann eine Stiege in den ersten Stock schon weit sein.

Aber 3,26 Lichtjahre, zum Beispiel, da sagt der Astronom, das ist quasi im Nebenzimmer. Dabei handelt es sich um ein Parsec. Das ist länger als ein Lichtjahr, und schon dieses ist lange. Ein Lichtjahr beträgt 9 460 730 472 580 800 Meter. Wenn man das mit dem Zollstab messen will, reicht ein Leben dafür bei Weitem nicht aus. Auch zum Schreiben ist es lang und unpraktisch. Deshalb sagt man 9,461 Petameter. Aufgerundet. Und Peta bedeutet 10 hoch 15, von Griechisch "petanynnein“, das heißt: alles umfassen. Tera ist 10 hoch 9, das ist viel kleiner, und das heißt schon ungeheuer groß. Müssen Sie sich nicht merken, schadet aber auch nicht, wenn Sie es wieder einmal gehört haben.

Der neue Wasserplanet wurde GJ 1214b genannt. In der Volksschule necken sich die Kinder gerne: 1a - Superstar, 1b - Scheißkaffee. Diesbezüglich hätte es GJ 1214b nicht so gut erwischt. GJ 1214b heißt allerdings nicht b, weil a schon weg war.

Mit A werden nur Sterne im Gliese-Jahreiß-Katalog bezeichnet. GJ 1214b ist somit der erste Planet im Sonnensystem von GJ 1214. Warum nicht a? Damit es nicht zu Verwechslungen kommt. Stellen Sie sich vor, jemand meint GJ 1214a, gibt den Namen in eine Suchmaschine ein, die unterscheidet aber nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung, und plötzlich publiziert man statt über einen Planeten über einen Stern. Das wäre eine Aufregung! Na ja, so groß wäre die Aufregung vermutlich auch wieder nicht, aber es ist trotzdem praktischer, wenn die Zählung erst mit b beginnt.

GJ 1214 ist vielleicht als Sonne eine gute Mutter, fürsorglich und alles, aber als Stern, international gesehen, nicht sehr beeindruckend. Ein Roter Zwerg. In dem Fall sogar ein kleiner Roter Zwerg. Nur 15 Prozent Sonnenmasse und nur 3000 Kelvin Oberflächentemperatur. Umgerechnet 2726,85 Grad Celsius. Für einen Stern eine Niederlage. Das ist so, wie wenn man am Samstagnachmittag im Sommer noch schnell auf den Markt geht, wenn die Standler schon zusammenräumen, und man braucht Schnittlauch. Es gibt zwar noch welchen, aber er ist so welk, dass man sich denkt: Den sollen sie selber wegschmeißen, den nehme ich nicht einmal geschenkt. Rote Zwerge sind die kleinsten Sterne, die gerade noch eine Kernfusion zusammenbringen. Ein paar Prozent Sonnenmasse weniger, und sie wären Braune Zwerge. Das sind die wahren Loser im Universum. Ganz wenig Sonnenmasse, nur zirka 0,07 Prozent. Kaum sichtbar.

Würden sich auf der Erde die Braunen Zwerge in diesem Prozentbereich bewegen, wäre die Welt schöner.

Am Ende ihres Lebens werden Rote Zwerge übrigens keine Roten Riesen, blähen sich also nicht auf, sondern werden gleich Weiße Zwerge. Größere Sterne blähen sich bei der Gelegenheit gern zu Roten Riesen auf. Darauf sind sie gar nicht besonders stolz, das ist wie bei den Menschen, im Alter wird man gern ein wenig dicker. Auch mit unserer Sonne wird das in etwa sieben bis acht Milliarden Jahren geschehen. In den Phasen maximaler Ausdehnung reicht die Sonne dann bis an die heutige Erdbahn heran. Das heißt, die Erde verschrumpelt dann wie eine Kletze im Ofen.

Die Oberfläche der Roten Riesen wird aber durch die Aufblähung kühler und leuchtet dann rötlich. Logisch, wenn die gleiche Energie eine größere Oberfläche heizen muss, wird es an der Oberfläche kühler. Vom roten Leuchten hat der Rote Riese auch seinen Namen. Was nach der Aufblähung zum Roten Riesen passiert, hängt von der Masse des Sterns ab. Bei Sternen unter acht Sonnenmassen - das ist für einen Stern nicht sehr viel - wird die äußere Hülle des Sterns in den Weltraum abgestoßen, und es bleibt nur der innere, heiße Teil übrig. Diesen Rest des Sterns nennt man Weißen Zwerg, quasi ein geschälter Heißsporn. Er ist einerseits sehr klein und andererseits sehr heiß und kühlt durch Strahlung in den Weltraum wie ein verglimmendes Glutstück über Jahrmilliarden langsam ab.

Wenn ein Weißer Zwerg sich so weit abgekühlt hat, dass er praktisch kein sichtbares Licht und schließlich auch keine Wärme mehr abstrahlt, wird er zu einem so genannten Schwarzen Zwerg. Der Schwarze Zwerg ist quasi der unverwertbare Rest eines Sternenbegräbnisses. Nach vorherrschender Meinung ist das Universum mit seinen 13,7 Milliarden Jahren aber noch nicht alt genug, um solche Schwarzen Zwerge hervorgebracht zu haben, die praktisch gar nichts mehr abstrahlen. Man könnte Schwarze Zwerge auch nur indirekt durch deren Schwerkraft nachweisen, weil sie ja keine Strahlung aussenden. Das heißt, da hat etwas einen Namen, das es gar nicht gibt, und wenn es existierte, könnte man es nicht beweisen, sondern wäre auf Zeugenaussagen von der Schwerkraft angewiesen.

Und von so etwas in seiner Bestform ist GJ 1214b der Erstgeborene. Trotzdem ist er etwas Besonderes. Er besteht zum Großteil aus Wasser, umgeben von einer dicken Dampfhülle. Es könnte sogar sein, dass der gesamte Planet von einem Ozean bedeckt ist. Das klingt aber besser, als es ist. GJ 1214b bewegt sich nämlich sehr nahe um seine Sonne, wird dadurch stark erhitzt und hat eine Temperatur von etwa 230 Grad Celsius.

Es gibt aber noch einen entscheidenden Unterschied zur Erde. Der Druck ist auf dem Planeten GJ 1214b etwa 20.000-mal so hoch wie auf der Erde. Das bleibt nicht folgenlos. Damit ändern sich die Zustände der Materie beträchtlich: Es kann auf diesem Planeten neben flüssigem Wasser auch heißes Eis geben. So hat es einmal in einer Werbung geheißen: Im Winter Eis, ist das heiß. Wenn Sie sich daran erinnern können, wissen Sie ebenfalls, Sie sind schon älter, als Sie gerne wären.

Für GJ 1214b bedeutet das, wenn der Druck auf den Planeten zum Inneren des Planeten hin zunimmt, schmilzt dort selbst bei Temperaturen von mehreren hundert Grad Celsius das Eis nicht und bleibt fest. Heißes Eis, weißglühend, wird auf vielen Supererden vermutet. Eis VI, Eis X und Eis XI nennt man das. Klingt wie eine Bestellung im chinesischen Eissalon, eine Tüte mit drei Kugeln. Und nicht nur heißes Eis könnte es auf GJ 1214b geben, sondern auch supraflüssiges Wasser. Diese Flüssigkeit hat keine innere Reibung. Was hat das für Konsequenzen? Vollkommene Ausgeglichenheit und Harmonie mit dem Universum? Nein. Eher im Gegenteil. Eine solche Flüssigkeit hat die Eigenschaft, dass sie Wände hinaufklettern und über Hindernisse hinwegfließen kann. Der Grund liegt darin, dass die Wassermoleküle von der Festkörperfläche stärker angezogen werden als von den anderen Wassermolekülen. Dadurch könnten die einzelnen Wassermoleküle eine Wand emporklettern, ohne dass sie von den anderen Wassermolekülen zurückgehalten würden. Wasserflecken auf der Zimmerdecke gelten deshalb auf GJ 1214b vermutlich eher nicht als Schaden, den die Haushaltsversicherung deckt.

Heißes Eis, supraflüssiges Wasser, die Marketingabteilung von GJ 1214b hat sich einiges einfallen lassen für ihren Showcase. Die Latte für die nächste zu entdeckende Supererde liegt entsprechend hoch. Beeindruckend wäre sicher ein Planet ausschließlich aus Schokolade. Der wäre nicht nur nahrhaft und süß, sondern man könnte mit ihm auch die Lichtgeschwindigkeit bestimmen. Quasi eine Functional-Supererde. Wie das geht, nämlich mit Schokolade die Lichtgeschwindigkeit zu ermitteln, lernen Sie im profil wissen 2/2012.

Lesen Sie außerdem im neuen profil wissen: Wo sitzt die Seele? Die Forschung sucht nach Spuren und findet keine. Was also sind Bewusstsein, Gedanken, Emotionen, Selbsterkenntnis und psychische Störungen?