Medizin: Schöne neue Impfwelt. Neueste Studien relativieren die Risiken von Impfungen
Der 18 Monate alte Kevin liegt mit schwerem Brechdurchfall bleich und teilnahmslos in seinem Bett auf der Magen-Darm-Station der Grazer Kinderklinik. Damit der kindliche Körper nicht austrocknet, wird dem kleinen Patienten ein Becher mit einer Elektrolytlösung gereicht. Doch das Gemisch aus Glukose und Salz schmeckt ihm nicht, Kevin verweigert zum wiederholten Mal. Werner Zenz, Oberarzt auf der Station, bereitet nun eine Infusion vor und muss zu diesem Zweck einen venösen Zugang legen. Kevins Mutter ist leider nicht mehr hier, um ihn zu trösten, sagt Zenz. Sie hat zu Hause ein Neugeborenes, das sie stillt, und kann es nicht mitnehmen, weil es sich sonst ebenfalls mit Rotaviren ansteckt.
Hundert Milliarden Viren finden sich in einem einzigen Milliliter Stuhl. Sie kleben an den Händen, gehen nicht mal mit Seife ab, nur mit Alkohol. Zehn Virenpartikel genügen, um ein weiteres Opfer anzustecken. Bis zum fünften Geburtstag macht jedes Kind mindestens einmal eine Rotaviren-Infektion durch, die sich häufig als schwerer Brechdurchfall bemerkbar macht. Erst dann sind die Kinder gegen weitere Infekte immun. Das größte Problem dabei ist die Gefahr einer Austrocknung, die zu schweren Schäden und im Extrem auch zum Tod führen kann. Jährlich sterben weltweit etwa 400.000 Kinder an der Erkrankung, zum überwiegenden Teil in den Entwicklungsländern. Aber auch bei uns muss etwa jedes zwanzigste erkrankte Kind ins Spital, um dort mit Flüssigkeit versorgt zu werden, sagt Zenz.
Impfwerbung. Nach dem schmerzhaften Stechen eines Venenzugangs Kevin weint bei der Prozedur holt Werner Zenz einen Fotoapparat und fotografiert das Gesicht des Buben. Das mache ich mit Einverständnis der Eltern bei allen Kindern auf unserer Station, sagt Zenz, um damit für die Impfung zu werben. Er stellt die Fotos allen zur Verfügung, die sie haben möchten. Den Medien, Ärztekollegen, auch den Herstellern der Impfstoffe. Und er hofft, dass die großen traurigen Augen der Kinder auch die verantwortlichen Politiker rühren, die darüber entscheiden, ob die Kosten der Impfung vom Staat übernommen werden. Zenz ist Mitglied des Impfausschusses im Obersten Sanitätsrat, dem vom Gesundheitsministerium eingesetzten Beratergremium. Und ich werde, sagt er, meine Meinung aggressiv vertreten. Denn die Gesundheit der Kinder sollten wir uns schon etwas kosten lassen.
Ab 2. Mai ist mit Rotarix die erste Rotaviren-Schluckimpfung in allen Apotheken Österreichs verfügbar. Der Abgabepreis wurde vom Hersteller, dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK), mit 122 Euro pro Dosis festgesetzt. Für eine effektive Immunisierung sind zwei Dosen erforderlich, die im Abstand eines Monats zu verabreichen sind, wobei die Impfserie bereits ab einem Alter von sechs Wochen gestartet werden kann. Ähnliches gilt für RotaTeq, das Konkurrenzprodukt von Sanofi-Pasteur MSD, dessen Markteinführung für Jahresende angekündigt ist. Bei diesem auf Basis eines modifizierten tierischen Virus hergestellten Impfstoff werden allerdings drei Dosen nötig sein, weil sich das gentechnisch veränderte Virus im Darm der Impflinge nicht so gut vermehrt wie die vom häufigsten Rotavirus-Typ beim Menschen abgeleitete Rotarix-Variante.
Darmprobleme. Karin Rath, bei GSK Österreich für den Bereich Impfstoffe zuständig, begründet den hohen Preis von Rotarix mit den hohen Qualitätsstandards und den aufwändigen, für die Zulassung geforderten Studien. Tatsächlich wurden von den Gesundheitsbehörden noch nie so umfangreiche Prüfungen vorgeschrieben wie bei diesem Impfstoff. Der Grund dafür liegt in den Problemen, die Ende der neunziger Jahre beim ebenso wirksamen und sicher scheinenden Produkt RotaShield des Herstellers Wyeth-Lederle aufgetreten sind. Damit waren in den USA rund 1,5 Millionen Kinder geimpft worden, als eine auffällige Häufung dramatisch verlaufender Darmeinstülpungen bei den geimpften Kindern gemeldet wurde, woran auch einige Babys infolge Darmverschluss starben. Im Juli 1999 verfügte die US-Gesundheitsbehörde CDC die sofortige Aussetzung der Rotaviren-Schluckimpfung, die auch in mehreren Ländern Europas, darunter Österreich, zugelassen war und am Impfplan stand.
Die beiden neuen Impfstoffe wurden nun in Großstudien getestet, an denen jeweils mehr als 60.000 Kinder teilnahmen. Die Hälfte von ihnen erhielt Placebos. Sowohl Rotarix als auch RotaTeq erwiesen sich als effektiv. Rotarix verhinderte in den Studienländern Lateinamerikas 85 Prozent der schweren Durchfallerkrankungen und senkte die Rate der Spitalseinweisungen gegenüber dem Placebo um 42 Prozent. RotaTeq, das vorwiegend in den USA und in Finnland getestet wurde, erzielte sogar eine Reduktion von 98 Prozent bei den Durchfällen und 63 Prozent bei den Einweisungen. Diesmal wurde keinerlei erhöhtes Risiko für Darmeinstülpungen festgestellt.
Bestseller. Der Grund dafür könnte jedoch auch darin liegen, dass die Impfungen nun zu einem früheren Zeitpunkt verabreicht werden. Auch bei RotaShield traten nur wenige Probleme auf, wenn vor dem dritten Monat geimpft wurde, erklärten Roger Glass und Umesh Parashara, zwei Experten der CDC, anlässlich der Publikation der Studien im New England Journal of Medicine im Jänner dieses Jahres. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Sicherheit der Vakzinen bei einer späteren Impfung keineswegs gesichert ist. Darauf wurde auch bei der Zulassung geachtet. Die Rotaviren-Impfung soll demnach mit der ersten Dosis vor der 16. Lebenswoche begonnen und jedenfalls vor der 24. Woche abgeschlossen sein.
Das Marktpotenzial für Rotavirus-Impfstoffe wird von GSK mit rund zwei Milliarden Dollar angegeben. Dass derartige Erlöse möglich sind, bewies bereits der US-Konzern Wyeth, der mit Prevenar, einem Pneumokokken-Impfstoff für Säuglinge, einen weltweiten Bestseller mit 26 Millionen verkauften Dosen gelandet und damit 2005 einen Umsatz von 1,5 Milliarden Dollar erwirtschaftet hat. In Österreich kostet die Grundimmunisierung mit Prevenar laut Apothekenabgabepreis nahezu 500 Euro teurer als jede bisherige Massenimpfung.
Seit solche Preise vom Markt angenommen werden, zahlt es sich für die Pharmaindustrie wieder aus, in die Entwicklung neuer Impfstoffe zu investieren. Das einstige Groscherlgeschäft boomt. Weltweit fanden sich noch nie so viele innovative Produkte in der Forschungspipeline. Noch in diesem Jahr sollen Impfungen gegen Gürtelrose und gegen Humane Pappilomaviren, Auslöser des Gebärmutterhals-Karzinoms, folgen. Danach folgt eine Kombiimpfung, die neben Masern, Mumps und Röteln auch eine Komponente zum Schutz vor Windpocken enthält. Auch eine Herpesimpfung, verbesserte Versionen gegen Meningitis- und Pneumokokken-Infektionen sowie eine Reiseimpfung gegen Japanische Enzephalitis stehen kurz vor der Marktzulassung.
Heilansatz. Am innovativsten zeigen sich die jungen Unternehmen der boomenden Biotech-Branche. Hier wird sogar bereits an Impfstoffen gearbeitet, die erstmals nicht nur zur Vorsorge, sondern auch zur Heilung von Krankheiten eingesetzt werden könnten. Von Alzheimer bis Krebs, von Diabetes bis zur Nikotinsucht. Hunderte neue Impfungen durchlaufen derzeit die langwierigen Teststadien vom Tierversuch bis hin zu den Verträglichkeits- und Wirksamkeitsstudien am Menschen. Und wenn auch die große Mehrzahl der Präparate auf diesem langen Weg zum marktreifen Medikament letztlich scheitert, so besteht doch die realistische Hoffnung, dass zumindest einige Konzepte greifen und derzeit unlösbare gordische Knoten der Medizin durchschlagen werden können.
Österreich ist in der Forschung ganz vorne mit dabei. Bei dem Wiener Unternehmen Igeneon ist ein Impfstoff in den letzten Teststadien, der das Immunsystem stimuliert und helfen soll, Krebs mit körpereigenen Mitteln zu schlagen. Derzeit läuft eine Studie, in der die Wirksamkeit des Präparates IGN-101 bei 760 Patienten mit metastasierendem Darmkrebs getestet wird. Die Vorgängerstudien ergaben einen beeindruckenden Überlebensvorteil, erklärt Igeneon-Sprecher Frank Butschbacher. Endergebnisse werden für nächstes Jahr erwartet.
Bei der börsenotierten Wiener Intercell AG ist die Entwicklung einer Impfung gegen Hepatitis C ebenfalls bereits im Stadium der klinischen Tests angelangt. Auch Konzepte für eine im Gegensatz zu den bisherigen Produkten wirksame Tuberkulose-Impfung sowie eine Immunisierung gegen gefährliche Krankenhauskeime sind weit gediehen. Ebenso viel versprechend klingt ein Ansatz, den Walter Schmidt mit seinem Wiener Unternehmen Affiris verfolgt. Mithilfe einer von ihm entwickelten Impfung soll das Immunsystem aktiviert werden, die schädliche Plaquebildung im Gehirn von Alzheimerpatienten zu unterbinden, ohne dabei das Gehirn selbst zu schädigen.
Aber auch an bereits existierenden Impfungen wurden enorme Verbesserungen vorgenommen. Seit mehrereren Jahren werden Konservierungsmittel, die Quecksilber enthalten, aus der Produktion entfernt. Problematische Stabilisatoren, Formaldehyd oder Antibiotika zunehmend vermieden, unhygienische Anzuchtwege der Keime auf Maushirn oder Hühnerembryo durch moderne Technologien ersetzt.
Dennoch ist die Impfskepsis eine spezielle mitteleuropäische Krankheit, klagt Ingomar Mutz, Vorstand des Impfausschusses im Obersten Sanitätsrat. Was hier, auch von Ärzten, oft für ein absoluter Stuss verzapft wird, ist einmalig. Hohe Durchimpfungsraten, wie sie zur Ausrottung von Masern oder Mumps nötig wären, oder gar eine Impfpflicht wie in den USA oder Italien scheinen deshalb in Ländern wie Deutschland oder Österreich politisch nicht durchsetzbar. Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, ist eine Frage der Bildung, sagt der Innsbrucker Pathologe und Alternsforscher Georg Wick. Ich habe noch Pocken oder Tetanus erlebt. Das ist heute unvorstellbar.
Kritikern bläst nun ein schärferer Wind entgegen. Vor wenigen Monaten wurde in einem Disziplinarverfahren gegen den steirischen Homöopathen Johann Loibner erstmals einem Arzt ein Berufsverbot für ein Jahr erteilt. Wenn ich nun meine impfkritischen Ansichten wiederhole, sagt Loibner, droht mir sogar ein Berufsverbot auf Dauer.
Meldemoral. Einer von Loibners Kritikpunkten betrifft die katastrophale Meldemoral der Ärzte bei vermuteten Impfschäden. Und tatsächlich wird die gesetzliche Verpflichtung, unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) an die zuständige Behörde zu melden, häufig ignoriert. Dies zeigte sich drastisch am Beispiel des Sechsfachimpfstoffes Hexavac, mit dem bis vor Kurzem fast alle österreichischen Babys gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus oder Keuchhusten geimpft wurden. Als im März 2003 in Kärnten die damals 18 Monate alte Rebecca unmittelbar nach der vierten Teilimpfung immer apathischer wurde und am Abend tot in ihrem Bettchen lag, war dies Anlass für eine europaweite Initiative, in der insgesamt 16 aufgetretene Todesfälle in engem zeitlichem Zusammenhang mit Sechsfachimpfstoffen untersucht wurden. In den Studien stellte sich heraus, dass es nach Impfungen mit Hexavac im Gegensatz zu Infanrix Hexa, dem zweiten verfügbaren Impfstoff tatsächlich vereinzelt zu allergischen Schockreaktionen kommen kann.
Informationsloch. Bis in die ärztliche Praxis drangen diese Informationen jedoch kaum durch. Wir haben bei Hexavac überhaupt keine einzige Meldung vorliegen, teilte der für UAW-Fälle zuständige Sektionsleiter im Gesundheitsministerium Hubert Hrabcik kurz nach Rebeccas Tod auf eine entsprechende Nachfrage von profil mit. Weder über schwere noch über leichte Nebenwirkungen. Zur selben Zeit hatte das Ehepaar Elke und Stefan Gschaider aus dem niederösterreichischen Pernitz mit seinem Sohn Nicolas bereits eine regelrechte Odyssee durch Kliniken und Intensivstationen hinter sich. Auch bei Nicolas waren nach der Hexavac-Impfung heftige Reaktionen mit hohem Fieber, das in epileptische Anfälle überging, aufgetreten. Mehrfach musste Nicolas wiederbelebt werden. Heute ist er geistig und körperlich schwer behindert. Wir haben in allen Spitälern, wo wir seit diesem Vorfall waren, immer wieder auf den unmittelbaren Zusammenhang zur Impfung hingewiesen, sagt Stefan Gschaider. Dennoch fand es die längste Zeit kein Arzt für nötig, Meldung zu erstatten.
Im September 2005 wurde Hexavac schließlich vom Markt genommen. Offiziell wegen Zweifel an der Langzeitwirksamkeit der Hepatitis-B-Komponente. Hannelore Klingbacher, Rebeccas Mutter, hat kürzlich die offizielle Bescheinigung erhalten, dass der Tod ihres Kindes von der Impfung herrührte. Ihre zwei jüngsten Kinder hat sie gar nicht mehr impfen lassen weil ich das nervlich nicht mehr aushalte. Im Fall von Nicolas wurde hingegen ein negatives Gutachten erstellt. Stefan Gschaider hat dagegen berufen. Ich war nie ein Impfgegner und werde auch in Zukunft keiner sein. Aber wenn mal in seltenen Fällen etwas passiert, dann sollte der Staat auch die Verantwortung übernehmen, wenn bei einer offiziell empfohlenen Impfung etwas schief geht.
Franz-Joseph Huainigg, Nationalratsabgeordneter und Behindertensprecher der ÖVP, sitzt seit einer Impfung im Rollstuhl. Ende der achtziger Jahre stellte auch er einen Antrag auf Anerkennung des Impfschadens. Bei mir waren gleich drei Gutachten negativ, erzählt er. Ein Arzt fand den Zusammenhang mit der Impfung zumindest für möglich, einer glaubte eher nicht daran, und der dritte hielt ihn für ausgeschlossen. Und kein Einziger der drei hat mich untersucht oder auch nur mit mir oder meinen Eltern geredet. Im vergangenen Jahr hat Huainigg im Parlament eine Novelle zum Impfschadensgesetz eingebracht, die eine Erleichterung der Beweisführung ermöglichen soll. Ich will nun erst mal beobachten, wie sich das in der Praxis auswirkt.
Dass es in seltenen Fällen schwere Impfschäden geben kann, ist ein aus der wissenschaftlichen Literatur bekanntes Faktum. So tragisch die Fälle im Einzelnen sein mögen, sie als Waffe im Kampf gegen Impfungen einzusetzen, wie es manche Impfgegner tun, halten seriöse Wissenschafter dennoch für unzulässig. Viele der heute lebenden Menschen würden ohne Impfungen gar nicht existieren, sagt Immunologe Wick.
Windpocken. Während die Rotavirus-Impfung auch von impfkritischen Ärzten weit gehend positiv aufgenommen wird, sind die Meinungen geteilt, wenn es um die Impfung gegen Windpocken, die letzte der klassischen Kinderkrankheiten, geht. Die Möglichkeit einer Ausrottung wie bei Pocken, Polio oder Masern scheine derzeit zwar eher unwahrscheinlich, meint Wolfgang Maurer, Impfexperte am Wiener AKH, dennoch sprächen eine Reihe von Gründen für die allgemeine Impfung. Die Komplikationsrate liegt bei eins zu viertausend, sagt Maurer. Es ist einfach unfair, wenn man den Kindern unnötiges Leid nicht erspart.
Der Münchner Arzt Martin Hirte, Autor mehrerer kritischer Impfratgeber, warnt hingegen vor der Windpocken-Impfung und nennt sie einen unkontrollierten Menschenversuch. Es sei ein Irrtum, dass jede verhinderte Krankheit automatisch ein Gewinn sei. Denn möglicherweise haben diese Infekte einen positiven Einfluss auf Krebs oder andere Krankheiten im späteren Leben, sagt Hirte. Man sollte das jedenfalls gründlich untersuchen, bevor man hier einen Sachzwang schafft, der nicht mehr umkehrbar ist.
Jeder, der einmal Windpocken hatte, trägt die Viren ein Leben lang im Körper. Diese so genannten Varizellen können später erneut aktiv werden. Dann allerdings in veränderter Form als Herpes Zoster (Gürtelrose). Eine kürzlich im britischen Medizinjournal The Lancet veröffentlichte Studie zeigte, dass das Risiko eines Gürtelrose-Ausbruchs stark minimiert wird, wenn ältere Menschen Kontakt mit windpockenkranken Kindern haben. Scheinbar halten die virenschleudernden Enkel die Varizellen bei den Großeltern in Schach. Durch Impfung vermiedene Windpocken könnten demnach die Gefahr der Gürtelrose erhöhen. Das ist bislang nur ein sehr theoretisches Risiko, meint Impfexperte Maurer. Falls sich das aber tatsächlich bewahrheiten sollte, so gibt es ja nun bald die Schutzimpfung gegen Herpes Zoster. Diese Impfung enthält wegen des schwächeren Immunsystems älterer Menschen das Windpocken-Serum in 14-facher Dosierung und soll ebenfalls noch im laufenden Jahr auf den Markt kommen.
In Deutschland hat die ständige Impfkommission des staatlichen Robert Koch Instituts (Stiko) bereits im Vorjahr die allgemeine Windpocken-Impfung empfohlen. In einer überraschenden Aktion sprachen sich allerdings die Vertreter der Krankenkassen gegen die Übernahme der Kosten aus. In 95 Prozent der Fälle verlaufe die Krankheit völlig komplikationsfrei. Durch die Impfung drohe hingegen eine Verschiebung in ein höheres Lebensalter mit einer höheren Komplikationsrate. Andere Kritiker, wie der Herausgeber des unabhängigen Arznei-Telegramms, Wolfgang Becker-Brüser, werfen der Stiko eine allzu große Nähe zur Pharmaindustrie vor. Man habe häufig den Eindruck, so Becker-Brüser, dass hier eher die Rechte der Produzenten als jene der Geimpften gewahrt würden. Mit diesen immer weiter ausufernden Empfehlungen tun die Behörden dem Impfgedanken sicher keinen Gefallen.
Pharmanähe. Interessenkonflikte werden auch in Österreich bisher nicht wirklich deklariert, klagt Clemens Martin Auer, Kabinettschef von Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat. Es ist ja nicht obszön, wenn jemand Aufträge von der Pharmaindustrie erhält, aber dann sollen sich diese Experten bitte mit ihren Empfehlungen zu den jeweiligen Firmenprodukten zurückhalten. Demnächst erhalte jedes Mitglied der Impfkommission ein Formular mit der Aufforderung, darin alle finanziellen Beziehungen zu Pharmaherstellern offen zu legen, kündigt Auer an.
Derzeit wird darüber verhandelt, wer die Kosten für die Rotaviren-Impfung übernimmt. Das wäre der gerade Weg in die 2-Klassen-Medizin, wenn nur jene Eltern, die genug Geld haben, ihre Kinder impfen lassen können, sagt Impfexperte Maurer. Eine Chance wie bei der Pneumokokken-Impfung dürfe nicht wieder vergeben werden. Damals hatte sich das Ministerium, trotz heftigster Attacken der Impfstoffhersteller und einiger Experten, geweigert, die Impfung öffentlich anzukaufen und gratis für alle Babys anzubieten. Die Preise, die hier verlangt wurden, waren wirklich eine Frechheit, rechtfertigt sich Auer. Und mit dem Leichentuch lassen wir uns von niemandem drohen.
Bei der Rotaviren-Impfung liege der Fall jedoch gänzlich anders. Die Empfehlung des Sanitätsrates sei klar, und die Studien seien eindeutig positiv. Wir verhandeln nun über einen guten Preis, und wenn wir uns einigen, wird es nächstes Jahr die Gratisschluckimpfungen geben.
Von Bert Ehgartner