Leitartikel: Christian Rainer

Mein Haider

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Jörg Haider starb am Samstag der vergangenen Woche um halb zwei Uhr morgens. Wir hatten die Redaktion in der Wiener Hainburger Straße eine knappe Stunde zuvor verlassen. Als sich gegen fünf Uhr Früh die Nachricht vom Tod des Kärntner Landeshauptmannes verbreitete, liefen gerade die Druckmaschinen für die aktuelle Ausgabe an. Auf der Titelseite stand „1000 Milliarden. 70 Seiten zur Krise“. Kein Wort über Haiders Tod. Er hatte sich dem schnellen Nachruf durch profil entzogen.

profil-Journalisten haben den Weg des Jörg Haider präziser als sonst jemand in der Welt verfolgt und begleitet. In den achtziger Jahren gab es Covergeschichten mit Titeln wie „Der Lack ist ab“, zur Regierungsbildung im Jahr 2000 stand da „Schande Europas“, und am Tag der Nationalratswahl vor drei Wochen titelten wir „Sieg …! Radikale Rechte wird entscheidende Kraft in Österreich“. Die profil-Redakteurin Christa Zöchling hat das Standardwerk über ihn geschrieben: „Haider. Licht und Schatten einer Karriere“. Und es ist überhaupt keine Frage, dass wir die Schatten stets ungleich größer sahen als das Licht, das Haider zu verbreiten vermochte.

Denn Haider hielt mit seinem Geschichtsbild Mythen am Leben, die gerade in einem der beiden Länder, in denen der Nationalsozialismus seine Heimat hatte, längst verschwunden sein sollten. Die ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich. Österreich als ideologische Missgeburt. Die Verherrlichung von alten und neuen Nazis am Ulrichsberg. Für diesen Ungeist musste sich Österreich permanent vor sich selbst und vor der Welt genieren. Daneben weckte Haider einen anderen Geist, mit dem er nicht nur ein Grüppchen Ewiggestriger begeistern konnte, sondern zuletzt – gemeinsam mit seinem Wiedergänger Heinz-Christian Strache – beinahe ein Drittel der Österreicher. Die Hetze gegen „Sozialschmarotzer“ und Ausländer hat kaum jemand in westlichen Demokratien so effizient und nachhaltig und mit einem derartigen Ergebnis betrieben. Das angebliche Aufbrechen verkrusteter Strukturen, sei es in der Notenbank oder sonst wo, das nun in Nachrufen gewürdigt wird, ist im Vergleich zu dieser gewaltigen Aufschüttung von Missgunst und Ressentiments eine Fußnote.

Persönlich habe ich Haider völlig anders empfunden. Ich verkehrte mit ihm seit 20 Jahren per Vornamen. Er war herzlich, hörte zu, setzte sich wie kaum ein anderer Politiker – vielleicht ist Alfred Gusenbauer die Ausnahme – mit dem Gegenüber auseinander. Freilich hinterließ diese Empathie stets den Eindruck, dass er sie bloß zur Selbstbespiegelung brauchte. Er liebte es zu verführen, die Menschenmassen ebenso wie den Einzelnen, wie seinen Nachfolger Stefan Petzner. Der körperlichen Nähe konnte man sich entziehen, der Faszination nicht. Sein schneller Griff nach meinem Handgelenk im Anschluss an eine ORF-„Pressestunde“ bleibt mir in Erinnerung. Was bei dem Gedanken an diese Situation meine Projektion ist und was nicht, kann ich nicht beantworten. Er konnte es auch nicht, als ich ihn damals fragte.

Haider war authentisch, und dies war die zentrale Eigenschaft, die ihm all den Erfolg brachte. Er spielte nicht, lavierte nicht, taktierte nicht. Er glaubte das, was er sagte, und an das, was er tat. Aber er glaubte heute das und morgen das Gegenteil, tat gestern das eine und übermorgen das andere. Wem jene langfristige Erfahrung mit Haider fehlte, der konnte ihn für einen Liberalen, einen Humanisten, sogar einen Gutmenschen halten.
Irgendwann vor einigen Jahren, bevor unser Kontakt abgebrochen ist, sagte ich zu ihm: „Warum hast du nicht einen anderen Beruf gewählt? Dann hätten wir vielleicht Freunde werden können.“ Aber jeder andere Beruf als die Politik wäre seiner Größe natürlich nicht angemessen gewesen.

Jörg Haider wird uns allen fehlen. Aber wir werden ihn nicht deshalb vermissen, weil er eine Lücke im Land hinterlässt, die kein anderer zu füllen vermag; vielmehr sollte das Loch einfach zugeschüttet werden, das er gegraben hat. Er wird uns fehlen, weil die meisten profil-Journalisten in den vergangenen 20 Jahren beinahe täglich an ihn gedacht haben und denken mussten. Das Mitgefühl der profil-Redaktion gilt Jörg Haiders Familie.