"Meine Hände sind in Blut getränkt"

"Meine Hände sind in Blut getränkt": Der Mord an Natalia Estemirowa

Der Mord an Natalia Estemirowa

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Vorvergangenen Donnerstag, den 9. Juli, veröffentlichte die Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa ihren letzten Bericht. Darin ging es um die Entführung und Ermordung von Riswan Abuchadschijewitsch Albekow und dessen Sohn Asis. Das Ergebnis von Estemirowas Recherche: Eine Spezialeinheit des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow war am 7. Juli ins Dorf Achkintschu-Borsoi gekommen und hatte Riswan und seinen Sohn Asis mitgenommen. Um Mitternacht wurde der Vater wieder zurück ins Dorf gebracht, diesmal trugen die Soldaten Tarnuniformen. Riswan Albekow wurde aus dem Auto gezerrt, er war nur noch mit Unterwäsche bekleidet. Vor Jugendlichen aus dem Dorf fragten ihn die Soldaten, ob er den Kämpfern in den Bergen geholfen hätte. Er schüttelte wortlos den Kopf. Darauf schossen sie den Mann nieder. Laut Augenzeugenberichten sagten Kadyrows Sicherheitsleute: „Das wird mit allen passieren, die mit den Rebellen kollaborieren!“ Über das Schicksal des Sohnes ist bisher nichts bekannt.

Natalia Estemirowa wird keine derartigen Anschuldigungen gegen Ramsan Kadyrow mehr vorbringen können. Am 15. Juli um 8.30 Uhr wurde die 50-jährige Witwe und Alleinerzieherin einer 15-jährigen Tochter vor ihrem Haus in Grosny von vier Männern in ein weißes Auto gezerrt. „Ich werde gekidnappt!“, rief die Preisträgerin des ersten Anna-Politkowskaja-Preises. Der war ihr 2007 für ihre mutige und aufklärerische Arbeit verliehen worden. Seit 1999 arbeitet die russisch-tschetschenische Journalistin für die Menschenrechtsorganisation „Memorial“, einen der wenigen verbliebenen Grundpfeiler der Zivilgesellschaft im modernen Russland.

Am Mittwochnachmittag wurde Natalia Estemirowas Leiche an der Autobahn Kawkas in Inguschetien außerhalb der Stadt Nasran gefunden: Schüsse in Kopf und Brust. Eine Kritikerin war zum Schweigen gebracht worden. „Der Verantwortliche heißt Ramsan Kadyrow“, erklärte Oleg Orlow, Chef von „Memorial“ in Moskau.

Tschetscheniens Präsident wies dies weit von sich: „Die Mörder dieser hilflosen Frau verdienen keine Unterstützung und müssen als die grausamsten Verbrecher bestraft werden“, verkündete er in Grosny. Sein Sprecher Alvi Kerimow kündigte eine offizielle und eine inoffizielle Untersuchung an, so sei es tschetschenische Tradition. Auch der russische Präsident Dmitri Medwedew sei „empört“, erklärte Kreml-Sprecherin Natalia Timakowa.

Der Mord an der „hilflosen Frau“ aber wird wohl kaum aufgeklärt werden. Seit Jahren werden Menschenrechtsaktivisten und kritische Journalisten in Russland – dazu gehört auch die Teilrepublik Tschetschenien – erschossen oder vergiftet, ohne dass jemals ein Mörder oder Auftraggeber von einem unabhängigen Gericht verurteilt worden wäre. Das prominenteste Opfer: Anna Politkowskaja, kremlkritische Chronistin der Tschetschenienkriege, erschossen am 7. Oktober 2006 in ihrem Wohnhaus in Moskau. Der Prozess gegen ihre Mörder läuft derzeit ins Leere, weil ihre wahren Mörder nicht angeklagt werden. So wird es auch im Fall Estemirowa sein, glaubt „Memorial“-Tschetschenien-Experte Alexander Tscherkassow im Gespräch mit profil: „Nichts wird passieren“ (siehe Interview S. 58).

Das Eliminieren hat System. Wer Estemirowas Mord direkt befohlen hat, wissen die Experten nicht. Doch wer die Atmosphäre für diesen Mord geschaffen hat, wer von ihm profitiert, ist offensichtlich: der tschetschenische Machthaber. Ramsan Kadyrow ist seit Mai 2007 Präsident Tschetscheniens. Die Macht aber hat er bereits seit Mai 2004 inne, als der damalige Präsident und sein Vater – Achmed Kadyrow – bei einem Bombenattentat ermordet worden war. Ramsan war Chef der „Kadyrowzi“, der Sicherheitsmilizen des Kadyrow-Clans.

Zum Statthalter von Russlands Gnaden ernannte ihn 2007 Ex-Kremlchef Wladimir Putin, der dem Bandenboss freie Hand gab und dafür den Konflikt „tschetschenisierte“. Kadyrow räumt seitdem unter den Rebellen in den Bergen selber auf, seine Milizen rauben und morden auf eigene Rechnung. Russland konnte deshalb im April dieses Jahres die „antiterroristische Operation“ – so der Kreml-Ausdruck für den 15 Jahre dauernden mörderischen Krieg gegen die tschetschenischen Rebellen – offiziell beenden. Die russischen Soldaten ziehen seither aus Tschetschenien ab.

Der 32-jährige Ramsan bleibt als Alleinherrscher in der vom Krieg schwer zerstörten Republik zurück. Zwischen Kreml und Kadyrow herrscht ein Stillhalteabkommen. Mittels Moskauer Hilfsgelder baut Kadyrow die Innenstadt von Grosny wieder auf, gerade eröffnete er die größte Moschee im Kaukasus. Der junge Mann hat in seinem Leben außer Krieg, Mord, Gewalt und exaltiertem Nationalismus nicht viel erlebt, und entsprechend brutal regiert er nun auch: Seinen Untertanen verordnet er eine krude Mischung aus islamischem Gesetz und tschetschenischen Bräuchen, während seine Milizen rücksichtslos jede Opposition liquidieren.

Das trifft nicht nur Menschenrechtler wie die „Memorial“-Mitarbeiterin Estemirowa. Kurzen Prozess machen die Kadyrowzi auch mit Kritikern, die einst Teil der Machtstrukturen waren. Vergangenen Jänner wurde in Wien-Floridsdorf Umar Israelow auf offener Straße erschossen. Der Tschetschene war Leibwächter bei Kadyrow gewesen und hatte nachher von Folterungen berichtet.

Auch aktive Gegenspieler Kadyrows müssen um ihr Leben fürchten. Die Brüder Ruslan und Sulim Jamadajew kämpften jahrelang Seite an Seite mit den Kadyrows gegen die Russen. Als die islamistischen Rebellen immer radikaler wurden, wechselten beide Clans die Seite und kämpften mit den russischen Truppen gemeinsam gegen die Rebellen in den Bergen. Dafür wurde Kadyrow senior mit dem Statthalterposten in Grosny belohnt, und die Jamadajews führten das „Wostok“-Bataillon als Teil der russischen Streitkräfte weiter.

Doch seit Kadyrow junior selbst regiert, haben sich die Beziehungen zwischen den Familien verschlechtert. Ramsan duldet keine Konkurrenten. Am 24. September 2008 wurde Ruslan Jamadajew am Moskwa-Ufer im Zentrum der russischen Hauptstadt erschossen. Sein Bruder Sulim fiel im März 2009 einem Attentat in Dubai zum Opfer. Die Verwandten behaupten bis heute, Sulim lebe noch. Als Machtfaktor innerhalb von Tschetschenien ist der Clan aber ausgeschaltet.

Mit der relativen Kontrolle über seine Republik steigt Kadyrows Appetit auf die Nachbarn Inguschetien und Dagestan. In Inguschetien überlebte Reformpräsident Junus-Bek Jewkurow am 22. Juni nur knapp einen Bombenanschlag. In Dagestan wurde gerade der Innenminister beim Besuch einer Hochzeit erschossen. Die Anschläge gehen auf das Konto interner oder islamistischer Unruhestifter – aber auch dort ist als Profiteur der Instabilität immer der gleiche Mann auszumachen: Ramsan Kadyrow. Der kündigte am Tag nach dem Anschlag auf Jewkurow an, in Inguschetien mit Antiterrormaßnahmen durchgreifen zu wollen.

Aus dem Kreml ist zu Kadyrows kaukasischen Intrigen wenig zu hören. Präsident Dmitri Medwedew scheinen die Menschenrechte grundsätzlich mehr zu bedeuten als seinem Vorgänger Waldimir Putin – zumindest betont er gern deren Wichtigkeit. Der Jurist Medwedew hat sich wiederholt mit Vertretern der Bürgerrechtsorganisationen getroffen, und er gab ausgerechnet der oppositionellen „Nowaja Gaseta“ in diesem Frühling ein Interview. Dennoch gelten Putins Gesetze bislang uneingeschränkt. Und Putin hat Kadyrow bis auf Weiteres die Kontrolle über Tschetschenien übergeben.

Mit der Moskauer Macht im Rücken fühlt sich der Jungpotentat deshalb unverwundbar. Vor Kurzem lud Ramsan Kadyrow Natalia Estemirowa zu einem persönlichen Gespräch vor. Estemirowa hatte für „Memorial“ berichtet, Kadyrow wolle in Tschetschenien die Scharia einführen, das islamische Gesetz. Junge Frauen würden praktisch dazu gezwungen, Kopftücher zu tragen. Kadyrow herrschte Estemirowa darauf an und bedrohte sie offen, wie sie später gegenüber „Memorial“ berichtete: „Es stimmt, meine Hände sind in Blut getränkt. Ich habe getötet, und ich werde weiterhin böse Menschen töten. Wir kämpfen gegen die Feinde unserer Republik.“

Tessa   Szyszkowitz

Tessa Szyszkowitz