Tanz der Mormonen

Musiktheater. Die Suche nach einer neuen Musical-Intendanz wirft strukturelle Fragen auf

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Professionelle Imageberatung ist unbezahlbar. Davon kann auch Wiens Vizebürgermeisterin Renate Brauner ein Lied singen. Wie man hört, fand sich die SPÖ-Politikerin zu Beginn ihrer Karriere in den neunziger Jahren im Fernsehen immer zu korpulent. Als sie ihr Problem der damaligen ORF-Programmintendantin Kathrin Zechner anvertraute, stand sie mit Rat zur Seite: Brauner solle ihre Bodenständigkeit als Stärke betrachten. Sowohl die Wähler als auch die Fernsehzuseher wüssten eine "Landesmutter“ sehr zu schätzen. Damit hatte sie offenbar den richtigen Ton getroffen: Die Politikerin war beruhigt und eine innige Freundschaft geboren.

Als Kathrin Zechner 2002 selbst nach Differenzen mit der damals neuen Generaldirektorin im ORF, Monika Lindner, nach einer Typveränderung zumute war, rief sie kurzerhand ihre Freundin an. Renate Brauner stellte den Kontakt zu Bürgermeister Michael Häupl her, der die Fernsehmacherin beim Bewerbungsgespräch jovial gefragt haben soll: "Wos können Sie denn?“ Zechner platzte selbstbewusst heraus: "Wenn eine Kirche leer ist, kann ich sie wieder füllen.“

So landete die forsche Quereinsteigerin Zechner 2002 bei den Vereinigten Bühnen Wien (VBW): Sie sollte die maroden Musical-Tempel Ronacher und Raimund Theater mit neuen Gläubigen füllen. Dabei erschien Zechners ungewöhnliche Besetzung selbst wie der Stoff für ein schräges Musical - oder: Besetzungspolitik wie aus einem Nestroy-Stück. Schon bei ihrer Antrittsrede als künstlerische Leiterin der Vereinigten Bühnen Wien - erst 2004 wurde sie zur Intendantin - sorgte Zechner bei ihren Mitarbeitern für Irritation. "Es ist das erste Mal, dass ich ein Theater durch den Bühneneingang betrete“, hatte die Newcomerin keck bekannt.

Die Vereinigten Bühnen
, eine Tochtergesellschaft der Wien Holding, waren stets, mehr als alle anderen Kulturinstitutionen dieser Stadt, eine Anlaufstelle für Versorgungsjobs. Kein Betrieb vergab Stellen so offenkundig an SPÖ-nahe Vertreter. Dabei fließt nicht wenig öffentliches Geld in die VBW, die drei Häuser betreiben: das Theater an der Wien, das Ronacher und das Raimund Theater. Die für 2012 beschlossene Subvention beträgt 36,35 Millionen Euro, davon gehen rund 21 an die Oper im Theater an der Wien, knapp fünf Millionen benötigt das Orchester, weitere elf sind für das Musical im Ronacher und im Raimund Theater vorgesehen.

Auf heftige Kritik stießen die fürstlichen Gagen, die nicht nur in den Spitzenetagen der VBW bezahlt wurden. Mit geschätzten 250.000 Euro Jahresgehalt, exklusive Prämien, gehörte Zechner zu den Spitzenverdienern im heimischen Kulturbereich. Fehlende Transparenz, horrende Kosten für den Ronacher-Umbau, Prämien trotz ausbleibender Erfolge, Tantiemen für den ehemaligen VBW-Chef Rudi Klausnitzer - die Vereinigten Bühnen waren oft in den Schlagzeilen. Ein Rechnungshofbericht aus dem Jahr 2009 stellte dem Verbund denkbar schlechte Noten aus.

Zuletzt waren zumindest finanziell positive Tendenzen erkennbar. Im Juni des vergangenen Jahres vermeldete Thomas Drozda, seit 2008 Geschäftsführer der VBW, für 2010 ein Plus von 1,8 Millionen Euro. Drozda sprach von einem Rekordjahr. Im Rahmen jener Pressekonferenz hätte auch die Vertragsverlängerung von Kathrin Zechner bekannt gegeben werden sollen. Zechner wollte unbedingt bleiben, ihr Wechsel als Fernsehdirektorin zurück zum ORF erfolgte durchaus nicht freiwillig. Klaus Werner-Lobo, Kultursprecher der Wiener Grünen, und Ernst Woller, SPÖ-Gemeinderat, hatten sich bei Zechners Vertragsverlängerung quergelegt: Der Job müsse neu ausgeschrieben werden, forderten die beiden Politiker.

Thomas Drozda soll bereits im Vorfeld der Neubesetzung des Musical-Intendanten-Jobs intern lautstark verkündet haben, er lasse sich von der Politik nicht ins Handwerk pfuschen. Drozda führte Gespräche mit möglichen Kandidaten wie Josef Ernst Köpplinger, dem Musical-affinen Intendanten des Stadttheaters Klagenfurt, der allerdings schon für die Intendanz des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München vorgesehen war. Auch der heimische Schauspieler, Kabarettist und Regisseur Werner Sobotka soll schnell abgewunken haben. Es gab eine offizielle Ausschreibung, die am 15. Jänner 2012 endete. Die Zeiten, in denen der Bürgermeister schnell noch einen Spezi wie Adi Hirschal (seit 2004 Intendant des Wiener Lustspielhauses) aus dem Hut zaubern könnte, sind offenbar vorbei. Erstaunlich ist jedoch, dass Thomas Drozda, der Finanzchef, selbst einen künstlerischen Leiter bestellt. Es liegen 33 Bewerbungen für die Wiener Musical-Intendanz vor, 28 Männer und fünf Frauen. 13 stammen aus Österreich, zwölf aus Deutschland, drei aus den USA; die restlichen fünf aus anderen Ländern. Insider sagen dem heimischen Entertainer Alfons Haider aufgrund fehlender internationaler Kontakte wenig Chancen auf den Job nach. Auch Schauspielerin Marika Lichter, ebenfalls mit Renate Brauner befreundet, oder Musicalstar Uwe Kröger, die sich beworben haben, werden nicht als Favoriten gehandelt. Unter den internationalen Bewerbungen sei, wie man hört, vor allem eine Alternative problematisch: jemand, der mit dem deutschen Unterhaltungsindustrie-Giganten Stage Entertainment eng verbunden wäre. Der Hamburger Konzern dominiert schon jetzt den deutschsprachigen Markt - ein verstärkter Einfluss auf Wien wäre für die Unabhängigkeit der Vereinigten Bühnen gefährlich. Bis Ende Februar soll die neue Leitung feststehen.

In den Kammerspielen läuft "Singin’ in the Rain“, Stadthalle und Halle E im Museumsquartier bringen Shows und Musicals als Gastspiele, Peter Weck zeigt demnächst "Cats“ in einem Zelt, und die Volksoper spielt jährlich rund 50 Vorstellungen nur mit Musicals. Hinzu kommen die beiden Betriebe der VBW, das Ronacher und das Raimund Theater. Es wäre vermessen, von einem zu schmalen Angebot an Musicals in Wien zu sprechen - aber die Nachfrage ist offenbar groß: "In der Volksoper laufen Musicals phänomenal gut. In Musicals gehen auch Leute, die sich vielleicht nicht in die Oper trauen. Da gibt es bei manchen Publikumsschichten noch immer Hemmschwellen“, meint beispielsweise Volksopern-Chef Robert Meyer.

Neuerdings ist auch bei den Grünen ein Gesinnungswandel zu beobachten. Wurden in den vergangenen Jahren die VBW gern als "großes schwarzes Loch“ verteufelt, für das man Subventionsentzug forderte, gibt man sich als Regierungspartner nun moderater. "Das Musical hat das enorme Potenzial, viele Menschen zu erreichen“, sagt Klaus Werner-Lobo. "Es wäre arrogant, das zu ignorieren.“ Auch in diesem Bereich sehen die Grünen Bezüge zu ihrem kulturpolitischen Lieblingsthema: der Migration. "Warum sollte sich nicht auch im Musical widerspiegeln, dass Wien eine Zuwanderungsstadt ist?“, meint Werner-Lobo.

Grundsätzlich gilt:
Es fehlt ein Masterplan, was Musicals können sollten. Seinen Ruf als innovative Musical-Stadt, gleich neben London und New York, hat Wien längst verspielt. Die letzten großen Eigenproduktionserfolge, die sich auch international gut verkauften, liegen Jahre zurück: "Elisabeth“ (1992), "Tanz der Vampire“ (1997) und "Rebecca“ (2006).

Ob es möglich sein wird, die vergleichsweise guten Kassenergebnisse von 2010 zu prolongieren, scheint fraglich. Wie lange will man noch mit alten Klassiker-Blockbustern abkassieren? Kurzerhand wurde 2009 erneut der Gothic-Erfolg "Tanz der Vampire“ ins Ronacher gebracht, heuer im September soll "Elisabeth“ 20 Jahre nach der Uraufführung wieder im Raimund Theater zu sehen sein. Wozu braucht man Dramaturgen, wenn man ohnehin vor allem alte Long-Runs zeigt und beim deutschen Stage Entertainment fertige Produkte wie "Ich war noch niemals in New York“ oder "Sister Act“ teuer einkauft, anstatt sich selbst am Off-Broadway umzuschauen? Wobei "Sister Act“ sowieso eine Mogelpackung ist: Man wirbt zwar heftig mit dem bekannten Whoopi-Goldberg-Film, aber Songs daraus sind auf der Bühne kaum zu hören.

Kathrin Zechner hat mit Crossover-Produktionen wie "Woyzeck“ (2011) und "Die Weberischen“ (2006) durchaus Mut zu neuen Formen bewiesen. Was in Wien dennoch fehlt, sind Try-out-Bühnen wie es sie in London oder New York gibt, kleine Orte, wo man auch entlegenere Formate ausprobieren kann. "In Wien hat man für Musicals noch immer ein älteres Publikum im Kopf“, analysiert Yosi Wanunu, der mit seiner Performancegruppe toxic dreams in der Off-Szene mit der Musical-Gattung experimentierte: "Man müsste mit schrägerem Humor ein junges Publikum finden, das mit aktuellen TV-Serien wie ‚Glee’ dem Genre offen gegenübersteht.“

Gerade im Off-Bereich in London und New York geht der Trend in Richtung günstigere Produktion, man setzt weniger auf technische Raffinesse und Bühneneffekte als auf originelle Geschichten. Trey Parker und Matt Stone etwa, die Erfinder der anarchistischen TV-Cartoon-Serie "South Park“, haben mit "The Book of Mormon“ ein Musical kreiert, das organisierte Religionen und das traditionelle Musical auf den Arm nimmt. Aus der kleinen Produktion wurde ein Überraschungshit. Musical kann, wie man sieht, mehr sein als nur die routinierte Vertonung von Filmklassikern und aufwändige Bühnentechnik (wie "Spider Man“ in New York) oder die Konstruktion einer simplen Story rund um alte Pophits ("We Will Rock You“). Die neue Wiener Musical-Fachkraft sollte auf jeden Fall weiter reisen wollen als nur nach Hamburg, wo Stage Entertainment zu Hause ist.

Karin   Cerny

Karin Cerny