Märchen aus Beton

Linz. Was kann das neue Musiktheater?

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Von Manuel Brug

Muss es wirklich so groß sein? Das fragt man nicht beim neuen Wiener Hauptbahnhof, nicht bei Sportstadien und Autobahnen. Aber der Satz schwingt als bohrendes Ostinato ständig mit, wenn es um das neue Linzer Musiktheater am Volksgarten geht, ein nach fast 30-jährigem Ringen geborenes 180-Millionen-Euro-Gebäude. Eine 700 Kilo schwere Parzival-Puppe aus Aluminium und Glasfaser ließ die katalanische Open-Air-Truppe La Fura dels Baus, die für solche Spektakel gern gebucht wird, zur Eröffnung am Donnerstag vergangener Woche über der 80 Meter breiten Fassade schweben. Danach gab es den zum Weltstar gereiften polnischen Tenor Piotr Beczala zu hören, der 1991 in Linz sein erstes Engagement hatte. Am Freitag schließlich gipfelte die Inauguration des Hauses in einer von David Pountney inszenierten Philip-Glass-Opernuraufführung nach Peter Handkes 2006 verfasstem, nebulös waberndem Dramatext „Die Spur der Verirrten“ – anderntags gefolgt von leichterer Kost, einer österreichischen Musical-Erstaufführung der „Hexen von Eastwick“.
Ist das alles wirklich zu viel? In der oberösterreichischen Hauptstadt mit ihren 191.000 Einwohnern finden ab sofort – je nach Bestuhlung – zwischen 970 und 1200 Zuschauer in dem großzügigen Zuschauerraum-Hufeisen mit seinen drei Rängen unter einem von 48.000 LED-Dioden gespeisten Lichtobjekt Platz. Die Linzer (sowie all die erhofften Besucher aus einem Einzugsgebiet mit 300-Kilometer-Radius) sollen in der neuen Institution nach Passieren der Travertin-Beton-Außenhaut und der Glasfassade durch weitläufige, lichte, harmonische Foyers aus Eiche, Akazie und Untersberger Marmor wandeln. Und auch im Orchestergraben finden endlich alle 125 Musiker des Bruckner Orchesters Platz, während hinter der Bühne eine von Flughäfen abgeschaute Logistik die Kulissen verschieben wird. Das auch hinter dem Eisernen Vorhang lichtdurchflutete Niedrigst-Energiehaus erscheint exzellent durchdacht, bietet für 600 Mitarbeiter Proben-, Lager- und Werkstattmöglichkeiten unter einem Dach.

Um dies zu gewährleisten, wurde das erste neue ­Musiktheater in Europa seit der 2005 eröffneten, inzwischen finanziell trudelnden Oper in Valencia tatsächlich sehr groß. Doch Rainer Mennicken, der aus ­Bochum stammende Intendant, der seit 2006 dem Oberösterreichischen Landestheater vorsteht und hier solide gearbeitet und gewirtschaftet hat, findet es keineswegs zu groß. Gut, man habe jetzt fünf Spielstätten mit insgesamt 2000 Plätzen, aber erstens seien diese ja nicht alle gleichzeitig geöffnet, und zweitens habe man viel zu bieten. Neben Oper, Schauspiel, Tanz und jungem Theater gibt es als fünfte Sparte nun auch das Musical, mit einem siebenköpfigen Spezialistenensemble und einem der besten deutschsprachigen Regisseure, Matthias Davids, an der Spitze. „Wir wollen diese Kunstform aus den Zwängen des Kommerzes hinausführen und haben gesehen, dass dafür Nachfrage besteht. Wir sind bereits jetzt zu 90 Prozent ausgelastet,“ freut sich Mennicken. Landeshauptmann Josef Pühringer sieht sich sogar schon in produktiver Konkurrenz zu Wien und Salzburg.

So hoch will Mennicken nicht hinaus. Aber er ist stolz auf dieses politische Bekenntnis zur Kultur. Er greift mit seinem auf 40 Millionen Euro aufgestockten Budget schon in der nächsten Spielzeit auch nach den Wagner-Sternen: Ab Oktober 2013 wird Uwe Eric Laufenberg „Der Ring des Nibelungen“ inszenieren. „Wir wollen mit dem neuen Theater das Herz von Linz sein“, so Mennicken. Dieses Haus freilich ist ein wenig an die Peripherie gerückt und muss nun mächtig pumpen: von hinten nämlich, da quetscht sich der bis zu 200 Meter lange, von dem Briten Terry Pawson geplante asymmetrische Riegel an eine Schnellstraße und die Westbahngleise.

An eben dieser Stelle, wo sich früher das Unfallkrankenhaus Blumau erhob, hatte ein Mächtiger schon einmal ein Opernhaus geplant: Adolf Hitler wollte in der „Patenstadt des Führers“ eine Wagner-Weihestätte errichten lassen. 75 Jahre nach dem „Anschluss“ an das Großdeutsche Reich ist jetzt ein ganz anderer Plan Realität geworden – nachdem der Bau von der FPÖ durch ein Volksbegehren anno 2000 torpediert worden war und zweimal den Standort wechseln musste. Intendant Mennicken meint nun: „Für mich wird ein Märchen wahr.“ Hoffentlich eines mit glücklichem Ende.