Österreich wird die Kioto-Ziele verfehlen

Klima. Das kostet Hunderte Millionen Euro an Strafzahlungen

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Der Chauffeur von Umweltminister Nikolaus Berlakovich hat es nicht leicht. „Er muss die Schmähungen der anderen Ministerfahrer ertragen, weil alle mit großen Autos kommen und ich mit dem Elektromobil“, scherzt Berlakovich. Die Anekdote erzählt er neuerdings gern, sie passt in seine David-gegen-Goliath-Legende, die er seit der Katastrophe von Fukushima zelebriert: Berlakovich stilisiert sich als Kämpfer gegen Atomkraft, der im kleinen Österreich beweist, dass ein Leben ohne Kernkraft und in Energieautarkie möglich ist. „Ich will nicht oberlehrerhaft sein, aber allen zeigen, wie’s geht“, tönte Berlakovich etwa Montag vergangener Woche im Zigarrenklub. Den Zuhörern war klar: Da hat ein Mann die politische Rolle seines Lebens gefunden.

Über ein anderes Thema seines Ressorts redet Berlakovich weniger gern: Klimaschutz. Kein Wunder, die Zahlen passen nicht zur Illusion vom Umweltmusterland. Schon jetzt ist klar, dass Österreich die Kioto-Ziele meilenweit verfehlen wird – wahrscheinlich als einziges EU-Land. Quer durch Europa sinken die CO2-Emissionen stärker als geplant, nur in Österreich nicht. Eigentlich sollte der Treibhausgasausstoß im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2012 um 13 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Aber die Emissionen steigen, statt zu sinken. Berlakovich hofft dennoch auf eine Trendwende bis 2012. Doch Petra Bayr, Umweltsprecherin vom Koalitionspartner SPÖ, spricht ehrlich aus, was Experten schon lange prophezeien: „Egal, was wir bis 2012 tun, wir werden die Kioto-Ziele nicht mehr erreichen.“ Das wird teuer, denn Österreich muss für die Nichteinhaltung des völkerrechtlich verbindenden Vertrags Strafe zahlen.

Berlakovich rechnet im Ernstfall mit Pönalen von 600 Millionen, Bayr mit „bis zu 1,5 Milliarden Euro“. Die Zahlungen hängen davon ab, um wie viel Österreich das Ziel verfehlt. Mit einem Ausstoß von 68,8 Millionen Tonnen an Kohlendioxid wäre das Kioto-Ziel erreicht. 2008 wurde es um 6,9 Millionen Tonnen verfehlt, selbst im Wirtschaftskrisenjahr 2009 lag die Differenz bei erklecklichen 5,1 Millionen Tonnen – obwohl die industrielle Produktion einbrach und der Treibhausgasausstoß der Industrie um 14 Prozent sank. Die Zahlen für 2010 sind noch nicht durchgerechnet. Georg Rebernig, Geschäftsführer des Umweltbundesamts, kalkuliert aber damit, dass sie in Richtung der Werte von 2008 tendieren und damit weit über dem Kioto-Ziel liegen. Der massive Rückstand ist in den verbleibenden Jahren nicht mehr aufholbar.

Trotz des vorhersehbaren Desasters wird wenig unternommen, um die Klimabilanz wenigstens noch ein bisschen aufzumöbeln und die drohenden Strafzahlungen zu senken. In Großbritannien etwa wurde ein strenges Klimaschutzgesetz mit 102 Paragrafen verordnet. Das österreichische Pendant umfasst dürftige 2,5 Seiten – und ist bis heute nicht beschlossen. Auch die Förderungen für klimaschonende Technologien tröpfeln nur zäh. Die Bereitschaft der Bevölkerung, Geld für Klimaschutz in die Hand zu nehmen, übertrifft jene der Politik. Fotovoltaik-Anlagen auf Hausdächern etwa kosten zwischen 10.000 und 15.000 Euro. Trotz der stattlichen Summe meldeten sich heuer fast 20.000 Haushalte für Förderungen an. Das Fördergeld reicht lediglich für 7000 davon, denn der Bund unterstützt private Fotovoltaik-Anlagen nur mit 35 Millionen Euro. Diese Mittel waren binnen weniger Stunden vergeben – in der Steiermark sogar nach exakt 66 Sekunden.

Üppig Geld ist nur für Werbung für Klimaschutz vorhanden:
In drei Inseratenkampagnen, ausgestattet etwa mit einem Foto des Umweltministers, wurde die Fotovoltaik-Aktion 2009 beworben. Die Kosten von 564.000 Euro zahlte der Klimafonds. „Aufgrund der ohnedies großen Nachfrage war die Bewerbung nicht zweckmäßig“, kritisierte der Rechnungshof trocken. Für Niklas Schinnerl, Klimaexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace, ist das typisch: „Berlakovich und vor ihm Josef Pröll nutzen die Umweltpolitik für PR-Zwecke. Für den Klimaschutz passiert aber viel zu wenig.“

Berlakovich hat immerhin verbal das Thema Energie entdeckt. Doch wesentliche Bereiche der Klimapolitik gehören nicht zu seinen Agenden: Für das Ökostromgesetz ist das Wirtschaftsministerium zuständig, für Verkehr das Infrastrukturministerium, weite Teile der Energieversorgung laufen über die Bundesländer und ihre Gesellschaften. Überall wurde das Klimaproblem jahrelang weitgehend ignoriert.

„Die Politik wollte nichts davon hören“
, seufzt der Volkswirt und Klimaschutzexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts, Stefan Schleicher. Er hatte schon 2007 vorgerechnet, dass Österreich das Kioto-Ziel verfehlen wird, wenn es nicht endlich aktiv werde. Die einzige Aktivität war eine Beschimpfung des Überbringers der schlechten Nachricht: Schleicher sei als Experte im Klimafonds „fehl am Platz“, wetterte Umweltminister Josef Pröll.

Schleicher ist bis heute überzeugt, dass Österreich die Klimaschutzziele hätte erreichen können. „Schauen Sie“, deutet er aus dem Fenster eines Cafés in der Wiener Innenstadt. „Sehen Sie das Haus gegenüber?“ Selbst für Laien sind die schlechte Bausubstanz und die undichten Fenster auszumachen. Für Schleicher nur ein Beispiel unter vielen: „Österreichs Wohnbestand entspricht nicht dem Reichtum des Landes.“ Mit thermischer Sanierung der schnell und billig errichteten Nachkriegsbauten hätte man gleich mehrere Ziele erreicht: niedrigere Energiekosten für die Bewohner, eine bessere Klimabilanz und zusätzliche Arbeitsplätze. Wirtschaftsforscher können vorrechnen, dass sich jeder Euro, der in thermische Sanierung gesteckt wird, doppelt rechnet, und empfehlen seit Jahren, drei Prozent des Nachkriegshausbestands zu sanieren. Tatsächlich stagniert die Sanierungsrate bei rund einem Prozent, sagt Schleicher. Sie wäre leicht zu erhöhen – wenn jene drei Milliarden Euro, die der Bund jährlich an Wohnbauförderung ausschüttet, zu größeren Teilen in Sanierung fließen würden.

In der Industrie ist für das Klima nicht mehr viel zu holen. Die größten Emittenten sind die Voest, die OMV und die Papierindustrie. Allein die Voest gibt nach eigenen Angaben 280 Millionen Euro jährlich für Umweltauflagen aus. Große Potenziale sehen Experten hingegen in der Energieerzeugung. Das Ökostromgesetz hilft dabei wenig: Die Förderungen sind zu mickrig, um den Rückstand bei erneuerbaren Energien wettzumachen.

Einer der größten Verschmutzer ist der Verkehr, der um exorbitante 54 Prozent mehr Emissionen verursacht als 1990. „Verkehr ist bei uns ein Tabuthema. Jede Regierung schreckte davor zurück, etwas zu unternehmen und etwa Kilometermaut einzuführen. Stattdessen gibt es Steuergeschenke für Frächter“, kritisiert Grünen-Chefin Eva Glawischnig die Untätigkeit. Schon Umweltminister Josef Pröll machte ­lieber den Tanktourismus als Schuldigen aus. In der Tat entfallen, je nach Studie, zwischen zehn und 30 Prozent der Österreich zugerechneten Verkehrsemissionen auf nicht hier gemeldete Fahrzeuge. Das hat seine Gründe: „In Österreich ist Benzin und Diesel so niedrig besteuert, dass alle Lkws hier tanken“, sagt Greenpeace-Experte Schinnerl. Selbst Ex-Umweltminister Martin Bartenstein gibt offen zu, dass „das Ende des Tanktourismus sofort da wäre, wenn die Mineralölsteuer auf das Niveau von Deutschland und Italien angehoben würde. Wer eine bessere Co2-Bilanz will, hätte das Auseinanderklaffen nicht zulassen dürfen.“

Außerdem vergaßen Pröll und Co meist, dar­auf hinzuweisen, dass Österreich aus dem Tanktourismus eine Milliarde Euro pro Jahr an Mineralölsteuer lukriert. Ein Teil davon könnte in den Klimaschutz investiert werden, etwa in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Es passiert das Gegenteil: Die Bahn etwa kappt seit Jahren ihre Nebenstrecken.
Über die Fehlentwicklungen schwieg noch jede Regierung gern. Jetzt dämmert den Verantwortlichen, dass die Kioto-Ziele außer Reichweite sind. Als Ausrede muss herhalten, Österreich habe sich zu ambitionierte Vorgaben gesetzt. Dabei gerät in Vergessenheit, dass die ursprünglichen Ziele noch ehrgeiziger waren.

Eigentlich hatte die große Koalition in den neunziger Jahren beschlossen, die Treibhausgase um 25 Prozent zu reduzieren – gemessen am Niveau von 1990. Das Ziel wurde nach unten geschraubt: 1998 verpflichtete sich die EU im Kioto-Protokoll, ihre Emissionen um acht Prozent zu kappen. Diese Ziele wurden auf die Mitgliedsstaaten aufgeteilt, Österreich übernahm eine Quote von minus 13 Prozent. „Eigentlich wären für uns 20 Prozent vorgesehen gewesen, die 13 Prozent waren das Ergebnis harter Verhandlungen“, erinnert sich der damalige Umweltminister Bartenstein.

Die Aufteilung ist ein völkerrechtlich verbindlicher EU-Vertrag. Die größten Quoten der damals 15 EU-Mitgliedsstaaten fielen auf Luxemburg (minus 28 Prozent), gefolgt von Deutschland und Dänemark mit je minus 21 Prozent. Strukturschwachen Staaten wie Portugal oder Griechenland wurde ein Anstieg ihrer Treibhausgase zugestanden. Die gesamte EU erreicht ihre Ziele locker – auch deshalb, weil das Jahr 1990 als Referenzwert gilt. Seit damals wurden etwa in Deutschland große Teile der Industrie der ehemaligen DDR zugesperrt.

Auch wenn Österreich keine derartigen Sonderbedingungen hatte – die Ziele wären machbar gewesen, glaubt Bartenstein. „Wir haben sicher zu wenig gemacht“, rekapituliert er. Einen Schuldigen ortet er in den Ländern. „Im Bereich Raumwärme und Energieaufbringung wäre mehr zu holen gewesen, wenn wir nicht so föderale Strukturen hätten.“

Jeder, der es wissen wollte, ahnt schon lange, dass Österreich auf Klimaabwegen ist; Rechnungshof, Umweltbundesamt und andere Experten weisen seit Jahren auf die Lücke hin. Doch alle Regierungen negierten das Problem. „Mehr Optimismus ist angesagt. Wir werden eine Punktlandung hinlegen können. Im Finish schaffen wir die Ziele“, versprach etwa der damalige Umweltminister Josef Pröll Ende 2007. Auch Nachfolger Berlakovich hält das Prinzip Hoffnung hoch: „Der eingeschlagene Weg stimmt. Abgerechnet wird zum Schluss.“

Er bemüht sich, die Bilanz zu schönen, und kauft Verschmutzungszertifikate im Ausland an. 513 Millionen Euro sind bis zum Jahr 2012 dafür reserviert. 70 Projekte hat Österreich bereits unterstützt, von Wasserkraftwerken in China bis zur Sanierung eines Kohlekraftwerks in Indien. Selbst 68 Kilometer von der Grenze entfernt, in Ostffyassonyfa in Ungarn, wird ein Windpark finanziert. Damit leistet Österreich zwar einen Teil seiner Strafzahlungen bereits vorweg, doch die Grüne Glawischnig hält das für „vergeudetes Geld“: Die Wertschöpfung bleibt nicht in Österreich, und an der Klima­situation hierzulande ändert sich nichts. SPÖ-Umweltsprecherin Bayr attestiert: „Wir sollten das Geld in Österreich investieren.“ Sie hält zudem manche der finanzierten Anlagen für entwicklungspolitisch bedenklich, etwa in China, und bilanziert: „Der Kauf von Zertifikaten ist ökologisch und menschenrechtlich dumm.“

Ohne Investition in die Verschmutzungsrechte würde die heimische Klimabilanz noch düsterer aussehen. 2009 etwa wurden 80,1 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente emittiert, laut Kioto-Ziel dürften es nur 68,8 Millionen Tonnen sein. Durch die Investitionen im Ausland senkte Österreich die Differenz von 11,3 auf 5,1 Millionen Tonnen.

Wie viel Österreich zu den bereits budgetierten 513 Millionen Euro zusätzlich an Strafe zahlen und in Zertifikate investieren muss, wird 2012 zum Abschluss der Kioto-Periode berechnet. Roland Jöbstl vom Umweltdachverband kalkuliert mit weiteren 400 Millionen Euro. Auch der Umweltconsulter „denkwerkstatt“ rechnet mit Gesamtkosten von einer Milliarde Euro. Im Budgetrahmen ist das Schmutzgeld nicht vorgesehen.
Dafür arbeitet Berlakovich schon daran, die politische Verantwortung von sich zu weisen: „Die Erreichung der Klimaziele ist keine One-Man-Show des Umweltministers, sondern verlangt die Anstrengung aller.“ Zudem seien auch seine Vorgänger, übrigens allesamt ÖVP-Parteikollegen, mitverantwortlich: „Man hätte früher mehr tun müssen.“

In der EU wird indes darum gerungen, welche Treibhausbilanz sich Europa für die Zeit nach Kioto verordnen soll. Derzeit ist geplant, dass die Emissionen bis 2020 um 20 Prozent sinken. Die EU-Kommission will das Ziel auf 30 Prozent erhöhen. Österreich will es lieber beim niedrigeren Klimaziel belassen.

Immerhin diese Lektion hat die Regierung aus dem Klimadebakel gelernt.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin