Oft werden alte, illegal beschaffte oder falsche Daten zur Bonitätsprüfung herangezogen

Oft werden alte, illegal beschaffte Daten zur Bonitätsprüfung herangezogen

Kreditauskunfteien. Der Kunde ist dagegen fast machtlos

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Anton R. steckt sich eine Zigarette an und blickt durch das Fenster des winzigen Büros in seine Werkstätte. Er wirkt wie ein Mann, den nichts mehr überrascht. „Früher habe ich manchmal an Selbstmord gedacht“, sagt er, zieht an seiner Tschick und schüttelt dann gedankenverloren den Kopf. Das Leben hatte ihm übel mitgespielt. 2005 erlitt R. zwei Schlaganfälle. Obwohl der Wiener nur kurzfristig Schwierigkeiten beim Sprechen gehabt hatte, musste er seinen Beruf aufgeben: Kein Arzt wollte dem Taxilenker volle Fahrtauglichkeit attestieren. Wenige Monate später fand der damals 57-Jährige seine Frau im Wohnzimmer. Sie lag reglos auf dem Teppich – Herzstillstand. Tod. Als Trauerarbeit begann er, die gemeinsame Wohnung aufzuräumen. Wieder ein Dämpfer: „Überall waren Mahnungen und Schreiben von Inkassobüros versteckt: im Wäscheschrank, unter den Geschirrtüchern, in den hintersten Schubladln.“ R. kann bis heute kaum glauben, dass seine Frau sogar seine Unterschrift gefälscht hatte, um weitere Schulden machen zu können: mehrere tausend Euro. Er brachte sich dennoch nicht um. „Zu feig.“ Stattdessen stotterte er die Außenstände ab, sechs Monate arbeitete er sechs, manchmal sieben Tage pro Woche. Er hatte sich inzwischen als Taxiunternehmer selbstständig gemacht. Seit Juni 2007 ist er schuldenfrei. Einen Überziehungsrahmen oder gar einen Kredit – etwa um seine kleine Taxiwerkstätte verfliesen zu können – erhält er dennoch nicht. „Hast du einmal das Bummerl, hast du es immer.“

Zweifelhafte Methoden.
R. war wegen der Schulden, die seine Frau verursacht hatte, auf die schwarze Liste einiger Kreditauskunfteien geraten. Diese bewerten für Unternehmen Bonitäten. Oftmals mit durchaus zweifelhaften Methoden. Ihren Auftraggebern wie Banken, Versandhäusern oder Telekomanbietern liefern sie meist nur noch einen abstrakten „Scoring“-Wert – quasi ein Rating, doch statt Ländern werden Privatpersonen beurteilt. Wie dieser Wert errechnet wird, der über Kredit oder nicht Kredit entscheidet, erfährt niemand. Eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs besagt, dass Wirtschaftsauskunftsbüros dem Betroffenen keine Auskunft darüber geben müssen; dies wäre Aufgabe des Auftraggebers des Bonitätsdienstes. Doch Banken und Versandhäuser besitzen die Scoring-Basisdaten in der Regel nicht, sie kennen nur das Ergebnis: guter, mittelprächtiger oder schlechter Kunde.

Kurz:
Der Betroffene erfährt, dass er ­keinen Kredit erhalten wird, er hat jedoch keine Handhabe gegen die Bewertung. Im Konsumentenschutzministerium nimmt man an, dass fast jeder Österreicher in einer Bonitätsdatenbank erfasst ist. Name, Geburtsdatum und Adresse, dazu Zahlungsverhalten und eventuelle offene Forderungen sind zweifellos notwendig, um die Kreditwürdigkeit festzustellen. In vielen Datenbanken finden sich aber auch Einträge zu Familienstand, Herkunftsland, Wohnsituation und Wohngegend, Berufswahl und Arbeitsverhältnis. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Ein Mitarbeiter der deutschen Zweigstelle der Auskunftei Deltavista GmbH erklärte heuer bei einer Antibetrugstagung in Salzburg, sein Unternehmen hätte 2000 verschiedene Scoring-Parameter pro Datensatz in seiner Dokumentationsbank – 2000 Informationen zu jeder Person.

Noch bedenklicher:
Häufig sind die gespeicherten Informationen laut Datenschutzverein Arge Daten veraltet, illegal ­beschafft oder schlicht falsch. Rund zwei Millionen Österreicher sind von solch mangelhaften Einträgen betroffen, schätzt Arge-­Daten-Obmann Hans Zeger. Was den Auskunfteien jedoch nur in Ausnahmefällen schadet: Bis heute fehlen gesetzliche Regelungen darüber, welche Datenquellen zulässig sind und welche Daten verwendet werden dürfen. Noch immer ist unklar, wie oft diese zu aktualisieren sind, wer sie weitergeben und was mit ihnen geschehen darf. „Es gibt große Probleme mit der Verknüpfung von Bonitätsdaten zu Scoring-Werten“, seufzt Maria Reiffenstein, Sektionschefin im Konsumentenschutzministerium. „Wir brauchen dringend Regelungen.“ Sowohl das Ministerium als auch die Wirtschaftskammer arbeiten an entsprechenden Entwürfen, freilich mit recht unterschiedlichen Stoßrichtungen. Wie weit die Diskussionspapiere auseinanderliegen, wird sich noch diese Woche zeigen: Das Ministerium will bei der diesjährigen Konsumentenschutz­tagung „Wilhelminenberg-Gespräche“ über Bonitätsprüfungen sprechen.

Letzte Mahnung.
Viele Wege führen auf die „schwarzen Listen“: Heimo E. war wegen einer Lappalie auf jener von Deltavista gelandet. In seiner Studienzeit hatte der Wiener lieber das Leben genossen, als sich um Papierkram zu kümmern. Zweimal übersah er eine „letzte Mahnung“, zweimal bekam er deshalb Post von einem Inkassobüro. Noch innerhalb der Frist zahlte er die Rechnungen – zusammen 170 Euro –, damit war für ihn die Sache erledigt. Nicht aber für seine Bank. Obwohl E. seit sechs Jahren als Kundenbetreuer eines Telekommunikations­anbieters arbeitet, wird dem 35-Jährigen bis heute kein Überziehungsrahmen gewährt. Auch die Löschung seiner alten Inkasso­daten aus der Deltavista-Liste half nichts: „Wissen Sie nicht, welche Scoring-Werte Sie gehabt haben?“, pflegen Bankberater solch rehabilitierten Kunden zuzuraunen.

Toni Kofler erfuhr von seiner angeblichen Kreditunwürdigkeit, als er für seinen Sohn ein Handy anmelden wollte. Nach einer kurzen Schockstarre dämmerte dem Organisationsberater, woher sein schlechtes Rating wohl kommt: Im Vorjahr hatte er sich geweigert, 100 Euro an ein Müllplatzüberwachungsunternehmen zu zahlen, weil er angeblich Altpapier falsch deponiert hatte. Wenig später stellte sich die Forderung als unberechtigt heraus, doch Koflers mangelnde Zahlungswilligkeit war bereits vermerkt und an eine Auskunftei weitergeleitet worden.

„Auf diese Listen zu kommen ist einfach“
, sagt Datenschützer Zeger. „Kniffliger ist es, die Einträge wieder loszuwerden“. Die Arge Daten vertrat in den vergangenen Jahren rund 100 Personen. „Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Viele wissen gar nicht, dass sie trotz der dürftigen Gesetzeslage gegen diese Scoring-Werte vorgehen können.“

Theoretisch reichen schon Mahnungen, um als potenzieller Risikokunde gelistet zu werden. Auf welche Daten die Bonitätsprüfer zurückgreifen können, hängt stark von der Auskunftsfreude ihrer Partner ab. Laut Boris Recsey, Geschäftsführer von Deltavista Österreich, sind das neben öffentlich zugänglichen Quellen wie Privatinsolvenzen vor allem Inkassobüros, Versandhäuser und Adresshändler. „Auskunfteien erfassen dabei aber keine Marketingdaten wie Interessen oder Hobbys“, sagt Recsey.

Risikogruppen.
Andere Dinge sind für sie aber durchaus spannend, sagt der auf Datenschutz spezialisierte Jurist Michael Krenn. Die Wohngegend etwa werde gerne herangezogen, wenn Risikogruppen zu definieren sind (siehe Kasten Seite 48). Aber auch Zahlungsgewohnheiten, Vermögenswerte, Familienstand – samt Zahl der Familienbeihilfenbezieher – und die Art des Wohnsitzes sind für das Scoring interessant.

Nicht nur für Auskunfteien, auch für Banken, die ebenfalls Daten oft direkt sammeln. Einfamilienhaus? Eigentumswohnung? Hauptmiete? Untermiete? Oder gar nur bei Verwandten untergeschlupft? Seit wann? Größe der Wohnfläche? All das will beispielsweise die Volkskreditbank AG (VKB) von ihren Neukunden wissen. Und noch mehr: Sie verlangt eine penible Haushaltsrechnung, in der die durchschnittlichen Ausgaben für Ernährung, Kabelfernsehen und öffentliche Verkehrsmittel angegeben werden müssen. Die VKB betreibt den Aufwand nicht nur, wenn es um die Vergabe fünfstelliger Kredite geht. Sogar für die Eröffnung eines schnöden Girokontos will sie Datenblätter sehen.

Auch andere Unternehmen knöpfen ihren Kunden allerlei Daten ab – und machen sie alsbald zu Geld: Knapp 200 Millionen Euro beträgt der Umsatz der 150 heimischen Adresshändler pro Jahr offiziell. Das große Geld ist mit schnöden Adressdaten und Altersangaben also nicht zu machen. Ertragreicher sind Detailinformationen, die nicht so leicht zu beschaffen sind. Der Datenschutzverein Arge Daten schätzt, dass der gesamte Datenhandel in Österreich rund zwei Milliarden Euro Umsatz bringt. Zur Gewinnmaximierung würden dabei auch veraltete Datensätze angeboten sowie ­Informationen aus dubiosen Quellen, meint Datenschützer Zeger: „Kunden sollten sich sehr genau überlegen, welche Fragebögen sie ausfüllen.“

Besonders lukrativ ist der Handel mit sensiblen Angaben wie Exekutionsdaten, die für Auskunfteien auf legalem Weg nicht zugänglich sind: Sie liegen bei Gericht auf und sind nur für Rechtsanwälte einsehbar.
Auskunfteien erhalten sie dennoch, weiß Bernhard Noll. Der Wiener hatte vergeblich versucht, sich zum Handy-Parken anzumelden: kreditunwürdig. Der elektronische Zahlungsservice Paybox Austria AG hatte Deltavista mit einer Bonitätsprüfung von Noll beauftragt. Deltavista wiederum bezog die Daten von der Auskunftei Kreditinform – Josef Hirnschall. Diese lieferte eine Meldung über einen Zahlungsverzug bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA): Noll hatte einst eine Zahlungsfrist übersehen, die SVA schaltete sofort die Gerichte ein. Zwei Tage später war alles beglichen, Noll vergaß den Vorfall – bis er sich beim Handy-Parken anmelden wollte.

Entnervt.
Noch immer ist unklar, wie die Auskunftei zu den Daten gekommen ist. Auch die SVA war darüber nicht glücklich. Man wandte sich 2007 entnervt an die Datenschutzkommission: Sie solle unterbinden, dass vertrauliche Daten in Listen von Kreditauskunfteien geraten und dort nicht einmal aktualisiert werden. Die Kommission folgte dem Standpunkt der SVA nicht.

Das Konsumentenschutzministerium hingegen schon. Laut Gesetzesentwurf dürfen Auskunfteien nur noch Daten verwenden, deren Herkunft sie belegen können, und sie müssen diese regelmäßig überprüfen. Auch Verjährungsfristen für getilgte Schulden sind im Gesetzesentwurf vorgesehen: Einträge über Begegnungen mit Inkassodiensten sollten nach drei Jahren gelöscht werden. Damit wäre auch Taxiunternehmer Anton R. seine Punze los. Zumindest theoretisch.

An der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, dass Betroffene kein Auskunftsrecht gegenüber Bonitätsdiensten haben, ändert auch der Gesetzesentwurf nichts. Sollte R. wieder vergeblich um einen Kredit ansuchen, wüsste er dann zwar, dass seine Bonitätsliste nach Ablauf der Verjährungsfrist rein ist. Nicht aber, warum er noch immer als Risikokunde eingestuft wird: Falsche Wohngegend? Zu alt? Witwer und Raucher?