Opferkommission: Kritiker werfen Klasnic und Schönborn Alibiaktionen vor
Josef Maier (Name geändert, Anm.) war eine leichte Beute. 1943 geboren, der Vater im Krieg gefallen, die Mutter gelähmt, kam er als Fürsorgekind mit sieben Jahren in das katholische Kinderheim im burgenländischen Wimpassing. Bis zum 14. Lebensjahr blieb er dort, auch an Wochenenden und in den Ferien. Der heute in Wiener Neustadt lebende Mann erzählt, der Pater habe ihn etwa zweimal wöchentlich zu sich ins Zimmer geholt und sei ihm mit der Hand in die Hose gefahren, um sein Geschlechtsteil zu betasten. Er hat immer gesagt, ich dürfe nichts sagen, sonst komme ich in die Hölle oder werde aus dem Heim geworfen und müsse auf der Straße schlafen, erinnert sich Maier. Einmal, nach etwa einem Jahr, habe der Pater so fest zugedrückt, dass der Schmerz nicht auszuhalten gewesen sei. Am darauffolgenden Samstag, dem Badetag, habe eine Erzieherin seine geschwollenen Hoden bemerkt. Nach der Vorsprache beim Heimleiter war der Pater plötzlich verschwunden. Die Hoden des Achtjährigen seien dann im Landeskrankenhaus Eisenstadt entfernt worden. Der Nachfolger des Paters, ein weltlicher Betreuer, habe ihn, Maier, dann bis zum 14. Lebensjahr immer wieder vergewaltigt, bis, wieder beim Baden, ein Riss an seinem After auffiel. Der Vergewaltiger sei dann eines Tages im Haus verhaftet worden. Einige Monate später sei es in Eisenstadt zu einem großen Prozess gekommen, bei dem rund 20 Opfer ausgesagt hätten. Danach hat Josef Maier nie wieder etwas davon gehört.
Ich hatte nie in meinem Leben Sex. Ich habe mich noch nie selbst befriedigt. Ich hätte gerne Kinder gehabt. Ich hatte 13 Jahre lang eine Josefs-Ehe, aber das konnte nicht gut gehen, sagt Maier gegenüber profil.
Wenn seine Geschichte stimmt, zählt sie wohl zu den drastischen Fällen, die seit Ausbruch der großen Missbrauchs-Diskussion bei verschiedenen Opferstellen eingegangen sind. Gerichtsakten werden nach 30 Jahren vernichtet, auch sonst existieren keine Sachbeweise. Nur die fehlenden Hoden des Mannes und seine auch nach einem halben Jahrhundert noch tränenerstickte Stimme beim Erzählen können als Indizien gewertet werden.
Musterklagen. Bei der von der Kirche eingesetzten Opferschutz-Kommission unter der Leitung der steirischen Landeshauptfrau a. D. Waltraud Klasnic würde Maiers Geschichte nicht angezweifelt werden. Von den bisher rund 1000 registrierten Fällen wurde noch kein einziger wegen Unglaubwürdigkeit oder gar erwiesener Wahrheitswidrigkeit zurückgewiesen. Im Zweifel für das Opfer ist dort die Devise.
Doch Maier hat sich nicht direkt bei der Klasnic-Kommission gemeldet, sondern beim Wiener Rechtsanwalt Werner Schostal, der mehr als 300 Opfer kirchlicher Gewalt vertritt, auf die unabhängige Opferschutz-Kommission der Kirche nicht gut zu sprechen ist und an Musterklagen gegen die Kirche bastelt. Sein Sprecher Jakob Purkart-hofer nennt die Opferschutz-Kommission eine Täterschutz-Kommission und Waltraud Klasnic eine kirchliche Person, die alles mache, was Kardinal Christoph Schönborn wolle. Opfer würden von Psychologen bis zu sechs Stunden ausgehorcht. Das seien Gespräche, in denen die ärgste Wut der Betroffenen weggeredet würde, um, so Purkarthofer, die Entschädigungsforderungen möglichst gering zu halten. Eine weitere Strategie sei das Anzeigen von aussichtslosen Fällen oder solchen, die schon angezeigt und wegen Verjährung zurückgelegt worden seien. Damit will man zeigen, dass man etwas unternimmt, aber an den Fällen eh nichts dran ist, wettert Purkarthofer. profil liegt dazu ein E-Mail-Verkehr zwischen einem Opfer und der Kommission vor. Dieser legt den Verdacht nahe, dass auf den Mann eingewirkt wurde, seine Zustimmung zu einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu geben, obwohl er selbst festhält, dass er an den ihn betreffenden Vorfällen nichts Strafrechtliches entdecken könne.
Bei der Kommission beeilt man sich zu versichern, keine derartigen Strategien zu verfolgen.
Mit den 336 Opfern, die sich bei der Hotline der privaten Plattform Betroffene kirchlicher Gewalt gemeldet haben, wurde in den vergangenen Wochen eine Studie durchgeführt, deren Ergebnisse diese Woche vorgestellt werden und für Gesprächsstoff sorgen dürften. Einige Auszüge: Bei Tätern wie bei Opfern sind je drei Viertel männlich und ein Viertel weiblich. Das Durchschnittsalter bei missbrauchten Mädchen lag zum Tatzeitpunkt bei etwa acht bis zehn Jahren, während die jüngsten drei Jahre alt waren. Bei den Buben wurde das Durchschnittsalter mit etwa zwölf Jahren berechnet.
Die meisten des sexuellen Missbrauchs und/oder körperlicher Gewalt beschuldigten Geistlichen sind aus Oberösterreich. Aber auch die Steiermark ist mit 40 Priestern stark vertreten.
Als Schauplatz der Übergriffe wurden am öftesten Einrichtungen der katholischen Schulbrüder sowie die Niederlassungen des Benediktinerordens genannt. Aber auch das Kloster in Mehrerau am Bodensee wurde von Opfern wiederholt angeführt.
Viele der beschuldigten Priester sind bereits verstorben wie beispielsweise Fernsehpater August Paterno, gegen den mehrere Betroffene Vorwürfe erhoben, sie in der Handelsakademie in Bregenz Mitte der siebziger Jahre missbraucht zu haben. Eine dieser Personen gab auf die Frage nach der Häufigkeit des Missbrauchs an: Zweimal pro Nacht.
Die noch lebenden und mit den Vorwürfen konfrontierten Priester reagieren unterschiedlich: Manche bestätigen alles und bitten um Verzeihung, andere können oder wollen sich nicht erinnern, wieder andere rechtfertigen sich zumindest die körperliche Gewalt mit den damals üblichen Erziehungsmethoden.
Nach Angaben der Plattform Betroffene kirchlicher Gewalt sind von den Missbrauchs-Priestern nach wie vor eine Handvoll im Amt. Erwähnt werden auch zwei Fälle, in denen polnische Priester eine Anstellung in österreichischen Pfarren erhalten haben, obwohl sie in ihrem Herkunftsland wegen sexuellem Missbrauch rechtskräftig verurteilt waren. Und in Österreich sollen sie wieder rückfällig geworden sein.