Töten und wählen

Pakistan: Das gefährlichste Land der Welt wählt ein neues Parlament

Pakistan. Das gefährlichste Land der Welt wählt ein neues Parlament

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Als Mitte April ein terroristischer Bombenanschlag beim Bostoner Marathon drei Menschen in den Tod riss, zeigte sich die Welt erschüttert. Am selben Tag starben bei Wahlkampfveranstaltungen in Pakistan insgesamt 16 Zivilisten. Ihnen schenkte die internationale Öffentlichkeit allerdings kaum Aufmerksamkeit. Kein Wunder, schließlich kommt es in Pakistan vor den anstehenden Parlamentswahlen am 11. Mai fast täglich zu Bluttaten.

Die Frage ist:
Haben in einem so durch und durch chaotischen Land demokratische Übungen wie Wahlen überhaupt Sinn?

Auf den ersten Blick erscheint das mehr als zweifelhaft. Pakistan ist, von außen betrachtet, vom Status eines sogenannten "failed state“, eines gescheiterten Staates, nicht weit entfernt. Seit der Gründung im Jahre 1947 wurden die 172 Millionen Einwohner dieses muslimischen Landes immer wieder von Generälen regiert und tyrannisiert. Das Militär putschte gewählte Regierungen regelmäßig weg, Oppositionelle und Medien wurden unterdrückt. Die wohl bekannteste Politikerin des Landes, Ex-Premierministerin Benazir Bhutto, wurde - so wie ihr Vater Zulfikar Ali Bhutto, der ebenfalls Regierungschef war - umgebracht.

Die politische Elite besteht aus starren, kleptokratischen Clans, die das Land im Ranking des Korruptionsindex immer weiter nach unten drücken.

Der einst geflohene Ex-Diktator Pervez Musharraf kehrte kürzlich aus seinem Exil nach Pakistan zurück, um bei den Wahlen zu kandidieren. Nun wird ihm der Prozess wegen Landesverrats und der Beteiligung an der Ermordung von Benazir Bhutto gemacht. Bizarre, völlig undurchsichtige Wendungen prägen die Politik.

Auch die geopolitische Lage ist prekär.
Im Osten der Erzrivale Indien, im Westen Afghanistan - beide Nachbarn erkennen die Grenzen Pakistans nicht an. Der Streit mit Delhi um die Kaschmir-Region scheint so unlösbar wie der Nahostkonflikt.

Die Grenzzonen zu Afghanistan, die sogenannten Stammesgebiete, werden von der Regierung in Islamabad nicht kontrolliert. In dieser Bergregion treiben die radikalsten islamistischen Terrorgruppen und die Taliban ihr Unwesen. Sie versuchen, der Gesellschaft ihr Weltbild aufzuzwingen. Der Fall der Schülerin Malala, die Bildung für Mädchen propagierte und deswegen niedergeschossen wurde, gilt als Symbol für den blindwütigen Furor des Islamismus.

Die afghanischen Taliban werden vom pakistanischen Geheimdienst IRI aus machtpolitischen Gründen unterstützt - und das, obwohl Islamabad mit Washington im Kampf gegen den Terror verbündet ist. Die Regierung gibt den Amerikanern insgeheim grünes Licht für ihren Drohnenkrieg. Hinzu kommt, dass Pakistan - im Westen oft als "gefährlichstes Land der Welt“ apostrophiert - seit über drei Jahrzehnten über die Atombombe verfügt.

Doch Pakistan hat auch ein ganz anderes, kaum wahrgenommenes Gesicht: Im Jahr 2013 wird erstmals seit der Existenz dieses südasiatischen Staates eine gewählte Regierung nicht durch einen Staatsstreich abgelöst, sondern durch freie Wahlen. "Historisch gesehen war Pakistan noch nie so demokratisch wie heute“, schwärmt Ahmed Bilal Mehboob, Vorstand der pakistanischen NGO Institute of Legislative Development and Transparency: "Nie zuvor hatte Pakistan eine derart unabhängige Justiz, zusätzlich gibt es eine Vielzahl von unabhängigen, kritischen Medien, die aufblühen.“

Auch Andrew Wilder Pakistanexperte vom Washingtoner Institute of Peace ist sich sicher: "Das Militär wird bei diesen Wahlen keine große Rolle spielen, alle erkennen, dass dieses Land jetzt eine funktionierende demokratische Regierung braucht.“

Terroristische Anschläge gegen säkulare Institutionen und Parteien häufen sich zwar. Letztlich aber haben die islamistischen politischen Strömungen an den Urnen keine Chance. Politisch bleiben sie eine Randerscheinung, selbst in ihrer Hochburg, den Stammesgebieten.

In den Umfragen für die Parlamentswahlen liegen die regierende Volkspartei (PPP) und die gemäßigt-islamische Muslimliga Kopf an Kopf. Doch das Ergebnis könnte am Ende eine Überraschung mit sich bringen, meint auch der britisch-pakistanische Historiker Tariq Ali: "Gut möglich, dass letztlich die Muslimliga und Imran Khan um den Sieg kämpfen.“

Imran Khan, ein bewunderter ehemaliger Kricket-Superstar, ist in Pakistan ungefähr so populär wie in Österreich Hermann Maier. In den späten 1990er-Jahren ging Khan in die Politik und gründete seine eigene Partei. Bei den kommenden Wahlen gilt er vor allem bei der säkularen Jugend als Hoffnungsträger.

Khan bekämpft Korruption, tritt für freien Zugang zu Bildung ein, will die Armen unterstützen und die Rechtsstaatlichkeit ausbauen. Sein zentrales außenpolitisches Ziel teilt er mit fast allen anderen Parteien: ein sofortiges Ende des US-Drohnenkriegs. Dafür tritt er allerdings entschiedener als seine politischen Mitbewerber ein. Der Nationalheld dürfte schon bald eine bestimmende Kraft in der pakistanischen Politik sein.

Georg Hoffmann-Ostenhof