Das Münchhausen-Syndrom

Politik. Täuschen und tarnen: wie Politiker sich die Wahrheit zurechtbiegen

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Es waren schreckliche Wochen. Im September und Oktober 2008 hatten Politiker auf der ganzen Welt wenig Zeit zum Verschnaufen. Der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers verursachte Panik auf den Finanzmärkten. Alle wichtigen Aktienbörsen befanden sich im Sturzflug, auch der Wiener ATX erlebte sein Waterloo: Innerhalb einer Woche büßte der österreichische Aktienindex 29 Prozent seines Werts ein, das entsprach mehr als 18 Milliarden Euro.

Nicht nur Finanzprofis rieben sich die Augen, auch kleine Sparer wurden langsam zappelig. Was, wenn der Notgroschen auf dem Konto doch nicht so sicher war, wie stets behauptet wurde? Eine Beruhigung von oberster Stelle konnte in dieser Situation nicht schaden. „Es gibt keinen Anlass zur Panik in Österreich, die Sparer können beruhigt sein, die Einlagen sind sicher“, sagte der damalige Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Dennoch kündigte die Regierung am 6. Oktober eine Verbesserung des Einlagenschutzes an. „Aus rein österreichischer Betrachtung wäre der Schritt nicht erforderlich“, behauptete ­Finanzminister Wilhelm Molterer. Man wolle lediglich einen Abfluss von Spareinlagen nach Deutschland verhindern.

Etwas mehr als dreieinhalb Jahre später zeigen profil-Recherchen nun, dass ­diese netten Worte schlichte Lügen waren. Österreich stand damals tatsächlich am Rand einer Katastrophe. Weil so viele Bürger Geld abgehoben hatten und gleichzeitig große Summen nach Osteuropa abgezogen wurden, gingen der Nationalbank die Scheine aus. Wäre das bekannt geworden, hätte vermutlich ein Run auf die Banken eingesetzt.

Gelogen wird derzeit auch auf EU-Ebene ziemlich viel. Athen sei nicht pleite, heißt es von allen Seiten – obwohl die Zahlen eine ganz andere Wahrheit erzählen. Vor jedem Rettungspaket wird geschworen, dass es dieses Mal das letzte sein werde. Und in den einzelnen Mitgliedsländern versuchen die Regierungen, die Wut der Bürger über milliardenschwere Hilfsmaßnahmen mit Täuschungsmanövern zu kühlen.

Die österreichische Finanzministerin Maria Fekter macht da gerne mit. Angesprochen auf die enormen Kosten der Griechenland-Hilfe, behauptete sie vor Kurzem im Parlament, die Aktion habe bisher „noch keinen Cent gekostet, aber 19 Millionen Euro an Zinsen gebracht“. Das stimmte zwar für den Moment, wird sich aber mit Sicherheit ändern. Fekter hat in ihrer Wortmeldung so viele Teile der Wahrheit ausgelassen, dass am Schluss eigentlich eine Unwahrheit herauskam.
Politiker dürfen das. Oder nicht?
Wer ein großer Mann werden wolle, müsse ein großer Lügner und Heuchler sein, schrieb Niccolo Machiavelli im 15. Jahrhundert. Bis heute genügt der Besuch einer Wahlveranstaltung, um diese 600 Jahre alte Erkenntnis bestätigt zu sehen. Politiker lügen, täuschen, tarnen und biegen die Wahrheit so lange, bis sie in ihre Konzepte passt.
Sogar im weltweit akklamierten arabischen Frühling sorgten ein paar Lügen für die nötige Revolutionsromantik. Mohammed Bouazizi, mit dessen Selbstverbrennung alles begonnen hatte, war nämlich gar kein arbeitsloser Hochschulabsolvent, wie behauptet worden war. Er war ein armer Straßenhändler. Auch die angeblichen Demütigungen durch eine Polizistin dürften nie stattgefunden haben. „Wir haben uns das alles ausgedacht“, beichtete ein tunesischer Gewerkschafter jüngst der französischen Tageszeitung „Libération“.

Nicht jede Lüge wiegt gleich schwer.
Wenn Politiker im Zusammenhang mit der Euro-Krise flunkern, tun sie das wohl in den meisten Fällen für einen guten Zweck. Die ganze Wahrheit könnte das System erst recht destabilisieren. Doch die ständigen Täuschungsmanöver haben Spuren hinterlassen. Das Vertrauen der Wähler in ihre politischen Vertreter sinkt seit Jahrzehnten. Als das Meinungsforschungs­institut OGM im heurigen Frühling die ­Österreicher fragte, welchen Institutionen sie vertrauen, landeten Opposition, Regierung und EU auf den letzten drei Plätzen. Tiefer geht es also nicht mehr – auch wenn manche Unwahrheit vielleicht gut gemeint war.


Lügen aus Staatsräson: „Es gab kein Geheimtreffen“

Ist die Wahrheit den Menschen immer zumutbar? Oder dürfen Politiker manchmal lügen? Für den früheren US-Außenminister Henry Kissinger stellt die Antwort auf diese Fragen kein Problem dar: Er kann Lügen ohne Schwierigkeiten rechtfertigen und argumentiert in seinem fast 1000-seitigen Werk „Diplomacy“, dass der Staat und damit auch der Staatsmann selbstverständlich eine andere Moral habe als der einzelne gewöhnliche Bürger.

So weit würden europäische Politiker selbst in Zeiten der Euro-Krise nicht gehen. Aber Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Premier und Chef der Euro-Gruppe, log vor einigen Monaten eiskalt. „Es gibt kein Geheimtreffen zur Euro-Rettung“, behauptete er – kurz bevor sich die Finanzminister zur Krisensitzung versammelten. Später erteilte er sich mit den Worten „Das war eine ehrliche Lüge“ selbst die Absolution. Schließlich sei die Börse in New York noch geöffnet gewesen, und die Reaktionen der Finanzmärkte fürchte er allemal mehr als die Unwahrheit.

Auf derartige Haarspaltereien zwischen „ehrlicher“ und „unehrlicher Lüge“ lassen sich Österreichs Amtsträger nicht ein. Allerdings sind sich Vertreter der Regierung und der Opposition einig, dass es in speziellen Situationen aus wirtschaftspolitischen Überlegungen und Staatsräson angebracht ist, nicht sofort mit der ganzen Wahrheit herauszurücken. Als Paradebeispiel nennt Finanzstaatssekretär Andreas Schieder die Beratungen der EU zur Rettung Griechenlands: „Man muss sich immer bewusst sein, was man mit Äußerungen bewirkt. Daher ist es manchmal besser, nicht alles ­hinauszuposaunen.“ Und auf konkrete Fragen eher ausweichend zu antworten oder auf die Amtsverschwiegenheit zu verweisen. Glatt lügen würde Schieder aber nicht, sagt er: „Das ist kontraproduktiv und kommt ohnehin auf.“

Wenn die ungeschminkte Wahrheit nur zu Verunsicherung führt oder gar gravierende ökonomische Konsequenzen haben kann, dann dürfen Politiker schweigen. So argumentiert auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der einst als ÖGB-Präsident den Gewerkschaftsbund durch die Stürme der Bawag-Krise führte. „An manchen Tagen wurden Hunderte Millionen Euro von der Bawag abgehoben. In solchen Situationen muss man nicht alle Fakten in der Öffentlichkeit ausbreiten.“ Hundstorfer ist im Nachhinein überzeugt, die Gratwanderung zwischen Schweigen und Schwindeln gut bewältigt zu haben: „Ich habe während der Bawag-Krise nie die Unwahrheit gesagt – aber auch nicht immer alles gesagt.“

Das Recht oder sogar die Pflicht zu schweigen gilt auch für Bedrohungsszenarien. „In heiklen Sicherheitssituationen darf man nicht die Wahrheit sagen“, argumentiert der Grüne Peter Pilz. Auch er ließ die Öffentlichkeit einmal im Dunklen: Im Jahr 1999 besetzten Aktivisten der kurdischen PKK die nigerianische und die griechische Botschaft in Wien und drohten mit Selbstmordattentaten. Pilz versuchte, zwischen ihnen und der Polizei zu vermitteln – und ließ alle anrufenden Journalisten abblitzen.
Allerdings ist das Sicherheitsargument oft ein bequemer Vorwand, nicht mit der Wahrheit herauszurücken. „Wir werden vom Innenministerium regelmäßig gepflanzt, von dort gibt es selten Informationen“, klagt Pilz und warnt davor, das Schwindeln aus Staatsräson inflationär anzuwenden.


Lügen aus Eigennutz: „I did not have sex“

Politiker sind darauf getrimmt, niemals einen Fehler zuzugeben und dem Wähler stets nur das Allerbeste zu versprechen. Beides verträgt sich schlecht mit dem Wahrheitsanspruch. Und wer aus beruflicher Notwendigkeit so oft die Unwahrheit sagen muss, hat damit auch als Privatperson weniger Schwierigkeiten. Im Prinzip ist es beim Lügen wie beim Walzertanzen: Übung macht den Meister.

Ein Klassiker ist die Unschuldsmiene, mit der Ex-US-Präsident Bill Clinton einst seinen Seitensprung mit Monica Lewinsky leugnete: „I did not have sexual relations with that woman.“ Auf etwas kleinerer Flamme versuchte es auch der deutsche Politik-Star Karl-Theodor zu Guttenberg mit derselben Taktik. „Der Vorwurf, meine Dissertation sei ein Plagiat, ist abstrus“, behauptete er anfangs.

Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel kann noch immer richtig unangenehm werden, wenn er auf die so genannte „Amsterdamer Frühstücksaffäre“ angesprochen wird. Mehrere Zeugen waren dabei gewesen, als Schüssel 1997 den Präsidenten der Deutschen Bundesbank als „richtige Sau“ bezeichnet hatte. Doch der Politiker leugnet bis heute.

Wie oft Karl-Heinz Grasser sein Publikum belogen hat, wird irgendwann, hoffentlich, die Justiz herausfinden. In mindestens zwei Fällen kann ihm der Wahrheitsbeweis nicht mehr gelingen. „Karl-Heinz Grasser versteuert sämtliche seiner Einkünfte in Österreich“, sagte er – kurz bevor er eine Selbstanzeige wegen nicht versteuerter Gewinne auf Wertpapierkonten machen musste. Auch sein Traumurlaub im Indischen Ozean Ende 2004 dürfte etwas anders abgelaufen sein als behauptet. „Die Regierung der Malediven hat mich gebeten, zu bleiben“, erklärte Grasser sein langes Fernbleiben trotz Tsunami-Katas­trophe. Leider konnten sich die Kollegen vom Inselstaat an eine solche Bitte nicht erinnern.

Manch öffentliche Flunkerei dient dem Zweck, eine unangenehme Maßnahme bis zum Schluss geheim zu halten. So tönte Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer stets im Brustton der Überzeugung, dass niemand Studiengebühren plane – bis zu dem Moment, als diese eingeführt wurden.

Es wird sich wohl nicht mehr herausfinden lassen, welche Motive die SPÖ in den letzten Apriltagen des Jahres 1986 umtrieben. Am 26. April explodierte der Reaktor in Tschernobyl, am 28. April meldete Schweden erhöhte Radioaktivität. Doch Gesundheitsminister Franz Kreuzer warnte die Österreicher erst am Nachmittag des 1. Mai davor, ihre Kinder in Sandkisten spielen zu lassen. Vielleicht wusste die SPÖ vorher wirklich nicht, wie groß die Gefahr war; vielleicht hatte man Angst vor einer Massenpanik. Aber möglicherweise ging es auch nur darum, den Maiaufmarsch wie geplant stattfinden zu lassen.


Lügen im Wahlkampf: Was ist eine „Haschtrafik“?

Üble Nachrede, schmutzige Tricks, Schläge unter die Gürtellinie und unhaltbare Wahlversprechen gehören zum Standardrepertoire jedes Wahlkampfs. Nur besonders dreiste Falschankündigungen bleiben in Erinnerung – etwa der Satz von ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel: „Wenn wir Dritter werden, gehen wir in Opposition.“ Bekanntlich ließ sich Schüssel als Drittbester nicht davon abhalten, den Kanzlersessel zu erobern. Diese Wählertäuschung wurde ihm lange vorgehalten und brachte seinen Parteifreund Andreas Khol schließlich zu dem berühmten Satz: „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit.“

Auch Alfred Gusenbauer kann ein Lied davon singen, wie tief sich ein Schwindelsatz ins kollektive Gedächtnis eingraben kann. Seine Wahlkampfankündigung „Unter einem Kanzler Gusenbauer wird es keine Studiengebühren geben“ war bald als Schimäre entlarvt und wurde Gusenbauer bis ans Ende seiner kurzen Kanzlerschaft vorgehalten. Immerhin hatte Gusenbauer gegen eine wichtige Wahlkampfregel verstoßen, die der damalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer und heutige Kommunikationsberater Josef Kalina so formuliert: „Zentrale Wahlversprechen, die mit viel Emotionen aufgeladen sind, muss man einhalten – oder zumindest bis zum Umfallen dafür kämpfen. Sonst bleiben sie ewig als gebrochene Versprechen in Erinnerung.“

Weniger lang halten sich meist Behauptungen, die über den politischen Gegner verbreitet werden. Ihr Wahrheitsgehalt geht allerdings oft gegen null. So brandmarkte die SPÖ in der Wahlschlacht 2006 Wolfgang Schüssel als mehrfachen Lügner – und nahm es selbst mit Fakten nicht genau, wenn sie etwa davor warnte, dass die ÖVP das Wasser verkaufen und Schulgeld einführen wolle. ­Derartige politische Schurkenstücke sind oft besonders erfolgreich, wenn sie diffuse Stammtischängste kana­lisieren. Niemand weiß bis heute ­genau, was eine „Haschtrafik“ eigentlich sein soll. Doch die Unterstellung der ÖVP im Wahlkampf 2002, dass die Grünen davon träumen, zeitigte Effekte – genauso wie die Behauptung, die Grünen planten eine Art Zwangsvegetarisierung. Offenbar kann eine Wahlkampflüge gar nicht absurd genug ausfallen, um geglaubt zu werden.

Der ungekrönte Meister der dreisten Wahlkampflüge war Jörg Haider. Er stellte seine Kampagne im Jahr 1995 unter das Motto „Er hat Euch nicht belogen“ – was allerdings gelogen war. Ohne Unterlass zitierte er damals haarsträubende Fälle von Parteienfilz und Sozialschmarotzertum, etwa jenen eines Direktors der Gebietskrankenkasse, der mit 46 Jahren seine Frühpension für Extremsportarten nutze. Selbst als ihm profil akribisch nachwies, dass besagter Direktor erstens 50 und zweitens wegen Leukämie in Therapie war, gab Haider den Fall ungerührt weiter bei Wahlkampfveranstaltungen zum Besten.


Tarnen und Täuschen: „Ich bin kein Kandidat“

Er sei „fast immer nur glücklich“ mit dem Parteiobmann, sagte der Landeshauptmann in einem Zeitungsinterview. Gemeint war Alfred Gusenbauer, die Aussage stammt vom Wiener Bürgermeister Michael Häupl und fiel Anfang Juni 2008. Wenig später, am 16. Juni, musste Gusenbauer als Parteichef abdanken und Werner Faymann ans Steuer ­lassen. Michael Häupl war führend an dieser Rochade beteiligt.

Nie flunkert der Politiker flüssiger, als wenn es um Personalien in der eigenen Partei geht. Echte, ernsthafte Lügen sind das wohl nicht. Es handelt sich eher um Tarnen und Täuschen für einen guten Zweck – und sei es bloß die eigene Karriere. Steht ihm eine Beförderung bevor, sagt kein Politiker die Wahrheit. Stattdessen kommen Bescheidenheitskundgebungen der Marke „Ich bin kein Kandidat“ und „Ich bin sehr zufrieden mit meinem Job“.

Aber es geht auch etwas kreativer. Michael Spindelegger, seit Mitte April ÖVP-Chef, reagierte Anfang April noch recht unwirsch, wenn er auf ein mögliches Avancement angesprochen wurde: „Ich weiß gar nicht, wie ich dazu komme. Ich tue nichts, um solche Gerüchte zu nähren, sie nutzen der ÖVP nicht, und ich denke nicht darüber nach.“

Mitunter erfordert auch die Parteidisziplin mentale und verbale Verrenkungen, die der Unwahrheit schon ziemlich nahekommen. Der ehemalige SP-Nationalratsabgeordnete Josef Broukal etwa musste als Bildungssprecher jahrelang die Abschaffung der Studiengebühren fordern – obwohl er privat eigentlich nichts gegen einen finanziellen Beitrag der Studenten hat. Vor drei Jahren wollte er sich den Lohn dieser Mühen abholen und die Studiengebühren mithilfe der Opposition tatsächlich abschaffen. Doch die SPÖ hatte es sich anders überlegt. Entnervt trat Broukal zurück. „Ich will mir einen Rest an Selbstachtung bewahren“, erklärte er damals. In der Politik gebe es eben heilige Kühe, gegen die man nicht ankomme, sagt er heute. „Da versagt jedes Gegenargument.“
Man müsse in fast allen Jobs der Wahrheit gelegentlich einen Drall geben, findet Bernhard Görg, ehemaliger Chef der Wiener ÖVP. „Aber in der Politik tut man das wahrscheinlich öfter, als man müsste.“ Er selbst habe vor allem innerparteilich unter dem Zwang zur Notlüge gelitten, ­erzählt er. „Manchmal weißt du schon zwei oder drei Jahre vorher, dass ein Kollege bei der nächsten Wahl kein Mandat mehr bekommen wird. Aber du kannst es ihm nicht ­sagen, weil er sonst jahrelang dein Feind ist.“ Also wird nach Kräften ­herumgedruckst.

Die größten Lügen: „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“

Das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit, heißt es. Doch oft wird schon lange vor Kampfbeginn gelogen. Am Beginn vieler kriegerischer Auseinandersetzungen und Katastrophen steht die Lüge eines Politikers. „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen. Und von jetzt an wird Bombe mit Bombe vergolten“, sagte Adolf Hitler in einer Radioansprache am 31. August 1939. Doch den angeblichen polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz hatte es nie gegeben. Er diente Hitler lediglich als Vorwand für den Einmarsch deutscher Truppen im Nachbarland.

Auch der Vietnamkrieg basiert auf ­einer Lüge. „Im Golf von Tonkin treiben unsere Jungs im Wasser“, behauptete der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson im August 1964. Angeblich hatten nordvietnamesische Schnellboote ein US-amerikanisches Kriegsschiff attackiert. Anfang der siebziger Jahre wurde bekannt, dass es sich dabei um eine bewusste Falschinformation gehandelt hatte.

Fast 40 Jahre später schickte George W. Bush US-Soldaten in einen Krieg gegen den Irak. In erster Linie sollte es ­darum gehen, dort gelagerte Massen­vernichtungswaffen zu zerstören. Bald ­darauf stellte sich heraus, dass diese Waffen nicht existierten.

Ihr 50-jähriges Jubiläum feierte vor Kurzem eine Lüge, die zwar keinen Krieg zur Folge hatte, aber dennoch als anschauliches Beispiel für politische Dreistigkeit in die Geschichte einging. Am 15. Juni 1961 erklärte Walter Ulbricht, damals Staatschef der DDR, bei einer Pressekonferenz: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Zwei Monate später begannen die Bauarbeiten.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin