Monsieur le Président, übernehmen Sie!

Président François Hollande, übernehmen Sie!

Aktuell. Der neue Präsident tritt ein schwieriges Erbe an

Drucken

Schriftgröße

POLITIK

Dominanz. Bei einem Wahlsieg des Sozialisten François Hollande (der Ausgang der Wahl stand bei Redaktionsschluss nicht fest) winkt seiner Partei eine bisher nicht gekannte Machtfülle. Im September des vergangenen Jahres eroberten die Sozialisten zum ersten Mal in der Fünften Republik die Mehrheit im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments. Weiters kontrollieren sie 21 der 22 Regionen und alle großen Städte. Sollte die Sozialistische Partei im Juni auch die Mehrheit in der Nationalversammlung erringen, wäre der Weg frei für linke Reformen.

Was für ein Malheur! Seit dem Ölschock von 1974 bilanziert der französische Staatshaushalt Jahr für Jahr ausnahmslos im Minus. 2013 soll der Schuldenstand 89,1% des BIP erreicht haben. Die Arbeitslosenzahl von 2,88 Millionen im vergangenen März bedeutete den höchsten Wert seit September 1999. Das Triple-A verlor Frankreich in der Bewertung von Standard & Poor’s bereits im Jänner dieses Jahres.

BILDUNG

Die PISA-Katastrophe. Beim jüngsten PISA-Test der OECD im Jahr 2009 fiel das Zeugnis für das französische Bildungssystem ernüchternd aus. Frankreichs Schüler schnitten in allen drei Kompetenzen – Leseverstehen, Mathematik, Naturwissenschaften – schlechter ab als die Deutschen, die vor zehn Jahren noch hinter den Franzosen gelegen hatten. Besonders beunruhigend: Trotz Gesamtschule schlägt sich in Frankreich die soziale Ungerechtigkeit besonders stark nieder: Der Abstand zwischen sozioökonomisch begünstigten und benachteiligten Schülern beträgt 51 Punkte (Österreich: 48 Punkte).

WIRTSCHAFT

Hohe Steuern. Im Hochsteuerland Frankreich lag die Abgabenquote laut OECD im vergangenen Jahr bei 49,4% – Österreich liegt bei 48,4. Allerdings wird laut Eurostat in Frankreich Kapital mit einem vergleichsweise hohen impliziten Steuersatz von 38,8% belegt. In Österreich sind es lediglich 27,3 Prozent.

Made in France. In der Liste der 500 weltweit größten Unternehmen finden sich nicht weniger als 39 französische Konzerne. Deutschland liegt mit 37 knapp dahinter, Österreich hat drei. Positiv für die französische Wirtschaft ist zudem, dass die erfolgreichen Unternehmen auf alle Branchen verteilt sind.

Beamtenparadies. So stolz man in Paris auf den „service public“, den öffentlichen Dienst, auch sein mag, er kostet den Staat ziemlich viel Geld. Während Deutschland 50 Beamte pro 1000 Einwohner beschäftigt, freuen sich in Frankreich 90 Beamte pro 1000 Einwohner über ihren staatlichen Job. Entsprechend gibt Frankreich 12% des Bruttoinlandsprodukts für sein Personal aus, Deutschland hingegen nur sieben Prozent.

KULTUR

Godards Enkel. Mit „The Artist“ räumte ein französischer Film im vergangenen Jahr fünf Oscars ab, darunter die Statuette für den „Besten Film“. 2011 war insgesamt eines der besten Jahre für das Kino, das in Paris als „Siebte Kunst“ gefeiert wird: Die Rekordzahl von 272 Filmen wurde in Frankreich produziert, das sind um zehn mehr als im Jahr davor.

GESELLSCHAFT

Die große Familie. Frankreichs Familienpolitik gilt international als vorbildlich. Gemessen wird der Erfolg vor allem an der Geburtenziffer, die im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hoch bleibt. Die Bruttogeburtenziffer (pro 1000 Einwohner) betrug in Frankreich 12,8, während sie in Österreich bei 9,4 lag. Da eine Französin im gebärfähigen Alter durchschnittlich knapp über zwei Kinder bekommt, wuchs die Bevölkerung langsam und gleichmäßig auf 65 Millionen, zehn Millionen mehr als vor 30 Jahren.
Die erfolgreiche Familienpolitik hat zwei Ursachen: die finanzielle Besserstellung durch das Familiensplitting im Steuerrecht. Jedes Kind vergrößert den steuermindernden Divisor um 0,5 Punkte, das dritte sogar um einen ganzen Punkt.
Dazu kommt die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf: Kinderkrippen sollen die Eltern entlasten, ab dem dritten Lebensjahr ist der Kindergartenbesuch gratis. Für annähernd 50% der unter Dreijährigen stehen Plätze zur Verfügung. Allerdings werden nur 10% der unter Dreijährigen auch tatsächlich in Krippen gehütet, die Mehrzahl bleibt bei den Eltern (63%).

Solo. Auch in Frankreich steigt die Zahl der Single-Haushalte. Diese Lebensform nimmt prozentuell kontinuierlich zu, 2008 waren es 14,2%. In Österreich leben bereits 15,9% solo.

Oui! Bereits 1999 wurde in Frankreich der „Pacte civil de solidarité“ (Pacs) eingeführt, besser bekannt als Homoehe. Jedoch steht diese Form der Bindung auch heterosexuellen Paaren offen, die vor der traditionellen Ehe zurückschrecken. Das erweist sich als echter Renner: Rund 95% der Zivilpaktgetrauten sind verschiedenen Geschlechts. Im Jahr 2010 waren das 185.000 Paare. Im selben Jahr gingen 249.000 Paare eine traditionelle Ehe ein, also ein Verhältnis von 3:4. Doch während der Pacs zweistellige Zuwachsraten verzeichnet, sinken die Eheschließungszahlen beständig.

Ohne Gott in Frankreich. Die Frage nach dem Religionsbekenntnis ist in Frankreich wegen des Prinzips der staatlichen Laizität nicht zulässig. Laut einer Umfrage des Instituts Ifop aus dem vergangenen Jahr gaben 61% der Befragten an, katholisch zu sein. 25% erklärten, keiner Religion anzugehören. Bei einer anderen Umfrage bezeichnete sich jedoch nur die Hälfte der Katholiken als gläubig, die andere Hälfte als agnostisch oder atheistisch.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur