Prometheus: Alles außer irdisch
Schon in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrtausends träumte der britische Regisseur Ridley Scott davon, seinen legendären Alien-Film von 1979 weiterzudenken. Ihm schwebte ein fünfter oder sechster Teil vor die Alien-Serie war, in den Händen schwächerer Regisseure, gerade bei Folge vier angelangt , ein Film, mit dem man klären könnte, woher die Überreste jener fremden Zivilisation stammten, die in Alien von der siebenköpfigen Besatzung des Space-Frachters The Nostromo gefunden worden waren: eine Art biomechanisches Schlachtschiff, das einst dazu gedient haben mag, einen bakteriologischen Krieg anzuzetteln. Die monströsen Bilder, die Scott damals in britischen Filmstudios entwarf, gingen auf die Entwürfe eines Schweizer Künstlers zurück, auf die Visionen H. R. Gigers, der an einer ganz eigenen Form biotechnologischer Kunst arbeitete: an befremdlichen Kreuzungen von Fleisch und Maschine.
Nun hat Scott seinen alten Traum realisiert und unter dem Titel Prometheus Dunkle Zeichen seinen zweiten Alien-Film vorgelegt, der als Prequel, als Vorgeschichte der Saga geplant war, aber eher wie ein Remake in 3D mit deutlich erhöhtem Technologieaufwand erscheint. Dunkel sind die Zeichen tatsächlich, die Scott, inzwischen 74, hier an die Wand malt. Prometheus startet 2089, als ein Archäologenteam auf Höhlenmalereien stößt, die darauf hindeuten, dass es in einer Epoche lange vor dem Auftauchen menschlicher Lebensformen außerirdische Populationen gegeben haben soll, die den Homo sapiens geschaffen haben könnten. Man fasst eine Recherchereise ins Auge, die Aufschluss geben soll über die Motive jener unbekannten Schöpfer der Menschheit. So landet das Spaceship Prometheus auf einem fernen Mond, dessen Crew nach zweijährigem Kältetiefschlaf, im Dienst eines milliardenschweren Konzerns, erneut auf einen kosmischen Gegner trifft, der sie zu dezimieren beginnt.
Der Titel ist gut gewählt, obwohl er aus der Alien-Welt zurückzuführen scheint in die griechische Mythologie: Prometheus gilt als Tier- und Menschenschöpfer, aber auch als Feuerbringer. Exakt davon handelt Scotts Prometheus: von der Erschaffung der Menschen und ihrer Vernichtung.
This is Ripley, last survivor of The Nostromo, signing off. Mit diesem Funkspruch der von Sigourney Weaver gespielten einzigen Überlebenden der Nostromo-Besatzung endete die erste Kinobegegnung zwischen Menschen und Außerirdischen. Alien war Ridley Scotts zweiter Kinofilm und machte nicht nur ihn schlagartig berühmt, sondern etablierte auch eine neue Linie im postmodernen Science-Fiction-Kino, die bis heute Schlag- und Zugkraft besitzt. Scott bezog sich in vielerlei Hinsicht auf Stanley Kubricks 2001 (1968): Die Innenausstattung der Nostromo ähnelt Kubricks Ideen ebenso wie der Einsatz eines Bord-Zentralcomputers namens Mother. Aber erst mit Prometheus ist Scott tatsächlich bei Kubrick angekommen: mit einem über das Genre weit hinausreichenden philosophisch-mythologischen Überbau, der mehr Fragen aufwirft, als er Antworten zur Verfügung hat.
Scott hatte schon in Alien einen wesentlichen Kunstgriff benutzt: Er machte, gegen alle Horrorfilmkonventionen, eine Frau zu seiner erzählerischen Leitfigur. Man erwartete Ripley als erstes Opfer der umtriebigen Bestie und wurde getäuscht. Der raue Charme und die Effizienz von Alien ergeben sich aber auch aus dem Umstand, dass da fast alles in Handarbeit entstanden war. Scott arbeitete mit stroboskopischem Licht und primitiver analoger Technologie und mit Special-Effects-Spezialitäten vom Fleischmarkt: Die Kreatur etwa, die in Alien ins Gesicht des arglosen Weltraumarbeiters John Hurt springt, wurde liebevoll aus den Details eines Kuhmagens und aus Schafeingeweiden gebaut, in ihren weiteren Mutationen auch aus dem Innenleben frischer Austern, aus Muscheln, Krebsen und anderen Krustentieren.
Prometheus setzt nun einerseits stark auf Motive, die schon in Alien präsent waren und vom Erwachen der Bordmannschaft nach monatelangem Hyperschlaf bis zur Enthauptung des von Michael Fassbender formidabel dargestellten Androiden reichen. Zugleich macht Scott aber auch seine (unausgewiesene) literarische Quelle deutlich, die bereits Alien prägte: eine Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Howard Phillips Lovecraft, der vor mehr als acht Jahrzehnten schon von Außerirdischen fantasierte, die einer vorzeitlichen, aber hoch entwickelten Gesellschaft entstammten.
In Lovecrafts 1931 verfasster, in dem US-Magazin Astounding Stories 1936 erstmals erschienener Erzählung At the Mountains of Madness (Berge des Wahnsinns) führte die Expedition noch in die Antarktis. Ein Geologenteam entdeckt in einer eisigen und abgelegenen Bergregion eine steinerne tote Stadt, steigt ab in die labyrinthische, jahrmillionenalte Metropole im Inneren eines Bergs und findet beunruhigende Spuren, die auf Alien-Besuch lange vor unserer Zeit schließen lassen. Lovecrafts klassische tale of terror entspricht Scotts Prometheus perfekt: Sie schließt wissenschaftlichen Realismus und wüste Fantasterei kurz und zitiert nicht nur Lovecrafts ureigene Horrormythologie, die von der fiktiven Miskatonic University bis zu dem wahnsinnigen Araber Abdul Alhazred, dem Autor des gefürchteten Buchs Necronomicon reicht, sondern bezieht sich ganz explizit auch auf reale Antarktisexpeditionen und Schauerautoren wie Edgar Allan Poe.
Lovecrafts außerordentlicher Bericht von kosmischen Krakenwesen und urzeitlichen Kreaturen mit seesternförmigen Köpfen liest sich phasenweise wie eine Beschreibung der Alien-Filme. Es ist übrigens belegt, dass H. R. Giger seit je von Lovecraft stark beeinflusst ist. Der unaussprechliche Schrecken, von dem Lovecraft so kühl erzählte, findet sich auch in Gigers Entwürfen. Sein Alien-Prototyp ist insekten-, spinnen- und schlangenhaft, verwandelt sich in eine Art Tiermaschine, die über einen phallisch-metallischen Kopf, scharfe Nagelzahnreihen und starken Schleim- und Speichelfluss verfügt. Das Nisten der außerirdischen Bestie im Menschenkörper ist ein Grundthema der Alien-Saga; sie dringt in den Gastkörper ein, um darin zu wachsen und diesen zu sprengen.
Das hohe Formbewusstsein, das in Prometheus waltet, kommt durchaus unerwartet: Nach starkem Beginn auf Scotts Ur-Alien ließ James Cameron 1986 sein proletarisch-militärisches Aliens-Sequel folgen sank die Betriebstemperatur der Saga in den 1990er-Jahren durch das Zutun von David Fincher (Alien3, 1992) und Jean-Pierre Jeunet (Alien Resurrected, 1997) auf Mindestniveau ab. Prometheus ist eine Rückkehr zu alter Form: Scott verbindet die Alien-Ikonografie mit experimentellem Futurismus und viel Lust an der SciFi-Populärkultur. So gelingt ihm ein bildmächtiges, schock-philosophisches Werk, mit dem aktuelle US-Blockbuster wie The Amazing Spider-Man oder The Dark Knight Rises nicht einmal ansatzweise mithalten können. Prometheus-Co-Autor Damon Lindelof, Mastermind der Mystery-Serie Lost, dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, die Alien-Melange aus Wissenschaft, Theologie und Feminismus neu zu modulieren.
Anstelle von Sigourney Weaver tritt in Prometheus Noomi Rapace als Kämpferin in Szene, während Michael Fassbender als ironiebegabte Menschmaschine glänzt ein Ahn des von Ian Holm dargestellten Androiden Ash in Alien. Fassbender legt mit seiner an David Bowie gemahnenden Performance weitere popkulturelle Spuren: Er träumt hier, als ein vom Himmel Gefallener, nicht von elektrischen Schafen, sondern vom Kino des 20. Jahrhunderts, von Basketball und Peter OToole.
An Nordamerikas Kinokassen blieb der 130 Millionen Dollar teure Prometheus hinter den hohen Erwartungen merklich zurück, was vermutlich an der avancierten Ästhetik ebenso liegt wie an der verrätselten Struktur des Films: Nichts ist hier sicher, sogar die Frage, ob Prometheus wirklich das nachgelieferte Prequel zur Alien-Saga darstellen soll, bleibt ungeklärt. Gerüchteweise soll Scotts jüngstes Werk auch den lang gehegten Plan des mexikanischen Horrorvisionärs Guillermo del Toro einer eigenen Verfilmung der Berge des Wahnsinns gekippt haben.
Dafür entschädigt Prometheus mit besonders taktilen Qualitäten: Scott setzt gleichsam greifbare, fast körperlich spürbare Texturen gegen die Schimären und Phantasmen einer virtuellen Welt, in der sich Hologrammaufzeichnungen überall abrufen lassen. So spielt sein Film auch auf das Kino selbst an: Es geht ganz buchstäblich um projiziertes Licht in dunklen Höhlen, um den Traum von der Unsterblichkeit und die technische Reproduzierbarkeit von Geschichte und Geschichten. Prometheus ist eine Laterna magica in Hightech-Ausführung, wie gemacht für eine Ära, in der die materielle Welt sich vor unseren Augen längst aufzulösen begonnen hat.