Räder für den Sieg

Räder für den Sieg

Zeitgeschichte. Radlegende Ferry Dusika war ein SA-Mann und Nazi der ersten Stunde

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Von Wolfgang Benda

Der 27. Mai 1935 war ein typischer Wiener Frühlingssonntag. Wolken und Regenschauer am Vormittag, ab Mittag ein paar Stunden Sonnenschein. Temperaturen um die 18 Grad, angenehm für die Jahreszeit. An diesem Tag sprintete Radrennfahrer Franz „Ferry“ Dusika in den Olymp der österreichischen Sportgeschichte. Vor 8000 begeisterten Besuchern holte der Lokalmatador beim „Großen Preis von Europa“ auf der Wiener Praterrennbahn den Sieg. Radsport-Österreich war aus dem Häuschen. Eine solche Sportbegeisterung hatte es in Wien bisher nur bei Siegen des Fußball-Wunderteams gegeben. Der Triumph im Prater war die Krönung von Dusikas Laufbahn. Der 27-jährige Wiener aus einfachen Verhältnissen war ein Superstar und sollte seine erfolgreiche Karriere noch bis 1942 fortsetzen. Bis heute gilt Dusika (1912–1984) als Inbegriff des makellosen österreichischen Sporthelden. Das Radstadion im Wiener Prater ist nach ihm benannt.

Ferry Dusika war aber auch „Illegaler“, also einer, der schon vor 1938 der NSDAP beigetreten war. Er war SA-Unteroffizier im Rang eines Obertruppführers und in einen Arisierungsfall verwickelt. Er organisierte paramilitärische Propagandaveranstaltungen für die SA, hetzte als Chefredakteur der Monatsschrift „Ostmark-Radsport“ für Hitlers Krieg, gegen „Neger“ und Exil-Österreicher. Nach 1945 gelang es ihm, seine braune Vergangenheit zu verharmlosen.

profil stieß nun im Staatsarchiv sowie im Wiener Stadt- und Landesarchiv auf bisher unbekannte Akten, welche die Vergangenheit des berühmten Sportlers in einem neuen Licht zeigen.
Dusika hatte eine NSDAP-Mitgliedsnummer aus einem speziellen, von Hitler für österreichische Illegale reservierten Nummernblock (Mitgliedsnummer 6,295.534). Das fiktive Beitrittsdatum lautete auf 1. Mai 1938, wie bei allen anderen Illegalen auch. Damit genoss Dusika Vorteile im NS-System, die in seinem Fall durchaus ergiebig ausfielen.

Auch der Eintritt in die SA konnte für Dusika nicht schnell genug erfolgen. Bereits seit März 1938 marschierte Dusika für die Sturmabteilung der Hitler-Partei, wie aus dem „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten“ (Nr. 8408) hervorgeht. Bei der SA hielt man große Stücke auf das Jugendidol. Dusika durfte als „Obertruppführer“ (Oberfeldwebel) in die Pedale der Radfahrabteilung treten. Dabei war eine Mitgliedschaft in der SA keineswegs Voraussetzung, um Spitzensport auszuüben, so der Zeithistoriker Gerhard Botz.

Treue zu Führer und SA machte sich für Ferry Dusika bezahlt. Die Währung: Fahrräder, Ersatzteile und ein Geschäft. Am 17. März 1938 tauchten ein SA-Mann (Identität unbekannt) und ein Polizist beim jüdischen Fahrradhändler Adolf Blum in der Brünner Straße 45 in Wien-Floridsdorf auf. Nach harscher Befragung plünderten die beiden Wohnung und Geschäft. Aus dem Safe im Schlafzimmer beschlagnahmten die ungebetenen Gäste Geld und Schmuck, im Verkaufsraum ließen sie „35 Fahrräder und 22 Schläuche samt Mänteln im Wert von 5820 Reichsmark“ mitgehen, wie die Historikerin Tina Walzer in ihrem Buch „Unser Wien“ (Aufbau Verlag) penibel auflistet. Mit dieser „wilden Arisierung“ von Gütern war Blums Leidensweg längst nicht zu Ende. Der Händler wurde enteignet, sein Fahrradgeschäft von der SA einem Sportler aus den eigenen Reihen zugesprochen, der bereits in der Fasangasse 26 (dritter Wiener Gemeindebezirk) ein Fahrradgeschäft betrieb: Ferry Dusika. Eine Sportlegende, ­beteiligt an einer „Arisierung“.

Dennoch hatte Dusika nicht völlig freie Bahn: NS-Funktionäre verfügten die Sperre des Wiener Spitzenradlers wegen Verletzung der strengen Amateurbestimmungen. Dusika protestierte, daraufhin wurde die Sperre des Sportidols aufgehoben. Am 22. Juli 1940 feierte er in einem „Berufsfahrerrennen“ auf der Wiener Stadionbahn ein umjubeltes Comeback. Auch als Organisator von paramilitärischen SA-Sportfesten trat Dusika tatkräftig in Erscheinung. Dem Dienst an der Front entkam er im Gegensatz zu Radler-Kollegen wie Toni Merkens (gestorben 1944).
Bereits vor dem Anschluss war Franz Dusika „Schriftleiter“ (Chefredakteur) des monatlichen Fachblatts „Österr. Radsport“. Belegt ist seine Tätigkeit ab Februar 1937. Seine auch auf dem Titelblatt vermerkte Position nutzte Dusika von Anfang an für großflächige Eigeninserate (für sein Hauptgeschäft in der Fasangasse und die Arisierungsbeute in der Brünner Straße) sowie für redaktionelle Berichte über die eigene Karriere.
Nach dem Anschluss mutierte der bis dato arglose „Österr. Radsport“ zum Kampf­organ der neuen Machthaber. In der Ausgabe vom April 1938 begrüßte das Blatt in einem Leitartikel – geschrieben wohl von Hauptschriftleiter Dusika selbst – den ­Nazi-Einmarsch „mit unbeschreiblichem Jubel“. Unter dem Titel „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ sah der Autor einen „lang ersehnten Traum vom Großen Reich der Deutschen“ verwirklicht. „Über uns allen steht der Führer. Ihm wollen wir dienen, für ihn wollen wir streiten. Denn er war unser Retter aus höchster Not“, so das wenig Radsport-affine Vorwort.

Im November 1938 wurde aus dem „Österr. Radsport“ der „Illustrierte Radsport“, bevor im Dezember die Umtaufe in „Ostmark-Radsport“ erfolgte. Im Leitartikel von Dusikas Blatt wurde Österreich als „Fehler“ abgetan, seine Liquidierung sei „selbstverständlich geworden“.

Nachweislich bis April 1943 führte Dusika den „Ostmark-Radsport“. Im März 1940 wurde dort über einen „Krieg, den wir bestimmt nicht gewollt haben und der uns aufgezwungen wurde“, geklagt. Es wurde gegen „Neger, die am Rhein spazierten“, polemisiert, gegen „Legionen von Negern und Wilden“, die den Westwall bedrohten. Gelobt wurde die „unvergleichliche Wehrmacht“ mit den „besten Soldaten der Welt“. Dusika selbst blieb den Reihen der Unvergleichlichen freilich fern.

„Sein Genius überstrahlt alles“, wurde Hitler in Dusikas Radsport-Zeitung nach dem Einmarsch in Frankreich gepriesen. Heftig geißelte man die „unausgesetzte Hetze der Westmächte“, welche „die Friedenshand unseres Führers zurückgeschlagen“ hätten. Exil-Österreicher wurden als Verräter denunziert.

Nach dem Untergang wollte der Sportstar und erfolgreiche Eventmanager mit seiner Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. SA und NSDAP passten nicht zum österreichischen Heldenmythos Dusika. Deshalb log er, wenn es um seine NS-Mitgliedschaften ging. Im „Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten“ (2. Juli 1946) versuchte Dusika zu vertuschen, dass er Nazi der ersten Stunde gewesen war. Den Eintritt in die NSDAP gab er mit 1940 an. Auch beim Erinnern an seine SA-Vergangenheit verließ ihn sein Gedächtnis. „Kein Mitglied, keine Beiträge geleistet, nur an sportlichen Veranstaltungen teilgenommen“, und zwar von „Sommer 1938 bis Frühjahr 1939“, heißt es da. Tatsächlich hing seine SA-Uniform seit März 1938 im Kleiderkasten. Um seine „Österreich-Gesinnung“ zu demonstrieren, legte Dusika Fotografien vor, die ihn in rot-weiß-roten Trikots zeigten. Vergessen war nun, dass er, wie er in seiner Zeitung geschrieben hatte, „mit großem Stolz das schwarz-weiße Trikot mit dem Hakenkreuz“ trug.

Die Behörden durchschauten Dusikas falsche Angaben rasch und stellten das Meldeblatt durch handschriftliche Ergänzungen richtig. Seine Unwahrheiten brachten dem Rennidol eine Anzeige gemäß Paragraf 8 des Verbotsgesetzes ein. Heikelster Punkt der amtlichen Begründung (20. Jänner 1947): Der Ex-Illegale ­Dusika habe „über wesentliche Umstände der Zugehörigkeit zur NSDAP unrichtige Angaben gemacht“. Vier Tage später, am 24. Jänner 1947, wies das Bezirksamt für den dritten Bezirk darauf hin, dass Dusikas Name aufgrund seiner Nazi-Vergangenheit „mit einem roten Strich versehen“ wurde – ein Kennzeichen, dass der ehemalige NS-Aktivist noch nicht aus dem Schneider war.

Nach dem raschen Ende der Strafverfolgung von ehemaligen NS-Funktionären startete Dusika schon ab 1948 neu durch – als Promoter, Rennveranstalter und Buchautor. Das Geschäft in der Fasangasse betrieb er bis zuletzt. Um seine Nazi-Vergangenheit scherte sich niemand. Ferry Dusika starb am 12. Februar 1984. Nach ihm wurden das Wiener Radstadion im Prater und eine Gasse in Wien-Donaustadt benannt. ■