Räudige Poesie bei Musiker Ernst Molden

Räudige Poesie bei Musiker Ernst Molden: Album 'Ohne di' mit Freund Resetarits

Album 'Ohne di' mit Freund Willi Resetarits

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Von Christian Seiler

Wenn Ernst Molden einen Einfall hat, muss er sich entscheiden, wie er ihn festhält. Schreibt er ein paar Zeilen in sein Notizbuch, in dem er Anfänge von Romanen ausprobiert? Setzt er sich an den Computer und klopft eine Kolumne für die „Freizeit“-Beilage des „Kurier“ in die Tasten? Könnte nämlich auch sein, dass er stattdessen die Gitarre auf den Schoß nimmt, sich in die Küche setzt und beginnt, über ein paar Akkorden eine Melodie zu pfeifen.

Denn Ernst Molden, 42, verfügt über mindestens drei veritable Talente. Erstens ist er ein ausgezeichneter Journalist. Das lernte er als Polizeireporter und Beilagenredakteur der „Presse“. (Auch für profil schrieb Molden mehrere bemerkenswerte Geschichten.) Zweitens kann er mit den Mitteln seiner Sprache kraftvolle und absurde Figuren entstehen lassen. Das ist in seinen Romanen „Doktor Paranoiski“, einem literarischen Splatter-Movie, dem nicht minder expliziten Vampir-Roman „Austreiben“ und der Bordell-Ballade „Die Krokodilsdame“ nachzulesen.

Drittens hat er auf bisher fünf Alben eine erstaunliche Entwicklung als Singer/Songwriter hingelegt. Hatte Moldens Debüt „Nimm mich Schwester“ noch gut hörbar kunsthandwerkliche Anteile, spiegelten seine „Bubenlieder“ die Suche nach einer originären Stimme, so bog Molden mit den gleichzeitig erschienenen Alben „Wien“ und „Foan“ in eine Kurve ein, in der besondere Zentrifugalkräfte wirken.

Weite der Sprache. Man muss das böse Wort „Austropop“ schnell genug in die Geschichte einflechten, um zu erklären, dass Ernst Molden nun zwar Popmusik im Wiener Dialekt machte und seine Musik den vertrauten Schemata amerikanischer Vorbilder folgte. Die Summe vertraut wirkender Teile ergab jedoch etwas Neues. Wenn im üblen Sektor des Austropop drei und drei fünf machen, dann kam bei Molden neun heraus. So kräftig, so präzis waren die Geschichten, die er über dem Sound seiner elektrischen, seiner akustischen Gitarren erzählte, dass sich wie von selbst der Schwerpunkt von Moldens künstlerischer Existenz verschob. War er bisher ein Schreiber gewesen, dem auch Lieder einfielen, trat er plötzlich als Musiker auf, der auch originelle Artikel schreiben konnte.

Als er im vergangenen Sommer in Kreta auf Urlaub war, nahm Molden, als der Einfall einschoss, die Gitarre und setzte sich unter einen Olivenbaum. Er stellte sein kleines, portables Aufnahmegerät neben sich ins Gras und spielte, während der griechische Wind immer wieder ins Mikrofon hustete, ein Lied, es hieß passenderweise „Da Wind“. „huach do kommt da wind wos die wöd aufkead/ en dreck vo mensch und tier/ wos goa nix goa nix ibalossd/ kaa schbua vo dia kaan rest vo mia“

Es lohnt sich, diese Zeilen laut zu lesen, denn erst dann entfalten sie ihr ganzes Aroma. Ernst Molden hat sich nicht ohne Kalkül – oder sollte man sagen: als ehrfürchtiges Echo – für die lautmalerische Schreibweise seiner neuen, im Wiener Dialekt geschriebenen Texte entschieden. Sie folgt jener von H. C. Artmann, mit welcher dieser seine berühmten Gedichte „med ana schwoazzn dintn“ zu Papier brachte. „Die Weite der Sprache reicht hin in alle möglichen Welten der Phantasie“, schrieb Alfred Kolleritsch über seinen Kollegen Artmann. Dieses Diktum borgen wir uns nun zur Anwendung auf Ernst Molden aus. Molden hatte einen langen Anlauf genommen, um seine kreativen Möglichkeiten zu sortieren.

Jetzt saß er unter einem griechischen Baum und sang im Wiener Dialekt ein Lied, das Zeitlosigkeit und Größe atmete, und obwohl Molden allein unter seinem Baum saß, galten die Figuren der Melodie und die präzisen Wendungen des Dialekts, dessen Regeln so viel strenger sind als jene der Hochsprache, einem Zweiten, der nicht in Griechenland war, nicht unter dem Baum saß: Moldens Freund Willi Resetarits, dem früheren „Schmetterling“, dem früheren „Doktor Kurt Ostbahn“.

Willi Resetarits, der eine bewegte Karriere als österreichischer Popmusiker hinter sich hat und derzeit unter anderem mit seiner Band Stubnblues arbeitet, richtet jeden Sonntag zwischen eins und zwei auf Radio Wien die Radioshow „Trost und Rat“ aus. Dorthin lud er Ernst Molden ein. Molden wollte sich für den besonders schönen Auftritt revanchieren. Er versprach Resetarits, ihm ein Lied für dessen Stubnblues-Kapelle zu schenken.

Meilenstein. Das Lied, die „Hammerschmidgossn“, geriet zum Meilenstein. Allein der Adressat zwang Molden, über sich hinauszuwachsen, um ihm gerecht zu werden. Molden stellte sich immerhin – und das freiwillig – in die Tradition Günter Brödls, des neben Roland Neuwirth wichtigsten ­Autors von Songtexten in wienerischem ­Dialekt. Brödl hatte mit Mutterwitz, Rock’n’Roll-archäologischen Kenntnissen und einem enormen Feingefühl für ein im Grunde schon überholtes Wienerisch die Legende des Ostbahn Kurti begründet und dessen Programmatik in zahllosen Songtexten formuliert.

Moldens „Hammerschmidgossn“ nahm diese Tradition auf. Der Song war der erste authentische Ostbahn-Song seit Günter Brödls Tod im Jahr 2000. Molden spielte ihn im Duett mit Willi Resetarits auf seinem Album „Wien“ ein. Das gab einen Höhepunkt des Albums, und für jeden, der es hören wollte, ein Versprechen: Die beiden würden noch einiges gemeinsam zu sagen haben.

Ernst Molden entschloss sich freilich, das Versprechen nicht lange aufzuschieben. Mit einem breiten Strahlen im Gesicht, das nicht einmal die Schwaden seiner Selbstgedrehten verdunkeln konnten, sprach er von der Inspiration, die ihm das Singen „mit dem Willi“ verabreicht habe. Er wolle mit ihm eine ganze Platte machen. Sie solle „Iban Fluss“ heißen. „Iban Fluss“, das werde Wiens „Nebraska“.

Zur Decodierung: „Nebraska“ heißt das vielleicht beste, mit Sicherheit aber intimste und düsterste Album des großen Bruce Springsteen. Springsteen erzählt darin kursorisch die Geschichten einfacher Leute in der Kälte des Alltags, und er zeichnet mit Autobahnpolizisten und gebrauchten Automobilen ein großartiges Porträt seines Landes.

Nebraska in Wien. Es war klar, dass Ernst Moldens Nebraska in Wien liegen musste, genauer noch: in Wien Mitte. Molden ist ein begeisterter Bewohner von Wiens schäbigem Nebenzentrum. Man trifft ihn oft, wenn er seinen Gitarrenkoffer die Linke Bahngasse hinunterschleppt oder sich selbst im Schatten des unvermeidlichen Hutes ins Café Prückel. Der Karl-Lueger-Platz, die inzwischen abgerissene Halle des Bahnhofs Wien Mitte, die Straßensänger, Kebapverkäufer, Flaneure, Versager: Sie bilden und bevölkern die Kulissen der Lieder, in deren Licht Molden seine großen Gefühle auftreten lässt.

„Iban Fluss“ erwies sich als Arbeitstitel, der nach einem Jahr konzentrierter Arbeit dem noch schlankeren Titel „Ohne di“ Platz machen musste. Ein Jahr spielte sich Ernst Molden über die Bühnen Österreichs und gewann dabei Trittsicherheit im Auftreten mit dem Bühnenvieh Willi Resetarits, den er mit der „Hammerschmidgossn“ als Dauergast engagiert hatte. Gleichzeitig brachte er die neuen Lieder in Form. Diese Lieder wollten keine Geschenke mehr sein an den Bühnenpartner, mit dem Molden inzwischen eine tiefe Freundschaft verband. Sie begründeten ihr eigenes, neues Genre: Geschichten mit einem Erzähler aus zwei Stimmen.

„easchd nimmt da wind en kiachduam daun haud a eam um/ daun hea ma no amoi de ua/ kumm gib ma dei haund da wind is schee woam/ es fuatgee a augnblick nua“ Molden und Resetarits singen „da wind“ unisono, mit einer Stimme. Manchmal klingt der Text an seinen Rändern ein wenig unscharf. Im Zentrum passen die Stimmen so genau zusammen, dass es lange Vokale braucht, bis die Stimme des einen als diese selbst identifiziert werden kann, aber dann hat sie die Führung bereits an die Stimme des anderen übergeben, zwei Stimmen, eine Stimme, ein Erzähler, eine Geschichte.

Darunter liegen der Rhythmus einer akustischen Gitarre, die Ernst Molden spielt, und das Murren der elektrischen Gitarre von Hannes Wirth, dem Gitarristen der österreichischen FM4-Helden A Song, A Life, A Cigarette. Die Knöpferlharmonika von Walther Soyka, dem Hausherrn, schweigt für diesmal, dafür steigt die Mundharmonika von Willi Resetarits blau über die Harmonien.

Die vier Männer, die sich in das Souterrainlokal namens „Non Food Factory“ im Laimgruben-Grätzel zurückgezogen haben, sitzen einander so gegenüber, als würden sie demnächst die Karten auspacken und eine Runde tarockieren. Sie sind sich selbst Publikum, einander zugewandt. Sie widmen ihre ganze Aufmerksamkeit der Entstehung von Musik, die von wie zufällig applizierten Mikrofonen aufgezeichnet wird.

Strömender Zauber. Walther Soyka, viele Jahre lang der Harmonikaspieler Roland Neuwirths bei dessen Extrem-Schrammeln, bringt mit der Wärme seines Instruments den Sound auf Betriebstemperatur. Hannes Wirth gibt mit seiner Elektrogitarre, einer stone-washed Fender Telecaster, beredt Kontra, sobald ein Song Gefahr läuft, sich im Lieblichen zu verlieren. Molden und Resetarits probieren permanent, wie viel Mit­einander im Gesang es verträgt, wo eine zweite Stimme, eine Terz, eine Quint gefragt sein könnten. Probieren. Stehen lassen. Noch einmal probieren. Stehen lassen.

Auf einem Stuhl hinter dem Karree lehnt, scheinbar entspannt, der Münchner Musiker und Produzent Kalle Laar. Laar ist Kurator des „Temporären Klangmuseums“, ein Popintellektueller, der seine vornehme Aufgabe darin sieht, den Liedern ihre Struppigkeit zu bewahren. Er behütet die Regler des Mischpults vor einem Ingenieur, der sie zu virtuos bedienen könnte. In München ein Star, hat sich Laar in Ernst Moldens räudige Poesie verschaut. Wenn ein Song besonders gut geglückt ist, schenkt er den „Jungs“ ein strahlendes Lächeln, das ist die Währung in der Laimgrube. Nach drei Aufnahmetagen hat Ernst Molden eine Hand voll Leute in die „Non Food Factory“ eingeladen, ihnen möchte er die neuen Songs zum ersten Mal vorspielen. Eine Flasche Wein kursiert, was Willi Resetarits zur Erklärung zwingt, dass er bitte schön mit dem Trinken aufgehört habe, das jedoch mit umso heftigerem Zigarettenkonsum kompensiere. Gelächter. Resetarits und das Publikum sind seit jeher eine Zweckgemeinschaft.

Molden, „der Ernstl“, wie ihn Resetarits nennt, ist nervös. Neue Lieder vorzuspielen, noch dazu Bekannten, Zugewandten. Eine Prüfung. Molden trägt Falten in den Wangen und den Hut im Nacken, bis sich aus diesem Nacken der Rhythmus des Einzählens schiebt, aans, zwaa, drei, vier, Walther Soyka moderiert mit seiner Harmonika den Titelsong des Albums ein, „Ohne di“, einen zartbitteren Country-Hadern von der Peripherie Nebraskas in Wien Mitte, und Schicht für Schicht schiebt sich der Sound dieser außergewöhnlichen Viermannband übereinander, verfestigt sich, entfaltet seine Wirkung.

Als der Erzähler Moldenresetarits als zweiten Song „Da Wind“ anstimmt, beginnt schließlich der Zauber zu strömen. kaa schbua vo dia kaan rest vo mia: Als das Lied verstummt, brauchen die Gäste ein paar Atemzüge, um zurück zu ihrer Aufgabe zu finden und zuerst schüchtern, dann fest und schweigend zu applaudieren. Dann macht die Weinflasche noch ­einmal die Runde. Der Willi trinkt ja nichts mehr. Aber der Ernstl nimmt einen Schluck.

Fotos: Philipp Horak