Bulgariens Präsident Plewneliew über acht verlorene Jahre
Interview: Georg Hoffmann-Ostenhof, Sofia
"Sie kommen zum richtigen Zeitpunkt, sagte der bulgarische Präsident Rossen Plewneliew. Er empfing profil am Mittwoch vergangener Woche, nur eine Stunde nachdem das Parlament in Sofia der neuen Regierung seine Zustimmung gegeben hatte. Das Staatsoberhaupt ist sichtlich gut aufgelegt. Kein Wunder: Das ärmste Land der EU war ohne reguläre Regierung, seit große Straßenproteste im vergangenen Februar und März zum Rücktritt des konservativen Premiers Bojko Borissow geführt hatten.
Die darauf folgenden Wahlen brachten eine Pattsituation. Nach langen Verhandlungen fand die neue Regierung nun doch mit einer Stimme aus dem Lager der nationalistischen Attack-Partei die parlamentarische Mehrheit: Gestützt von den Sozialisten und der Partei der türkischen Minderheit, wurde unter der Führung des Finanzfachmannes Plamen Orescharski eine Regierung gebildet, die sowohl ungebundene Technokraten als auch Politiker umfasst. Der parteilose Rossen Plewneliew ist studierter Informatiker. Er lebte acht Jahre lang in Deutschland, wo er ein erfolgreiches Bauunternehmen betrieb. In der Regierung Borissow war er Minister für regionale Entwicklung. Ende 2011 wurde er zum Präsidenten gewählt.
profil: Herr Präsident, in den vergangenen Wochen schien es so, als sei Bulgarien unregierbar geworden. Nun können Sie doch eine Regierung angeloben. Darf man Ihnen gratulieren?
Rossen Plewneliew: Ja, die Regierung ist eine Mischung aus Technokraten und Politikern mit Plamen Orescharski als Premier ein ausgewiesener Finanzfachmann mit politischer Erfahrung und internationaler Kompetenz. Ich bin sicher: Er wird das Land vorwärts bringen.
profil: Sie sind ein Optimist?
Plewneliew: Ja, immer.
profil: Nicht leicht in Bulgarien.
Plewneliew: Stimmt. Bulgarien ist das ärmste Land der EU. Und wenn man die aktuelle Situation betrachtet, scheint Optimismus tatsächlich nicht angebracht zu sein. Die Bevölkerung ist unzufrieden. Die Parteien bekämpfen einander erbittert und das in einer Zeit, in der wir vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Da kann man sich schon skeptisch fragen, ob das gut gehen wird.
profil: Immerhin, die Regierung steht. Ist sie aber auch stabil?
Plewneliew: Was kann ich Ihnen als Präsident anderes sagen, als dass ich zuversichtlich bin? Die Regierung ist eine Koalition zweier Parteien, die gemeinsam nur genau die Hälfte der Parlamentsabgeordneten ausmachen. Aber sie sind die ältesten Parteien des Landes. Die Partei der Sozialisten, die den Premierminister stellt, ist über 100 Jahre alt, und die Bewegung für Freiheit und Recht (ursprünglich als Partei der türkischen Minderheit gegründet, Anm.) hat sich unmittelbar nach der demokratischen Wende 1989/90 gebildet. Sie werden, glaube ich, alles tun, damit die Regierung nicht so bald gekippt wird.
profil: Im vergangenen Jahrzehnt wurden immer neu gegründete Parteien an die Macht gewählt.
Plewneliew: Ja, wir haben fast alles gesehen. Der ehemalige König kam zurück und gründete eine Partei, die bei der Wahl auf Anhieb die Mehrheit bekam, um vier Jahre danach wieder in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Der jüngst zurückgetretene Regierungschef Bojko Borissow war auch mit einer neuen Partei sofort erfolgreich. Aber man muss auch anerkennen: Jetzt hat auch er etwas für Bulgarien absolut Neues geschafft bei zwei Wahlen hintereinander stärkste Partei zu werden. Es hat nur eben nicht zur Regierungsbildung gereicht.
profil: Es gibt noch einen politischen Player: die Straße. Nach Massendemonstrationen im Februar und März warf die Borissow-Regierung das Handtuch.
Plewneliew: Das waren die größten Demonstrationen seit 1997. Am Anfang sind die Leute auf die Straße gegangen, um gegen die hohen Stromrechnungen zu protestieren. Aber dann wurde uns klar, dass es den Menschen mit ihren Aktionen um mehr als die Energiekosten ging. Sie machten in sehr vernünftiger und demokratischer Weise klar: Sie wollen, dass die Politiker auf sie hören, dass die Institutionen für die Menschen Ergebnisse bringen, dass der Staat sozusagen das Volk auf die Tagesordnung setzt.
profil: Vor allem gegen den österreichischen Energieversorger EVN richtete sich der Zorn der Demonstranten. Trägt die EVN tatsächlich Schuld an der Strompreismisere?
Plewneliew: Nein, die EVN, ein tschechischer und ein spanischer Energiekonzern wurden von einigen Politikern zum Sündenbock gemacht. Faktum ist: Die EVN ist an der Stromrechnung nur zu neun Prozent beteiligt. Was ist aber mit den anderen 91 Prozent?
profil: Was denn?
Plewneliew: Die gehen an staatliche Monopolfirmen, die skandalös ineffizient geführt werden. Das treibt die Kosten so in die Höhe. Alle Überprüfungen haben ergeben: Die EVN ist ein hoch verantwortungsvoller Investor. Da gibt es absolut keine Probleme. Wir sind ihr für ihr Engagement in Bulgarien dankbar. Die Reform des Energiesektors ist eine meiner absoluten Prioritäten. Da wird so viel verschwendet. Sehen Sie sich die vielen in der kommunistischen Zeit gebauten Plattenbauten an: Da wird die Außenluft geheizt. Mit Wärmedämmung könte man die Stromkosten dort halbieren. Wir planen, mit Hilfe der EU Milliarden in Wärmedämmung zu investieren.
profil: Bulgarien ist das ärmste Land der EU, aber gleichzeitig auch das sparsamste, geradezu ein europäisches Musterland, wenn es um die Staatsverschuldung geht. War die Revolte im Februar nicht auch eine gegen den rigiden Sparkurs?
Plewneliew: Zunächst: Wir brauchen niemanden in der EU, der uns sagt, dass wir Finanzdisziplin üben müssen. Wir sind kein Mitgliedsland der Eurozone und haben keinen Zugang zur Europäischen Zentralbank, die uns ein paar Milliarden herüberschieben könnte. Wir hängen direkt von der Finanzierung der Märkte ab. Um deren Vertrauen kämpfen wir. Und vergessen Sie nicht: 1997 hatten wir eine massive Bankenkrise. Ein Drittel der bulgarischen Banken ging pleite. Seit damals haben wir das Finanzsystem grundlegend reformiert und unsere Schulden von 105 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2001 auf 16 Prozent des BIP heute heruntergefahren. Unsere Banken sind heute doppelt so liquid wie jene im übrigen Europa. Und die bulgarische Währung Leva ist an den Euro gekoppelt.
profil: Aber verelendet dabei nicht die Bevölkerung?
Plewneliew: Die internationale Wirtschaftskrise hat uns schwer getroffen. Zum Zwecke der Stabilisierung haben wir die Löhne und Renten 2009 für drei Jahre eingefroren. 2012 zeigte sich: Die Arbeitslosigkeit hat sich in diesen drei Jahren von 5,5 Prozent auf 12,5 Prozent verdoppelt. Und die Lebenshaltungskosten haben sich um 40 Prozent erhöht. Man kann sich vorstellen, welche Katastrophe das für eine normale bulgarische Familie bedeutet. Deswegen haben die Menschen auch eine massive Änderung der Politik gefordert.
profil: Und wird die neue Regierung diesen Forderungen nachkommen?
Plewneliew: Die Finanzdisziplin wird aufrechterhalten. Natürlich muss jetzt mehr Sozialpolitik betrieben werden. Das Defizit wird, so ist es geplant, von 0,8 auf 1,4 oder 1,5 Prozent steigen. Mehr als zwei Prozent kann sich Bulgarien nicht leisten.
profil: Aber kann man die Renten nicht auf ein menschlich erträgliches Niveau bringen?
Plewneliew: Gewiss. Aber das geht nicht, wenn man Geld in nicht reformierte, ineffiziente Bereiche steckt. Das bringt nichts. Wir haben etwa innerhalb von zehn Jahren die staatlichen Zuschüsse zum Gesundheitswesen mehr als verdreifacht. Das hatte keine Verbesserungen zur Folge. Erst die so dringlichen Reformen dieser Institutionen und Effizienzsteigerungen bringen jene Milliarden, die man dann für Sozialprogramme ausgeben könnte.
profil: Und die niedrigste Steuerquote Europas, eine Flat Tax von zehn Prozent, das soll bleiben?
Plewneliew: Absolut! Seit wir ab 2001 begonnen haben, die Steuern in Stufen von 28 Prozent auf zehn Prozent zu senken, verzeichnen wir von Jahr zu Jahr mehr Staatseinnahmen.
profil: Aber sozial gerecht ist die Flat Tax doch nicht gerade.
Plewneliew: Das stimmt: Sie führt dazu, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Da muss der Staat gezielt jenen helfen, die Hilfe brauchen.
profil: Warum ist die Wende 1989/90 in Ländern wie Polen und Tschechien im Vergleich zu Bulgarien und anderen südosteuropäischen Ländern so viel besser gelungen?
Plewneliew: Wir haben acht Jahre verloren. Wie unterschiedlich auch immer die Privatisierung ist den Tschechen, den Polen, den Ungarn gelungen. Sie suchten von Anfang an strategische Investoren. Bei uns gingen die Unternehmen nicht an die Investoren mit den guten Geschäftsideen, sondern an jene mit den guten Beziehungen, an alte Seilschaften. Diese erste Welle der Privatisierung ging total schief. Unsere Revolution fand eigentlich erst 1997 statt. Da schlug eine demokratisch gewählte Regierung erstmals klar einen pro-europäischen, Pro-Nato-Kurs ein und bekannte sich deutlich zur Marktwirtschaft. Seit damals geht es trotz allem aufwärts. Aber die verlorenen Jahre sind so leicht nicht wettzumachen.