Sabine Haag folgt auf Wilfried Seipel

Hintergründe einer riskanten Bestellung

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Der scheidende Generaldirektor weilte, als die Entscheidung über seine Nachfolge bekannt gegeben wurde, demonstrativ auf Urlaub. Wilfried Seipel, seit 1990 Chef des Kunsthistorischen Museums (KHM) in Wien, gratulierte der designierten neuen Direktorin über die Austria Presse Agentur am Mittwoch vergangener Woche aus der Ferne – mit den ein wenig hinterhältigen Worten, er sei überrascht von dieser Lösung, „mit der das Haus sicher gut“ fahre, aber eigentlich habe er „viel gehört über internationale Bemühungen“. Sabine Haag sei einst von ihm selbst, so Seipel weiter, „eingestellt worden“, daher sei er sicher, dass sie die Geschäfte „so weiterführen“ werde, „wie ich sie geführt habe“.

Selbst wenn man in einem solchen ­Statement den vagen Unterton einer Drohung nicht wahrnehmen will – schließlich standen gerade Seipels Dienstverständnis und Geschäftsgebarung mehr als einmal im Zentrum herber Kritik des Rechnungshofs –, weist wenig darauf hin, dass die neue KHM-Chefin den umstrittenen Kurs ihres Vorgängers prolongieren will. Zu deutlich waren die Worte, mit denen sie im Rahmen ihrer Antrittspressekonferenz den kunsthistorischen Ausstellungsspektakeln, dem Seipel’schen System der Museums-Blockbus­ter eine Absage erteilte. Man möge die Leistungen des KHM „nicht allein an Besucherzahlen messen“, bat Haag, sondern auch an der Qualität der wissenschaftlichen Forschung. Und so wesentlich es sei, mit den Kunstpräsentationen „Anreize für ein breites Publikum“ zu schaffen, gelte es doch, eher „zeitgemäße“ als „zeitgeistige Ausstellungsformen“ zu suchen.

Leicht hat sich Sabine Haag die Entscheidung darüber, ob sie sich die Leitung des KHM zutrauen könne, nicht gemacht. Erst drei Wochen vor ihrer Ernennung sei sie von der Kulturministerin angesprochen worden – und zweieinhalb Wochen lang habe sie sich Zeit damit gelassen zuzusagen. Die 46-jährige Vorarlbergerin, die seit kaum mehr als einem halben Jahr als Direktorin der Kunstkammer fungiert, weiß natürlich, dass sie dem Anforderungsprofil eines international so exponierten Jobs wie jenem der KHM-Generaldirektion kaum entspricht. Schon dem Wortlaut der Ausschreibung Schmieds ist Haag keineswegs angemessen: Schließlich wurde darin „eine Persönlichkeit mit hoher internationaler Reputation und langjähriger Erfahrung in der Leitung eines Museums oder einer vergleichbaren Kulturinstitution“ gesucht. ­Sabine Haag mag gute Kontakte zu wichtigen Museen haben – von langjähriger Führungsqualifikation kann aber in ihrem Fall nicht die Rede sein.

Sabine Haag ist, wie es im Branchenjargon heißt, eine „Hauslösung“. Und sie
ist – eine Überraschung. Über Claudia Schmieds kulturpolitisches Verständnis teilt die Wahl Haags jedenfalls einiges mit: Nach der letztjährigen Bestellung Dominique Meyers zum Staatsoperndirektor konnte die Ministerin – zumal in ebenjener Woche, in der sie den Vertrag des Albertina-Prinzipals Klaus Albrecht Schröder um fünf Jahre verlängert hat – eine unorthodoxe Entscheidung gut brauchen, um nicht als Freundin rein konservativer Lösungen dazustehen. Konsequenz lässt Schmied in ihrer Politik vermissen: Zu konträr sind die Persönlichkeiten, die sie wählt. Während Haag schon jetzt darum bittet, ihre Erfolge nicht an Besucherzahlen zu messen, ist gerade Schröder jemand, der bei jeder Gelegenheit seine Erfolge an der Museumskasse betont.

Zurückhaltung. Mit Sabine Haag hat Schmied nun eine Frau – nach der zwischen 1973 und 1981 amtierenden Friederike Klauner ist sie die zweite Direktorin in der Geschichte des Hauses – in die noch immer von Männern dominierte Museumslandschaft gelotst. Am wenigsten hat offenbar die Gewählte selbst mit ihrer Kür gerechnet: Unter den 21 Bewerbungen, die im Ministerium für die Leitung des Kunsthistorischen Museums eingegangen waren, fand sich Haag nicht.

Schmieds Votum für Haag ist mutig – aber auch riskant: Ob sich eine weithin Unbekannte, die nie zuvor ein Museum geführt hat, in einer Position, die sie mit unzähligen offenen Problemen konfrontiert (siehe Kasten Seite 113), ohne Weiteres bewähren können wird, muss vorläufig bezweifelt werden. Ein Unternehmen wie das KHM, das Jahresumsätze von 34 Millionen Euro macht und mehr als 400 Personen beschäftigt, durch Zeiten stagnierender Budgets zu manövrieren ist alles andere als eine leichte Aufgabe – auch wenn die wissenschaftliche Kompetenz der Kunsthistorikerin außer Zweifel steht.
Die designierte KHM-Chefin übt sich einstweilen in kluger Zurückhaltung. Für ausführliche Interviews will Haag erst im Herbst zur Verfügung stehen, erste Details zu Direktionsfragen und Ausstellungs­plänen sollen frühestens zu diesem Zeitpunkt folgen. In einem ersten Gespräch mit profil (siehe Kasten Seite 111) bekräftigt Sabine Haag immerhin die „absolute“ Vordringlichkeit der lange verschobenen Wiedereröffnung der Kunstkammer. Kein Wunder, arbeitet sie doch seit 18 Jahren in dieser Sammlung – sogar ihre Dissertation („Studien zur Elfenbeinskulptur des 17. Jahrhunderts. Vorarbeiten für einen systematischen Katalog der Elfenbeinarbeiten des Kunsthistorischen Museums Wien“) widmete sie diesen Beständen.

Nicht weniger wichtig als die Kunstkammer sind jedoch die anderen anstehenden Projekte – etwa die Wiedereröffnung des Museums für Völkerkunde (MVK) oder die Errichtung eines Sonderausstellungsraums. Freilich: Haag scheint im Haus recht beliebt zu sein. Vor Bekanntgabe ihrer Berufung soll unter der Belegschaft angesichts der ungewissen Zukunft Anspannung geherrscht haben – ob die wissenschaftlichen Ansprüche gewahrt werden könnten, wenn ein zu forsch auftretender Manager das Ruder in die Hand nehme, wagte man zu bezweifeln. Nun reagierte man erleichtert, als zu erfahren war, wie die neue Chefin heißt. So mancher Mitarbeiter hegt dennoch die Befürchtung, dass Haag die Kunstkammer prioritär behandeln könnte – und die Anliegen anderer Abteilungen zu kurz kämen. Auch wenn die Neodirektorin selbst sagt: „Natürlich muss ich mich jetzt von dem Gedanken lösen, dass Sabine Haag die Kunstkammer ist. Sabine Haag ist das KHM.“

Eine gewisse Unsicherheit scheint sich, bei aller Freude über Wilfried Seipels Nachfolgerin, auch aufseiten der Ministerin bewahrt zu haben: Sie hat ihre späte Designierung der nächsten KHM-Chefin als einen Prozess beschrieben, in dem man irgendwann beginne, „nach Bestätigung zu suchen“: Das sei übrigens exakt jenes ­Gefühl, lacht die Ex-Bankerin Claudia Schmied noch, das sie „früher bei Kredit­entscheidungen“ gehabt habe. Gut möglich allerdings, dass der Weg zu Sabine Haag, die Schmied laut eigenem Bekunden „von vielen Seiten empfohlen“ worden sei, um einiges kürzer war, als dies nun dargestellt wird: Artur Rosenauer, der die Kulturministerin in Sachen KHM intensiv beraten hat, betreute die 1995 abgeschlossene Dissertation von Sabine Haag.

Die Feinheiten ihres Jobs wird Haag nun ohne Seipel kennen lernen: Entgegen anders lautenden Bekenntnissen noch im vergangenen Herbst wird der langjährige KHM-Generaldirektor 2009, wenn er sein letztes Beamtenjahr vor der Pensionierung absolvieren wird, als Konsulent nicht zur Verfügung stehen. Wie gut das Haus mit Sabine Haag tatsächlich „fahren“ wird, scheint ihn inzwischen nur noch am Rande zu interessieren.

Von Stefan Grissemann und Nina Schedlmayer