Saftbefehl

Unwort. "Wiener Blut" oder wie die FPÖ es schaffte, ihr eigenes Niveau noch einmal zu unterbieten

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Wie reagieren? Aktionistisch-spendabel: Um "ein Zeichen gegen die Hetze zu setzen“, begaben sich SPÖ-Gemeinderäte in die Wiener Blutspendezentrale. Modern-vernetzt: Auf der Internet-Plattform Facebook formierte sich die Gruppe "Mei’ Wiener Blut is’ a Melange“. Christlich-protestantisch: "Mein Wiener Blut besteht aus tschechischem Slivovitz, Kärntner Schnaps und Schweizer Kirschwasser“, ätzte der evangelische Bischof Michael Bünker. Oder aber gekonnt-spöttisch: Opernball-Kommentator und Musik-Universalist Christoph Wagner-Trenkwitz empfahl der Wiener Volksoper im September öffentlich, den FPÖ-Chef zu engagieren: "Vielleicht als Dritter-Akt-Komiker.“

Nach den früheren Provo-Slogans "Daham statt Islam“ und "Pummerin statt Muezzin“ durfte man auch im Wiener Gemeinderatswahlkampf 2010 mit einem freiheitlichen Reim des metrischen und inhaltlichen Grauens rechnen. Überraschend war höchstens, dass Generalsekretär Herbert Kickl, der blaue Wahllyrik entweder selbst verfasst oder zumindest genehmigt, derart überdosierte. Für kommende Ausländer-Wahlkämpfe bleibt, gemessen an "Wiener Blut“, kaum Steigerungspotenzial nach unten - es sei denn, Kickl & Co wagen "Rasse statt Masse“.

Man darf Herbert Kickl nicht unterschätzen, im Guten wie im Bösen. Hinter dem Plakatspruch "Mehr Mut für unser, Wiener Blut‘“ (Untertitel: "Denn zu viel Fremdes tut niemandem gut“) steckt die intellektuelle Leistung, das Zentralbegriffspaar unter Anführungszeichen gesetzt zu haben - als kalkulierte Immunisierung gegen erwartbare Kritik. Diese fiel entsprechend scharf aus. Wiens Bürgermeister Michael Häupl bewertete den Slogan als "mieseste und übelste Provokation“. Und der grüne Stadtrat David Ellensohn sprach das Naheliegende aus: "Die Wortwahl erinnert an Nazi-Jargon.“ Kickls Replik: Der Begriff "Wiener Blut“ habe nichts "Rassistisches“ an sich, sondern sei "Synonym für Wiener Kultur, Tradition und Eigenart“. Wer beim freiheitlichen Reim nicht an Johann Strauß, Walzer und Operette zu denken vermag, ist also selber schuld: "Wiener Blut“ - unschuldig wie das gleichnamige Schnitzel.

Herbert Kickl ist kein Idiot. Er weiß, was "Blut“ im Kontext der Zuwanderungsdebatte bedeutet. Er kannte die Provokationskraft des FPÖ-Plakats und entschied mit seinem Parteiobmann Heinz-Christian Strache, diese auch wirken zu lassen. Von einer tatsächlich bekennenden rechtsextremen und rassistischen Partei unterscheidet die FPÖ das schlechte Gewissen nach dem Tabubruch oder zumindest die Erkenntnis, manche Grenzüberschreitungen sogar nach blauen Standards ahnden zu müssen. Deshalb wurden FPÖ-Mitarbeiter, die Nazi-Devotionalien im Internet orderten, entfernt. Deshalb sah sich FPÖ-Boss Strache genötigt, seine rechtsradikalen "Jugendtorheiten“ (Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer) ebenso zu verurteilen wie das Minarett-Abschießspiel "Moschee baba!“ seiner steirischen Parteifreunde. Die FPÖ-Grenzziehung ist freilich unscharf. Den Sagen-Comic aus dem Wiener Wahlkampf, in dem der blaue Freiheitskämpfer HC einen kleinen Buben auffordert, dem "Mustafa“ per Steinschleuder eine "aufzubrennen“, verglich Kickl mit Asterix-Heften. Man habe in jugendadäquater Weise versucht, auf "Wiener Traditionen“ hinzuweisen. Schon wieder: Die gesamte blaue Wahlkampagne muss demnach als Traditionspflege zwischen Türkenbelagerung und goldenem Wiener Operettenzeitalter verstanden werden.

Abzüglich der gezielten oder zumindest in Kauf genommenen "Blut und Boden“-Anklänge und des fremdenfeindlichen Grundthemas stehen die blauen Plakate schlicht für Geschmacklosigkeit, wie sie etwa auch die musizierenden Brutalinskis der deutschen Hardrockband Rammstein pflegen. Mag "Wiener Blut“ für die FPÖ "Kultur und Eigenart“ der Bundeshauptstadt bedeuten, ist es bei Rammstein Titel eines Songs über die Verbrechen des Josef Fritzl in Amstetten.

Bei der Wiener Volksoper wird sich Strache vorerst nicht als Komiker versuchen müssen. Die Gemeinderatswahl am 10. Oktober bescherte der FPÖ 25,8 Prozent. Migration als blaue Monothematik hatte im Wahlkampf erneut gezogen. SPÖ-Gemeinderäte, Bischof Bünker und Christoph Wagner-Trenkwitz sollten sich für den Nationalratswahlkampf 2013 bereithalten. Hinsichtlich der lyrischen Qualität übertraf der Originaltext des Operetten-Walzers aus dem Jahr 1899 die FPÖ-Reimschmiede des Jahres 2010 nur knapp: "Wiener Blut, Wiener Blut! Eig’ner Saft, voller Kraft, voller Glut. Wiener Blut, selt’nes Gut. Du erhebst, du belebst unser’n Mut!“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.