Schweben? Stampfen!

steirischer herbst: Schweben? Stampfen!

steirischer herbst. Die künstlerische Rebellion der Choreografin Doris Uhlich

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Das waren die wilden Sixties: gesellschaftliche Aufbruchsstimmung, sexuelle Befreiung, politisches Erwachen. Die meisten älteren Zeitzeugen werden, wenn man sie über ihre Jugendjahre befragt, Schlagworte wie diese früher oder später fallen lassen. War es überhaupt möglich, die soziale Wende von 1968 nicht mitzubekommen?

"Cinderella“ und "Daphne“
- das sind die Begriffe, die der ehemaligen Staatsoperntänzerin Marialuise Jaska dazu einfallen: "Ich weiß noch genau, welche Stücke wir 1968 getanzt haben. Für alles andere blieb damals keine Zeit.“ Ihre Kolleginnen und Kollegen, allesamt ehemalige Balletttänzer, nicken betreten. Während andere an Happenings teilnahmen oder auf Demonstrationen waren, standen sie als Balletteleven an der Stange und trainierten, tagtäglich, von morgens bis abends. Freizeit war für sie ein Fremdwort.

Zum Glück ist es nie zu spät, sich zu befreien.
Die 1977 in Oberösterreich geborene, mittlerweile in Wien lebende Choreografin Doris Uhlich verhilft in ihrer jüngsten Produktion "Come Back“ (Premiere beim steirischen herbst am 5.10.) vier ehemaligen Balletttänzerinnen und einem männlichen Kollegen, alle zwischen 56 und 70 Jahre alt, zumindest auf der Bühne zu einer späten Revolution. Uhlich erkundet gemeinsam mit ihren Akteuren, welche Bewegungsmuster den Körpern eingeschrieben sind, aber auch, wie man diese Formungen wieder locker machen kann. "Als Ballerina hast du immer eine bestimmte Körperspannung“, sagt Susanne Kirnbauer, die lange Solistin an der Wiener Staatsoper war: "Für uns ist es schwierig, sich davon zu lösen, zu neuen, ganz anderen Bewegungen zu finden.“

Bei einem Probenbesuch führt Kirnbauer ein fantastisches Solo zu einem Song von Edwyn Collins vor. Zu "A Girl Like You“ schüttelt die Ex-Ballerina so exzessiv und cool ihren Körper, dass man meinen könnte, sie wolle sich für eine Popstar-Casting-Show bewerben. Sie trägt eine gewagte Weste, auf die kleine Tänzerinnenfiguren genäht worden sind, ihr blondes Haar hat sie lässig zurückgegelt. Susanne Kirnbauer ist unlängst 70 geworden, aber das Alter sieht man ihr kaum an, während sie über die Bühne tobt.

"Mich hat jene Kraft interessiert, die in Körpern gespeichert ist, aber nicht mehr genutzt wird, weil die Künstler schon in Pension sind“, sagt die Choreografin, die sich ihren Themen grundsätzlich eigenwillig nähert. In "Uhlich“ (zu sehen 2011 bei den Wiener Festwochen) stellte sie ihre Mutter auf die Bühne, die bislang weder Tanz- noch Schauspielerfahrung hatte. In "mehr als genug“ agierte die Choreografin selbst, interviewte Künstlerinnen via Telefon, erkundigte sich, welche Körper sie schön fänden, und legte anschließend nackt einen atemberaubenden Tanz hin, bei dem Unmengen an Puder durch die Luft wirbelten. Im Alter von 30 Jahren beginnen Profitänzer üblicherweise bereits mit der Vorbereitung ihres Ruhestands; Doris Uhlich befasste sich mit 30, vor fünf Jahren, erstmals mit dem Spitzentanz. Über eine klassische Ballettfigur verfügte sie schon damals keineswegs. Aber gerade das macht den Reiz ihrer Arbeiten aus: Sie stellt den nicht normierten und nicht angepassten Körper ins Zentrum ihrer Produktionen.

In "Spitze“ (2008), einer der bislang dichtesten Uhlich-Arbeiten, debütierte die Ex-Ballerina Susanne Kirnbauer spät in der freien Szene und reflektierte dabei ihre Tanzvergangenheit. Jeder weiß zwar, dass Ballett ein strenges Regelwerk ist, aber das Pathos und das Maschinenhafte dieses Genres hatte man selten zuvor so präzise und zugleich so unterhaltsam analysiert gesehen. "Come Back“ knüpft nun an "Spitze“ an, wobei weniger Ballett zu sehen sein wird; es sind eher freie Bewegungsabläufe, an denen Uhlich derzeit arbeitet - sie lässt ihr betagtes Personal unter anderem zur Musik der britischen Punk-Pioniere Sex Pistols tanzen. Schließlich sollten auch klassische Ballettvirtuosen die verpasste Rebellion ihrer jungen Jahre nachholen dürfen. Bei Doris Uhlich heißt das: Es ist schöner, laut zu stampfen, als grazil zu schweben.

Karin   Cerny

Karin Cerny