Exklusiv: Die Beichte des Gernot S.

Exklusiv: Das Geständnis des Kronzeugen Gernot Schieszler

Telekom. Das Geständnis des Kronzeugen Gernot Schieszler

Drucken

Schriftgröße

Der Ort der Verabredung war wie zufällig gewählt: eine schmale Gasse in unmittelbarer Nähe des Wiener Naschmarkts, zumal spärlich frequentiert. Neugierige Blicke, das war den Herren klar, konnten sie keinesfalls gebrauchen. Wer will sich schon bei der Übergabe von fast 500.000 Euro in bar beobachten lassen? Dabei hätten allfällige Zeugen ohnehin kaum Verdacht schöpfen können. Soi­gnierte Männer in feinem Zwirn laufen einander am helllichten Tag in die Arme, tauschen Höflichkeitsfloskeln aus, ein prall gefüllter Plastiksack wechselt umstandslos die Hand, danke und auf Wiedersehen.

Das Procedere sollte sich in wechselnder Besetzung wiederholen. Drei-, vielleicht viermal, so genau will das heute keiner der Beteiligten mehr wissen.

Johann Wanovits, der Broker, Gernot Schieszler, der Telekom-Manager, dessen Kollegen Josef T. und Wolfgang F.: Sie müssen sich bei den flüchtigen Geldübergaben auf offener Straße wie die Protagonisten eines schmuddeligen Reißbrettkrimis gefühlt haben. In gewisser Weise waren sie das auch. Und nicht nur sie.

Wie profil vor nunmehr drei Wochen enthüllte, hat Wanovits, Gründer und ehedem Vorstand des Wiener Wertpapierhandelshauses Euro Invest Bank AG, den Kurs der Telekom-Aktie am 26. Februar 2004 durch eine Last-Minute-Kauforder nach oben manipuliert, um so ein 8,7 Millionen Euro schweres Prämienprogramm für rund 100 Führungskräfte der Telekom zu sichern – und zwar im Auftrag der Telekom selbst. Das hat Wanovits Ende Juli gegenüber der Staatsanwaltschaft Wien gestanden. Als Verbindungsmann nannte er Gernot Schieszler, dazumal Stellvertreter des früheren Finanzvorstands Stefano Colombo.

Unklar schien nur, in wessen Auftrag Schieszler gehandelt hatte. Bis jetzt. profil liegen nun bisher wohlweislich unter Verschluss gehaltene Informationen aus Justizkreisen vor, die der Causa einen entscheidenden Drall gegeben haben ­dürften.

Demnach hat Gernot Schieszler bereits vor Wochen ein umfassendes Geständnis abgelegt. In mehreren langwierigen Einvernahmen, die längste soll über 20 Stunden am Stück gedauert haben, gewährte Schieszler Staatsanwalt Hannes Wandl tiefe Einblicke in das System Telekom Aus­tria, dessen Teil er zwischen 2000 und 2009 war. Er redete freimütig über die von ihm verantworteten Luftgeschäfte mit Peter Hochegger, Scheinrechnungen in Millionenhöhe und Geldflüsse in dunkle Kanäle. Vor allem aber gestand Schieszler seine Verwicklung in die Aktienaffäre ein – und belastete dabei drei der vier früheren Konzernvorstände schwer.

Schieszler hat seinerzeit nach eigener Aussage nicht nur mit Duldung der Chefetage gehandelt, sondern vielmehr auf deren ausdrücklichen Wunsch hin. Konkret nannte er immer wieder drei Namen: Heinz Sundt, ­Rudolf Fischer und Stefano Colombo. Der damals vierte Mann im Telekom-Vorstand, Boris Nemsic, soll indes nicht direkt in die Manipulationen involviert gewesen sein. Die Verdächtigen haben die Vorwürfe bisher nachdrücklich bestritten, es gilt die Unschuldsvermutung.

So will Schieszler auf ausdrückliche Weisung des Vorstands bereits um den Jahreswechsel 2003/2004 Verbindung zu Wanovits aufgenommen haben, um die Möglichkeiten einer allfälligen Kursgestaltung zu sondieren (wie ausführlich berichtet, musste der Kurs Ende Februar 2004 eine bestimmte Schwelle überschreiten, um den begünstigten Managern Anspruch auf die Bonifikationen zu sichern). Von Anfang an mit dabei: der kürzlich nach einem Geständnis unter Tränen gefeuerte Telekom-Prokurist Josef T., Wanovits’ langjähriger Freund und Fürsprecher.

Der Erstkontakt verlief anscheinend enttäuschend. Der Broker soll zwar prinzipielle Bereitschaft signalisiert, zugleich aber darauf bestanden haben, die Aktien gegebenenfalls nur auf Rechnung der Telekom zu kaufen. Seinen Berechnungen zufolge hätte er bei einem hochliquiden Wert wie Telekom Austria zumindest zehn Millionen Euro in die Hand nehmen müssen, um den Kurs tatsächlich zu beeinflussen (was später auch geschah) – ein stattlicher Betrag, zumal für ein kleines Wertpapierhandelshaus wie Euro Invest. Schieszler riet seinen Vorgesetzten daraufhin nach eigenem Bekunden von einer Beauftragung des Brokers ab. Und zwar mit dem Hinweis, dieser sei „nicht seriös“.

Bis zum 26. Februar 2004 passierte nichts. An diesem Tag lief das Aktien­optionsprogramm aus – und der Kurs machte weiterhin keine Anstalten, die erforderliche Schwelle zu überschreiten.

Und dann passierte nachgerade Unglaubliches. Schieszler berichtete der Staatsanwaltschaft von einer hektischen Telefonkonferenz mit Stefano Colombo und Rudolf Fischer am Morgen dieses 26. Februar. Sie sollen ihn dazu gedrängt haben, Wanovits doch zu mandatieren, wenn auch nicht auf direkte Rechnung der Telekom.

Tatsächlich dürfte es Schieszler gelungen sein, dem Broker einen etwas modifizierten Deal abzuringen. Wanovits erklärte sich offenbar kurzfristig bereit, die ­Telekom-Aktien auf eigene Gefahr zu kaufen, verlangte dafür jedoch plötzlich eine ­„Risikoprämie“ von zwei Millionen Euro (profil war bisher nur von einer Million Euro ausgegangen).

Weitere Bedingung des Brokers: Einer der vier Telekom-Vorstandsdirektoren – Schieszler war damals nur stellvertretendes Vorstandsmitglied – musste grünes Licht geben. Schieszler gab gegenüber der Justiz an, dass schlussendlich Rudolf Fischer bei Wanovits angerufen und ihn direkt beauftragt hätte. Diese Aussage steht allerdings in Widerspruch zu Fischers heutiger Verantwortung. Er musste zwar mittlerweile kleinlaut zugeben, von den Kursmanipulationen gewusst zu haben – will aber darüber hinaus nicht aktiv involviert gewesen sein.

So oder so: Wanovits drückte kurz vor Handelsschluss eine massive Kauf­order in den Markt, der Kurs knackte die entscheidende Marke, das Prämienprogramm war gerettet, rund 100 Führungskräfte auf einen Schlag um zusammen 8,7 Millionen Euro reicher. Allein Vorstandschef Sundt kassierte in weiterer Folge 390.000 Euro brutto, Fischer, Colombo und Nemsic jeweils 320.000 Euro.

Unklar ist bis heute, wie der kleine Broker die Order letztlich finanziert hat. Er beteuerte stets, sich einen Zwischenkredit bei der Frankfurter Maple­ Bank in der Höhe von knapp weniger als elf Millionen Euro besorgt zu haben. Dass er diesen aber innerhalb weniger Stunden organisiert haben soll, ist doch einigermaßen bemerkenswert. Vermutungen, dass Wanovits stattdessen auf Depots anderer Kunden zugegriffen hat, ließen sich jedenfalls nicht verifizieren (Faktum ist, dass er die Telekom-Aktien wenige Tage später und mit einem kleinen Gewinn wieder veräußerte).

Am Abend des 26. Februar 2004 hatte Broker Wanovits zwar den Markt manipuliert, nach der damals geltenden vagen Rechtslage aber noch kein Verbrechen begangen.

Den Ärger handelte er sich erst mit der Geltendmachung der zuvor vereinbarten „Risikoprämie“ ein. Denn das Geld stammte aus Vermögen der Telekom. Damit hätten jene, die ihn bezahlt haben, das Delikt der Untreue gesetzt – und Wanovits müsste sich dann wohl als Beitragstäter verantworten. Doppelt bitter: Von den vereinbarten zwei Millionen Euro hat er schlussendlich nur die Hälfte gesehen. So dürfte er nicht, wie zuletzt berichtet, knapp weniger als 600.000 Euro erhalten haben – sondern vielmehr rund eine Million Euro. Wenn auch über Umwege. Auftritt Peter Hochegger.

Der Lobbyist und PR-Experte diente der Telekom Austria bekanntlich ab Ende der neunziger Jahre als Haus-und-Hof-Berater. Wie ausführlich berichtet, hat der Konzern insgesamt rund 25 Millionen Euro an Hocheggers frühere Unternehmens­gruppe überwiesen, davon sollen jedenfalls neun Millionen Euro versickert sein.

Gernot Schieszler
– er zeichnete zusammen mit Rudolf Fischer und dem früheren Einkaufsleiter Wolfgang F. für den weitaus größten Teil der Hochegger-Aufträge verantwortlich – musste gegenüber der Justiz zugeben, dass auch die Entlohnung von Broker Wanovits über seinen Schreibtisch lief, wobei er sich des damals bereits bestehenden „Hochegger-Topfs“ bedient hätte. Er beteuert allerdings, dass auch dies in enger Absprache mit Fischer und Colombo erfolgt sei.

Und das ging so: Wenige Wochen nach Wanovits’ erfolgreicher Kursmanipulation erteilte die Telekom Peter Hochegger den Auftrag, eine „Marktstudie Mittel- und Osteuropa“ zu erstellen. Auftragswert: immerhin 1,1 Millionen Euro.

Die durchaus umfangreiche Studie hat es tatsächlich gegeben – sie wurde laut Schieszler aber nicht vom Lobbyisten produziert, sondern von der Telekom selbst. Hocheggers einzige Leistung soll darin bestanden haben, die Dokumentation auf seinem Briefpapier auszudrucken und an die Telekom zurückzuschicken, wo sie hochoffiziell von Wolfgang F. übernommen wurde (F. ist ein Pflegefall und kann nicht mehr einvernommen werden).

Nach Schieszlers Erinnerung überwies die Telekom Austria Hochegger daraufhin die vereinbarten 1,1 Millionen Euro, wo sie allerdings nicht lange liegen blieben. Der Lobbyist soll das Scheinhonorar ohne Zeitverzug bar behoben und wieder an Schieszler übergeben haben, allerdings mit hohen Abschlägen. Der Telekom-Manager behauptet, Hochegger hätte gleich einmal 50 Prozent der Summe als Ausschüttung versteuert (wiewohl das Gesetz hier nur 43,75 Prozent vorschreibt) und sich von der verbleibenden Nettosumme auch noch eine „Provi­sion“ von zehn Prozent einbehalten.

Unter dem Strich will Schieszler jedenfalls einen Betrag von knapp unter 500.000 Euro von Hochegger zurückerhalten und diesen Wanovits anschließend persönlich auf offener Straße übergeben haben. Die Ironie am Rande: Selbst bei dieser Konspiration folgte die Telekom dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip der vier Augen. Schieszler soll Wanovits stets in Begleitung von Josef T. oder Wolfgang F. getroffen haben, sicher ist ­sicher.

Zwischen 2005 und 2008
, eine genauere zeitliche Einordnung scheint heute nicht mehr möglich, soll Wanovits von der Telekom noch einmal 300.000 Euro in mehreren Teilbeträgen erhalten haben, im November 2008 dürfte eine letzte Tranche von 175.000 Euro über Hochegger gelaufen sein. In Summe hat Wanovits damit annähernd eine Million Euro erhalten, was dieser auch gar nicht bestreitet. Auf den Rest des Geldes wartet er bis heute. Hauptsächlich deshalb, weil ihm aufseiten der Telekom nach und nach die Partner abhandenkamen. Vorstandschef Sundt dankte im Mai 2006 ab, Stefano Colombo im April 2007, Rudolf Fischer im August 2008, Gernot Schieszler im Juli 2009.

Den Herren könnte demnächst wohl ein alles andere als beabsichtigtes Wiedersehen auf der Anklagebank blühen. Die Staatsanwaltschaft Wien bezichtigt Heinz Sundt, Stefano Colombo, Rudolf Fischer, Ex-Prokuristen Josef T., Peter Hochegger, Broker Johann Wanovits und zwei seiner Mitarbeiter der Untreue respektive der Beitragstäterschaft dazu. Einzig Gernot Schieszler dürfte davonkommen. Die Justiz erwägt, ihn in den Genuss der seit heuer geltenden Kronzeugenregelung kommen zu lassen.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.