Terror

Terror: Totenstille nach der Bombe

Totenstille nach der Bombe

Drucken

Schriftgröße

Wo ist denn hier die Duma?“, soll die junge Frau gefragt haben, bevor sie sich knapp daneben in die Luft sprengte und fünf Leute mit sich in den Tod riss. Die Tschetschenen scheinen sich – auf ihre gewalttätige Art – mehr für das russische Parlament zu interessieren als die Russen. Nur jeder zweite Wahlberechtigte ging am 7. Dezember zu den Urnen.
Für Wladimir Putin ist der jüngste Bombenanschlag am vergangenen Dienstag, den 9. Dezember 2003, eine schallende Ohrfeige. Hatte der heimliche Krieg in Tschetschenien im russischen Wahlkampf überhaupt keine Rolle gespielt, so wird jetzt klarer denn je: Der Krieg im Kaukasus lässt sich nicht totschweigen, und er wird vor die Kreml-Mauern getragen. 200 Meter von den Arbeitsräumen des Präsidenten entfernt klebten die blutigen Körperteile der Opfer an der Fassade des Nobelhotels „National“.

An der politischen Strategie Putins wird sich deshalb aber vermutlich wenig ändern. Auch die bisherigen Bombenanschläge zeigten diesbezüglich wenig Wirkung. Am 31. August 1999 wurden direkt neben dem Hotel „National“ in der Untergrundpassage „Manege“ 20 Menschen bei einer Explosion verletzt. Damals sprach noch kaum jemand von tschetschenischen Attentätern. Dann wurden im September 1999 Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Moskau und Umgebung verübt. Mehr als 300 Menschen starben. Der Kreml begann daraufhin den zweiten Krieg gegen Tschetschenien.
Am 8. August 2000 kamen 13 Menschen bei einem Attentat in der Passage unter dem Puschkin-Platz ums Leben. Ende Oktober 2002 besetzten tschetschenische Rebellen, darunter erstmals auch Frauen mit Sprengstoffgürteln, ein Musical-Theater in Moskau. Bei der Stürmung starben 129 der rund 800 Geiseln. Am 5. Juli 2003 töteten zwei Selbstmordattentäterinnen 15 Leute bei einem Jazzkonzert in Moskau. Am 10. Juli 2003 starb ein Spezialist beim Entschärfen einer Bombe auf der Twerskaja-Straße, der Einkaufsmeile Moskaus. Am Freitag vor den Wahlen explodierte im Süden Russlands, knapp vor der tschetschenischen Grenze, eine Bombe in einem Zug. 44 Menschen wurden getötet.

Auch jetzt steht für die russische Öffentlichkeit fest, wer hinter dem neuesten Anschlag steht. Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow gab gleich zu Protokoll, er habe einen Videofilm des Hotel-Sicherheitsdienstes gesehen, auf dem man die Attentäterin deutlich erkennen konnte: komplett mit „dem klassischen Schahid-Gürtel unter ihrem Mantel“. Nach der Komplizin der Attentäterin wird mit Phantombild gefahndet.
Die russische Öffentlichkeit reagierte weder auf die kriminalistischen Ausführungen des Bürgermeisters noch auf den Anschlag überhaupt. Mit stoischer Ruhe gingen Passanten schon am nächsten Tag wieder über den Gehsteig vor dem Hotel. Die Fensterscheiben waren flugs ausgetauscht worden. Die Weihnachtssterne in den großen Auslagen des „National“ leuchteten schon wieder.

Die meisten Russen wollen vom Krieg des Kreml gegen die Kaukasusrepublik und vom Terrorismus der Tschetschenen gegen russische Zivilisten nur eines: unbehelligt bleiben. Es hat daher in Moskau auch kaum jemanden interessiert, wie viele Tschetschenen bei den Duma-Wahlen für das „Geeinte Russland“ gestimmt haben. Putins Partei hat in Tschetschenien mit 81 Prozent der Wählerstimmen ein bemerkenswertes Ergebnis erzielt.