„Natürlich ist Wien wichtig für die NSA“

Thomas Drake: „Natürlich ist Wien wichtig für die NSA“

Geheimdienste. Interview mit dem Ex-NSA-Agenten Thomas Drake

Drucken

Schriftgröße

Interview: Gunther Müller

profil: Wir führen dieses Interview über den Internettelefonanbieter Skype. Glauben Sie, dass wir dabei von der NSA abgehört werden?
Thomas Drake: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Technisch möglich ist es in jedem Fall. In Form von Metadaten wird dieses profil-Interview aber ganz sicher gespeichert.

profil: Metadaten: Können Sie das erklären?
Drake: Metadaten bedeuten, dass die NSA zumindest weiß, mit wem und wie lange ich über Skype gesprochen habe. Vergleichen Sie das mit der Post, die weiß, wer welches Paket wohin schickt. Wir leben in einem System, in dem man dieses Paket ohne Probleme öffnen und sich den Inhalt ansehen kann, was unserer Privatsphäre aufs Gröbste verletzt. Aber genau das macht die NSA mit ihren eigenen Bürgern: Sie verstößt gegen Paragraph IV der US-Verfassung und hat dafür den Sanktus der Obama-Regierung. Die Macht der NSA ist nicht zu überschätzen, sie hat sich zunehmend verselbstständigt, und niemand will sie aufhalten, denn es geht dabei ja um ein scheinbar hehres Ziel: den Schutz der Nation.

profil: Das klingt schon sehr verschwörerisch. Die NSA unterliegt der Kontrolle des US-Kongresses. Und der Druck auf diesen Geheimdienst steigt: Erst kürzlich forderte US-Präsident Obama mehr Transparenz in den NSA-Überwachungsprogrammen.
Drake: Es ist der NSA gelungen, fast alle kritischen Leute im Kongress auf Linie zu bringen. Zum Präsidenten: Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Senator und Präsidentschaftskandidaten Barack Obama auf der einen und dem amtierenden Präsidenten auf der anderen Seite. Als Obama ins Weiße Haus einzog und von George W. Bush die Macht übernahm, verstand er erst, welchen Schatz ihm die NSA auf einem Silbertablett liefern kann: die völlige Kontrolle über die eigenen Bürger. Er hat dieses Geschenk dankend angenommen. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Der Staat richtet sich gegen seine eigenen Bürger, etabliert einen gigantischen Apparat, in dem auf Knopfdruck alles verfügbar ist. All das gerät mehr und mehr außer Kontrolle.

profil: Sie waren ein angesehener Softwarespezialist bei der NSA, kennen also diesen Apparat sehr gut von innen. Kann die NSA tatsächlich alle aufgezeichneten Telefonate oder gespeicherten Mails analysieren?
Drake: Zu einem Großteil ist es möglich, die Inhalte der Metadaten zu erkennen. Aber Sie müssen verstehen: Die NSA ertrinkt förmlich in Daten. Alles wird erst einmal wie wild gespeichert, parallel dazu wird an Programmen gearbeitet, diese Metadaten auch richtig deuten zu können. In der NSA sagt man sich: „Irgendwann werden wir das schon schaffen.“ Die Menge an Informationen übersteigt die derzeitigen Analysemöglichkeiten der NSA bei Weitem.

profil: Was dazu führt, dass reale Gefahren oft nicht erkannt werden?
Drake: Es ist ungefähr so, wie wenn man an allen Stränden der Welt nach einer Nadel sucht und deshalb unzählige Tonnen Sand erst einmal in LKWs abtransportiert und darauf wartet, einen tauglichen Metalldetektor zu finden. Letztlich sind die ausbleibenden Erfolge sehr bezeichnend: Die großen Terroranschläge der vergangenen Jahre, 9/11 oder der Bombenanschlag von Boston, konnten nicht verhindert werden. Genau das ist eines der großen Paradoxa der NSA: Ihre Leute sammeln wie wild Daten, können aber sehr oft nichts damit anfangen.

profil: Gibt es bei der NSA so etwas wie Selbstkritik?
Drake: Auf den unteren und mittleren Ebenen, also bei Leuten wie mir, gab und gibt es sicher Selbstkritik, weil diese Institution zum Beispiel bei 9/11 fundamental versagt hat. In der Chefetage sieht man das anders. Dort sagt man: „Wir konnten den Anschlag nicht verhindern? Stimmt, aber das liegt einzig daran, dass wir nicht genügend Daten zur Verfügung hatten.“ Die NSA ist regelrecht davon besessen, alles über jeden zu wissen. Ich habe in der Zeit des Kalten Krieges in der DDR Regierungsdaten abgehört und war schockiert, wie viel der Staat über seine Bürger weiß. Was hier in den USA passiert, gleicht den Methoden der Stasi, wir leben in einem Überwachungsstaat.

profil: Sie vergleichen die NSA mit der Stasi und die USA mit der DDR?
Drake: In gewisser Weise ja.

profil: Das ist doch ziemlich weit hergeholt: Das Sammeln von Daten ist eine Sache, deren Verwendung eine andere. Wenn jemand in der DDR dabei ertappt wurde, wie er die Regierung kritisierte, wurde er verhaftet. Niemand wird uns beiden etwas anhaben, wenn wir die US-Regierung kritisieren. Es herrscht keine Stimmung der Repression.
Drake: Nein, so weit sind wir noch nicht, aber die Geschichte schläft nicht. Es besteht die reale Gefahr, dass dieses System irgendwann kippt und persönliche Daten gegen unbescholtene Bürger verwendet werden. Ich will jedenfalls nicht in einer solchen Gesellschaft der absoluten Kontrolle leben, ich glaube an individuelle Freiheiten und Privatsphäre. Deshalb bin ich mit meinen Informationen an die Öffentlichkeit gegangen. Daraufhin hat die NSA mein Leben zerstört.

profil: Inwiefern?
Drake: Ich habe meinen Job, mein Vermögen und meine Freunde verloren, die sich von mir abgewendet haben. Man hat mich angeklagt und mich bedroht, was auch mein Familienleben auf den Kopf gestellt hat. Ich musste ganz von vorn beginnen und habe stark gelitten.

profil: Sie wurden angeklagt, weil Sie das NSA-Programm zur Überwachung von US-Bürgern an die Presse weitergaben. Glauben Sie, dass Edward Snowden Sie als ein Vorbild betrachtet?
Drake: In gewisser Weise schon. Snowden sah dasselbe wie ich: ein großes Unrecht an unserer freien Gesellschaft. Er beschloss, nicht länger zu schweigen und sich dagegen zu wehren. Irgendwann gab er sein sicheres Leben, seine Beziehung, Familie und sein Anwesen auf Hawaii auf – ein großartiger Akt zivilen Ungehorsams. Ich denke auch, dass Snowden nicht in die USA zurückgekehrt ist, weil er wusste, was die NSA mir angetan hatte: Man hätte ihn eingesperrt und völlig abgeschirmt. Wahrscheinlich hätte man auch Anwälte lange Zeit nicht zu ihm gelassen. Ist es nicht eine Ironie, dass Snowden nun ausgerechnet in Russland, dem ehemaligen Todfeind der USA, sicherer ist als in der eigenen Heimat?

profil: Soeben kündigte Snowden an, noch mehr brisante Details über die NSA preiszugeben. Angeblich soll es auch Lauschposten in Frankfurt und in Wien geben. Wissen Sie etwas darüber?
Drake: Natürlich gibt es diese Lauschposten, und natürlich arbeitet der BND mit den USA zusammen – so wie auch Österreichs Geheimdienst (das Heeresnachrichtenamt, Anm.) und die Behörden aller europäischen Länder mit den USA Deals über Datenaustausch haben. Wien war übrigens schon zu Zeiten des Kalten Krieges ein idealer Ort für Spione.

profil: Ja, aber das war vor dem digitalen Zeitalter. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang Wien heute?
Drake: Ich habe keine konkreten Informationen darüber, das sollten Sie bei Ihrer Regierung nachfragen. Aber natürlich ist Wien für die NSA sehr wichtig. Hier sitzen so viele internationale Organisationen – ein kaum zu unterschätzender Informationspool. Ich kann gar nicht genug betonen, wie extrem verlockend es für Geheimdienste ist, alles aufzusaugen. Hier werden keine Kosten und Mühen gescheut, das gilt freilich auch für Österreich.

profil: Für viele Amerikaner sind Sie als Whistleblower ein Held, für andere ein Vaterlandsverräter und Spion. Haben Sie jemals bereut, dass Sie mit Ihrem Insiderwissen an die Öffentlichkeit gegangen sind?
Drake: Ich bin ein Verräter, weil ich für die Verfassung und den Rechtsstaat eingetreten bin – ist das nicht völlig absurd? Ich arbeite heute in einem kleinen Apple-Store, weil mich nach den Enthüllungen kein Unternehmen einstellen wollte. Ich habe sehr viel verloren, menschlich wie auch materiell. Aber ich bin mit mir im Reinen und bereue nichts, weil ich überzeugt bin, dass ich den amerikanischen Bürgern einen großen Dienst erwiesen habe – genau wie Edward Snowden, den ich hoffentlich irgendwann treffen werde, um ihm persönlich zu gratulieren.

Zur Person
Thomas ­Andrews Drake, 57, war bis 2008 Softwareentwickler bei der National Security Agency, dem größten Geheimdienst der USA. Zuvor war er unter anderem für die Aufklärung über die DDR zuständig. Als Whistleblower veröffentlichte Drake lange vor Edward Snowden interne Informationen über NSA-Programme zur Analyse von Kommunikations- und Überwachungsdaten. Er gab die geheimen Informationen an eine Journalistin weiter und prangerte dabei Verschwendung, Missmanagement und Datenschutzverstöße durch die NSA an. 2010 wurde er als Spion angeklagt, ihm drohte eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Vorwürfe hielten vor Gericht nicht stand, er kam mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr davon. Drake, ein überzeugter Republikaner, arbeitet heute in einem kleinen Apple-Store am Rande Washingtons.