In den Hochschulen rumort es gewaltig

Universitäten. Die zehn Baustellen des Wissenschaftsministers

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1.
Uni brennt

Diesmal reagierte die Universität Wien blitzschnell. Schon ein paar Stunden nachdem Studenten vor zwei Wochen das Audimax besetzt hatten, wurde es von der Polizei geräumt. Grund des Tumults: Aus Geldnot wird die Uni Wien den Bachelor im Studienfach Internationale Entwicklung streichen. Das erst vor vier Jahren eingeführte Fach zählt bereits 1700 Studierende und soll voraussichtlich in ein englischsprachiges Masterstudium umgewandelt werden. Die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) befürchtet nun Zugangsbeschränkungen. Für englischsprachige Masterlehrgänge gibt es eine Ausnahmeregelung im Universitätsgesetz. Das sei eine derzeit recht beliebte Form zu sparen, sagt die ÖH-Vorsitzende Janine Wulz (Grüne und alternative Studenten). „Besonders auf der WU schießen sie wie Schwammerln aus dem Boden.“ Auch gegen den Beschluss der Uni Wien, ab Herbst autonom Studiengebühren einzuheben, wehren sich die Studenten. Die Hochschülerschaft der TU Wien, die knapp vor der Pleite steht, hat ebenfalls Aktionen angekündigt. Die letzte Audimaxbesetzung 2009 dauerte zwei Monate, die Revolte war auf andere Unistädte übergeschwappt.

2.
Zahnloser Hochschulplan

Vergangenen Donnerstag rief Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP) die Hochschulkonferenz, eine Art Beratungsgremium für den Minister, ins Leben. Deren Mitglieder, Töchterle und Generalsekretär Friedrich Faulhammer für das Wissenschaftsministerium, Heinrich Schmidinger und Gerald Bast für die Universitätenkonferenz, Helmut Holzinger und Fritz Schmöllebeck für die Fachhochschulkonferenz, Helmut Fuchs als Sprecher der Senate, Margret Wintermantel für den Wissenschaftsrat und Janine Wulz für die ÖH, sollen den seit Langem angekündigten Hochschulplan ausarbeiten. Manche Punkte – Bauleitpläne, Koordination zwischen den Hochschulen, Forschungsinfrastruktur – stehen bereits fest. Für sie braucht es auch keine Gesetzesänderungen. Für den Punkt Studiengebühren allerdings schon, und das wird schwierig: Die SPÖ hält – derzeit – nichts davon und findet den Hochschulplan laut Wissenschaftssprecherin An­drea Kuntzl „absolut enttäuschend“. Er sei ein Projekt der ÖVP und kein Regierungsdokument.

3.
Studiengebühren

In puncto Studiengebühren lässt Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle die Universitäten völlig in der Luft hängen. Weil er Beiträge von allen Studenten einheben will, die SPÖ aber die vom Verfassungsgerichtshof gekippte Regelung – nur Ausländer und Langzeitstudenten zahlen die 363 Euro – reparieren will, sind die Unis auf sich allein gestellt. Der Minister drängt sie, die Studiengebühren ab Herbst autonom einzuheben. Weil es dafür keine Rechtssicherheit gibt, müssen sie die Beiträge einfrieren, um sie im Zweifelsfall zurückzahlen zu können. Kaum eine Universität kann auf die Einnahmen verzichten. Die ÖH machte indes eine Million Euro locker, um klagende Studenten vor Gericht zu unterstützen. Eine Hoffnung hat Minister Töchterle allerdings noch: Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller ortet in der SPÖ eine schweigende Mehrheit für Studienbeiträge und will beim Parteitag im Herbst ein Konzept vorlegen.

4.
Zugangsbeschränkungen

Sowohl die Universitäten als auch Minister Töchterle plädieren dafür, sich die Studenten künftig aussuchen zu können. Von seinem ursprünglichen Plan, insgesamt weniger Studenten als bisher an die Hochschulen zu lassen, ließ Töchterle nach Protesten der SPÖ ab. Österreich muss dringend seine Akademikerquote erhöhen: Derzeit haben nur 19 Prozent der 25- bis 64-Jährigen einen Hochschulabschluss, im OECD-Schnitt sind es 30 Prozent. Nun will Töchterle die Zugangsregelungen in drei Schritten realisieren, der erste soll bereits ab 2013 gelten. SPÖ-Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl signalisiert Bereitschaft, solange „die Studienplatzfinanzierung zu einer Umverteilung führt, aber nicht zu weniger Studierenden“. Die Situation der Studenten verschärft sich indes. Ihre Zahl stieg seit 2007 um ein Fünftel auf 285.000 an, die Unis sind aber weiter chronisch unterfinanziert. In manchen Fächern kommen auf einen Professor über 120 Studierende. Die unter Beatrix Karl beschlossene und seit Herbst 2011 gültige Studieneingangsphase, in der Prüfungen wie z. B. an der Universität Wien nur einmal wiederholt werden dürfen, ist eine Art „Zugangsbeschränkung light“. Weder die ÖH noch Töchterle sind davon begeistert. Die Studienanfänger vom Herbst sollten die einsemestrige Eingangsphase bereits ­hinter sich haben, ein Großteil hat die Prüfungen aber noch nicht geschafft.

5.
Unipleiten und Budget

Die Technische Universität Wien steht mit 20 Millionen Schulden kurz vor der Pleite. Sie muss nun Lehramtsstudien streichen. Auch die Universität Wien steht mit 15 Millionen in der Kreide, die Wiener Medizin-Uni mit zwölf Millionen. Die Uni Klagenfurt und die Med-Uni Innsbruck dürften heuer ebenfalls negativ ­bilanzieren. Die von ­Minister Töchterle vergangenes Jahr versprochene Hochschulmilliarde wird daran nicht viel ändern – Österreich gibt für die Universitäten insgesamt zu wenig Geld aus. Die Ausgaben in der Höhe von 1,3 Prozent des BIP liegen unter dem OECD-Schnitt von 1,5 Prozent. Verglichen mit den Besten der Welt, ist auch das wenig: Die USA geben mit 2,7 Prozent doppelt so viel aus, ebenso Kanada (2,5 Prozent) oder Südkorea (2,6 Prozent). In Europa zeigen die nordischen Staaten vor, dass man deutlich mehr investieren sollte. Das Ziel Österreichs, bis 2020 zwei Prozent des BIP in die Unis zu stecken, wird sich laut David Campbell vom Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung an der Uni Klagenfurt mit dem derzeitigen Kurs wahrscheinlich nicht ausgehen: „Das würde mehr Engagement verlangen. Ich habe das Gefühl, die Regierung will das an die nächste Legislaturperiode delegieren.“

6.
Medizin-Unis in Nöten

Im letzten halben Jahr musste der Minister zweimal ausrücken, um an den Medizin-Unis erste Hilfe zu leisten. Im November 2011 hatte die Med-Uni Wien ein Notsignal abgegeben: Sie müsse 14 Prozent der Nacht- und Wochenenddienste im AKH kürzen, um wenigstens einen Teil ihrer Schulden von neun Millionen Euro zu tilgen. Töchterle sprang schließlich mit Geld ein, bis zum Sommer 2013 sind die Journaldienste gesichert. Wirklich aufpäppeln wird das die Medizin-Uni Wien nicht: Das Geld wird ihr vom Budget für 2013 bis 2015 wieder abgezogen. In Innsbruck wartet ein weiterer Patient auf Töchterle: Im Februar drohte Rektor Herbert Lochs, die Journaldienste der Bundesärzte einzustellen, würde das Ministerium nicht helfen, das 5,5 Millionen schwere Budgetloch zu stopfen. Töchterles Finanzspritze deckt drei Viertel der Schulden, die Dienste sind – vorerst – gesichert. Neben den Geldproblemen warnen Mediziner seit Längerem vor einem drohenden Ärztemangel, der durch die strengen Aufnahmetests an den Medizin-Unis an Brisanz gewinnt.

7.
Studentenansturm auf Österreich

Österreich ist bei ausländischen Studierenden sehr beliebt. Fast ­jeder siebte Student in Österreich kommt aus dem Ausland, nur Aus­tralien und Großbritannien sind noch begehrtere Studienstandorte. Die Deutschen machen mit 35 Prozent den größten Anteil aus, gefolgt von Italienern (elf Prozent), Türken (vier Prozent) und Polen (drei Prozent). Insgesamt studieren heuer 26.900 Deutsche in Österreich. Der vergangenen Herbst befürchtete Ansturm von Numerus-clausus-Flüchtlingen aus dem Nachbarland – in Bayern und Niedersachsen gab es doppelte Abiturjahrgänge – blieb aber aus. Im Moment versucht Minister Töchterle, die EU von der Verlängerung der Medizin-Quote bis 2016 zu überzeugen. Seit 2007 sind durch eine Ausnahmeregelung 75 Prozent der Studienplätze an den Med-Unis für Österreicher reserviert, nur jeder fünfte Studienplatz darf an Bewerber aus der EU, jeder zwanzigste an Nicht-EU-Bürger vergeben werden. Die seit Herbst geltende Studieneingangsphase hat sich als große Hürde für nicht deutschsprachige Studenten erwiesen. Die Tests übersteigen das von der EU vorgeschriebene Sprachniveau für Ausländer deutlich.

8.
„Mythos Bologna“

Der Hochschulforscher David Campbell spricht von einem „Mythos Bologna“, mit dem Österreich in die große europäische Hochschulreform gegangen sei. Man habe hierzulande gehofft, die Einführung des dreijährigen Bachelorstudiums würde die Studienzeiten verkürzen. Tatsächlich sind die Studenten länger an den Unis, weil die meisten einen Master anhängen – der Bachelor ist noch wenig anerkannt, die Gehälter deutlich niedriger. An sich ist der 1999 von 29 Staaten beschlossene Bologna-Prozess zur Schaffung eines europäischen Hochschulraums eine gute Idee: Er sorgt für eine höhere Mobilität der Studenten, die Vernetzung der Unis und eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse. „An mehreren österreichischen Unis wurde bei der Einführung der neuen Curricula aber über das Ziel hinausgeschossen“, sagt Campbell. Die ÖH beklagt seit Langem die Verschulung der Universitäten, der straffe Lehrplan war in der Vergangenheit immer wieder mit ein Anlass für die Studentenproteste. Inzwischen ortet Hochschulforscher Campbell „eine Tendenz weg vom engen Korsett, hin zu freieren Studienplänen“.

9.
Fachhochschulen – die fetten Jahre sind vorbei

Den Fachhochschulen geht es insgesamt besser als den Universitäten. Sie haben bereits eine Studienplatzfinanzierung, können sich ihre Studenten aussuchen und Studiengebühren einheben. Länder und Wirtschaft stärken ihnen zusätzlich den Rücken. In den neunziger Jahren wurden im ganzen Land Fachhochschulen aus dem Boden gestampft, die Zahl der Studierenden wuchs von 700 auf heute 39.300. Inzwischen bieten 21 Fachhochschulen 150 Studiengänge an.
Die Goldgräberstimmung der vergangenen Jahre ist aber vorbei. Der von Töchterle angekündigte Ausbau der Fachhochschulen von heute etwa 15 auf 25 Prozent des Hochschulbereichs ist in weite Ferne gerückt. Die Fachhochschulkonferenz ist von den Budgetplänen des Ministers enttäuscht und sieht derzeit „keine Wachstumsperspektive, die über die bereits zugesagten 500 neuen Studienplätze hinausgeht“. Hochschulforscher David Campbell hält die klassische Abgrenzung zwischen FH und Universität ohnehin für überholt. Seiner Ansicht nach sollten die Unis anwendungsnäher arbeiten und Fachhochschulen Doktoratsstudien einführen dürfen. „Es braucht sowohl interdisziplinäre Schnittstellen als auch Vernetzung in die Wirtschaft.“

10.
Klagen über Klagen

Weil die Politik sich nicht einig wird, müssen nun die Gerichte einspringen: Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle lehnt sich zurück und hofft bei den Studiengebühren auf ein Machtwort des Verfassungsgerichtshofs. „Möglicherweise bräuchte man dann keine neue Regelung“, ließ der Minister kürzlich verlauten. Auch die Stipendien als soziale Abfederung könne man den Unis selbst überlassen.
Diese Art Problemlösung scheint Töchterle zu liegen: Ende vergangenen Jahres erstritt sich die Wirtschaftsuniversität Wien auf dem Rechtsweg sechs Millionen Euro vom Bund, weil die Zahl der Bachelorstudenten weit über den Kapazitäten der Uni lag. Sie überlegt, auch wegen der Masterstudiengänge vor Gericht zu ziehen. Der Kommentar des Ministers: Das sei bloß ein weiterer Beweis für die Notwendigkeit von Zugangsregeln. Die will der Minister nun doch selbst in Angriff nehmen, indem er die Studienplatzfinanzierung im Herbst in den Leistungsvereinbarungen verankert. Die Ausgaben pro Student und Studium müssten dann von den Unis im Voraus festgelegt werden. Gebe es für ein Fach mehr Bewerber als Plätze, dürften die Universitäten Zugangsbeschränkungen einführen. Noch legt sich die SPÖ quer, allerdings zu Unrecht: Sie hat sich ­bereits vor eineinhalb Jahren, damals mit Vizekanzler Josef Pröll und Wissenschaftsministerin Beatrix Karl, auf die Studienplatzfinanzierung geeinigt. Der Chef der Universitätenkonferenz und Salzburger Rektor Heinrich Schmidinger glaubt jedenfalls an eine baldige Lösung: „Ich weiß nicht, ob der Regierung damals klar war, was die Studienplatzfinanzierung wirklich heißt. Die SPÖ kann jedenfalls nicht mehr zurück.“

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.