US-Wähler schwimmen gegen den Strom: Rednecks für Obama, Latinos für McCain
Der demokratische Wahlkampf-Tourbus war bereits angerollt und auf dem Weg zum nächsten Termin, als Barack Obama den Wagen noch einmal stoppen ließ. Er stapfte durch den Regen in der Kleinstadt Union im Bundesstaat Missouri, um den beiden Männern am Straßenrand die Hand zu schütteln. Das ist unglaublich, schüttelte der Präsidentschaftskandidat lachend den Kopf. Rednecks for Obama stand auf dem großen Transparent, das ihm die beiden Herren unter dem Budweiser-Schirm am Straßenrand entgegenhielten: Eine Bewegung wie diese hatte es im US-Wahlkampf noch nicht gegeben.
Dem typischen amerikanischen Redneck aus dem Süden der USA wurden schon viele Klischees zugeordnet: die Liebe zu Waffen, Bier und Barbecues; ein Faible für schnelle Boote und frisierte Motoren; ein schlichtes Arbeitergemüt und eine Tendenz zu rassistischen Vorurteilen. Eines waren Rednecks bisher aber nie: Demokraten. Ein Kuriosum im bisherigen US-Wahlkampf.
Aber auch John McCain ist für Überraschung gut. Die Schüler seines Heimatbundesstaates Arizona kreischten vor Begeisterung, als der Republikaner während einer Rede plötzlich einen speziellen Freund willkommen hieß: Den coolen Latino-Rapper Daddy Yankee hätte bis dahin niemand als Gefolgsmann des 72-Jährigen vermutet. Als der gebürtige Puerto-Ricaner dann auch noch verkündete, dass er McCains Einwanderungspolitik bedingungslos unterstütze, war die Stimmung kaum noch zu überbieten.
Der außergewöhnliche US-Präsidentschaftswahlkampf zwischen Barack Obama und John McCain bringt wenige Tage vor dem Wahltermin am 4. November Kuriositäten hervor, welche die eingefahrenen Klischees auf den Kopf stellen. Doch warum sollten Rednecks nicht für Obama votieren oder Hispanics für McCain?
Ein richtiger Redneck arbeitet sich die Woche über den Arsch ab, hat am Wochenende eine gute Zeit mit seiner Waffe und ein paar Bieren und macht sich am Montag etwas verkatert, aber brav zurück an die Arbeit, sagt Tony Viessman. Der 72-jährige pensionierte Autobahnpolizist aus Rolla im US-Bundesstaat Missouri rief die Rednecks for Obama gemeinsam mit seinem Freund Les Spencer ins Leben. Seither begleiten die beiden mit ihrem aufsehenerregenden Transparent als heimliche Co-Stars die großen Wahlkampf-Events im Süden der USA. Bei den Präsidentschaftsdebatten in Mississippi und Tennessee ließen sich hunderte Menschen mit ihnen fotografieren, US-Fernsehanstalten stellten sich um Interviews mit den beiden Pensionisten an.
Die große Angst eines Rednecks vor jeder Wahl ist die Angst um die eigenen Waffen, sagt Les Spencer. Der einarmige Ex-Bauarbeiter ist selbst stolzer Besitzer von drei Dutzend Revolvern und Gewehren. Die Schusswaffen-Lobby streut gezielte Falschinformationen, ein Präsident Obama würde private Gewehre und Pistolen verbieten. Viessman stimmt zu. Er hat schon viele demokratische Präsidenten erlebt, schlägt jedes Jahr zur Jagdsaison seine Zelte mit Freunden in den Wäldern auf und noch kein Staatsoberhaupt hat ihm jemals eine seiner 23 Feuerwaffen verboten. Allein aufgrund der Waffenfrage für McCains schrille Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin selbst eine passionierte Jägerin und ausgewiesene Verfechterin des Rechts auf Schusswaffen zu stimmen kommt für die beiden Obama-Rednecks keinesfalls infrage.
Dabei appelliert die republikanische Vizepräsidentschafts-Kandidatin gerade an echte Kerle wie sie, wenn sie von den hart arbeitenden, überaus patriotischen Wählern in den sehr proamerikanischen Gegenden dieser großen Nation spricht. Die demokratischen Rednecks zeigen sich von solchen Sprüchen unbeeindruckt. Wenn die Leute einen Blick in ihre Geldbörse werfen und nachdenken würden, wüssten sie, wen sie nicht wählen dürfen, sagt Viessman. Nach acht Jahren Bush und Cheney gebe es für Menschen wie ihn, die unter 25.000 Dollar im Jahr verdienen, nur eine Option. Wie oft muss man noch eine auf den Deckel kriegen, bevor man mitbekommt, wer einen wirklich schlägt? Das Zitat, mit dem einst Ex-Präsident Harry Truman bodenständige Farmer zu überzeugen versuchte, nicht republikanisch zu wählen, hat er zu seinem Mantra gemacht.
Aus dem Radio in Viessmans Wohnzimmer tönt die Stimme des erzkonservativen Radio-Talkmasters Rush Limbaugh. Dem Idioten glaubt ein Redneck leider immer noch mehr als einem klugen Kopf wie Obama, schimpft Viessman. In hetzerischen Phrasen bedient Limbaugh rassistische Ressentiments. Die Unterstützung durch den Ex-Bush-Außenminister Colin Powell für Obama pervertiert Limbaugh sogar zu einem umgekehrten Rassismus: Powell, selbst schwarz, würde klarerweise seinen afroamerikanischen Freund Obama unterstützen.
Mit derlei kruden Theorien kommen selbst die konservativsten Republikaner um Rapper Daddy Yankee nicht mehr mit. Der Latino-Rapper, der John McCain als Freund der Hispanics lobt, ist nicht der einzige Vertreter einer ethnischen Minderheit, den McCain für sich gewinnen konnte. Neben dem schwarzen Rapper Uncle Murda hat sich vor allem der als HipHop Republican verehrte afroamerikanische Blogger Richard Ivory um den weißen Präsidentschaftskandidaten bemüht.
Wenn ein Konservativer wie Colin Powell nun einen liberalen wie Barack Obama unterstützt, sollte das den Republikanern aufzeigen, auf welch falschem Kurs sie segeln, sagt Ivory. Leider hätte es die Partei unter George W. Bush jahrelang verabsäumt, sich um wertkonservative Schwarze und Latinos vor allem in den städtischen Gebieten zu kümmern und sie rechtzeitig an Bord zu holen. Wenn die Republikaner weiter so rückwärtsgewandt Politik machen, finden sie sich bald in den Zeiten von Franklin D. Roosevelt rund um den Zweiten Weltkrieg wieder.
Vor vier Jahren gründete Ivory, im Zivilberuf Berater von psychisch kranken Menschen, das Blogger-Forum HipHop Republicans, in dem großteils junge Schwarze und Latinos ihre Stimme erheben. Auf den Widerspruch, dass er als gerade einmal 30-jähriger urbaner schwarzer New Yorker die Republikaner unterstützt, wird er immer wieder angesprochen. Ich sage immer, mein Herz ist bei Barack Obama, aber mein Hirn bei John McCain.
Rund um Aushängeschilder wie Rapper Daddy Yankee und die HipHop Republicans hat sich eine ganze Gruppe Gleichgesinnter geschart. Sie sind der Meinung, dass Schwarzen und Latinos mit einem leistungsbezogenen harten Wettbewerb, für den die Republikaner stehen, viel mehr Chancen offenstünden, ganz nach oben zu kommen, als mit einer Wohlfahrts- und Unterstützungspolitik, die als rein demokratische Werte gelten.
Und noch ein Punkt eint den begeisterten hispanischen Militärfan Daddy Yankee mit dem Schwarzen aus der Stadt, in der das World Trade Center von islamistischen Terroristen vor mehr als sieben Jahren zerstört wurde: Beide unterstützen den Irak-Krieg, den George W. Bush begann und den John McCain mit einer massiven Aufstockung der Truppen weiterfechten will. Auch wenn ich oft der einzige Schwarze auf den Pro-Kriegs-Demos bin, sagt Ivory. Dass es richtig war, Saddam Hussein zu stürzen, davon steig ich nicht runter.
Diesbezüglich sind der Latino und der Afroamerikaner den typischen Rednecks näher als die Redneck-Dissidenten Viessman und Spencer. Mit ihrer Bewegung sorgten die beiden älteren Herren aus dem Süden zwar bereits für breites Aufsehen. Zu einer flächendeckenden Bewegung ließ sich ihr schrulliger Aktionismus aber noch nicht ausbauen. Wenn sie auf Waffenmessen mit ihren Rednecks for Obama-Aufklebern auftreten, werden die beiden von den meisten Besuchern als Freaks abgestempelt und belächelt. Sticker mit Anti-Obama-Sprüchen gehen noch immer wesentlich leichter über den Ladentisch. Obama will deine Brieftasche und deine Waffe, steht auf einem. Demokraten-Jagd-Erlaubnis, auf einem anderen: Für die legale Jagd rund um Schwulenparaden, Gewerkschaftsveranstaltungen und Handfeuerwaffen-Verbots-Treffen, besagt ein dritter. Ein selbstironischer Witz über die beiden engagierten Demokraten macht in Missouri schon länger die Runde: Solange die Obama-Rednecks keinen einzigen Rechtschreibfehler auf ihrem Transparent hätten, seien sie gar keine richtigen Rednecks. Und so lange könne man sich mit ihnen auch nicht identifizieren.
Für Viessman und Spencer kein Problem: Wenn zwei Typen wie wir zu einem Gesprächsthema in einer Präsidentenwahl werden, dann haben wir im Bewusstsein der Menschen schon viel erreicht.
Von Josef Barth, USA