USA: Das andere Amerika
Die Stimmung ist gekippt. „Ich hasse Präsident Bush“, durfte Jonathan Chait kürzlich im US-Wochenmagazin „The New Republic“ schreiben: „Ich hasse die Art wie er geht, ich hasse die Art, wie er spricht, ich vermute, wenn ich ihn kennen lernen würde, hasste ich ihn noch mehr.“ Und der da aus seinem Herzen keine Mördergrube machte, ist nicht irgendein radikaler Eiferer, kein linksradikaler Idiot, sondern ein respektierter liberaler Autor. Und er drückt das aus, was heute viele US-Demokraten denken und sich bis vor kurzem nicht zu sagen trauten.
Mit einem Mal taucht auch die Diagnose von Bushs mangelnder Intelligenz wieder in den Medien auf. „Wir denken noch immer, dass er ziemlich dumm ist – obwohl wir das nicht sagen sollten und gewöhnlich auch nicht sagen“, beschrieb der Kolumnist und frühere Co-Moderator der CNN-Talkshow „Crossfire“, Michael Kinsley, die Verachtung vieler liberaler Amerikaner für den Präsidenten, den öffentlich anzugreifen, sie sich bislang noch scheuten.
Bis weit in den Sommer hinein war Bush tabu. Den Kriegsherrn, der die Nation im Krieg gegen Terrorismus und andere Bösewichter führt, zu kritisieren galt mehr oder weniger als Vaterlandsverrat. Damit ist es vorbei.
Noch vor einem Jahr schien der Mann aus Texas unschlagbar. Ganz oben rangierte er in der Wählergunst, während seine politischen Gegner in der Demokratischen Partei einen desolaten Anblick boten. Eingeschüchtert und konzeptlos, segneten sie sogar das irakische Abenteuer des damals populären Präsidenten ab. Das war einmal: Neueste Umfragen bescheinigen Bush Zustimmungsquoten von bloß noch 50 Prozent. Tendenz weiter fallend. Und den Demokraten wird klar: Der Mann ist zu schlagen.
Die devote Verehrung, mit der die überwältigende Mehrzahl der amerikanischen Medien dem „Kriegspräsidenten Bush“ begegnete, ist mittlerweile einer kritischeren Sicht gewichen. Grundtenor der Analysen in den wichtigsten Medien: Der Präsident lenkt die Vereinigten Staaten sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik auf gefährliche Irrwege.
Böses Blut. Selbst der in der jüngeren Vergangenheit nicht übermäßig kritischen „Washington Post“ platzte, nachdem Bush zugab, dass die al-Qa’ida-Saddam-Connection nicht existierte, der Kragen: „Die Regierung hat das Volk hinters Licht geführt.“
Wie sehr das Verhältnis der Regierung zu den Medien inzwischen getrübt ist, zeigte auch die neueste Strategie der Öffentlichkeitsarbeit von George Bush. Er, der mit bislang bloß neun Auftritten ohnehin so wenige Pressekonferenzen gegeben hat wie kein Präsident der vergangenen Jahrzehnte – Bill Clinton stellte sich der Presse im gleichen Zeitraum 33-mal, Bush senior und Ronald Reagan jeweils 18-mal –, weicht nunmehr den kritischen Fragen des Elite-Pressecorps des Weißen Hauses noch stärker aus. Direkt „mit dem Volk“ wolle er kommunizieren. Das heißt: Der Präsident dient Provinzzeitungen, auf deren Patriotismus er glaubt sich verlassen zu können, Exklusivinterviews an. Und er und sein Vize Dick Cheney gehen auf Tour durch die Lande, um zu erklären, dass die Lage im Irak viel besser sei, als von den Medien berichtet wird.
Das alles kommt bei den Journalisten der großen Tages- und Wochenmedien nicht wirklich gut an. Hämisch kommentiert wird etwa eine Rede Cheneys, in der er es schaffte, Gewalt und Chaos im Zweistromland völlig auszublenden. Auch Bushs Medienkritik wird als Schwächezeichen interpretiert.
Und dass in zahlreichen Regionalblättern Leserbriefe von im Irak stationierten US-Soldaten erschienen, in denen diese von beeindruckenden „Fortschritten“ am Golf schwärmen, die angeblichen Schreiber aber nichts von ihren Briefen wissen, hat gleichfalls böses Blut gemacht. Diese PR-Aktion musste abgebrochen werden.
Ob der schwächelnde Arbeitsmarkt, ob der Krieg im Irak mitsamt den explodierenden Kosten der Besatzung und dem Fiasko eines schwelenden Guerillakrieges, ob Bushs schlechte Bilanz im Umweltschutz oder seine Verfilzung mit fundamentalistischen Christen und mächtigem Big Business – breitflächig tritt der Unmut mit dem radikalen Konservativismus des Präsidenten zutage.
Erstarkt und durch die Meinungsumfragen ermutigt, meldet sich die Opposition zu Wort: „Der Kaiser hat keine Kleider, das gesamte Abenteuer im Irak basiert auf Propaganda und Manipulation“, zürnte kürzlich in einer weithin beachteten Rede der demokratische Senator Robert Byrd.
Zusätzlichen Auftrieb erhielten die Bush-Gegner, als vergangene Woche ein Memorandum von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld publik wurde, in dem der Ober-Falke im Pentagon höchstpersönlich den amerikanischen Erfolg im „Krieg gegen den Terror“ infrage stellte. Die Aufwand-Nutzen-Rechnung, sorgte sich Rumsfeld im internen Papier, ginge nicht auf: „Unsere Kosten betragen Milliarden, die der Terroristen nur Millionen.“
Von Hass getrieben. Nun kann sich die Opposition auch noch freuen, dass die republikanische Regierung so zerstritten ist wie nie zuvor. Geradezu dramatisch sieht Bill Kristol, einer der führenden Ideologen der neokonservativen Hardliner, die Situation. „Der Bürgerkrieg in der Regierung von Bush lähmt mittlerweile alle Bereiche. Die CIA revoltiert offen gegen das Weiße Haus. Das Außen- und Verteidigungsministerium arbeiten in keiner Weise zusammen. Das sind schon längst keine ‚konstruktiven Spannungen‘ mehr“, meint der einflussreiche Denker der Rechten.
Die ist offensichtlich in der Krise. Die Linke im Land, die Liberalen, das andere Amerika aber frohlocken. Und tatsächlich sieht es so aus, als ob die Regierung des George W. Bush die „amerikanische Linke von den Toten erweckt hat“, wie es Jacob Heilbrunn, der Leitartikler der „Los Angeles Times“ formuliert: „Demokraten finden zu ihren linken und liberalen Wurzeln zurück – getrieben vom Hass auf Bush.“
Symptomatisch dafür ist der Aufstieg von Howard Dean, dem Arzt und ehemaligen Gouverneur des kleinen Neuengland-Staates Vermont, zum momentan aussichtsreichsten unter den zehn Anwärtern auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur.
Dean war noch zu Jahresbeginn außerhalb von Vermont wenig bekannt. Er war aber der Einzige, der sich kein Blatt vor den Mund nahm, offen auf Konfrontationskurs zu Bush ging und den Präsidenten von Anfang an wegen seines Kriegskurses kritisierte. Das machte ihn populär. Mit einer Truppe von jungen Internetfreaks und mit der Wut der demokratischen Basis im Rücken schuf er eine erstaunlich kraftvolle Bewegung für seine Kandidatur.
Als Vizepräsident Cheney unlängst zu einem feierlichen und feinen Abendessen zugunsten von George Bushs Wiederwahlkampagne lud, bei dem ein Gedeck 2000 Dollar kostete, veröffentlichten die „Deanies“, wie die Aktivisten des Vermonter genannt werden, auf ihrer Wahlkampf-Homepage einen Spendenaufruf – garniert mit einem Foto ihres Kandidaten, das den Ex-Gouverneur beim Verzehr eines Sandwiches zeigte. Der Kassasturz am nächsten Morgen ergab: 500.000 Dollar für Dean, nur 300.000 für Cheney.
Immer mehr Demokraten laufen zu Dean über. Wo immer er auftaucht, beklatschen tausende seine Attacken auf den Präsidenten.
Und die Zeit ist vorbei, da es als gesicherte Erkenntnis galt, dass Bush nur in der politischen Mitte geschlagen werden könne, Dean zu links – auf Amerikanisch: zu liberal – sei, um gegen den Republikaner auch nur irgendeine Chance zu haben. Wobei Dean als Befürworter der Todesstrafe und Darling der Waffennarren von der American Rifles Association ganz so linksliberal nun auch wieder nicht ist.
Karl Rove, der oberste Medienberater und Wahlkampfstratege von George Bush, könnte jedenfalls die Worte noch bereuen, die ihm im Spätsommer am Rande einer Dean-Kundgebung herausgerutscht waren: „He, he, he“, kicherte er höhnisch: „Ja, den wollen wir. Go, Howard Dean, go!“
Die Lügen der Macht. Inzwischen sind fast alle anderen – bisher höchst vorsichtigen – demokratischen Präsidentschaftskandidaten auf einen konfrontativen Kurs gegen-über Bush eingeschwenkt. Sie sind heute linker als noch vor wenigen Wochen. Vor allem General Wesley Clark, der aus momentaner Sicht nach Dean am meisten Chancen hat, das Rennen um die Kandidatur zu machen.
Clark sieht nicht nur blendend aus und ist als ehemaliger Nato-Oberbefehlshaber während des Kosovo-Krieges besonders glaubwürdig, wenn er die martialische Weltpolitik von Bush, der sich einst vor dem Wehrdienst gedrückt hat, kritisiert. Der General scheut sich auch nicht, sich als „liberal“ zu bezeichnen. Eine politische Qualifikation, die im Amerika des konservativen Zeitgeistes wie „linksradikal“ klingt. Demgegenüber wollte Howard Dean in einer Talkshow das gefährliche „Schimpfwort“ trotz mehrerer Nachfragen partout nicht über die Lippen kommen. Als Clark jedoch gefragt wurde, ob auch er dem Wort „liberal“ ausweichen wolle, zögerte er keine Sekunde, sagte „Nein“ und erinnerte daran, dass Amerika schließlich als „liberale Demokratie“ gegründet worden war. Das Publikum applaudierte frenetisch.
Dass da aber nicht nur die Aktivistenbasis der demokratischen Partei mobilisiert ist, zeigt ein Blick auf die Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Verblüfft konstatieren nun rechte Radio- und TV-Talkshow-Moderatoren, die in ihrem Mediensegment bisher kaum Konkurrenz von linker Seite hatten, dass ein regelrechter publizistischer Gegenangriff auf sie und ihre politischen Positionen eingesetzt hat.
So schoss das neue Buch des linken Michael Moore, der mit „Bowling for Columbine“ und „Stupid White Men“ zum Star geworden war, vergangene Woche sofort nach Erscheinen an die Spitze der Sachbuch-Bestsellerliste der „New York Times“. Unter dem Titel „Dude, Where’s My Country?“ rechnet Moore mit Bush ab und fordert nach dem „Regimewechsel“ in Bagdad einen „Regimewechsel“ in Wa-shington. Bereits auf dem dritten Platz der Rangliste folgte – ebenfalls in Buchform – eine Salve des linken Satirikers Al Franken, der die Rhetorik konservativer Medienstars zerlegt. „Lies And the Lying Liars Who Tell Them“ („Lügen und die lügnerischen Lügner, die sie erzählen“) betitelte Franken seinen Rundumschlag. Auf Platz sechs der Liste rangierte das Buch „Bushwhacked“ von Molly Ivins und Lou Dubose, zweier Bush-kritischer texanischer Journalisten. Zwei Ränge dahinter auf der Bestsellerliste der Sachbücher steht eine Kolumnensammlung von Paul Krugman, einem prominenten linken Ökonomen und scharfen Gegner der Bush-Administration.
Schockiert über das publizistische Schlachtfest und die wuchtigen Schläge auf Bush, jammerte kürzlich die ultrarechte Autorin Ann Coulter, Amerika sei „in einem politischen Diskurs gefangen, der zunehmend einem Freistilringen gleicht“ – ein Zustand, an dem sie und andere ultrakonservative US-Kommentatoren allerdings maßgebliche Verantwortung tragen. Denn jahrelang hieben Coulter und rabiate Medienleute wie sie derb auf das liberale Amerika und die Demokraten ein. Und Bill Clinton wollten sie mit ihrer medialen Macht mittels der Lewinsky-Affäre aus dem Weißen Haus putschen.
Nun schlägt das andere Amerika zurück. Und so übermächtig ist das demokratische Verlangen nach einer Wahlniederlage Bushs, dass viele demokratische Wähler einem schlichten Prinzip zu folgen scheinen: „Anybody but Bush“ („Jeder, nur nicht Bush“). Wer immer Bush schlagen könne, sollte zum Präsidentschaftskandidaten der Partei gesalbt werden, auch wenn er kein Verfechter der reinen demokratischen Lehre sei. „Lasst eure Bindung an einen einzigen Kandidaten hinter euch und betrachtet dies als Zusammenfluss von vielen Kampagnen, um George W. Bush zu besiegen“, ermunterte der demokratische Alt-Radikale und Achtundsechziger Tom Hayden unlängst seine Parteifreunde.
Wer das Geld hat. „Das linke, das liberale Lager ist aufgewacht“, diagnostiziert der liberale Politologe Larry Sabato von der University of Virginia.
Die Gegner von Bush wissen aber auch: So leicht wird der Präsident trotz allem nicht zu schlagen sein. Es ist noch ein Jahr bis zur Wahl. Da kann noch viel passieren. Gewiss: Bisher sind unter Bush drei Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen. Und der Wirtschaftsaufschwung hat den Arbeitsmarkt bisher nicht belebt. Es ist jedoch möglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass Bushs Steuersenkungen doch noch greifen und die Arbeitslosigkeit rechtzeitig wieder zu sinken beginnt. Auch Unvorhersehbares könnte dem Präsidenten helfen: Würde ein neuer größerer Terroranschlag Bush nicht in der Wählergunst wieder in die Höhe katapultieren?
Vor allem aber hat der Präsident, auf den bislang das Big Business voll setzt, eine überaus gut gefüllte Wahlkampfkasse. In ihr werden, wenn die Schlacht um die Präsidentschaft im kommenden Frühling beginnt, so schätzen Beobachter, mehr als 200 Millionen Dollar liegen. Ein Vielfaches von dem, was, wer auch immer gegen ihn antritt, in die Schlacht werfen können wird.
Eine mit so viel Millionen angetriebene PR-Dampfwalze könnte die Demokraten überrollen und sie schließlich unter sich begraben. „Das ist möglich“, meint der Politologe Larry Sabato. „Aber hält die demokratische Dynamik, die wir seit einigen Wochen erleben, an, dann kann sogar das große Geld besiegt werden.“