Warum zwei Austro-Türken in Deutschland vor Gericht stehen
Der Hungerstreik war ein hoffnungsloses Unterfangen. Doch Yusuf T. ließ sich nicht davon abbringen: Für linke türkische Aktivisten hat Widerstand durch Nahrungsverweigerung eine ruhmreiche Tradition. 49 Tage lang hatte der 39-Jährige die Gefängniskost in der Justizanstalt Wien-Josefstadt verweigert, um seine Auslieferung zu verhindern. Am Donnerstag vor zwei Wochen wurde er nach Deutschland überstellt, wo er am selben Tag im berüchtigten Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim in Einzelhaft landete. Sein Mitgefangener Özgür A. hielt 47 Tage ohne Nahrung durch. Kaum war T. weg, verlegte man den 32-jährigen Häftling im Grauen Haus ins Krankenrevier. Seine Weggefährten, die draußen auf der Straße für seine Freilassung demonstrierten, berichten, seither sei er nicht mehr derselbe: "Er leidet an Gedächtnislücken, vielleicht hat man ihn falsch behandelt."
Tarnorganisation der türkischen DHKP-C
Vermutungen und Fakten sind in dieser Causa schwer voneinander zu trennen. Yusuf T. und Özgür A. sind Mitglieder der "Anatolischen Föderation Österreich". Der linke Migrantenverein kämpft mit Flyern und Rockkonzerten gegen Rassismus, Unterdrückung und Ausbeutung, veranstaltet Fußballspiele und Ferienlager. Die Mittel sind friedlich, sagen Sympathisanten. In scharfem Kontrast dazu deutsche Staatsanwälte: Sie halten den Kulturverein für eine Tarnorganisation der türkischen DHKP-C, die sich Anfang Februar zum Selbstmordanschlag auf die US-Botschaft in Ankara bekannte. Die verhafteten Austro-Türken stehen im Verdacht, "hochrangige Parteikader" zu sein. Die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe will sie nach dem Paragrafen 129b des deutschen Strafgesetzes anklagen, der in Deutschland ebenso umstritten ist wie hierzulande der Mafia-Paragraf (278a StGB). Die Gesetzesstelle sei zu weit gefasst und eigne sich dafür, selbst Befreiungsbewegungen wie den südafrikanischen African National Congress (ANC) zu kriminalisieren, monieren Anwälte. Dass die Unterscheidung zwischen legitimen Widerstandsbewegungen und Terrororganisationen nicht frei von politischen Rücksichtnahmen sei, hatte der Gesetzgeber bei der Erfindung des 129b eingeräumt. Doch statt ihn zu kippen, setzte er ihn -ein Jahr nach 9/11 -als Keule in Kraft, die alle treffen kann: von Handlangern der Al Kaida bis zu linken Antifa-Aktivisten.
Strafverfolgung im diplomatisch-politischen Ermessen
Bis dahin wurden nur aktive terroristische Vereinigungen verfolgt. PKK-Aktivisten etwa zog man nach dem Paragraphen 129a für Brandanschläge und Strafaktionen auf deutschem Staatsgebiet zur Verantwortung. Mit der b-Variante steht erstmals gesetzestreues Handeln unter Strafe: das Ausrichten gemeinschaftlicher Picknicks oder Konzerte etwa kann als kriminell gewertet werden, wenn es dazu dient, ausländischen Terror zu unterstützen. Sind außerhalb der EU beheimatete Organisationen im Spiel, werden Ermittlungen eingeleitet, sobald das Justizministerium die Ermächtigung dazu erteilt. Überprüft werden kann diese Entscheidung nicht. Das sei "Strafverfolgung im diplomatisch-politischen Ermessen", kritisiert der Bonner Anwalt Carl Heydenreich. Seinem nach Deutschland ausgelieferten Mandanten Yusuf T. könnte genau das zum Verhängnis werden.
Revolutionäre Volksbefreiungsfront
Die marxistisch-leninistische DHKP-C, zu deutsch "Revolutionäre Volksbefreiungsfront", steht seit Langem auf den Terrorlisten der EU und des US-Außenministeriums. In der Türkei ist sie verboten, weil sie die AKP-Regierung stürzen will und ihren revolutionären Plan von der Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft blutig und gewaltsam vorantreibt.
Unter türkischen Linken in Europa geht die Angst um, Premier Recep Tayyip Erdogan räume nach den Gezi-Park-Protesten auch in der Diaspora mit seinen Widersachern auf. Der türkische NATO-Partner Deutschland gehe ihm dabei willig zur Hand. Belegen lässt sich der Verdacht schwer, völlig ausräumen auch nicht.
Ende Mai wurde in Athen der türkische Archäologiestudent und Asylwerber Bulut Yayla mitten auf der Straße in ein Polizeiauto gezerrt und über die grüne Gren ze in sein Land zurückgebracht. Laut Medienberichten wurde er dort gefoltert und als DHKP-C-Sympathisant eingesperrt.
Mit dem unübersichtlichen linken Spektrum in der Türkei haderte Premier Erdogan schon vorher. An die 50 Gruppierungen tummeln sich hier, fast alle verbindet eine Geschichte von Spaltungen, wechselnden Namen und Bündnissen. Als sich auf dem Taksim-Platz in Istanbul der Protest zusammenbraute, verteufelte ein überfordert wirkender Regierungschef die zivilgesellschaftliche Erhebung als kriminell und terroristisch. Seine Behörden pflegen ihren deutschen Kollegen seit jeher vorzuwerfen, militanten Gruppen -etwa der PKK -gegenüber zu lax zu sein. Nach den Gezi-Park-Protesten verstärkten die türkischen Nachrichtendienste den Druck.
Linke Kreise wiederum klagen ebenso notorisch, Deutschland liefere Oppositionelle leichtfertig aus oder überziehe sie mit maßlos hohen Gerichtsstrafen. Laut einer parlamentarischen Anfrage im Bundestag wurden bis heute 43 DHKP-C-Aktivisten nach dem 129b angeklagt. 13 erhielten Haftstrafen bis zu sechs Jahren.
In Österreich liegt gegen Yusuf T. und Özgür A. nichts vor. Der heimische Verfassungsschutz stuft die Anatolische Föderation als harmlosen Kulturverein ein. Das Ungemach kam in Form von europäischen Haftbefehlen aus Deutschland: Der erste ist mit 21. Juni datiert und richtet sich gegen T., drei Tage später folgte jener gegen A.
Es gehört zum Wesen dieses Dokuments, dass EU-Länder einander punkto Rechtsstaatlichkeit vertrauen. "Die Latte für eine Überprüfung liegt hoch", sagt der Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner:
Menschenrechtsverletzung
"Man muss den Tatverdacht eindeutig entkräften oder drohende Menschenrechtsverletzungen geltend machen." Beides kein leichtes Unterfangen. Am 26. Juni hatten auf Geheiß der Karlsruher Bundesanwaltschaft hunderte Beamte in Deutschland, Holland und Österreich Wohnungen und Vereinslokale gestürmt und Aktivisten festgenommen. Linke Internet-Foren prangerten die Polizeiaktionen als "Willkür" und "Unterstützung des AKP-Faschismus" an. Im Kärntner Döbriach schreckten im
Morgengrauen desselben Tages Mitglieder der Anatolischen Föderation aus Österreich, die neben den Roten Falken ihr Sommerlager aufgeschlagen hatten, aus dem Schlaf: Über ihren Köpfen kreiste ein Hubschrauber, Beamte rückten mit Mannschaftsbussen, eine Hundestaffel und Technikwagen an -eine "routinemäßige, fremdenpolizeiliche" Durchsuchung, hieß es hinterher von offizieller Stelle.
Wie ein Schwerverbrecher
Yusuf T., der an diesem Tag in Wien festgenommen wurde, hat als vermeintliche DKHP-C-Führungskraft in seiner Bleibe in Stuttgart-Stammheim einen schweren Stand. Obwohl ihm nur "Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung" vorgeworfen wird -weder Mord noch Sachbeschädigung - und die Faktenlage dürftig und widersprüchlich sei, werde er "wie ein Schwerverbrecher behandelt", sagt Anwalt Heydenreich. Gemeinschaftliche Aktivitäten seien ihm verboten. Ein Richter lese selbst Briefe an seinen Rechtsbeistand mit. Besucher dürfe er nur hinter einer Trennscheibe und überwacht empfangen. Heydenreich: "Das ist unverhältnismäßig und absurd."
Übergabehaft
Özgür A. schmort indes weiter in Übergabehaft in Wien. Sein Anwalt Lahner hofft, dass das Oberlandesgericht seiner Beschwerde stattgibt und A. strenge Isolationshaft erspart. Niederländische Ermittler sollen die Namen der Austro-Türken 2004 auf einer CD in Amsterdam gefunden haben. Ihre Wiener Freunde greifen sich an den Kopf, dass man sie deshalb zu Führungsfiguren in der straffen DHKP-C-Organisation stilisiere: "Wir sind ein normaler Verein, den die Türkei als terroristische Vereinigung hinstellt."
Tatsächlich klingen die meisten Vorwürfe harmlos. So sollen T. und A. etwa Karten für ein Grup-Yorum-Konzert verkauft haben. Die populäre Linksrock-Band spielte in Istanbul, trat im deutschen Oberhausen für die NSU-Opfer auf und war beim "Volksstimme"-Fest der KPÖ in Wien zu hören. Allerdings -an diesem Punkt entfaltet der Paragraf 129b seine Wirkung -stehen sie nun im Verdacht, Mittel für den die militante DHKP-C lukriert zu haben. Die Ermittler zeichnen Özgür A. als Handlanger, der Ende der 1990er-Jahre in wichtige Rollen hineingewachsen sei: Ab 2006 habe er in Deutschland die Jugendarbeit koordiniert und später die Vereinsagenden für Stuttgart übernommen. Der ältere Yusuf T. soll kurze Zeit für Köln zuständig gewesen sein. Ihn belastet ein Vereinsmitglied, das in den eigenen Reihen als Spitzel gilt. Was von den Vorwürfen bleibt, werden die Verfahren zeigen. Anwalt Heydenreich, der den ausgelieferten Yusuf T. vertritt, rechnet mit einer Anklage vor Jahresende.
Bombenspur
Die DHKP-C kämpft gewaltsam für einen Umsturz in der Türkei.
Die türkische DHKP-C folgte der 1978 in der Türkei gegründeten Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) nach und kämpft gewaltsam für einen Umsturz. Nach internen Machtkämpfen hatte sie sich 1994 in Syrien gegründet und bald begonnen, ihren "revolutionären Kampf" voranzutreiben Angegriffen wurden Politiker, Richter, Wirtschaftsbosse, Polizisten, Soldaten, militärische Einrichtungen, Polizeistationen und Verräter aus den eigenen Reihen. Zu vielen Taten bekannte sich die DHKP-C öffentlich- vom Mord an Justizminister Mehmet Topac (2003) bis zum Anschlag auf die US-Botschaft in Ankara heuer im Februar. Als Generalsekretär herrschte lange Dursun Karatas. Wer ihn nach seinem Tod 2008 beerbte, ist unklar. In Europa sollen laut deutschem Verfassungsschutz Tarnvereine der DHKP-C als "Rückfront" dienen. Die "Anatolische Föderation" leiste als verdeckte Unterstützerorganisation einen "unerlässlichen Beitrag" für Operationen in der Türkei. In Österreich gilt der Verein laut Auskunft aus dem Innenministerium jedoch als unbedenklich.
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