Die Budgetmisere zwingt zu einem Umdenken in der Familienpolitik

Warum Österreichs Familienförderung volkswirtschaftlicher Unsinn ist

Regierung. Warum Österreichs Familienförderung volkswirtschaftlicher Unsinn ist

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Blaue Pfeile, die nach unten zeigen, sind ganz schlecht. Zwei rote Pfeile, die auseinanderstreben, indizieren zwar keine Verschlechterung, aber auch keine Verbesserung der Situation. Deuten sie nach oben, stehen die Chancen bestens, einen Job zu ergattern.

Am Trendbarometer auf der Homepage des Arbeitsmarktservices weisen derzeit viele Berufsgruppen in den blauen Bereich, also in den hoffnungslosen. Doch in einer Sparte sind die Aussichten auf Anstellung momentan bestens: „KinderbetreuerInnen“ werden dringend gesucht. Rund 3700 Stellen sind in diesem Berufsfeld sofort zu haben. Das Arbeitsmarktservice Wien bietet bereits Ausbildungskurse für pädagogisches Personal an – die Jobgarantie haben die Teilnehmer in der Tasche.

Einer der raren Erfolge der kurzen Ära Gusenbauer/Molterer war, jahrzehntelange Lippenbekenntnisse in die Tat umgesetzt zu haben. Seit 2008 werden Kindergärten und Horte ausgebaut – jetzt droht die Trendumkehr: Von Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka bis zu Landeshauptmann Franz Voves stellen Schwarz und Rot den Gratiskindergarten – knapp zwei Jahre nach dem Beschluss – wieder infrage.

Unbestritten ist dabei, dass die bisherige Familienpolitik in Österreich teuer, aber ineffizient war. Knapp acht Milliarden Euro fließen jährlich direkt an die Familien, das sind zehn Prozent aller Sozialausgaben oder drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Österreichs. Doch die erhofften Ziele der Familienförderung werden deutlich verfehlt. „Trotz der hohen Ausgaben konnte weder das Ziel der Stabilität der Fertilität noch Gleichstellung erreicht werden“, kritisiert das Wirtschaftsforschungsinstitut in seiner jüngsten Studie. Anders gesagt: Die Geburtenraten sinken, und ein Kind ist nach wie vor das größte Hindernis am Arbeitsmarkt.

Ineffizienter kann man Geld nicht ausgeben.

So vernichtend das Urteil auch ausfällt – wirklich überraschend kommt es nicht. Seit Jahren wird durch zahlreiche Studien belegt: In allen Staaten mit hohen Geburtenraten gibt es auch ein dichtes Netz an Kinderbetreuung, vom Kindergarten bis zur Ganztagsschule. Im Französischen etwa existiert nicht einmal ein eigenes Wort dafür, weil alle Schulen automatisch ganztägig sind. All diesen Erkenntnissen zum Trotz buttert Österreich seine milliardenschwere Familienförderung vor allem in Geldleistungen: Über 80 Prozent der Unterstützung fließen als Direktzahlung an die Eltern, mit 94 Prozent ist der überwiegende Teil davon nicht einkommensabhängig.

Update.
„Es wird Zeit, das System upzudaten“, verlangt Christian Friesl, Leiter der Abteilung Gesellschaftspolitik in der Industriellenvereinigung (IV): „Wir haben international weder bei der Gleichstellung der Frauen noch bei der Kinderbetreuung tolle Benchmarks vorzuweisen, und volkswirtschaftliche Effekte werden völlig außer Acht gelassen.“ Diese wären durchaus beachtlich, wie eine von IV und Arbeiterkammer in Auftrag gegebene Studie 2007 ergab. Da in Wien genügend Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stehen und die Eltern arbeiten gehen können, stieg das Erwerbseinkommen in den Haushalten um 154 Millionen Euro. Das zusätzliche Geld floss in den Konsum weiter, und die Wirtschaft wurde angekurbelt. Das Ergebnis: Jeder Euro, der an die Familien geht, löst bei der Wirtschaft Investitionen in doppelter Höhe aus – und sichert wiederum Arbeitsplätze.

Die Berufstätigkeit beider Eltern, gepaart mit einer steigenden Zahl an Kinderbetreuern, spült auch mehr Steuern und Abgaben ins System. Markus Marterbauer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo): „Wer 100 Millionen in diesem Bereich ausgibt, bekommt ein Drittel bis ein Viertel über Steuern wieder zurück. Und auf Sicht verringern sich auch die Arbeitslosenkosten.“

So weit die Theorie.
In der Realität gibt Österreich viel Geld aus, um genau das Gegenteil zu erreichen – nämlich Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Alleinverdiener- und Kinderabsetzbeträge summieren sich auf fast ein Zehntel der Familienförderung und setzen, wie es das Wifo in seiner neuen Studie formuliert, „negative Anreize für Zweitverdiener“. Die Folge: Österreich hat (gemeinsam mit Deutschland) das schlechteste Betreuungsangebot für unter Dreijährige – und den höchsten Anteil an Vollzeitmüttern. Nirgendwo sonst in Europa arbeitet auch später noch fast jede zweite Frau Teilzeit. Selbst bei Müttern von Zwölfjährigen liegt die Erwerbsquote immer noch um ein Sechstel unter jener ihrer kinderlosen Geschlechtsgenossinnen. Kurz: Ein Kind ist immer noch der Hauptgrund, warum Frauen nicht oder nur wenige bezahlte Stunden arbeiten. Damit wird auch das erklärte Ziel der Familienpolitik, zwischen Eltern und Kinderlosen und zwischen Frauen und Männern Chancengleichheit zu schaffen, verfehlt. Immerhin ist ein Kind die Karrierebremse Nummer eins für Frauen und damit mitverantwortlich für die extrem hohen Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern in Österreich.

Probleme, die sich etwa in Schweden nicht stellen.
Während Österreich im Wirtschaftsaufschwung der siebziger Jahre Gastarbeiter für die offenen Jobs ins Land holte, rekrutierte Schweden die Frauen und richtete seine Familienpolitik ganz auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus. Mit Erfolg: Die Geburtenrate liegt bei 11,9 Prozent pro 1000 Einwohner – während sie in Österreich auf 9,4 absank. Das einkommensabhängige Karenzgeld, das in Österreich erst seit 2010 gilt, ist dort schon lange Realität. Auch Frankreich gibt die Vollerwerbstätigkeit von Frauen als politisches Ziel vor. Ab dem dritten Lebensjahr besuchen nahezu 100 Prozent aller Kinder die Vorschule.

In Österreich wurden diese Vorzeigeländer lange als abschreckendes Beispiel hingestellt. Das politische Lieblingsbaby von Schwarz-Blau, das Kindergeld, subventionierte das Zuhausebleiben. Der viel gepriesene „Meilenstein der Familienpolitik“ bewirkte allerdings auch keine Trendumkehr bei den Geburtenraten.

Für Anna Maria Hochhauser
, Generalsekretärin der Wirtschaftskammer, gibt es daher nur eine Konsequenz: „Wir müssen Maßnahmen setzen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöhen und damit auch die Erwerbsquote von Frauen steigern.“ Sie plädiert dafür, „ohne ideologische Scheuklappen“ das ganze teure System der Familienförderung auf Effizienz zu überprüfen.

Der Zeitpunkt dafür ist günstig:
Im Zuge der Budgetkonsolidierung kommt auch die Familienpolitik in die Ziehung, 235 Millionen Euro müssen laut Budgetplan eingespart werden. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek will den Kostendruck für eine grundsätzliche Reform nutzen. Sie will den Alleinverdienerabsetzbetrag für Kinderlose streichen und diese 60 Millionen Euro lieber in Kindergärten stecken. SPÖ-Familiensprecherin Gabriele Binder-Maier geht noch einen Schritt weiter und fragt, „ob wir wirklich fünf Kindergeldmodelle brauchen, denn bei der dreijährigen Variante bleiben die Frauen sehr lange zu Hause“. Familienstaatssekretärin Christine Marek reagierte auf derartige Nachdenkhilfe bisher empört: Heinisch-Hosek solle „nicht Angst und Schrecken verbreiten“. Wo sie umschichten will, ließ sie sich bisher nicht entlocken.

Jobhürde.
Laut einer Synthesis-Studie wären quer durch Österreich 25.000 Frauen mehr berufstätig, gäbe es bessere Kinderbetreuung. Diese ist nach wie vor Mangelware: Vom EU-Ziel, für 33 Prozent der Dreijährigen Betreuung anzubieten, ist Österreich mit 14 Prozent weit entfernt. Je nach Studie fehlen immer noch zwischen 40.000 und 60.000 Kinderbetreuungsplätze. Und von den vorhandenen Plätzen steht ein Viertel nur halbtags zur Verfügung – und auch das nicht immer. In der Steiermark etwa sind die Kindergärten im Schnitt 55 Tage pro Jahr geschlossen. So viel Urlaub hat niemand.

Der Betreuungsstress schlägt sich auch auf die Geburtenraten nieder. Entgegen allen Vorurteilen über emanzipierte Akademikerinnen und karrieregeile Berufsjugendliche bleibt die Zahl der Kinderlosen seit Jahren konstant. Allerdings sinkt jene der Mehrkindfamilien.

Die Koalition steht im Herbst vor einer Grundsatzentscheidung: Entweder sie stoppt den Ausbau der Kindergärten, oder sie kappt manche der teuren Geldleistungen. Eine zu lange Diskussion darüber ist auf jeden Fall die schlechtestmögliche Variante. Denn eine unsichere Zukunft wirkt wie ein Verhütungsmittel.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin