Werner beinhart: Ein Jahr nach seinem Tief ist Werner Faymann plötzlich obenauf
Bing. Und noch einmal: Bing. Vergangenen Montag, Schlag 14 Uhr, signalisierten die smarten Phones der 1000 wichtigeren ÖVP-Funktionäre, dass ihnen die Partei per SMS etwas zu sagen hatte. Nämlich Folgendes: Darabos-Konzept lässt viele Fragen offen. ÖVP für Wehrpflicht und Bundesheerreform. Aha.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Sozialdemokraten bereits auf eine von sieben durchgerechneten Varianten festgelegt, am Samstagvormittag bei einer Geheimsitzung im Parlament Spitzenfunktionäre und Ländervertreter auf die neue Linie eingeschworen, diese Montagvormittag bei einer Pressekonferenz veröffentlicht und beruhigende Umfragen in der Tasche: Mindestens 60 Prozent der Wählerschaft würden bei einer Volksbefragung für eine Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht stimmen Tendenz deutlich steigend. Ach ja: Die Krone ist auch mit an Bord im roten Kahn.
Grotesk: Noch im September hatte der Bundeskanzler keine Alternative zur Wehrpflicht gesehen, für Verteidigungsminister Norbert Darabos war sie überhaupt in Stein gemeißelt. Ein Berufsheer, das war immer eher die Position der ÖVP gewesen. 1997 hatte deren damaliger Klubobmann Andreas Khol das Abschaffen der allgemeinen Wehrpflicht gefordert, 1999 wollte dann auch Parteiobmann Wolfgang Schüssel übrigens in einem Interview mit der Kronen Zeitung die Landesverteidigung im europäischen Gleichschritt Profis überantworten.
Auch die jüngste Diskussion hatte die ÖVP begonnen. Mitte September hatte Außenminister Michael Spindelegger in der Krone, wo sonst einer radikalen Abschlankung des Bundesheers das Wort geredet: Bloß 15.000 statt der bisherigen 50.000 Mann sollten dem Heer verbleiben.
Umso verwunderlicher, aber bezeichnend, wie unvorbereitet die ÖVP danach von der Diskussion getroffen wurde. Die Kakophonie von vergangener Woche illustrierte die gegenwärtige Orientierungslosigkeit perfekt: Parteichef Josef Pröll sprach sich für die Wehrpflicht aus, Außenminister Spindelegger plädierte für eine Diskussion ohne Tabus, Innenministerin Maria Fekter wollte vor allfälliger Positionierung noch zuwarten, und für Ex-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein war die Abschaffung der Wehrpflicht ein Gebot der Stunde.
Alle diese Erklärungen erfolgten am Dienstag innerhalb weniger Stunden.
Beim Thema Bundesheer wird die ÖVP wohl kaum noch Tritt fassen: Entweder sie springt noch vor dem Sommer auf den SPÖ-Vorschlag auf, oder sie riskiert im Herbst mit einer Pro-Wehrpflicht-Kampagne bei der geplanten Volksbefragung einen peinlichen Bauchfleck.
In dieser Doppelmühle denken die schwarzen Strategen derzeit nur noch an Schadensbegrenzung: In eine Volksbefragung, so ihr jüngster Plan, könnte man ja auch Themen packen, bei denen die Roten in einer Minderheitenposition sind, etwa die Studiengebühren.
Mit der beim Neujahrstreffen beschworenen Harmonie wäre es dann freilich schon wieder vorbei. Und über die missliche Situation der österreichischen Christdemokraten könnte das schon gar nicht hinwegtäuschen.
Umfragetief. Noch vor Jahresfrist waren sie in den Umfragen einigermaßen deutlich jenseits der 30-Prozent-Marke und damit klar vor der SPÖ gelegen. Bei der Frage, wem mehr zu trauen sei, hatte Josef Pröll Werner Faymann klar abgehängt. Bei der Kanzler-Direktwahl-Frage hatte der Vize- den Bundeskanzler fast schon eingeholt.
Den bevorstehenden Wahlgängen im Burgenland, in der Steiermark und in Wien hatte Pröll damals überaus gelassen entgegengesehen: Vom Burgenland gehe kaum Signalwirkung für den Bund aus, die Steiermark könnte die ÖVP vielleicht zurückerobern, und in Wien erwarte ohnehin niemand Wunderdinge von der ÖVP, meinte er kurz nach der Jahreswende in kleinem Kreis.
Es kam anders: Das Burgenland blieb wie erwartet der SPÖ, die Sozialdemokraten verteidigten auch die Steiermark, und in Wien stürzte die ÖVP spektakulär auf 13 Prozent ab. Und allen in der Volkspartei ist klar: Wenn das Ergebnis der ÖVP in der Bundeshauptstadt bei den nächsten Nationalratswahlen nicht jenseits der 25-Prozent-Marke liegt, kann die Partei auf Bundesebene nicht Nummer eins werden. Ihre Kanzlerträume müsste sie dann für sehr lange Zeit vertagen.
Verantwortlich dafür, dass das Wahljahr 2010 für die Sozialdemokraten einigermaßen glimpflich ablief, ist ohne Zweifel Werner Faymanns spektakulärer Kurswechsel vom Jahresbeginn 2010. Hatte er zuvor seinen steirischen Parteifreund Franz Voves gerüffelt, weil dieser mit der Forderung nach vermögensbezogenen Steuern vorgeprescht war, preschte Faymann jetzt selbst dahin kühner, als es der Steirer je wagte: Spekulanten und Stifter, Vielverdiener und Vermögende und natürlich ganz besonders die Banken wollte er im Zuge der Budgetsanierung rupfen.
Links um! Dieses Signal hört der Apparat der Sozialdemokraten gerne. Erstmals seit Langem begannen die Funktionäre wieder zu laufen. Dabei war Faymanns Wendekurs nicht ohne Risken: Wenige Monate zuvor, Mitte 2009, waren laut einer damals von der SPÖ in Auftrag gegebenen Umfrage nur 48 Prozent der Österreicher für höhere vermögensbezogene Steuern und fast ebenso viele strikt dagegen gewesen. Eine geschickter agierende ÖVP hätte die SPÖ-Forderungen als infamen Anschlag auf den leistungsbereiten Mittelstand abgeschmettert. So blieb die Bühne Faymann allein. Als der Frühling ins Land zog, war die Zahl der Befürworter von vermögensbezogenen Steuern laut profil-Umfragen auf 55 Prozent angewachsen, Mitte des Jahres waren schon nahezu zwei Drittel der Wahlberechtigten dafür. Zeitweise konnten sich mehr als 70 Prozent dafür erwärmen.
Im selben Maß, in dem das SPÖ-Paradethema Karriere machte, sanken die Aktien der ÖVP. Ab Mitte 2010 lagen die Sozialdemokraten in den Meinungsumfragen wieder vorne, pünktlich zum Jahresende überholte Faymann Josef Pröll erstmals auch im Vertrauensindex, den die Austria Presse Agentur (APA) alle drei Monate erheben lässt.
Gründungscode. Das mantraartige Beschwören der kleinen Leute, die für die Spekulationsgeschäfte der Banken und Stifter ja nichts könnten und daher geschont werden müssten, bewirkte, dass die Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen im Herbst weniger Stimmen an die FPÖ verloren, als sie ursprünglich befürchtet hatten. In der Steiermark wanderten fünf Prozent der SPÖ-Wähler von 2005 zu den Freiheitlichen ab, aber die ÖVP verlor ebenso viel. In ihren Hochburgen im Osten des Landes, wie etwa in Leibniz, rann die Volkspartei besonders stark zugunsten der FPÖ aus. Wäre dies verhindert worden, hätte die Steiermark heute wieder einen schwarzen Landeshauptmann.
Bei den Wahlen in Wien schlug dieser für die ÖVP alarmierende Trend noch deutlicher durch: 14 Prozent der SPÖ-Wähler, aber gleich 16 Prozent der ÖVP-Wähler der Landtagswahlen 2005 wählten diesmal freiheitlich.
Massive Direktverluste der ÖVP an die FPÖ hatte es zuletzt Anfang der neunziger Jahre gegeben, seither hatten die Rechtspopulisten stets die sozial besonders schwachen Teile der sozialdemokratischen Wählerschaft absorbiert.
Die SPÖ hat eine stimmige Renaissance ihres Gründungscodes aus dem 19. Jahrhundert geschafft, befundet der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer (OGM-Institut). ,Arm gegen Reich ist einfach die bessere Geschichte als ,Wir müssen jetzt alle sparen, wie das die ÖVP ständig gepredigt hat.
Die SPÖ appellierte an das Herz (oder besser: an den Bauch), die ÖVP an den Kopf. Das Ergebnis ist bekannt. Bemerkenswert deutlich zeigten sich
die Folgen der roten Back to the Roots-Kampagne bei einer im Dezember nach der Budgetpräsentation durchgeführten OGM-Umfrage zu den Persönlichkeitsprofilen der beiden Koalitionslenker: Während Josef Pröll bei allen harten Eigenschaften Wirtschaftskompetenz, Leadership, Entschlossenheit etc. deutlich vor Werner Faymann liegt, punktet dieser klar bei weichen Profilmarken wie Sympathie, Menschlichkeit, Verständnis für Arme und Alte.
OGM-Forscher Wolfgang Bachmayer: SPÖ und FPÖ hatten zwei emotional besetzte Themen: die SPÖ die soziale Gerechtigkeit, die FPÖ die Angst vor den Ausländern. Die ÖVP argumentierte mit ,Leistung dieser Begriff signalisiert Tugendhaftigkeit, er ist aber nicht emotional ,gebrandet.
Ist die ÖVP zu gut für die Innenpolitik? Ist ihr Schwächeln in den Umfragen die Folge des Verzichts auf Populismus?
Das vielleicht auch, aber der Grund ihrer derzeitigen Malaise liegt tiefer: Man wisse nicht, wofür die ÖVP überhaupt auf der Welt ist, schrieb Standard-Kommentator Hans Rauscher vergangene Woche, einen Stoßseufzer der schwarzen Innenstadt-Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel zitierend. Die SPÖ habe das Thema Gerechtigkeit, die FPÖ das Thema Ausländer, die Grünen das halbe Thema Wahlbeteiligung in Wien. Die ÖVP hat gar kein Thema, so Rauscher.
Erfolge verschwiegen. Das sehen heute auch viele in der Volkspartei so. Wir hätten unsere Erfolge bei der Krisenbewältigung viel mehr herausstreichen müssen, meint etwa der dafür zuständige Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner selbstkritisch. Bei diesem Thema wird der ÖVP auch weit mehr zugetraut als der SPÖ. Wir sind heute sicher stringenter aufgestellt, freut sich Sozialminister Rudolf Hundstorfer, Mitterlehners regierungsinternes Visavis.
Jetzt kommt die Kampagne nach der Kampagne. Schon im November das Budget war noch nicht in trockenen Tüchern hatte Werner Faymann bei einer ÖGB-Tagung angekündigt, man werde die Eat the Rich-Linie im Hinblick auf die für 2013 geplante Steuerreform eisern halten.
Finanzstaatssekretär Andreas Schieder fällt dabei die Rolle zu, die konkreten Maßnahmen zu ersinnen, Parteigeschäftsführerin Laura Rudas soll sie umsetzen. Einige Forderungen stammen noch aus der Debatte um das Budget:
Auf Vermögen jenseits der Millionengrenze soll eine Vermögensteuer eingeführt werden.
Die Unternehmen sollen Managergagen ab 500.000 Euro pro Jahr nicht mehr steuerlich absetzen dürfen.
Noch vorhandene steuerliche Schlupflöcher, die vor allem von Wohlhabenden genützt werden, will die SPÖ schließen.
Treiben die Sozialdemokraten ihren Koalitionspartner jetzt zwei weitere Jahre mit der Verteilungsgerechtigkeitskeule vor sich her? Reaktionen der ÖVP stehen, bisher jedenfalls, aus. Josef Pröll mochte die roten Pläne nur mit zwei dürren Worten kommentieren: Fromme Wünsche.