Wider die Verblendung

Kino. Einer der eigensinnigsten Filme dieses Jahres: "Von Menschen und Göttern"

Drucken

Schriftgröße

Es setzt einigen Mut voraus, einen Film wie diesen überhaupt ins Auge zu fassen - einen Film, der dem Geist der Zeit, den kulturellen Maßgaben der Gegenwart in nahezu allem vehement zu widersprechen scheint: eine Erzählung nach wahren Begebenheiten, deren tristes Ende als bekannt vorauszusetzen ist; eine Inszenierung ohne Stars, ohne Teenager-Appeal, ideologischen Opportunismus und äußere Aktion. Stattdessen konzentriert sich dieser Film auf den unspektakulären Kern seiner Geschichte, bietet vor allem Einblicke in die inneren Abläufe eines im algerischen Atlasgebirge gelegenen Trappistenklosters, in dem eine Handvoll französischer Mönche den Provokationen islamistischer Fundamentalisten trotzt. Ein Film über das Beten, Essen, Singen, Arbeiten und Diskutieren - die radikale Hingabe an die Details des Lebensvollzugs einer unter Druck gesetzten Ordensgemeinschaft hat eine ungeahnte Serie von Erfolgen ausgelöst: Nach seiner Weltpremiere in Cannes wurde "Des hommes et des dieux“ (Von Menschen und Göttern) mit dem Großen Preis der Festivaljury ausgezeichnet. Und allein in Frankreich fesselte das Werk im Herbst stolze drei Millionen Zuschauer. Next stop: Oscar-Show 2011.

Regisseur Xavier Beauvois scheint, wenn man seine aus harten Polizei-, Aids- und Drogendramen bestehende Werkliste kennt, diesem Stoff, insbesondere aber dieser Form denkbar fern zu sein. Und doch muss man in ihm, wenigstens auf den zweiten Blick, die beste denkbare Wahl für "Des hommes et des dieux“ erblicken: Denn es ist gerade die Perspektive des Nichtgläubigen - Beauvois ist bekennender Atheist -, die hier die nötige Distanz schafft, um die eskalierenden Glaubenskonflikte ohne falsches Pathos in Szene zu setzen. Dazu ist nämlich nur eines unabdingbar: Respekt vor dem Gottvertrauen - und zwar sowohl der einen als auch der anderen.

"Des hommes et des dieux“
ist kein religiöser Film, auch wenn er von durchaus extremen Formen der Gottesfurcht handelt, kein aktueller Debattenbeitrag zum schwelenden "Kampf der Kulturen“ - und er bietet keine echte Rekonstruktion jener (nie ganz geklärten) Ereignisse, die 1996 im Kloster Notre-Dame de Tibhirine zur Verschleppung von sieben Mönchen führten. Beauvois orientiert sich vielmehr am "transzendenten“ Stil seiner großen Vorläufer in der Filmgeschichte: an den verstörenden Glaubensstudien Carl Theodor Dreyers ("Ordet“), am spirituellen Naturalismus Robert Bressons ("Tagebuch eines Landpfarrers“), am kargen Neorealismus Roberto Rossellinis ("Francesco, giullare di Dio“). Man kann an der Sanftheit, mit der Beauvois sein um den Charakterdarsteller Lambert Wilson gruppiertes Ensemble führt, übrigens gut erkennen, dass er selbst immer wieder, oft auch in seinen eigenen Filmen (nicht allerdings in diesem neuen) als Schauspieler arbeitet: In höchst eindringlichen Szenen leuchtet Beauvois die unterschiedlichen Haltungen der katholischen Mönche aus, schließlich auch die gemeinsam gefällte Entscheidung, zu bleiben und der Gefahr ins Auge zu blicken.

Die sich stufenlos steigernde Gewalt, die gegen die in ihrem Dorf bestens integrierten Geistlichen angewandt wird, um sie zur Flucht zu bewegen, spielt in Beauvois’ Inszenierung übrigens eine betont untergeordnete Rolle. In "Des hommes et des dieux“ geht es eben nicht um die filmische Ausbeutung der Gewalt, sondern um ihre psychischen Wirkungen, um die Angst, den nagenden Zweifel - und um den unbedingten Willen, den Terror der Verblendung und der ungehemmten Aggression, im Namen welchen Gottes auch immer, auszuhebeln.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.