„Ich stehe auf Kriegsfuß mit der Natürlichkeit“

Wolf Haas: „Ich stehe auf Kriegsfuß mit der Natürlichkeit“

Interview. Bestsellerautor Wolf Haas über seinen neuen Roman und die konservative, zeitgenössische Literatur

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Interview: Karin Cerny

profil: Ihr jüngster Roman hat einen recht knackigen Titel. Gab es schon Reaktionen auf Ihre „Verteidigung der Missionarsstellung“?
Haas: Der Titel scheint in der Tat sehr anregend zu wirken. Seit Kurzem kommt es mir vor, als schauten mich die Leute auf der Straße komisch schmunzelnd an. Heute hat mich eine ältere Dame aus dem Nachbarhaus angesprochen: Sie meinte, sie finde den Titel total witzig.

profil: Er hat ja auch etwas leicht Verschämtes.
Haas:Etwas richtig Pornografisches nimmt man mittlerweile wohl viel gelassener hin als diese seltsame Antithese. So eine traditionalistische Ansage scheint in unserer Pornozeit schon wieder ein reizvoller Fauxpas zu sein. Der ganze Roman hat ja eine gewisse Flirt-Struktur. Der erste Satz ist ein Anmachspruch: Ein junger Mann versucht, eine Frau kennen zu lernen. Es geht aber auch um die Verführung des Lesers, dafür zu sorgen, dass er überhaupt weiterliest. Und da ist sozusagen der Titel der Anbaggerspruch.

profil: Es gibt längst Dissertationen über berühmte erste Sätze in der Literatur. Ist der Beginn eines Buchs wirklich so entscheidend?
Haas: Ö1 macht mindestens zwei Radiosendungen pro Jahr darüber – wahrscheinlich, weil die meisten Leute nur den ersten Satz lesen und doch mitreden wollen. Klar, der erste Satz sollte schon passen, aber die nachfolgenden Sätze sind doch mindestens genauso wichtig.

profil: Grübeln Sie lange an Ihren Buchtiteln?
Haas: Ich habe einige Bücher nur geschrieben, weil ich den Titel im Kopf hatte. Bei „Das Wetter vor 15 Jahren“ war das so. „Verteidigung der Missionarsstellung“ fiel mir ungefähr in der Mitte der Arbeit am Buch ein. Man merkt, dass der Titel gut ist, wenn einen kurzfristig Euphorie überfällt. Dann braucht man nicht weiter zu überlegen.

profil: Die Leser könnten sich allerdings beschweren, dass in Ihrem Roman gar keine Sexszenen vorkommen.
Haas: Bei mir erwartet man ja schon fast, dass alles anders gemeint ist. Seltsamerweise haben mich bereits zwei Menschen unabhängig voneinander gefragt, ob es in dem Buch um Missionare gehe. Dass ich den Titel wörtlich verwende, konnten sie sich gar nicht vorstellen.

profil: Man traut Ihnen also gar keine Bücher ohne doppelten Boden mehr zu?
Haas: Aber auch ohne Sexszenen geht es in dem Buch andauernd um das Thema – um den unterhaltsamen Weg dahin sozusagen. Um das Umgarnen und um die Diskrepanz zwischen dem, was man denkt, und dem, was man sagt.

profil: Jedes Mal, wenn sich Ihr Protagonist in eine Frau verliebt, bricht gerade eine Seuche aus.
Haas: Im Radio meinte ein Psychologe einmal, man könne rasende Verliebtheit mit einer Psychose vergleichen. Das hat mich beeindruckt. Ich dachte, das wäre ein gutes Thema für einen Roman. Und da die Rinderseuche mit Gehirnauflösung droht, war das schon ein guter Anfang für die Gehirnauflösung der Verliebten. Und dann geht’s eben mit der Vogelgrippe und der Schweinegrippe weiter. Man ist ja inzwischen ziemlich genervt von diesen Epidemien, die alle paar Jahre angekündigt werden und dann ohnehin nie eintreten. Ich wollte entlang dieser Seuchenwarnungen eine Liebesgeschichte schreiben, weil ich immer nach Dingen suche, die mich aus der üblichen Erzählperspektive befreien.

profil: Sie meinen unter anderem, dass Erfundenes in der Literatur immer überzeugender wirke als Selbsterlebtes. Ist wirklich nichts Biografisches in Ihren Texten?
Haas: Es gibt eine ziemlich biografische Liebesszene, die ist allerdings auf Chinesisch geschrieben.

profil: Die müsste man übersetzen, um mehr über den Autor zu erfahren?
Haas: Ja, aber zum Verständnis des Buches ist das nicht nötig. Der chinesische Einschub hat einen komplexen Hintergrund. Ich verabscheue Reiseliteratur oder Romane, in denen exotische Welten präsentiert werden. Das kommt wahrscheinlich daher, dass ich aus einem Touristenort stamme und schon immer eine extreme Allergie dagegen hatte, wenn Touristen meinten, sie könnten nach drei Tagen den Einheimischen erklären, wie ihr Dorf funktioniere. Was für eine Anmaßung zu glauben, dass man eine fremde Kultur so schnell verstehen kann! So ähnlich kommt es mir vor, wenn ein Autor für zwei Wochen in ein fremdes Land reist und seine Impressionen dann in seinem Roman verwendet. Blöderweise war es aber notwendig, dass die Szene mit dem Ausbruch der Vogelgrippe in China spielt. Und da dachte ich, dass sich die Exotik von China anstelle dürftiger Beschreibungen am besten vermittelt, wenn ich die Sprache kurz ins Chinesische kippen lasse. Indem man es nicht versteht, versteht man es gerade richtig.

profil: Es scheint, als wollten Sie die Schraube des Absurden noch ein wenig weiter drehen als in „Das Wetter vor 15 Jahren“.
Haas: Ich habe nie das Bedürfnis, mich selbst zu übertrumpfen. Am Anfang versuche ich immer, eine Geschichte zu schrei¬ben. Anscheinend schlummert in mir tatsächlich der Ehrgeiz, endlich einmal ein ganz normales Buch zu schreiben. Aber dann geht es doch wieder mit mir durch. Mir ist zu fad, wenn ich normal schreibe. Es unterhält mich erst richtig, wenn alles an der Kippe steht, wenn ich mir nicht mehr sicher bin, ob es nicht total daneben ist, was ich da gerade geschrieben habe. Die „Verteidigung der Missionarsstellung“ ist mir übrigens von allen bisherigen Büchern am leichtesten gefallen. Lange dachte ich, dass ich es gar nicht veröffentlichen möchte. Das wäre allerdings auch eine merkwürdige Selbstlegendenbildung: ein Buch zu schreiben und es dann nicht drucken zu lassen. Aber es hat für mich großen Reiz, mit solchen Ideen zu spielen. Dann ist man viel lockerer beim Schreiben.

profil: Sie hätten mit Ihren beliebten Brenner-Krimis ohnehin unbeschwert in die Frühpension gehen können. Warum tun Sie es sich eigentlich an, von einem Erfolgsrezept in etwas Neues aufzubrechen?
Haas: Ich habe beim Schreiben immer den reizvollen Verstoß gesucht. Das war der Brenner am Anfang ja auch, diese seltsame, grammatisch falsche Sprache. Aber als das dann von mir erwartet wurde, war es nicht mehr so aufregend.

profil: Sie möchten sich beim Schreiben selbst überraschen?
Haas: Für mich ist das eigentlich das einzige Kriterium. Es gibt gewisse Arten der Literatur, die mich deprimieren würden. Ausufernde Beschreibungen und üppige Kostümierungen aller Art finde ich schrecklich. Wenn ich schreibe: „London-Atmosphäre später einfügen“, mag das zwar auf den ersten Blick witzig erscheinen, trotzdem stelle ich damit eine bestimmte Stimmung automatisch her und muss sie gar nicht weiter ausführen. Ich finde es eine Bevormundung des Lesers, wenn man über lange Beschreibungen umständlich Dinge heraufbeschwört, die man auch mit einem Wort sagen kann.

profil: Ein klassisch psychologischer Roman wäre also die größte Herausforderung für Sie?
Haas: Das würde ich total gern machen. Aber ich fürchte, da müsste ich vorher in die Psychoanalyse gehen. Ich stehe auf Kriegsfuß mit der Natürlichkeit. Charaktere, die sich natürlich entwickeln und ¬dafür 500 Seiten brauchen, organisches Zeugs, das passt nicht zu mir. Vermutlich hat das Manierierte einfach mit meinem Charakter zu tun. Das liegt mir viel mehr. Die Erzählweise des traditionellen psychologischen Realismus wird ja meist verstanden als „das Natürliche“ – aber doch nur, weil die Literaturwelt so wahnsinnig konservativ ist. In der bildenden Kunst malt man ja auch nicht mehr wie im 19. Jahrhundert. Da ist es ganz normal, dass sich die Leute etwas einfallen lassen. Nur in der Literatur gilt es als verhaltensauffällig, wenn man nicht versucht, wie Flaubert zu schreiben. Dabei hat der auch die Welt neu erfunden!

profil: Sie meinen, in der Literatur sei die Postmoderne nicht angekommen?
Haas: Nicht einmal die Moderne hat sich da durchgesetzt. Schon in den 1920er- und 1930er-Jahren wurden viel modernere Schreibweisen ausprobiert, als sie heute gepflegt werden. In den 1980er-Jahren kamen auf einmal diese dicken Umberto-Eco-Patrick-Süskind-Schinken auf. Seiher sind diese komisch staatstragenden Erzählformate en vogue. Die Literaturwelt ist eine erstaunlich gediegene Gesellschaft. Mir kann das nur recht sein, so fällt es mir als Autor umso leichter, dagegen anzustinken.

profil: Sie thematisieren in Ihrem Roman, was die meisten Autoren verdrängen: Viele Bücher werden im Bett gelesen, um beim Einschlafen zu helfen. Wie geht es Ihnen damit?
Haas: Wenn man als Schriftsteller gerade erst entdeckt wird, sind die Leute am nettesten zu einem. Da gönnt einem noch jeder den Erfolg. Mit der Zeit finden viele, man brauche einen Dämpfer. Als Nobody wurde ich geradezu überschwemmt mit netten Äußerungen. Ganz oft hieß es: „Ich habe meinem Mann oder meiner Frau im Bett aus Ihrem Buch vorgelesen.“ Das war der Inbegriff des Freundlichen: dass ich mit meinen Lesern und Leserinnen sozusagen im Bett war. Irgendwie seltsam, aber ich kann gut damit leben.

profil: Sind Ihnen Verkaufszahlen wichtig?
Haas: Gefallen tun sie mir schon, aber beim Schreiben denke ich nicht daran.

profil: Ihr Kollege Daniel Kehlmann etwa hat sich eine Wohnung in New York geleistet. Haben Sie ähnliche Pläne?
Haas: Im Gegenteil, ich bin gänzlich unfähig, konsumorientiert zu denken. Mich muss man zwingen, dass ich mir endlich ein neues T-Shirt kaufe.

profil: Das ist aber ungewöhnlich für jemanden, der lange in der Werbebranche als Texter gearbeitet hat.
Haas: Das war damals schon mein größtes Handicap. Ich habe mir die Produkte und Marken immer erklären lassen müssen. Ich musste die Grafiker fragen: Was ist dieser Mazda denn eigentlich für ein Auto?

Wolf Haas, 51,
wurde in Maria Alm in Salzburg geboren.
Er arbeitete als Texter in Werbeagenturen, ehe er 1996 seinen ersten Kriminalroman, „Auferstehung der Toten“, veröffentlichte, es folgten bis 2009 sechs weitere Bücher mit dem ungewöhnlichen Detektiv Simon Brenner. 2006 erschien der fiktive Interviewroman „Das Wetter vor 15 Jahren“. Seine jüngste ­Veröffentlichung heißt nun „Verteidigung der Missionarsstellung“.

Fotos: Philipp Horak für profil