Zum Teufel mit Europa!

Theater. Der freien Szene in der Republik Moldau geht der Stoff nicht aus

Drucken

Schriftgröße

Wohin fliegen Sie nochmal?“, fragt der Taxifahrer irritiert auf dem Weg zum Flughafen Wien Schwechat. Von Chisinau (sprich: Kischinau), der Hauptstadt der Republik Moldau, hat er noch nie gehört, obwohl er täglich Leute transportiert, die rund um den Globus reisen. „Klingt exotisch“, sagt er und bestätigt damit ein Klischee, mit dem der moldauische Künstler Pavel Braila in einer Ausstellung spielte: „Chisinau – City Difficult to Pronounce“ nannte er provokant seine Schau, die nicht nur die Frage nach der korrekten Aussprache stellte, sondern auch den schwierigen Alltag in einem vergessenen kleinen Land zwischen Rumänien und der Ukraine skizzierte. Ein Land, das medial kaum präsent ist – und wenn doch, dann mit Negativthemen wie illegalem Organhandel. Moldawien: Ist das nicht das Armenhaus Europas?

Chisinau liegt nur eineinhalb Flugstunden von Wien entfernt und mutet doch an, als hätte man eine Zeitreise angetreten, zurück in eine längst versunkene Sowjetära mit überdimensionalen Prachtstraßen und imposanten Bauten, die Menschen klein und unbedeutend wirken lassen. Zahlreiche Theatergebäude säumen den mehrspurigen Bulevardul Stefan cel Mare im Zentrum, gespielt wird auf diesen staatlichen Bühnen jedoch, als wäre man noch immer Teil des Sowjetimperiums: wirklichkeitsfremde Kunst, die in eine schöne Traumwelt entführen soll.

„Es ist absurd“
Dabei hat die Republik Moldau, 1991 nach der Auflösung der Sowjetunion selbständig geworden, an vielen Fronten zu kämpfen. Welche Identität hat das Land eigentlich? Man spricht Rumänisch, aber als Rumänien 2007 in die EU kam, wurden die Grenzen des Nachbarlandes dicht gemacht. Im Osten hat sich die Region Transnistrien abgespalten und ist nun ein von Grenzposten streng bewachter Staat, der allerdings von keiner Nation offiziell anerkannt wird. Die wirtschaftliche Lage der Republik Moldau ist prekär. Schätzungen zufolge arbeitet ein Drittel der rund 3,5 Millionen Einwohner im Ausland. Vor allem junge Menschen sehen hier keine Zukunft mehr und wandern aus. Direkt vor dem ehemaligen Zirkus, einem futuristisch anmutenden Sowjetgebäude, das rasant verfällt, treffen sich die Pendler zu Fahrgemeinschaften, viele von ihnen brechen nach Italien auf.

„Es ist absurd“, sagt Nicoleta Esinencu, Jahrgang 1978, die als junge Wilde unter den hiesigen Dramatikerinnen gilt: „So viele Moldauer haben in Italien gelebt, aber es gibt kein einziges gutes italienisches Restaurant in Chisinau. Die Menschen bringen nichts zurück in ihre Heimat.“ In ihren kraftvollen Theatertexten geht es um brisante Themen wie Rassismus, soziale Kälte, Nationalismus und die Unterdrückung der Frauen. 2005 wurde Esinencu mit ihrem Stück „FUCK YOU, Eu.ro.Pa!“ schlagartig berühmt – in Moldau sorgte die europakritische Haltung ihres Textes sogar für drei parlamentarische Anfragen. Dabei hatte Esinencu vor allem kritisiert, wie wenig die eigene politische Vergangenheit aufgearbeitet wird.
Beim Treffen mit profil findet sie deutliche Worte für die Misere in ihrem Land: „Wir haben ein schlechtes Schulsystem und eine Korruption, die so massiv ist, dass sie alles lahm legt“. Esinencu ist Teil eines losen Theaterkollektivs: Das Teatru Spalatorie (übersetzt: Waschstraße) liegt in einer abends reichlich dunklen Nebenstraße im Zentrum, in der Nähe des quirligen zentralen Marktes. Über eine unscheinbare Treppe hinunter gelangt man in eine erstaunlich coole Bar, übrigens eine der wenigen in Chisinau, das im Winter nach 22 Uhr selbst am Wochenende wie ausgestorben wirkt. Ein winziger Theaterraum schließt gleich nach den Toiletten an, auf denen Aufkleber gegen Homophobie soziale Haltung beweisen. Auf die Frage, ob ihre Stücke im Ausland denn überhaupt verstanden würden, meint sie zugespitzt: „Die Deutschen wissen viel mehr über Moldau als die Menschen hier, es herrscht eine schreckliche Ignoranz.“ Um zu zeigen, wie vielfältig und kämpferisch die freie Theaterszene in Moldau ist, wird Nicoleta Esinencu nun mit einigen ihrer Kollegen an zwei Tagen in Wien zu Gast sein. Im Rahmen des Volkstheater-Schwerpunkts „Die Besten aus dem Osten“ steht im Hundsturm unter anderem eine szenische Lesung des Esinencu-Stücks „Gegenmittel“, ein mehrstimmiger Monolog über die Geschichte des Rohstoffs Gas und seinen politischen Implikationen, auf dem Programm.

„Moldau ist noch immer sehr patriarchal strukturiert: Gewalt gegen Frauen ist allgemein akzeptiert“, sagt Mihai Fusu, Autor, Regisseur, Produzent und Mitbegründer der Gruppe Foosbook, die mit der Dokumentartheaterproduktion „Casa M“ ebenfalls nach Wien eingeladen wurden. Es geht um häusliche Gewalt, entstanden ist das Stück in Gesprächen mit betroffenen Frauen. Obwohl Fusu mit seinem Theater antritt, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, reagiert er doch gereizt, als profil ihn vor einem abbruchreifen Haus fotografieren möchte: „Ihr Europäer wollt immer nur das Kaputte zeigen.“ Wenig später beim Gespräch im der Hotellobby wird er allerdings auf die Frage, was er denn an Chisinau schätze, ebenso wie seine Kollegin Nicoleta Esinencu keine Antwort wissen. Er schweigt lange und sagt dann: „Ich habe keine Hoffnung, dass sich bald etwas verändern wird; trotzdem können wir Theaterleute doch nicht einfach alles hinnehmen.“

Infobox
Blick in den Osten

Im Volkstheater-Hundsturm wird an zwei Tagen mit szenischen Lesungen und Vorträgen die hierzulande unbekannte Theaterszene aus der Republik Moldau vorgestellt. Zu Gast sind etwa Foosbook , das Künstlerkollektiv Spalatorie mit dem schwulen Antidiskriminierungsstück „Rogvaiv“ und die Theatermacherin und Autorin Nicoleta Esinencu. Nach den Vorstellungen wird es DJ-Lines und Party geben.
22. und 23.2., Die Besten aus dem Osten, Volkstheater Wien

Karin   Cerny

Karin Cerny